HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 513
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 23/14, Beschluss v. 04.02.2016, HRRS 2016 Nr. 513
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Februar 2014 aufgehoben, soweit dort festgestellt ist, die mit den Beschlüssen des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof vom 7. April, 3. November und 3. Dezember 2008 angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen an dem Anschluss, mit denen Erkenntnisse von der Beschwerdeführerin erlangt wurden, seien in rechtmäßiger Art und Weise vollzogen worden.
Es wird festgestellt, dass die genannten Maßnahmen in rechtswidriger Art und Weise vollzogen worden sind.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschwerdeführerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ordnete in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Ermittlungsverfahren, das u.a. wegen des Verdachts des Völkermordes geführt wurde, mit Beschlüssen vom 7. April 2008 (Az.: 4 BGs 1/2008), 3. November 2008 (Az.: 4 BGs 3/2008) und 3. Dezember 1 2008 (Az.: 4 BGs 4/2008) die Überwachung der Telekommunikation u.a. an dem Anschluss in der Zeit vom 8. April 2008 bis zum 7. Juni 2008 sowie vom 3. November 2008 bis zum 3. Februar 2009 an. Auf dieser Grundlage wurden zwischen dem überwachten Anschluss und dem Anschluss der Beschwerdeführerin insgesamt 19 Telekommunikationsereignisse aufgezeichnet. Hiervon benachrichtigte der Generalbundesanwalt die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2010.
Auf den Antrag der Beschwerdeführerin nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 18. Februar 2014 festgestellt, dass die angefochtenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen rechtmäßig angeordnet und in rechtmäßiger Art und Weise vollzogen worden seien. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die überwachten Gespräche seien ausschließlich im Rahmen von Mandatsverhältnissen bzw. möglicherweise bevorstehenden Mandatsverhältnissen getätigt worden.
Die gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde wendet sich ausweislich ihrer Begründung gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts, soweit dort die Art und Weise des Vollzugs der Maßnahmen als rechtmäßig bewertet worden ist. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg; denn die Aufzeichnungen über die durch die verfahrensgegenständlichen Überwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse hätten nach § 160a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 5 StPO unverzüglich gelöscht werden müssen. Dies gilt auch dann, wenn man die während der Durchführung der Ermittlungsmaßnahmen sowie zum Zeitpunkt der Benachrichtigung nach § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO geltende Fassung des § 160a Abs. 1 StPO anwendet, nach der - soweit hier von Bedeutung - im Gegensatz zu der seit dem 1. Februar 2011 geltenden Neufassung die Norm lediglich Verteidiger, nicht aber Rechtsanwälte im Allgemeinen erfasste. Im Einzelnen:
1. Die Beschwerdeführerin war zwar zu keinem Zeitpunkt als solche mandatierte Verteidigerin des Beschuldigten. Jedoch beginnt das berufsbezogene Vertrauensverhältnis, das zu schützen § 160a Abs. 1 i.V.m. § 53 StPO beabsichtigt, nicht erst mit Abschluss des zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages, sondern umfasst auch das entsprechende Anbahnungsverhältnis (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - StB 8/13, BGHR StPO § 53 Abs. 1 Nr. 2 Anwendungsbereich 1 mwN). Ein solches Anbahnungsverhältnis ist hier anzunehmen.
Dies ergibt sich insbesondere aus den Inhalten der Telefonate vom 24. April 2008 (SASO IV, lfd. Nr. 350), 29. April 2008 (SASO IV, lfd. Nr. 689) und 2. Mai 2008 (SASO IV, lfd. Nr. 799). Gegenstand dieser Gespräche, die zwischen der Ehefrau des Beschuldigten und der Beschwerdeführerin geführt wurden, war die Suche nach einem Rechtsanwalt für den Beschuldigten. So teilte die Ehefrau des Beschuldigten in dem Telefonat vom 24. April 2008 u.a. mit, dieser wünsche sich die Beschwerdeführerin als Vertreterin. In dem Gespräch vom 29. April 2008 erklärte die Beschwerdeführerin, sie habe den Beschuldigten gebeten, ihr eine Vollmacht zu unterschreiben und zuzuschicken. Außerdem fragte sie nach den Gegenständen, die bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurden und ob etwas dabei gewesen sei, was den Beschuldigten belasten könne. Dies verneinte die Ehefrau des Beschuldigten. In der Unterhaltung am 2. Mai 2008 wird schließlich ausgeführt, der Beschuldigte habe einem anderen Rechtsanwalt Vollmacht erteilt und es sei nicht notwendig, zwei Rechtsanwälte gleichzeitig zu beauftragen. Bei einem Wunsch nach Beratung oder sonstigen Fragen könne die Ehefrau des Beschuldigten die Beschwerdeführerin aber jederzeit anrufen. Die Gespräche enthalten demnach neben Ausführungen etwa zu ausländerrechtlichen Fragestellungen eindeutige Bezüge zu dem gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahren und einer möglichen Mandatierung der Beschwerdeführerin in diesem, die genügen, um den Anwendungsbereich der § 160a Abs. 1, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO zu eröffnen.
2. Die Beschwerdeführerin, gegen die sich die Ermittlungsmaßnahmen nicht richteten, hätte über das, was ihr aus den verfahrensgegenständlichen Telefongesprächen bekannt wurde, gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO das Zeugnis verweigern dürfen.
Nach dieser Vorschrift bekanntgeworden ist dem Berufsausübenden all das, was ihm in anderer Weise als durch Anvertrauen im Sinne des Mitteilens in der erkennbaren Erwartung des Stillschweigens in funktionalem Zusammenhang mit seiner Berufsausübung zur Kenntnis gelangt, unabhängig davon, von wem, aus welchem Grund oder zu welchem Zweck er sein Wissen erworben hat. Nicht erfasst sind allein solche Tatsachen, die er als Privatperson oder nur anlässlich seiner Berufsausübung in Erfahrung gebracht hat (BGH, aaO mwN).
Ausgehend von diesen Maßstäben unterliegt der Inhalt der verfahrensgegenständlichen Telefongespräche dem Schutz des § 53 StPO. Ungeachtet des Umstands, von wem die Initiative für die Telefonate ausging, standen die Äußerungen der Gesprächspartner jeweils in ausreichendem Bezug zu der Funktion der Beschwerdeführerin als - möglicher - Verteidigerin des Beschuldigten. Hieran ändert es nichts, dass direkter Gesprächspartner der Beschwerdeführerin nicht der Beschuldigte, der sich in Untersuchungshaft befand, sondern dessen Ehefrau war.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 513
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 740; StV 2016, 414
Bearbeiter: Christian Becker