HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2001
2. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 3 StR 61/01 - Beschluß v. 15. März 2001 (LG Hildesheim)

BGHR; Deal; Absprachen im Strafprozeß; Vergleich; Anwendung von Jugendstrafrecht (Heranwachsende); Jugendstrafe (Erziehungsgedanke und Geständnis)

§ 105 Abs. 1 JGG; § 18 Abs. 2 JGG

1. Die Anwendung von Jugendstrafrecht auf einen Heranwachsenden kann nicht Gegenstand einer Urteilsabsprache sein (im Anschluß an BGHSt 43,195). (BGHR)

2. Es ist dem Gericht verboten, sich auf einen "Vergleich im Gewande eines Urteils", auf einen "Handel mit der Gerechtigkeit" einzulassen (BVerfG NStZ 1987, 419). Dies ist Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verständigung im Strafverfahren (vgl. BGHSt 43, 195, 198 f.). (Bearbeiter)

3. Nach den Mindestbedingungen, die der Bundesgerichtshof für Verständigungen im Strafverfahren aufgestellt hat (BGHSt 43,195), muß eine Verständigung unter Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten in öffentlicher Hauptverhandlung stattfinden. Nicht zulässig ist insbesondere eine Absprache ohne Beteiligung des Angeklagten selbst oder auch unter Ausschluß der Schöffen. Das Ergebnis der Absprache ist da es sich um einen wesentlichen Verfahrensvorgang handelt - im Protokoll über die Hauptverhandlung festzuhalten (BGHSt 43, 195, 206; 45, 227). Ohne Einhaltung dieser Verfahrensanforderungen kann der Angeklagte nichts für sich aus einer Absprache herleiten. (Bearbeiter)

4. Die Jugendstrafe muß nach § 18 Abs. 2 JGG so bemessen werden, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung auf den Angeklagten möglich ist. Es erscheint zweifelhaft, ob ein Geständnis aufgrund einer Absprache dazu führen kann, das Erziehungsbedürfnis als deutlich gemildert anzusehen mit der Folge, daß deshalb eine geringere Jugendstrafe verhängt werden kann. Insoweit ist die Situation nicht mit der des erwachsenen Straftäters und der Auswirkung seines im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnisses (BGHSt 43, 195, 209) zu vergleichen. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 504/00 - Urteil v. 10. Mai 2001 (LG Coburg)

BGHSt; Besondere Bedeutung des Falles (Ziel, einem Kind als Opfer einer Sexualstraftat eine weitere Vernehmung in der zweiten Tatsacheninstanz zu ersparen); Gesetzlicher Richter; Sexueller Mißbrauch von Kindern; Prüfung der willkürlich angenommenen Zuständigkeit eines höheren Gerichts in der Revision (auf Verfahrensrüge)

§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG; § 338 Nr. 4 StPO; Art. 101 Abs. 1 GG; § 210 Abs. 1 StPO; § 336 Satz 2 StPO; § 269 StPO; § 247a StPO

1. Der Prüfung durch das Revisionsgericht, ob das Landgericht einem Fall rechtsfehlerfrei besondere Bedeutung gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG zugemessen hat, ist die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung zugrunde zu legen. (BGHSt)

2. Allein das Ziel, einem Kind als Opfer einer Sexualstraftat eine weitere Vernehmung in der zweiten Tatsacheninstanz zu ersparen, vermag die besondere Bedeutung eines Falles im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG nicht zu begründen. (BGHSt)

3. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht abschließend geklärt, ob der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 4 StPO bei sachfremder Bejahung des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge (BGHSt 42, 205; 43, 54) oder von Amts wegen (BGHSt 38, 172, 176; 44, 34, 36) zu berücksichtigen ist. (Bearbeiter)

4. Eine Revision scheitert nicht schon daran, daß mit ihr grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, ein höheres Gericht habe seine Zuständigkeit zu Unrecht anstelle eines Gerichts niederer Ordnung angenommen. Dieser Grundsatz erfährt vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Willkürverbot dann eine Einschränkung, wenn die Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß die Entscheidung über die Zuständigkeit auf sachfremden Erwägungen beruht (BGHSt 42, 205, 207; BGH 3 StR 378/00). (Bearbeiter)

5. Von besonderer Bedeutung ist eine Sache, die sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, etwa wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Auswirkungen der Straftat, wegen der Erhöhung des Unrechtsgehalts durch die hervorragende Stellung des Beschuldigten oder Verletzten aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen nach oben heraushebt (BGHR GVG § 24 Bedeutung 1) oder wenn die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsame Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof ermöglicht werden soll (BGHSt 43, 53). Entscheidend ist immer die Bewertung des Einzelfalls. (Bearbeiter)

6. Gerade bei Sexualstraftaten und Jugendschutzsachen wird sich häufig die besondere Bedeutung der Sache aus den schwerwiegenden Auswirkungen der Straftat auf das Opfer ergeben. Dabei können - trotz der sich insbesondere aus § 247a StPO ergebenden prozessualen Möglichkeiten - in der gebotenen Gesamtbetrachtung des Einzelfalles auch weitere zu erwartende gravierende Folgen einer zweiten gerichtlichen Vernehmung des Tatopfers in einer Berufungshauptverhandlung von Bedeutung sein. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 306/00 - Beschluß v. 15. Mai 2001 (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht)

BGHSt; Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung; Maßregelanordnung; Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung; Teilbarkeit; Doppelrelevante Feststellungen; Widerspruchsfreiheit; Unlösbarer Zusammenhang; Vorlage (Ausdehnung der Frage); Entscheidungserheblichkeit; Fahrerlaubnisentziehung; Beurteilungszeitpunkt; Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen

§§ 56, 69, 69a StGB; § 318 Satz 1 StPO; § 121 GVG

1. Wurde neben der Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung zugleich eine Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB angeordnet, so ist die Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung nur dann unwirksam, wenn sich der Beschwerdeführer gegen insoweit doppelrelevante Feststellungen wendet oder die Bewährungsentscheidung mit der Maßregelanordnung eng verbunden ist, so daß die entstehende Gesamtentscheidung möglicherweise nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde. (BGHSt)

2. Unstreitig ist, daß eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich möglich ist BGHSt 24, 164, 165). Allerdings gilt dies nur, wenn - wie bei jeder wirksamen Rechtsmittelbeschränkung - der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig geprüft und beurteilt werden kann, ohne daß eine Überprüfung der Entscheidung im übrigen erforderlich ist, und wenn die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr., s. nur BGHSt 24, 185, 187 f.; BGH NStZ-RR 1999, 359). (Bearbeiter)

3. Die Anordnung einer Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB setzt voraus, daß der Täter eine rechtswidrige Tat bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat und sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB). Die Ungeeignetheit muß noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestehen, und vom Täter müssen weitere Verletzungen der Kraftfahrerpflichten zu erwarten sein (s. BGHSt 7, 165, 175 ff.). (Bearbeiter)

4. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, daß sich die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung und die Anordnung von Maßregeln nach den §§ 69, 69 a StGB - auch wegen charakterlicher Ungeeignetheit - nicht gegenseitig ausschließen (vgl. BGHSt 15, 316, 318 f.). (Bearbeiter)

5. Ob die Beschränkung nach diesen Grundsätzen wirksam ist, hat das Rechtsmittelgericht aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu bewerten, wo bei die Beurteilung endgültig erst aus der Sicht des Beratungsergebnisses bei Erlaß des Berufungsurteils vorzunehmen ist (s. BGHSt 27, 70, 72). Da die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen regelmäßig ausgeschlossen sein wird, wenn das (mit nachvollziehbaren Gründen) von einer zulässigen Beschränkung ausgehende Berufungsgericht hierbei zu der Überzeugung gelangt, das auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Rechtsmittel sei zu verwerfen, ist die Beschränkung wirksam, selbst wenn eine andere Auffassung zur Frage der Beschränkbarkeit vertretbar ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 177/01 - Beschluß v. 13. Juni 2001 (LG Berlin)

Wirksamer Rechtsmittelverzicht; Beweis von Erklärungen, die nicht von der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls erfaßt sind (Vermerk)

§ 302 Abs. 1 StPO; § 274 StPO

Ist eine in die Sitzungsniederschrift aufgenommene Erklärung dem Angeklagten nicht vorgelesen und von ihm auch nicht genehmigt worden, hat dies der Folge, daß sie nicht an der Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls nach § 274 StPO teilnimmt. Dies allein stellt jedoch die Wirksamkeit der Erklärung nicht in Frage. Der Vermerk stellt insoweit ein gewichtiges Beweisanzeichen dar (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 - Rechtsmittelverzicht 5 m.w.N.).


Entscheidung

BGH 1 StR 410/00 - Beschluß v. 10. Mai 2001 (LG Stuttgart)

Unzulässiger Ablehnungsgesuch; Befangenheitsantrag; Völlig ungeeignete, fehlende Begründung

§ 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO

Eine völlig ungeeignete Begründung ohne konkrete Anhaltspunkte steht rechtlich einer fehlenden Begründung gleich (BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 2,7).