hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 40

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 247/23, Urteil v. 21.11.2023, HRRS 2024 Nr. 40


BGH 5 StR 247/23 - Urteil vom 21. November 2023 (LG Berlin)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (keine Bindung an frühere Gesamtstrafenbildung; Gesamtgeldstrafe; Einbeziehung von zuvor nicht einbezogenen Geldstrafen; Verschlechterungsverbot).

§ 55 StGB; § 53 StGB

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Februar 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung mehrerer Geld- und Freiheitsstrafen aus früheren strafrechtlichen Erkenntnissen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, von der es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung drei Monate für vollstreckt erklärt hat. Zudem hat es Einziehungsanordnungen getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist deshalb unzulässig.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch für den Gesamtstrafausspruch. Insbesondere ist gegen die nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung von Geldstrafen aus früheren Erkenntnissen nach § 55 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 1 und 2 Satz 1 StGB rechtlich nichts zu erinnern.

a) Der Angeklagte war vom Amtsgericht Tiergarten am 30. April, 15. Mai und 2. Dezember 2020 zu Geldstrafen und am 10. Mai 2022 vom Amtsgericht Burg zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, gebildet aus zwei Einzelstrafen, verurteilt worden. Sämtliche Urteile waren zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils rechtskräftig; keine der Strafen war bis dahin vollständig vollstreckt. Die den früheren Verurteilungen zugrundeliegenden Taten hat der Angeklagte in der Zeit vom 15. März 2019 bis zum 3. März 2020 begangen, die abgeurteilte Tat am 11. November 2019.

Danach lagen alle Taten vor dem ersten Straferkenntnis vom 30. April 2020; sie hätten daher damals gemeinsam abgeurteilt und die hierfür verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen werden können. Das Landgericht hat danach zu Recht die früheren Strafen einbezogen und eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet. Es hat damit § 55 Abs. 1 StGB entsprochen, der durch die Anordnung der Anwendung der §§ 53 und 54 StGB gewährleistet, dass ein Täter durch eine getrennte Aburteilung seiner Taten weder besser noch schlechter gestellt ist als durch eine gemeinsame (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 8. November 2018 - 4 StR 269/18 Rn. 13 mwN).

b) Dem steht nicht entgegen, dass im amtsgerichtlichen Urteil vom 10. Mai 2022 davon abgesehen worden war, die in den Urteilen des Amtsgerichts Tiergarten verhängten Geldstrafen einzubeziehen, statt - wie von § 55 Abs. 1 StGB vorgeschrieben - insoweit nach § 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 StGB zu verfahren und in dem Urteil entweder auf eine (einzige) Gesamtfreiheitsstrafe oder daneben (gesondert) auf eine (Gesamt-)Geldstrafe zu erkennen (vgl. hierzu schon BGH, Beschluss vom 18. September 1974 - 3 StR 217/74, BGHSt 25, 382, 384). Denn das zur Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB berufene Tatgericht hat eine eigenständige Entscheidung unter Anwendung der §§ 53 und 54 StGB zu treffen; eine Bindung an die Gründe einer früheren Gesamtstrafenbildung besteht nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2002 - 3 StR 278/02, NStZ-RR 2003, 9, 10). Danach hinderte der Umstand, dass das Amtsgericht Burg in seinem Urteil vom 10. Mai 2022 von einer Einbeziehung der Geldstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Tiergarten abgesehen hatte, das Landgericht nicht, die Geldstrafen in die von ihm neu zu bildende Gesamtstrafe einzubeziehen; vielmehr ist es mit der Einbeziehung seiner Pflicht aus § 55 Abs. 1 StGB nachgekommen, eine eigenständige Entscheidung gemäß § 53 Abs. 2 StGB zu treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 202/14, StraFo 2015, 30; vom 9. Mai 2007 - 5 StR 24/07, NStZ-RR 2007, 232; vom 4. Februar 1992 - 1 StR 659/91, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 5; Sander, NStZ 2016, 656, 657).

c) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO. Die Vorschrift verbietet, dass das angefochtene Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil des Angeklagten geändert wird. Denn der Angeklagte soll bei seiner Entscheidung darüber, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt werden, es könne ihm durch die Einlegung eines Rechtsmittels ein Nachteil in Gestalt härterer Bestrafung entstehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. November 1999 - 3 StR 361/99, BGHSt 45, 308, 310 mwN). Es gilt mithin nur in dem anhängigen Verfahren (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 331 Rn. 4 f.; KKStPO/Paul, 9. Aufl., § 331 Rn. 9). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor. Insbesondere ist es hier nicht so, dass das Landgericht nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht eine durch das erste Tatgericht außer Betracht gelassene Geldstrafe nach § 55 iVm § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB mit der Folge der Verhängung einer höheren Gesamtfreiheitsstrafe als im ersten Durchgang einbezogen hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 3 StR 463/09; siehe auch BGH, Urteil vom 23. Juli 1997 - 3 StR 146/97, NStZ 1998, 34; KG, Beschluss vom 2. November 2018 - 161 Ss 142/18, OLGSt StGB § 53 Nr. 4).

d) Der Angeklagte hat durch die Nichteinbeziehung der in den Urteilen des Amtsgerichts Tiergarten verhängten Geldstrafen durch das Amtsgericht Burg auch keinen Vorteil erlangt, der ihm vom Landgericht nicht mehr hätte genommen werden dürfen. Zwar scheint eine Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs dafür zu sprechen, dass in einer wie der hier gegebenen Fallkonstellation eine Ausnahme von der von § 55 Abs. 1 StGB vorgeschriebenen Anwendung des § 53 StGB geboten sein könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2001 - 4 StR 592/00). Bei näherer Betrachtung erschöpfen sich die Ausführungen - unter Verweis auf das oben genannte Urteil des 3. Senats vom 23. Juli 1997 (3 StR 146/97, aaO) - in dem Hinweis an das nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht neu zur Entscheidung berufene Tatgericht, bei der zu treffenden Entscheidung das Verschlechterungsverbot zu beachten. Soweit der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Entscheidung in einem darüberhinausgehenden Sinn verstanden haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12), sind die Ausführungen nicht tragend; zudem hat der 2. Strafsenat den Weg nicht weiterverfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 202/14, aaO). An seiner der hier getroffenen Entscheidung entgegenstehenden Entscheidung (BGH, Beschluss vom 18. August 2018 - 5 StR 296/15) hält der Senat nicht fest.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 40

Bearbeiter: Christian Becker