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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 68

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 437/23, Beschluss v. 02.11.2023, HRRS 2024 Nr. 68


BGH 6 StR 437/23 - Beschluss vom 2. November 2023 (LG Halle)

Versuchter Mord; gefährliche Körperverletzung; Rücktritt vom Versuch (Rücktrittshorizont; Rettungsbemühungen des Täters; Erörterungsmangel).

§ 24 Abs. 1 StGB; § 211 StGB; § 224 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 31. Mai 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ihre auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Beweiswürdigung hält, auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896, 2897; Urteil vom 30. November 2022 - 6 StR 243/22), sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat zum Tatablauf Folgendes festgestellt:

Die Angeklagte und ihr Ehemann verbrachten den Abend des 4. Dezember 2022 in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie begaben sich zu einer nicht näher feststellbaren Zeit ins Schlafzimmer. Dort wollten sie miteinander intim werden. Dabei war es schon früher zu gegenseitigen Fesselungen gekommen. In Erwartung des bevorstehenden sexuellen Kontakts ließ der bäuchlings auf dem Bett liegende Ehemann seine Hände von der Angeklagten fesseln. Diese begann nun damit, seinen Rücken mit Öl einzureiben. Ohne dass das Landgericht hierfür ein Motiv festzustellen vermochte, nahm die Angeklagte sodann ein Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm und begann, auf ihren Mann einzustechen. Sie fügte ihm insgesamt 26 Stich- und drei Schnittverletzungen zu. Das Opfer erlitt hierdurch massive Verletzungen im Bereich des Oberkörpers und einen hohen Blutverlust. Nach dem letzten Messerstich ging sie davon aus, alles Erforderliche getan zu haben, um den Tod ihres Mannes herbeizuführen.

Sodann wusch die Angeklagte sich im Badezimmer, zog ein sauberes Kleid an, reinigte das Messer und warf es anschließend über den Balkon in den Innenhof. Um 4.43 Uhr wählte sie den Notruf. Sie ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, ihr Mann sei verstorben, teilte dies den Mitarbeitern der Rettungsstelle mit und bat um Hilfe. Im Laufe des Telefonats gab der Geschädigte plötzlich Worte von sich. Erst jetzt bemerkte die Angeklagte ihren Irrtum, ging aber davon aus, das Opfer werde aufgrund der Vielzahl der Messerstiche und des hohen Blutverlusts in Kürze sterben; Rettungsbemühungen entfaltete sie auch jetzt nicht. Um 4.50 Uhr trafen Notfallsanitäter in der Wohnung ein und transportierten das Opfer in ein Krankenhaus, wo es umgehend operiert und gerettet wurde.

2. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, soweit sie einen etwaigen Rücktritt vom Vorwurf des versuchten Mordes betrifft.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht von einem beendeten Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB ausgegangen, da die Angeklagte nach dem letzten Stich glaubte, alles getan zu haben, um den Tod ihres Mannes herbeizuführen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 2019 ? 4 StR 464/18, NStZ 2019, 399; vom 11. Januar 2022 ? 6 StR 431/21, NStZ 2022, 349). Für einen strafbefreienden Rücktritt ist es dann erforderlich, dass der Täter den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf bewusst und gewollt unterbricht, also mit Rettungswillen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 1989 - 2 StR 703/88, NJW 1989, 2068; Beschluss vom 11. Dezember 2007 - 3 StR 489/07, NStZ 2008, 329).

Letzterer wird hier von der Strafkammer verneint. Sie stützt die Feststellung, die Angeklagte sei bei ihrem Anruf (zunächst) davon ausgegangen, ihr Mann sei bereits verstorben, maßgeblich auf den Notruf. Die Angeklagte äußerte sich darin u.a. wie folgt: „Bitte helft mein Mann. (Unverständliches Wort) ist tot. Bitte helft mir.“ Auf Nachfrage, warum ihr Mann denn tot sei, antwortete sie: „Nein, wir schlafen und ich was machen, ich und mit mein Mann, und einmal meine Tür glu... äh klopfen und dann fang ich an aufmachen. Mein Mann Messer gemacht und mein Mann ist viele Messer. Bitte helft mir.“ Es fehlt insoweit schon die Auseinandersetzung damit, dass die Angaben der Angeklagten in mehrfacher Hinsicht unverständlich und jedenfalls nicht eindeutig waren. Zudem hätte es der Erörterung bedurft, warum die Angeklagte in dem Glauben, ihr Mann sei verstorben, die Mitarbeiter der Rettungsstelle noch ausdrücklich um Hilfe für ihren Mann gebeten haben soll. Zu einer eingehenden Erörterung all dessen bestand umso mehr Anlass, als die Angeklagte ausweislich der zu ihrer Person getroffenen Feststellungen nur über „geringe Deutschkenntnisse“ verfügte und damit sprachliche Missverständnisse ohne Weiteres möglich erscheinen.

b) Lückenhaft ist die Beweiswürdigung auch insoweit, als die Strafkammer einen Rücktritt im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB verneint, nachdem die Angeklagte erkannt hatte, dass das Opfer noch lebte (vgl. zur möglichen Korrektur des Rücktrittshorizontes BGH, Beschlüsse vom 9. September 2014 - 4 StR 367/14, NStZ 2015, 26; vom 17. Dezember 2019 - 2 StR 340/19, StV 2021, 90). Der daran anknüpfende pauschale Hinweis der Strafkammer, im weiteren Verlauf habe die Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet, ist ersichtlich unzureichend. Es hätte insoweit etwa der Darstellung des nachfolgenden Verlaufs des Telefonats mit der Rettungsstelle, das über sieben Minuten andauerte, bedurft. Es liegt nahe, dass etwa Angaben zur Wohnanschrift und zur genauen Lage der Wohnung in dem zehngeschossigen Haus für die Rettung des Opfers zumindest mitursächlich hätten sein können. Von Belang ist insoweit möglicherweise auch das weitere Verhalten der Angeklagten, als die Notfallsanitäter vor Ort eingetroffen waren, wie etwa die Gewährung des Zugangs in das Haus und in die Wohnung.

c) Infolge dieser Erörterungsmängel kann der Schuldspruch wegen versuchten Mordes keinen Bestand haben. Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten wegen der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung nach sich (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 6 StR 43/20, NStZ 2020, 618; Beschluss vom 5. Oktober 2022 - 3 StR 185/22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 353 Rn. 7a). Der Senat hebt zudem die zugrundeliegenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

3. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine gefährliche Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ein planmäßiges Verbergen der Angriffsabsicht voraussetzt. Das bloße Ausnutzen des Überraschungsmoments bei einem Angriff von hinten reicht dazu nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2012 - 3 StR 146/12, NStZ 2012, 698). Auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift wird insoweit verwiesen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 68

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede