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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 788

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 134/23, Beschluss v. 10.04.2024, HRRS 2024 Nr. 788


BGH 2 StR 134/23 - Beschluss vom 10. April 2024 (LG Köln)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (neue Fassung; Hang; überwiegendes Zurückgehen auf den Hang).

§ 64 StGB nF

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 25. April 2022, soweit es ihn betrifft,

a) aufgehoben

aa) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und

bb) hinsichtlich der Entscheidung über die Einziehung des Navigationsgeräts der Marke „Snooper“;

b) im Ausspruch über die Einziehung dahin ergänzt, dass 84 Pakete mit einer Gesamtmenge von 84,278 Kilogramm Kokain eingezogen werden.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 23 Fällen sowie wegen „unerlaubten“ Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von drei Jahren und neun Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet. Außerdem hat das Landgericht eine halbautomatische Selbstladepistole des Herstellers Pietro Beretta einschließlich Magazin, 33 Patronen des Kalibers 7,65 mm, ein Navigationsgerät der Marke „Snooper“ und 84 Pakete mit „jeweils etwa 1 Kilogramm Kokain“ sowie den Erlös aus der Notveräußerung eines „LKW MAN Pferdetransporters“ eingezogen und gegen den Angeklagten die Einziehung des „Wertersatzes von Taterträgen“ in Höhe von 110.000 Euro angeordnet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, der nach zunächst unbeschränkter Einlegung und Begründung der Sachrüge mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2023 erklärt hat, er nehme die Revision insoweit zurück, als eine Maßregel gemäß § 64 StGB angeordnet worden ist. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Revision konnte nicht wirksam durch Teilrücknahme so beschränkt werden, dass der Maßregelausspruch von dem Rechtsmittelangriff ausgenommen ist.

Eine Beschränkung der Revision nach § 344 Abs. 1 StPO ist nur zulässig, soweit die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils - losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil - tatsächlich und rechtlich unabhängig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen; für eine teilweise Zurücknahme des Rechtsmittels gilt nichts anderes (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2012 - 2 StR 605/11, NStZ-RR 2013, 54). Die Revisionsbeschränkung unter Ausklammerung eines Maßregelausspruchs ist deshalb unwirksam, wenn zugleich der Schuldspruch angegriffen wird, der von der Maßregelfrage nicht getrennt werden kann (vgl. BGH, aaO, mwN). So liegt es hier.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zu den Einziehungsentscheidungen - mit Ausnahme der Entscheidung über die Einziehung des Navigationsgeräts der Marke „Snooper“ und zur Konkretisierung der eingezogenen Betäubungsmittelmenge - keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - angenommen, dass der Angeklagte trotz der seit seiner mehrjährigen Inhaftierung aufrecht erhaltenen Abstinenz einen Hang zum Konsum von Kokain im Übermaß aufweise. Zwischen diesem Hang und den abgeurteilten Taten bestehe auch ein symptomatischer Zusammenhang; dass er „nur einen kleineren Teil der erheblichen aus den Taten erwirtschafteten Gelder für seinen Drogenkonsum aufwandte“, stehe der Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs nicht entgegen, da es ausreiche, „dass die Taten mitursächlich auf den Hang des Angeklagten zurückgehen“.

b) Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Das gilt namentlich für den von der Strafkammer angenommenen Hang und den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten.

Die Annahme eines Hangs erfordert nunmehr eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Zudem muss die Anlasstat nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. November 2023 - 5 StR 407/23, juris Rn. 2 mwN). Daran fehlt es hier.

c) Die Aufhebung der Unterbringungsanordnung entzieht dem Ausspruch über den Vorwegvollzug die Grundlage. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Sollte das neue Tatgericht abermals die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, wird es über einen Vorwegvollzug nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 und 5 StGB nF zu entscheiden haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2023 - 4 StR 347/23, NStZ-RR 2024, 48, 49).

4. Die Einziehung des Navigationsgeräts der Marke „Snooper“ hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, denen sich der Senat anschließt, keinen Bestand. Im Hinblick auf die gesonderte Erwähnung des Navigationsgeräts in den Urteilsgründen ist nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um einen (eingebauten) Bestandteil oder ein Zubehörteil des bei den Taten verwendeten Pferdetransporters handelt; Feststellungen zum Eigentümer sind nicht getroffen. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es insoweit nicht.

5. Die hinsichtlich der Betäubungsmittel getroffene Einziehungsentscheidung entspricht nicht den rechtlichen Anforderungen, da hinsichtlich der tatsächlichen Menge keine Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2022 - 3 StR 118/22, juris Rn. 11 mwN). Der Senat holt dies angesichts der den Urteilsgründen zu entnehmenden Menge in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO nach.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 788

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede