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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 698

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 439/22, Beschluss v. 13.04.2023, HRRS 2023 Nr. 698


BGH 4 StR 439/22 - Beschluss vom 13. April 2023 (LG Oldenburg)

Trunkenheit im Verkehr (absolute Fahruntüchtigkeit: BAK, Elektrokleinstfahrzeug, E-Scooter, Höchstgeschwindigkeit, Kraftfahrzeug).

§ 316 StGB

Leitsatz der Bearbeiter

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt der Grenzwert, von dem an eine absolute Fahruntüchtigkeit unwiderleglich indiziert ist, für alle Kraftfahrer (BGHSt 37, 89, 99 mwN), insbesondere auch für Fahrer von Krafträdern (BGHSt 22, 352, 360) einschließlich Fahrräder mit Hilfsmotor (Mofa) (BGHSt 30, 251, 254). Ob an dieser pauschalen Betrachtung auch mit Blick auf die neu aufgekommene Fahrzeugklasse der Elektrokleinstfahrzeuge festgehalten werden kann, kann der Senat weiter offenlassen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 26. Juli 2022 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung sowie fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem vorausgegangenen Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt, eine isolierte Sperre für die Fahrerlaubnis verhängt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:

Die Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) im Fall II.2. der Urteilsgründe ist rechtsfehlerfrei. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte den zuvor entwendeten „E-Scooter der Marke Ancheer“ im Rahmen einer „Probefahrt“ auf einem öffentlichen Geh- und Radweg. Eine ihm ungefähr 75 Minuten nach Fahrtende entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,29 ‰. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht allein aus diesem Wert, der mangels eines Nachtrunks auch für den Fahrtzeitraum mindestens zugrunde gelegt werden konnte, auf die - absolute - Fahruntüchtigkeit des Angeklagten geschlossen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt der Grenzwert, von dem an eine absolute Fahruntüchtigkeit unwiderleglich indiziert ist, für alle Kraftfahrer (BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 - 4 StR 297/90, BGHSt 37, 89, 99 mwN), insbesondere auch für Fahrer von Krafträdern (BGH, Beschluss vom 14. März 1969 - 4 StR 183/68, BGHSt 22, 352, 360) einschließlich Fahrräder mit Hilfsmotor (Mofa) (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1981 - 4 StR 262/81, BGHSt 30, 251, 254). Ob an dieser pauschalen Betrachtung auch mit Blick auf die neu aufgekommene Fahrzeugklasse der Elektrokleinstfahrzeuge festgehalten werden kann, hat der Senat bisher offengelassen (BGH, Beschluss vom 2. März 2021 - 4 StR 366/20, NStZ 2021, 608).

Die Frage, die das Landgericht im Anschluss an die soweit ersichtlich einhellige obergerichtliche Rechtsprechung (KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2022 - (3) 121 Ss 40/22 (13/22); KG Berlin, Urteil vom 10. Mai 2022 - (3) 121 Ss 67/21 (27/21), juris Rn. 16 ff.; OLG Hamburg, Urteil vom 16. März 2022 - 9 Rev 2/22, BeckRS 2022, 10351 Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 24. Juli 2020 ? 205 StRR 216/20) bejaht hat, bedarf auch hier keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen handelte es sich bei dem vom Angeklagten geführten „E-Scooter“ nicht um ein Elektrokleinstfahrzeug. Dies ergibt sich, ohne dass es weiterer Feststellungen zu der technischen Beschaffenheit des Fahrzeugs bedurft hätte, bereits daraus, dass dieses eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h erreichen konnte, wohingegen Elektrokleinstfahrzeuge gemäß § 1 Abs. 1 eKFV nur solche Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb sind, deren bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h beträgt. Da das Fahrzeug ausweislich der im Urteil in Bezug genommenen Lichtbilder keine Pedale aufwies, scheidet auch seine Klassifizierung als sog. „Pedelec“ und damit als Fahrrad des Straßenverkehrszulassungsrechts (§ 63a Abs. 2 StVZO) aus.

Im Ergebnis ist daher zweifelsfrei belegt, dass der Angeklagte ein Kraftfahrzeug führte, für das der Grenzwert von 1,1 ‰ Geltung beansprucht, und angesichts seiner festgestellten Blutalkoholkonzentration daher fahruntüchtig war.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 698

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede