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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 901

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 654/19, Beschluss v. 17.05.2021, HRRS 2021 Nr. 901


BGH 4 StR 654/19 - Beschluss vom 17. Mai 2021

Verteidigerwechsel (Aufhebung der Bestellung eines Pflichtverteidigers: endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Beschuldigtem).

§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nur aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigten endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht. Ein wichtiger Grund wird eher fernliegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde.

2. Die Möglichkeit, die Organe der Justiz unter Einschluss des Pflichtverteidigers zu verunglimpfen und diesen mit offensichtlich unbegründeten Forderungen gerichtlich zu verfolgen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren.

Entscheidungstenor

Der Antrag der Rechtsanwältin S. vom 11. September 2020 auf Aufhebung ihrer Bestellung zur Pflichtverteidigerin und die Anträge der Anwältin K. vom 16. September, 22. Oktober und 9. November 2020 auf Bestellung als Pflichtverteidigerin sowie vom 2. Februar 2021 auf Entpflichtung von Rechtsanwältin S. werden abgelehnt.

Gründe

1. Die Anträge auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin S. werden zurückgewiesen.

a) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nur aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigten endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2021 - 3 StR 424/20; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143a Rn. 21 f.). Ein wichtiger Grund wird eher fernliegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 1993 - 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 314 f.; vom 21. März 1979 - 2 StR 453/78).

b) Danach ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Anwältin K. noch der Rechtsanwältin S. ein Grund für deren Entpflichtung.

aa) Die von Anwältin K. in ihrem Schreiben vom 2. Februar 2021 erhobenen Vorwürfe, Rechtsanwältin S. habe Bestandteile der Verfahrensakte an Dritte weitergegeben, um dem Angeklagten zu schaden, und sie werde unter Druck gesetzt, um den Angeklagten nicht richtig zu verteidigen, entbehren jeder Grundlage. Zudem hat Rechtsanwältin S. beide Vorwürfe in ihrem Schreiben vom 3. Mai 2021 zurückgewiesen.

bb) Auch die von Rechtsanwältin S. in ihrem Schreiben vom 11. und 18. September 2019 vorgetragenen weiteren Gründe können keine Entpflichtung rechtfertigen. Der Angeklagte hat auch diese Umstände, die zur Störung des Vertrauensverhältnisses führten, bewusst allein verschuldet. Die Möglichkeit, die Organe der Justiz unter Einschluss des Pflichtverteidigers zu verunglimpfen und diesen mit offensichtlich unbegründeten Forderungen gerichtlich zu verfolgen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. insoweit bereits BGH, Beschluss der Vorsitzenden vom 29. Juni 2020 - 4 StR 654/19).

2. Eine Beiordnung von Anwältin K. aus H. als Pflichtverteidigerin des Angeklagten kommt nicht in Betracht.

Der Angeklagte hatte bereits mit Schreiben vom 29. April 2020 beantragt, ihm die Anwältin K. anstelle seiner Pflichtverteidiger F. und S. beizuordnen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 29. Juni 2020 abgelehnt.

Mit Schriftsätzen vom 16. September, 22. Oktober und 9. November 2020 beantragte Anwältin K. erneut ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin, ohne ihren Antrag näher zu begründen.

Ist ein Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers rechtskräftig abgelehnt worden (§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO), kann er einen neuerlichen Antrag nur auf Umstände stützen, die sich aufgrund einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - StB 17/21 Rn. 7).

Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Besonderheiten im Ablauf des Revisionsverfahrens, welche einen Verteidigerwechsel gemäß § 143a StPO oder die Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO notwendig machen könnten, liegen nicht vor. Für die Entscheidung über das Rechtsmittel sind keine ungewöhnlich schwierigen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen aufgeworfen worden.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 901

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner