HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 662
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 265/17, Beschluss v. 07.06.2017, HRRS 2017 Nr. 662
Die Untersuchung und Entscheidung der Sache wird dem Amtsgericht Kiel übertragen.
Die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ mit Sitz in Kiel erließ am 5. Mai 2014 „gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Seeaufgabengesetzes“ einen Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von 250 Euro nebst Kosten gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit, die er im Hafen L. begangen haben soll. Vorgeworfen wird ein Verstoß gegen § 11 Abs. 5 Nr. 4, § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. k SeeSpbootV. Der Bescheid wies darauf hin, dass mit Organisationserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 die bisherigen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in regionale Außenstellen der neu gegründeten Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt umgewandelt worden seien. Sie nähmen jedoch ihre bisherigen Aufgaben vorerst als Außenstellen dieser Behörde weiter wahr.
Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel die Sache dem Amtsgericht Kiel vorgelegt. Dieses Gericht hat sich durch Beschluss vom 10. Oktober 2014 für unzuständig erklärt. Dazu hat es ausgeführt, der Sitz der Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Kiel begründe keine Gerichtszuständigkeit; denn der Außenstelle sei die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nicht wirksam übertragen worden. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt habe ihren Sitz in Bonn. Auch wenn eine Außenstelle die Sache bearbeitet habe, sei der Sitz der Hauptstelle für die Gerichtszuständigkeit gemäß § 68 Abs. 1 OWiG maßgeblich. Anders wäre es nur, wenn der Außenstelle die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG übertragen worden wäre. Eine solche Übertragung sei aber nicht wirksam erfolgt. Dazu wäre eine Regelung durch Rechtsverordnung erforderlich. Der Organisationserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 genüge nicht. Die organisatorische Neugliederung der Behörden habe keine selbständige Behörde bei der Außenstelle geschaffen. Deren Zuständigkeit könne nicht allein durch ihre Selbstdarstellung im Bußgeldbescheid begründet werden.
Nach Vorlage der Sache an das Amtsgericht Bonn hat sich dieses Gericht durch Beschluss vom 14. November 2014 für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Es hat ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit des Gerichts richte sich nach dem Bezirk der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen habe. Der Begriff der Verwaltungsbehörde sei dabei in funktionellem Sinn zu verstehen. Zur Verwaltungsbehörde werde sie durch Übertragung der Eingriffsbefugnisse, die mit der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten verbunden seien. Daran gemessen habe die Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bei Erlass des Bußgeldbescheids als eigenständige Behörde gehandelt. Auch aus der Sicht des Empfängers habe diese den Bescheid selbstständig erlassen. Zwar sei sie darin als Außenstelle der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bezeichnet worden, jedoch habe sie die Anschrift des Hauptsitzes nicht angegeben.
1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht der Amtsgerichte Kiel und Bonn gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 14 StPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
2. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG und in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 2 SeeAufgG (Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschifffahrt - Seeaufgabengesetz - SeeAufgG vom 24. Mai 1965, BGBl. II S. 833, zuletzt in der Fassung vom 17. Juni 2016, BGBl. I S. 1489) sowie § 16 Abs. 2 SeeSpbootV (Verordnung über die Inbetriebnahme von Sportbooten und Wassermotorrädern sowie deren Vermietung und gewerbsmäßige Nutzung im Küstenbereich - SeeSportbootVerordnung - SeeSpbootV vom 29. August 2002, BGBl. I S. 3457, zuletzt geändert durch Art. 6 der Verordnung vom 3. Mai 2017, BGBl. I S. 1016) hier in der bis zum 3. Juni 2016 geltenden Fassung ist das Amtsgericht Kiel für die Entscheidung über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zuständig.
a) Für die Entscheidung ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Gemeint ist damit die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (vgl. Müller, OWiG, 82. Lfg., § 68 Rn. 2; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., 17. Lfg., § 68 Rn. 2).
Die Verwaltungsbehörde hat ihren Sitz grundsätzlich dort, wo ihre Hauptstelle eingerichtet ist, also wo die betreffende Behörde den organisatorischen Mittelpunkt ihres Dienstbetriebs hat. Erlässt eine Außenstelle den Bußgeldbescheid, ist für den Sitz der Behörde im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG grundsätzlich der Ort der Hauptstelle maßgeblich. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Aufgabe der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der Außenstelle als eigenständiger Behörde zugewiesen wurde. Maßgeblich für die Abgrenzung ist nicht die Betrachtung des Auftritts der Verwaltungsbehörde. Bestimmt wird die Zuständigkeit vielmehr durch die rechtlichen Gegebenheiten (vgl. BeckOK-OWiG/Gertler, OWiG, 15. Ed., § 68 Rn. 4; Rebmann/Roth/Herrmann aaO).
Die Zuständigkeit der Behörden für den Erlass von Bußgeldbescheiden folgt gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuvörderst aus dem Gesetz, das den Bußgeldtatbestand und im Zusammenhang damit die Verfolgungszuständigkeit der Behörde regelt. Wenn eine solche Regelung nicht vorhanden ist, bleibt der Fachminister zuständig (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 OWiG); dieser kann gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG eine Aufgabenübertragung durch Rechtsverordnung vornehmen.
§ 15 Abs. 1 Nr. 2 SeeAufgG enthält eine Verordnungsermächtigung zur Zuständigkeitsbestimmung durch Rechtsverordnung. Auf dieser Grundlage hat § 16 Abs. 2 SeeSpbootV in der bis zum 3. Juni 2016 geltenden Fassung die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der hier in Rede stehenden Art auf „die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen Nord und Nordwest jeweils für ihren Bezirk“ übertragen. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord, welche die Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit und der Leichtigkeit des Verkehrs auf den Bundeswasserstraßen der deutschen Ostseeküste, der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, der Unterelbe und ihren Zuflüssen, dem Nord-Ostsee-Kanal, der Eider, der Untertrave und der Peene hatte, war nach dieser Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Bußgeldbescheids örtlich und sachlich zuständig.
Der Umstand, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes durch Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 (VkBl. 2013, S. 422 ff.) neu geordnet worden ist und die „Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord“ nicht mehr diese Bezeichnung trägt, sondern als „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ bezeichnet ist, berührt die ursprünglich durch Rechtsverordnung in § 16 Abs. 2 SeeSpbootV begründete Zuständigkeit nicht. Sie umfasst auch Fälle der Rechtsnachfolge oder geänderten Behördenbezeichnung (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 16. September 2014 - 3 A 223/13, RdTW 2015, 117, 118 f.). Soweit § 16 Abs. 2 SeeSpbootV in der bis zum 3. Juni 2016 geltenden Fassung bestimmt hat, die Zuständigkeit werde auf die „Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord und Nordwest jeweils für ihren Bezirk“ übertragen, handelt es sich daher um eine Zuständigkeitsregelung, welche auch die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ einschließt.
Der Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 hat insoweit keine Übertragung einer Zuständigkeit bewirkt, sondern die bereits bestehende Zuständigkeit aufrechterhalten. Durch den Erlass sind die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zwar organisatorisch in die neu geschaffene Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt eingegliedert worden. Ihre Auflösung erfolgte aber nicht. Ihnen blieben vielmehr bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSVZuständigkeitsanpassungsgesetz - WSVZuAnpG) vom 24. Mai 2016 (BGBl. I S. 1217 ff.) und der Verordnung zur Anpassung von Zuständigkeiten 10 11 von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSVZuständigkeitsanpassungsverordnung - WSVZuAnpV) vom 2. Juni 2016 (BGBl. I S. 1257, 1728) die bisherigen Aufgaben zugewiesen. Der Erlass bestimmte nämlich, dass für die den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zugewiesenen Aufgaben die hiermit funktional identischen Außenstellen der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zuständig bleiben, eigenverantwortlich handeln und unmittelbar der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterliegen. Die Außenstellen blieben danach in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung selbständige Behörden (vgl. Nehab, DVBl. 2014, 156, 161). Dies galt auch, soweit sie nicht mehr unter der alten Behördenbezeichnung auftraten.
b) Die Tatsache, dass nach Erlass des angefochtenen Bußgeldbescheids die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 16 Abs. 1 SeeSpbootV durch dessen Absatz 2 in der ab dem 4. Juni 2016 geltenden Fassung auf die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt übertragen wurde, ändert nichts an der bereits begründeten Gerichtszuständigkeit (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, OWiG, 4. Aufl., § 68 Rn. 7; Rebmann/Roth/Herrmann aaO, § 68 Rn. 2).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 662
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner