hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 596

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 251/14, Beschluss v. 18.02.2016, HRRS 2016 Nr. 596


BGH 2 StR 251/14 - Beschluss vom 18. Februar 2016 (LG Aachen)

Verfall (Schätzung des Erlangten).

§ 73 StGB; § 73b StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 19. August 2013 aufgehoben

a) im Fall II.2 der Urteilsgründe,

b) im Gesamtstrafenausspruch,

c) im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz mit den zugehörigen Feststellungen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 200.000 € angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den zu Fall II.1 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen mieteten der Angeklagte und der gesondert verfolgte Me. im August 2009 gegen Zahlung von 20.000 € von dem Zeugen A. einen Einliegerhof in D. In einer auf dem Hof befindlichen Halle stellte Me. innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen für den Angeklagten mindestens 20 kg Amphetaminbase mit einem Wirkstoffgehalt von 66 % Base her. Die Betäubungsmittel wurden in der Folge durch den Angeklagten gewinnbringend weiterverkauft. An wen und auf welche Weise der Angeklagte die Betäubungsmittel veräußert hat, konnte das Landgericht nicht feststellen.

Im Fall II.2 der Urteilsgründe bestellte der gesondert verfolgte S. am 10. August 2010 für den Angeklagten einen Container mit 1.000 kg Salzsäure. Nachdem der Container am 16. August 2010 zur Firma des S. in M. verbracht und auf dem Betriebsgelände abgestellt worden war, erfolgte am 23. August 2010 die Verladung auf einen Lkw des Angeklagten und am 27. August 2010 der Transport nach Ma. in den Niederlanden. Dort wurde die Salzsäure zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 11. Mai 2011 in einem Amphetaminlabor zur Herstellung von mindestens 150 kg Amphetamin-Base mit einem Wirkstoffgehalt von 66 % reiner Base verwendet. Der Angeklagte, der für die Lieferung der Salzsäure zuständig war, betrieb das Amphetaminlabor entweder allein oder mit weiteren Tatbeteiligten und wirkte auch an der Produktion der Betäubungsmittel mit. Zudem war er an dem Gewinn aus der später erfolgten Veräußerung der Betäubungsmittel beteiligt. Auch hier konnte das Landgericht nicht feststellen, durch wen und auf welche Weise die Betäubungsmittel veräußert worden sind.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass aus der in den Fällen II.1 und II.2 hergestellten Amphetaminbase aufgrund Kristallisation mindestens 170 kg Amphetaminsulfat mit einem Wirkstoffgehalt von 58 % reiner Amphetaminbase gewonnen worden sind und hat des Weiteren angenommen, das Amphetaminsulfat sei um das mindestens Fünffache „gestreckt“ und auf diese Weise zu mindestens 850 kg Amphetaminsulfat mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils 10 % Amphetaminbase weiterverarbeitet worden. Die 850 kg Amphetaminsulfat seien anschließend an die Endabnehmer zu einem Preis von 2.000 € je Kilogramm, mithin für insgesamt 1.700.000 €, verkauft worden. Dabei hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten „unterstellt“, dass „bei der Weiterveräußerung vermutlich noch weitere Personen beteiligt waren“, so dass „sich [der Angeklagte] den Veräußerungserlös mit weiteren Tatbeteiligten teilen musste“. Aufgrund dessen hat das Landgericht die Anordnung des Wertersatzverfalls auf einen Betrag in Höhe von 200.000 € begrenzt.

II.

1. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg, soweit der Angeklagte Verfahrensfehler im Hinblick auf seine Verurteilung im Fall II.1 der Urteilsgründe geltend macht. Auch die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat im Fall II.1 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Dagegen ist der Schuldspruch im Fall II.2 aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung aufzuheben. Auf die gegen die Verurteilung in diesem Fall gerichteten Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe maßgeblich darauf gestützt, der Container mit 1.000 kg Salzsäure sei mit dem Lkw des Angeklagten zu dem Amphetaminlabor in den Niederlanden transportiert worden. Als Beleg hierfür hat es die Bekundungen der Zeugin B. herangezogen. Zu dem Inhalt der Aussage der Zeugin hat das Landgericht den Vernehmungsbeamten gehört. Dieser hat berichtet, die Zeugin habe ausgesagt, der Angeklagte habe den Lkw bei der Autovermietung B. in M. am 1. Februar 2010 für 1.000 € gekauft und am 21. April 2010 dort abgeholt. Anlässlich des Verkaufs habe sich die Zeugin den Namen „N.“ notiert und die entsprechende Aktennotiz zur Akte gereicht. Auf einen Antrag der Verteidigung hat das Landgericht als wahr unterstellt, dass der Bruder des Angeklagten, der wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gesondert verfolgte T. X., die Identität des Angeklagten in der Vergangenheit für eigene Interessen genutzt hat; so habe der Bruder des Angeklagten insbesondere im Jahr 1990 versucht, mit Ausweisdokumenten aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen. Darüber hinaus hat es ausgeführt, dass die Zeugin B. in der Hauptverhandlung gegen den Bruder des Angeklagten „davon ausgegangen [war], dass der dortige Angeklagte T. X. der N. X. sei“ (UA S. 23).

Gleichwohl hat es das Landgericht als ausgeschlossen erachtet, dass die Zeugin B. den Angeklagten im Zusammenhang mit dem Kauf des Lkw`s mit dessen Bruder verwechselt haben könnte. Gegen eine Verwechslung aufgrund einer Täuschung durch den Bruder des Angeklagten spreche, dass die Zeugin B. sowohl den Angeklagten als auch dessen Bruder aus gemeinsamen Geschäften gekannt habe, da beide wiederholt Fahrzeuge bei ihr angemietet hätten. Eine Verwechslung sei auch deswegen ausgeschlossen, weil der Angeklagte und dessen Bruder von ihrem äußeren Erscheinungsbild her keine Ähnlichkeiten aufwiesen. Daher spreche „alles dafür, dass die Zeugin B. im Rahmen ihrer Vernehmung im Parallelverfahren allein die Namen der Brüder durcheinander gebracht [habe]“ (UA S. 23). Damit sei zugleich eine Verwechslung durch die Zeugin B. bei der schriftlichen Dokumentation des Verkaufsvorgangs ausgeschlossen.

Diese Beweiswürdigung ist widersprüchlich. Zudem fehlt es an einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage für die von dem Landgericht gezogene Schlussfolgerung, es sei ausgeschlossen, dass die Zeugin den Angeklagten mit dessen Bruder verwechselt habe. Die Beweiswürdigung erweist sich daher als rechtsfehlerhaft (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 2 StR 4/15).

Es ist widersprüchlich, die Aussage der Zeugin B. in dem gegen den Bruder des Angeklagten geführten Strafverfahren als Indiz gegen eine Identitätsverwechslung heranzuziehen, da sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob sich die Zeugin in der Hauptverhandlung tatsächlich nur über den Namen des Angeklagten geirrt hatte oder ob die Fehlvorstellung auf einen Irrtum über seine Identität zurückzuführen war. Zudem sind die von dem Landgericht angeführten Umstände aufgrund ihres indifferenten Beweiswerts nicht geeignet, die gezogene Schlussfolgerung einer bloßen Namensverwechslung zu tragen. Dies gilt sowohl für die Annahme, die Zeugin habe den Angeklagten und dessen Bruder aufgrund der wiederholten Anmietung von Fahrzeugen gekannt, als auch für die Erwägung, der Angeklagte und sein Bruder wiesen keine Ähnlichkeiten im äußeren Erscheinungsbild auf. Beide Umstände schließen nicht aus, dass die Zeugin den Angeklagten und dessen Bruder schon früher in Unkenntnis über deren wahre Identität oder aufgrund bewusster Irreführung verwechselt hat.

Es kann daher dahinstehen, ob die Revision auch aufgrund der Aufklärungsrüge, mit der der Angeklagte die unterlassene Vernehmung der Zeugin B. beanstandet hat, Erfolg gehabt hätte.

3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

4. Auch die Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§ 73a StGB) hat infolge des Wegfalls der Verurteilung im Fall II.2 keinen Bestand. Darüber hinaus erweist sich der Ausspruch auch deswegen als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht den Wert des „aus der Tat“ Erlangten (§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a StGB) unzutreffend berechnet hat.

Das Landgericht durfte dem Angeklagten nicht den gesamten durch den Verkauf an die Endabnehmer erzielten Erlös als „aus der Tat erlangt“ zurechnen. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte an dem Verkauf des für die Endabnehmer bestimmten Produkts mitgewirkt oder an den aus dem Verkauf erzielten Erlösen partizipiert hat. Da der Angeklagte an der Produktion der Betäubungsmittel beteiligt war, lag diese Annahme auch nicht ohne weiteres nahe. Im Rahmen der gemäß § 73b StGB zulässigen Schätzung des Erlangten hätte das Landgericht vielmehr darauf abstellen müssen, in welcher Höhe dem Angeklagten Erlöse aus dem Verkauf an Zwischenhändler zugeflossen sind. Darüber hinaus ist die Annahme, dem Angeklagten seien aus dem Verkauf der Betäubungsmittel jedenfalls 200.000 € zugeflossen, nicht tragfähig. Die Schätzung des Erlangten gemäß § 73b StGB erfordert stets eine hinreichend sichere Schätzgrundlage (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 5 StR 181/01, NStZ-RR 2001, 327, 328). Das Tatgericht muss aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme von der Richtigkeit der seiner Schätzung zugrunde liegenden Annahmen überzeugt sein (BGH, Urteil vom 20. April 1989 - 4 StR 73/89, NStZ 1989, 361). Die Vermutung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich die Erlöse mit weiteren Tatbeteiligten teilen müssen, reicht hierfür nicht aus. Damit ist insbesondere nicht rechtsfehlerfrei dargetan, dass der Angeklagte zumindest einen Betrag in Höhe von 200.000 € erlangt hat, zumal das Landgericht nicht offen gelegt hat, von wie vielen weiteren Tatbeteiligten es ausgegangen ist und welchen Anteil an den erzielten Erlösen der Angeklagte erhalten hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 596

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede