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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2003
4. Jahrgang
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1. In der Begründung des ermittlungsrichterlichen Beschlusses, durch den die Überwachung der Telekommunikation angeordnet oder bestätigt wird, ist die Verdachts- und Beweislage, die die Maßnahme rechtfertigt, darzustellen. Dabei kann im Einzelfall eine konkrete Bezugnahme auf Aktenteile genügen. (BGHSt)
2. Ist die Darstellung der Verdachts- und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss plausibel, kann sich der erkennende Richter, der die Verwertbarkeit der Überwachungsergebnisse zu beurteilen hat, in der Regel hierauf verlassen. Fehlt es jedoch an einer ausreichenden Begründung oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen, hat der erkennende Richter die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen (im Anschluss an BGHSt 41, 30). War die Überwachung der Telekommunikation in einem anderen Verfahren angeordnet worden, hat er hierzu die Akten dieses Verfahrens beizuziehen. (BGHSt)
3. Unterlässt der erkennende Richter eine erforderliche Beiziehung von Akten und verhindert er dadurch die gebotene Prüfung der Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme, liegt hierin ein eigenständiger Rechtsfehler, der im Einzelfall zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils in der Revision führen kann. (BGHSt)
4. In einem rechtsstaatlichen Strafverfahren dürfen Erkenntnisse aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung nicht als Beweismittel verwertet werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Maßnahme nach § 100 a StPO fehlt. So hat es die Unverwertbarkeit zur Folge, wenn der Verdacht einer Katalogtat des § 100 a Satz 1 StPO von vornherein nicht bestand (vgl. BGHSt 31, 304, 308 f.; 32, 68, 70; 41, 30, 31). Bei der Prüfung eines hinreichenden, auf bestimmte Tatsachen gestützten Tatverdachts und des Fehlens oder der Erschwernis anderer Ermittlungsmöglichkeiten räumt das Gesetz dem zur Entscheidung berufenen Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt (§ 100 b Abs. 1 StPO) jedoch einen Beurteilungsspielraum ein. Als rechtsstaatswidrig - mit der Folge eines Verwertungsverbots - stellt sich die Anordnung der Überwachungsmaßnahme nur dann dar, wenn die Entscheidung diesen Spielraum überschreitet und daher nicht mehr vertretbar ist. Allein unter diesem Blickwinkel hat im weiteren Verfahren sowohl das erkennende wie das Rechtsmittelgericht die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu beurteilen (BGHSt 41, 30, 33 f.). (Bearbeiter)
1. Bei einem Strafverfahren gegen mehrere Angeklagte, denen eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt wird, lässt sich aus einer nicht näher ausgeführten allgemeinen Sachrüge das Anfechtungsziel der Staatsanwaltschaft nicht sicher ermitteln. Es bedarf vielmehr eines ausdrücklichen Antrags im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO, um das Begehren der Beschwerdeführerin hinreichend klar zu erkennen. (BGHR)
2. Das Fehlen eines nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrages, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird, ist zwar dann unschädlich, wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt. So ist nach der Rechtsprechung bei Revisionen des Angeklagten in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge regelmäßig die Erklärung zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 1, 4; BGH NStZ-RR 2000, 38; BGH NStZ 1990, 96). Auch bei Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers bedarf es in der Regel dann keines förmlichen Revisionsantrags, wenn das Ziel der Revision aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder dem Gang des bisherigen Verfahrens eindeutig hervorgeht (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 1). (Bearbeiter)
3. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urt. vom 4. September 1952 - 5 StR 51/52), dass im Hinblick auf sachliche Besonderheiten einer staatsanwaltschaftlichen Revision deren Begründung strenger auszulegen ist als die der Angeklagten und Nebenbeteiligten. (Bearbeiter)
Auch Roaming-Partner von Anschlussanbietern erbringen geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und sind daher Adressaten einer Überwachungsanordnung iSd § 100 b Abs. 3 StPO. Ihnen ist folglich ebenso wie dem Anschlussanbieter selbst eine Ausfertigung des Überwachungsbeschlusses in einer den Anforderungen des § 12 Abs. 2 TKÜV genügenden Weise zu übermitteln.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand des nebenklageberechtigten Verletzten gemäß §§ 406g, 397a StPO ist in Strafverfahren gegen Jugendliche wegen der in § 80 Abs. 3 JGG getroffenen Anordnung der Unzulässigkeit der Nebenklage in diesen Verfahren nicht möglich.
1. Bei der zu treffenden Kostenentscheidung nach Rücknahme der Beschwerde kann nicht allein auf die Tatsache der Rücknahme des Rechtsmittels und die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses abgestellt werden. Vielmehr entspricht es in Fällen, in denen die dem Betroffenen ausgehändigte Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung mit dem Original nicht übereinstimmt, der Billigkeit, zu prüfen, ob die dem Beschwerdeführer zunächst überlassene Ausfertigung Veranlassung zu der Beschwerde gegeben hat und diese begründet wäre, wenn der Beschluss der überlassenen Fassung entsprochen hätte.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer erwachsenen notwendigen Auslagen sind abweichend von § 473 Abs. 1 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, wenn die Beschwerde durch eine unsachgerechte Verfahrensweise bei der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses hervorgerufen worden ist (Gebot der sachlichen Gerechtigkeit bei der Anwendung und Auslegung der Kostenbestimmungen - BGHSt 18, 268, 271; 19, 226, 230; im Kostenrecht, insbesondere in Fällen eingetretener Erledigung, heranzuziehender Gesichtspunkt der Billigkeit).
3. Wie der Senat mit Beschluss vom 3. September 1997 (StB 12/97 = BGHR StPO § 105 Zustellung 1) näher ausgeführt hat, unterliegt die Übung, den vom Grundrechtseingriff Betroffenen nur die "Durchsuchungsanordnung", also lediglich die Beschlussformel der Entscheidung des Ermittlungsrichters, nicht aber den vollständigen Durchsuchungsbeschluss mit Gründen auszuhändigen, verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese den Regelfall betreffende Entscheidung des Senats schließt jedoch nicht aus, dass nach den das Ermittlungsverfahren beherrschenden allgemeinen Grundsätzen ausnahmsweise die Bekanntmachung der Gründe zurückgestellt werden kann, wenn durch sie der Untersuchungszweck gefährdet wäre. In jedem Fall muss aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes und zur Vermeidung unnötiger Rechtsmittel in der dem Betroffenen überlassenen Aushändigung allerdings auf die (vollständige oder teilweise) Weglassung der Gründe in geeigneter Form hingewiesen werden. Dabei obliegt bei einer richterlichen Anordnung nach § 36 Abs. 1 StPO die Entscheidung über die Art der Bekanntmachung dem Richter, dieser hat auch Sorge dafür zu tragen, dass dem Betroffenen eine vollständige Ausfertigung übermittelt wird, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks verantwortet werden kann (entsprechend § 101 Abs. 1 StPO).
Der nach § 265 Abs. 2 StPO erforderliche gerichtliche Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus muss, wenn er seine Funktion erfüllen soll, dem Angeklagten in einer solchen Form erteilt werden, dass dieser eindeutig erkennen kann, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6). Er kann daher nicht dadurch ersetzt werden, dass Verfahrensbeteiligte die Frage einer Unterbringung ansprechen (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 4 m.N.).
1. Mit dem Adhäsionsverfahren soll eine wiederholte Inanspruchnahme der Gerichte vermieden, der Gefahr divergierender Entscheidungen entgegengewirkt und dem Antragsberechtigten ermöglicht werden, schon im Strafverfahren seine zivilrechtlichen Ansprüche geltend zu machen.
2. § 405 Satz 1 StPO ist dahingehend zu verstehen, dass der Angeklagte nicht nur "einer", sondern eben "der Straftat" (im Sinne des § 264 StPO) überführt wird, aus der der geltend gemachte Anspruch erwachsen sein soll.
Wenn ein Verwertungsverbot gegenüber der Aussage einer Vernehmungsperson geltend gemacht wird, ist regelmäßig der vollständige Inhalt der Vernehmungsniederschrift(en) mitzuteilen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Verwertungsverbot 2, 4, 5).
Ein Nebenkläger hat keinen Anspruch auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK.
1. Verweigert ein Zeugnisverweigerungsberechtigter in der Hauptverhandlung gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO das Zeugnis, so darf auch seine Einlassung in einem früheren, gegen ihn selbst gerichteten Verfahren nicht gegen den nunmehr angeklagten Angehörigen verwendet werden (BGHSt 20, 384; BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 7). Das Verwertungsverbot aus § 252 StPO erstreckt sich auch auf den wegen Beteiligung an derselben Tat Mitangeklagten (BGHSt 7, 194).
2. Selbst die Feststellungen rechtskräftiger Urteile zum Tatgeschehen und zu den Beweistatsachen binden einen neu entscheidenden Tatrichter nicht (BGHSt 43, 106, zur Verlesung nicht rechtskräftiger Urteile vgl. BGHSt 6, 141). Sie dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Beanstandet ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen, muss der Tatrichter vielmehr prüfen, ob die Beanstandungen nach seiner Auffassung geeignet sind, die in dem Urteil gezogenen Schlüsse zu erschüttern.
1. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich nahe. Dieser Schluss ist jedoch nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter auch alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können. Ein insoweit relevanter Tatumstand ist eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit. Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, obliegen dem Tatgericht daher besondere Begründungsanforderungen, wenn es das Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit seiner Handlung herleiten will.
2. Es erscheint regelmäßig nicht sachgerecht, die Ablehnung eines Beweisantrags vorsorglich auf mehrere Ablehnungsgründe zu stützen. Dieses Verfahren verstößt gegen § 244 Abs. 3 StPO, wenn die Ablehnungsgründe nicht ausreichend dargelegt sind oder sich gegenseitig ausschließen. Diese Handhabung lässt zudem besorgen, dass sich der Tatrichter durch die Nennung zahlreicher Ablehnungsgründe die sorgfältige Prüfung eines Beweisantrags an Hand des gesetzlichen Katalogs nach § 244 Abs. 3 StPO und der dazu entwickelten Kriterien in der Hoffnung ersparen wollte, das Revisionsgericht werde sich einen passenden Grund heraussuchen.
Eine unzulässige Einzelfallzuweisung im Rahmen einer Regelung der Geschäftsverteilung liegt nicht bereits dann vor, wenn die Neuregelung nur ein anhängiges Verfahren betrifft, sondern erst dann, wenn die Neuregelung allein dazu dient, ein bereits anhängiges Verfahren gezielt einem in bestimmter Weise zusammengesetzten Spruchkörper zuzuweisen, eine allgemeine Regelung also in Wahrheit gar nicht beabsichtigt ist.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt beim Vorwurf einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegen ein Kind die Anklage regelmäßig den gesetzlichen Erfordernissen, wenn in ihr das Tatopfer, der Tatzeitraum, die Art und Weise der Tatbegehung in den Grundzügen und die Höchstzahl der vorgeworfenen Taten mitgeteilt werden (vgl. nur BGHSt 40, 44, 46 f.; BGH NStZ 1996, 295, 296; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 23).
2. Zu Inhalt und Ergebnissen einzelner Beweiserhebungen muss sich der Tatrichter grundsätzlich nicht vorab erklären (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 14).