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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 195

Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 312/21, Urteil v. 15.12.2021, HRRS 2022 Nr. 195


BGH 6 StR 312/21 - Urteil vom 15. Dezember 2021 (LG Potsdam)

Mord (Mordmerkmale: Heimtücke, niedrige Beweggründe; Vorsatz); Erpressung (Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils: bestehender Anspruch des Täters); Kognitionspflicht.

§ 211 Abs. 2 StGB; § 253 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 264 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 18. Dezember 2020 dahin geändert, dass der Angeklagte des Totschlags in Tateinheit mit Besitz einer verbotenen Vorderschaftrepetierflinte und versuchter Nötigung schuldig ist.

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger werden verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Besitz einer verbotenen Vorderschaftrepetierflinte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit der vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Die Nebenkläger beanstanden mit ihrer Sachrüge jeweils die fehlende Verurteilung wegen Mordes und wegen besonders schweren Raubes mit Todesfolge bzw. versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte und das spätere Tatopfer standen in einer geschäftlichen und nahezu freundschaftlichen Beziehung, wenngleich der Geschädigte den sich unterlegen fühlenden Angeklagten bei diversen Fahrzeuggeschäften übervorteilt, in einem Fall auch gedemütigt hatte. Der Geschädigte hatte aus einem durch Eigentumsumschreibung im Grundbuch bereits vollzogenen Grundstückskauf den nicht notariell beurkundeten Kaufpreisteil von 30.000 Euro noch nicht an den Angeklagten gezahlt und diesen deswegen immer wieder vertröstet. Der Angeklagte plante deshalb, den Kaufpreis von 22.500 Euro für ein weiteres Fahrzeug anlässlich der Übergabe nicht an den Geschädigten zu bezahlen, sondern insoweit mit der ihm aus dem Grundstücksverkauf noch zustehenden Restkaufpreisforderung aufzurechnen. Da der Angeklagte damit rechnete, dass der ihm als profitorientiert, unnachgiebig, aggressiv und aufbrausend bekannte Geschädigte das nicht akzeptieren werde, legte er eine mit sechs Schrotpatronen geladene Vorderschaftrepetierflinte in einem auf seinem Grundstück befindlichen Überseecontainer bereit, um den Geschädigten nach der Überführung des Fahrzeugs - gegebenenfalls unter Abgabe eines Warnschusses - einzuschüchtern und dazu zu veranlassen, ihm den Fahrzeugschlüssel und -papiere herauszugeben. Unter dem Vorwand, den Kaufpreis dort entrichten zu wollen, lockte der Angeklagte den Geschädigten in den Container und schloss die Tür. Möglicherweise nach einer verbalen Auseinandersetzung ergriff er die geladene Waffe, richtete sie auf den Geschädigten und erklärte, gegen den Kaufpreisanspruch mit seiner Restforderung aus dem Grundstücksgeschäft aufzurechnen. Er verlangte von dem Geschädigten mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels und der Fahrzeugpapiere. Da dieser sich weigerte, gab der Angeklagte, auch um seiner Ernsthaftigkeit Nachdruck zu verleihen, einen Warnschuss in Richtung Containerwand ab, richtete die Waffe wieder auf den Geschädigten und lud durch Zurückziehen des Vorderschafts nach. Der Geschädigte war jedoch weiterhin nicht bereit, dem Angeklagten ohne Kaufpreiszahlung Fahrzeugschlüssel und -papiere zu übergeben. Er trat wütend, mit lauter Stimme protestierend auf den Angeklagten zu und wollte nach der Waffe greifen. Der Angeklagte erkannte, dass sein Einschüchterungsversuch gescheitert war, und fürchtete eine gewaltsame Auseinandersetzung. Ohne dies geplant oder zuvor auch nur in Erwägung gezogen zu haben, schoss er mit bedingtem Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von etwa 50 Zentimetern auf den Geschädigten. Die abgefeuerte Schrotladung traf diesen tödlich.

2. Die Strafkammer hat das Geschehen als Totschlag gewertet und einen minder schweren Fall gemäß § 213 Alternative 2 StGB angenommen. Das Vorliegen von Mordmerkmalen hat sie verneint.

II.

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen hat sie keine Rechtsfehler zu Gunsten oder Ungunsten (vgl. § 301 StPO) des Angeklagten ergeben.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist insofern begründet, als sie sich gegen die unterbliebene Verurteilung wegen tateinheitlich begangener versuchter Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3, §§ 22, 23 StGB) wendet.

a) Demgegenüber stößt es auf keine rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen heimtückisch begangenen Mordes verurteilt hat.

Es kann offenbleiben, ob der Geschädigte im Augenblick der mit Tötungsvorsatz erfolgten Abgabe des zweiten Schusses entsprechend der Auffassung des Generalbundesanwalts noch arg- und wehrlos war. Jedenfalls ist das Landgericht aufgrund tragfähiger Feststellungen rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte hierbei ohne Ausnutzungsbewusstsein handelte.

aa) Für das Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, und vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176). Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2020 ? 2 StR 116/20, NStZ 2021, 162 Rn. 8; Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31, mwN). Allerdings hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/12 Rn. 20, und vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09 aaO; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634, 635).

bb) Daran gemessen ist die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte eine etwaige Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten jedenfalls nicht bewusst ausgenutzt habe, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hatte sich nur deshalb bewaffnet, um den vom ihm als überlegen angesehenen und erfahrungsgemäß in Geldangelegenheiten aggressiv Reagierenden bei der Durchsetzung seiner Forderung einzuschüchtern und dessen Überlegenheit etwas entgegensetzen zu können. Er schoss nach Abgabe eines Warnschusses spontan und impulsiv, weil er aufgrund der offensiven Reaktion des Geschädigten sein Vorhaben als gescheitert ansah und fürchtete, erneut zu unterliegen.

b) Jedoch hat das Landgericht die in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage bezeichnete Tat entgegen § 264 Abs. 1 StPO nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft.

Denn der Angeklagte hat sich der versuchten Nötigung schuldig gemacht. Das Drohen mit der geladenen Schusswaffe, um von dem Geschädigten im Wege der Selbsthilfe ohne Zahlung des Kaufpreises den Fahrzeugschlüssel und die Fahrzeugpapiere zu erlangen, erweist sich auch vor dem Hintergrund eines entsprechenden Anspruchs des Angeklagten - dazu unter 2. Buchstabe a - als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1953 - 2 StR 60/53, BGHSt 4, 105, 107; Beschluss vom 14. Juni 1982 - 4 StR 255/82, NJW 1982, 2265, 2266). Da der Sachverhalt abschließend festgestellt ist, kann der Senat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte auf die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 240 Abs. 1 und 3, § 23 Abs. 1 StGB hingewiesen worden ist.

c) Der Strafausspruch hält dennoch sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Der Senat kann ausschließen, dass sich ein rechtsfehlerfreier Schuldspruch auf die Strafhöhe ausgewirkt hätte. Hieran ändert auch das Nachtatverhalten des Angeklagten nichts, da es sich jedenfalls angesichts dessen Bedrohung durch die Angehörigen des Opfers nicht um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund handelte.

2. Die nach § 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO zulässigen Revisionen der Nebenkläger haben keinen Erfolg.

a) Eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren Raubes mit Todesfolge (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2, § 251 StGB) oder wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge (§ 253 Abs. 1, § 250 Abs. 2, § 251 StGB) kam nicht in Betracht.

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 402/10, NStZ 2011, 519 mwN). Der Täter will sich dann zu Unrecht bereichern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat; allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010, aaO; Beschluss vom 21. Dezember 1998 - 3 StR 434/98). Entsprechendes gilt für das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2001 - 3 StR 153/01).

Der Generalbundesanwalt weist in seiner Antragsschrift zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte aus dem nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB infolge Eigentumsumschreibung im Grundbuch wirksamen Grundstückskaufvertrag einen Anspruch auf Zahlung des Restkaufpreises von 30.000 Euro gegen den Geschädigten hatte, mit dem er gegen den Kaufpreisanspruch für das Fahrzeug die Aufrechnung erklärt hat (§§ 387, 388 BGB). Die Forderung war einredefrei und fällig. Denn der Angeklagte hatte dem Geschädigten den Kaufpreisteil von 30.000 Euro nicht im Sinne eines befristeten Einforderungsverzichts gestundet, sondern bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) aus Nachsicht mit Blick auf die noch ausstehende Baugenehmigung lediglich einen Zahlungsaufschub gewährt (vgl. BeckOGK-BGB/Skamel, Stand 1. Oktober 2021, § 387 Rn. 121; MüKoBGB/Schlüter, 8. Aufl., § 387 Rn. 37; jeweils mwN). Es liegt fern, dass der Angeklagte dauerhaft das Risiko der Versagung der Bau- oder Nutzungsgenehmigung oder auch nur einer erheblich verzögerten Erteilung vertraglich übernehmen wollte. Da der Anspruch des Geschädigten auf Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug infolge der Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen ist, war er nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, dem Angeklagten das Fahrzeug nebst Schlüssel zu übereignen (§ 433 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 311c, 97 Abs. 1 Satz 1 BGB) und die Fahrzeugpapiere zu übergeben (§ 985 i.V.m. § 952 Abs. 2 BGB entsprechend, vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2020 - V ZR 8/19, NJW 2020, 3711 Rn. 32).

b) Das Landgericht hat den Angeklagten schließlich rechtsfehlerfrei nicht wegen Mordes aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen schuldig gesprochen.

aa) Der Angeklagte hat den Geschädigten nicht aus einem Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen getötet, das in seiner Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 ? 4 StR 140/20, NStZ 2020, 733). Ursprünglich wollte der Angeklagte seine berechtigte Forderung durchsetzen und strebte nicht in der erforderlichen gesteigerten Weise nach Gewinn oder Vorteilen; vielmehr zielte sein Vorgehen auf die Herstellung eines rechtskonformen Zustands ab (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 65; SSW-StGB/Momsen, 5. Aufl., § 211 Rn. 16, 18, jeweils mwN). Im Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses ging es ihm ohnehin allenfalls noch am Rande um die Durchsetzung seines Anspruchs, weil ihm der Tod des Angeklagten hierzu nicht nützlich sein konnte.

bb) Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das Landgericht unter Hinweis auf die durch den Geschädigten im Vorfeld erlittene Demütigung und die diesem vom Angeklagten bislang entgegengebrachte Wertschätzung tragfähig verneint (UA S. 60). Denn mit Blick hierauf und auf die Gefälligkeiten zu Gunsten des Geschädigten, demgegenüber der Angeklagte zuvor stets nachgegeben und dem er sich gefügt hatte, beruhten die Antriebsregungen ihrerseits nicht auf einer niedrigen Gesinnung (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 ? 5 StR 399/19, NStZ 2019, 724 Rn. 8).

c) Die unterbliebene Verurteilung wegen heimtückisch begangenen Mordes ist aus den Gründen unter II. Nr. 1 Buchstabe a rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 195

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 47

Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi