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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1228

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 206/23, Beschluss v. 26.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1228


BGH 6 StR 206/23 - Beschluss vom 26. Juli 2023 (LG Braunschweig)

Räuberische Erpressung, schwere räuberische Erpressung (Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils; keine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben: Erwartung des Tatopfers, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen, Ausnutzung der Angst des Tatopfers); Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten (Belehrung: Zeitpunkt, vor Abgabe der Zustimmungserklärungen; Pflicht zur Aufklärung, Pflicht zur Darlegung des Sachverhalts).

§ 253 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 255 StGB; § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 257c StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es genügt nicht, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen. Das bloße Ausnutzen der Angst eines Opfers vor einer Gewaltanwendung enthält für sich genommen noch keine Drohung.

2. Die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO hat vor Abgabe der Zustimmungserklärungen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO) zu erfolgen.

3. Dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten eingeräumt hat und dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29. November 2022 aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den hierzu vom Landgericht getroffenen Feststellungen erklärte der Angeklagte gegenüber dem Zeugen H. und der gesondert verfolgten T., diese schulde seinem Onkel insgesamt 3.500 Euro und beide sollten sehen, dass sie das Geld auftrieben. Dabei hielt er beiden ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von acht bis zehn Zentimetern vor. Aus Angst überwies H. 2.500 Euro auf das Konto einer Familienangehörigen 1 2 3 des Angeklagten mit dem Verwendungszweck „Autokauf“ und übergab dem Angeklagten - noch unter dem Eindruck der Drohung stehend - mehrere Stunden später weitere 500 Euro in bar. Dem Angeklagten war bewusst, auf die Geldbeträge keinen Anspruch zu haben (Fall II.1).

Etwa einen Monat später suchte der Angeklagte den Zeugen H. auf und erklärte, diesen bei seinem Onkel „freigekauft“ zu haben, weshalb der Zeuge ihm nunmehr 13.000 Euro schulde. Dem Angeklagten kam es darauf an, den Eindruck zu erwecken, er werde dem Zeugen körperliches Leid zufügen, sollten die Geldforderungen nicht beglichen werden. Ihm war bewusst, auf das Geld keinen Anspruch zu haben. Einige Tage später übergab ihm der Zeuge 10.000 Euro in bar, weil er befürchtete, der Angeklagte könne seine „zuvor wiederholt geäußerten Ankündigungen wahrmachen“ (Fall II.3).

b) Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen (schwerer) räuberischer Erpressung in den Fällen II.1 und 3 nicht (§ 253 Abs. 1 und 2, §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB).

aa) Hinsichtlich Fall II.1 der Urteilsgründe verhalten sich die äußerst knappen, lediglich den konkreten Anklagesatz wiedergebenden Feststellungen nicht nachvollziehbar zur Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils. Dieses (normative) Tatbestandsmerkmal muss vom - zumindest bedingten - Vorsatz des Täters umfasst sein (vgl. BGH, Beschlüsse 26. September 1990 - 2 StR 377/90, StV 1991, 20; vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08, NStZ-RR 2009, 17, 18). Vor dem Hintergrund der festgestellten Äußerung, dass der Angeklagte die Begleichung einer Forderung seines Onkels erstrebte, versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte sich (oder seinen Onkel) zu Unrecht bereichern wollte.

bb) Im Fall II.3 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen der Strafkammer nicht, dass der Angeklagte für den Fall der Nichterfüllung seiner Forderungen jeweils zumindest konkludent mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gedroht hat.

(1) Drohen bedeutet seelisches Einwirken auf den Bedrohten in Gestalt einer auf Angst und Furcht abzielenden Ankündigung eines Übels. Das Übel muss also irgendwie vom Täter in Aussicht gestellt worden sein; es genügt nicht, wenn es von einem anderen nur erwartet wird. Auf die äußere Form, in der die Drohung zum Ausdruck gebracht wird, kommt es jedoch nicht an, sodass selbst schlüssige Handlungen ausreichen können, sofern nur das angekündigte Übel genügend erkennbar ist (vgl. BGH, Urteile vom 17. März 1955 - 4 StR 8/55, BGHSt 7, 252, 253; vom 8. März 2023 - 6 StR 378/22, NStZ-RR 2023, 177, 178). Auch frühere Drohungen können eine in die Tatgegenwart fortwirkende Drohwirkung entfalten (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2023 aaO). Es genügt dagegen nicht, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen. Das bloße Ausnutzen der Angst eines Opfers vor einer Gewaltanwendung enthält für sich genommen noch keine Drohung (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1987 - 4 StR 324/87, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 1; Urteile vom 8. Mai 2013 - 2 StR 558/12, NStZ 2013, 648; vom 11. März 2015 ? 2 StR 323/14, NStZ 2015, 461).

(2) Gemessen hieran belegen die Urteilsfeststellungen keine Drohung durch den Angeklagten. Die Strafkammer hat lediglich eine Besorgnis des Geschädigten festgestellt, nicht aber eine, etwa auch schlüssige Erklärung des Angeklagten, mit der er den „Eindruck“ zu erwecken suchte, dem Geschädigten bei ausbleibender Zahlung körperliches Leid zuzufügen.

c) Diese Rechtsfehler erzwingen insoweit die Urteilsaufhebung. Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat auch die Feststellungen zu Fall II.2 auf (§ 353 Abs. 1 StPO). Obgleich diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, besorgt der Senat, dass sich auch insoweit die bei allen Fällen defizitär in den Blick genommenen etwaigen wechselseitigen Zahlungsansprüche ausgewirkt haben.

2. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat:

a) Die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO hat vor Abgabe der Zustimmungserklärungen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO) zu erfolgen.

b) Dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten eingeräumt hat und dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10; vom 20. September 2012 - 3 StR 380/12; vom 9. Juni 2015 - 3 StR 169/15).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1228

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede