HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 589
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 499/05, Beschluss v. 11.07.2006, HRRS 2006 Nr. 589
Die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan und der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß sind von der Mitwirkung an der Entscheidung des Senats über die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 18. April 2005 nicht ausgeschlossen.
Durch Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 18. April 2005 sind der Angeklagte K. wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und der Angeklagte W. wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 170 Euro verurteilt worden.
1. Die Verurteilung stützt sich im Wesentlichen auf die Feststellung, der Angeklagte K. habe im Zeitraum ab 1995 bis zu seinem Ausscheiden aus diesen Funktionen als Vorsitzender des Landesverbands Hessen und Vorstandsmitglied der Christlich Demokratischen Union (CDU) Deutschlands im Jahre 1998 aus unbekannten Quellen stammendes Parteivermögen, das auf verschleierten Konten zunächst in der Schweiz und ab 1994 in Liechtenstein verborgen worden war, vor den Organen der Partei verheimlicht und an inhaltlich falschen jährlichen Rechenschaftsberichten des Landesverbands gegen über der Bundespartei mitgewirkt, die in deren Rechenschaftsberichte gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestags eingingen. Dieser habe deshalb mit Bescheid vom 14. Februar 2000 einen Betrag von ca. 41,3 Mio. DM zuviel ausgezahlter staatlicher Zuwendungen von der Partei zurück gefordert. Der Landesverband habe hierfür gegenüber dem Bundesverband Ersatzleistungen erbracht; der Schaden sei später teilweise mittels einer Sonderumlage der Mitglieder ausgeglichen worden. Der Angeklagte W. habe in seiner Funktion als Bevollmächtigter dem Angeklagten K. Beihilfe geleistet.
Gegen das Urteil haben beide Angeklagten Revision eingelegt. Der Angeklagte W. erhebt unter anderem eine auf die Verletzung von § 338 Nr. 2 i.V.m. § 22 Nr. 1 StPO gestützte Verfahrensrüge, wonach der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer von der Mitwirkung an der Entscheidung zwingend ausgeschlossen gewesen sei, weil er Mitglied des Landesverbands Hessen der CDU und daher Verletzter im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO gewesen sei. Termin zur Hauptverhandlung über die Revisionen der Angeklagten ist auf den 6. September 2006 bestimmt.
Mit Schreiben vom 11. Mai 2006 hat der nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zur Mitwirkung an der Entscheidung berufene Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß mitgeteilt, er sei seit ca. 20 Jahren Mitglied der CDU Deutschlands, habe auf örtlicher und regionaler Ebene Ämter ausgeübt und tue dies weiterhin.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2006 hat die Vorsitzende des Senats, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, mitgeteilt, sie sei im verfahrensrelevanten Zeitraum Mitglied des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der CDU Deutschlands gewesen und sei dies auch gegenwärtig.
Der Generalbundesanwalt sowie die Verteidigung des Angeklagten K. haben zu den Selbstanzeigen der beiden Richter eine Stellungnahme nicht abgegeben.
Die Verteidigung des Angeklagten W. hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt, eine Verletzteneigenschaft der beiden Richter scheide von vornherein aus, weil sie nicht Mitglieder des Landesverbands Hessen der CDU Deutschlands seien und eine individuelle Mitgliedschaft auf Bundesebene nicht bestehe.
Im Hinblick auf die Selbstanzeigen der beiden Richter hat der Senat gemäß § 30 StPO darüber zu entscheiden, ob die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan und der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß kraft Gesetzes von der Mitwirkung an der Entscheidung über die Revisionen ausgeschlossen sind.
2. Ein Ausschlussgrund gemäß § 22 Nr. 1 StPO liegt nicht vor.
a) Verletzter im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO ist ein Richter, wenn er durch die Straftat, die Gegenstand des Verfahrens ist, persönlich unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist (BGHSt 1, 298; BGHR StPO § 22 Verletzter 1; BayObLG NStZ 1993, 347; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 22 Rdn. 6; Pfeiffer in KK-StPO 5. Aufl. § 22 Rdn. 4; Kuckein in KK-StPO § 338 Rdn. 55). § 22 Nr. 1 StPO schließt nur solche Personen regelmäßig und ohne Rücksicht auf die Frage individueller Befangenheit (§ 24 StPO) als Richter aus, die schon auf Grund ihrer formalen Stellung als Betroffene des verfahrensgegenständlichen Geschehens die Gewähr persönlicher Unbefangenheit nicht bieten. Eine nur entfernte oder mittelbare Betroffenheit reicht hierfür nicht aus.
Bei einem Vermögensdelikt kommt es daher darauf an, ob durch das tatsächliche Geschehen, welches Gegenstand des Strafverfahrens ist, bei dem zur Entscheidung berufenen Richter unmittelbar ein Vermögensnachteil bewirkt worden ist (vgl. Wendisch in LR 25. Aufl. § 22 Rdn. 7). Das ist bei den beiden Richtern weder hinsichtlich der von der Anklage umfassten und im angefochtenen Urteil festgestellten Handlungen zu Lasten des Landesverbands Hessen noch hinsichtlich derjenigen zu Lasten des Bundesverbands der CDU Deutschlands der Fall.
b) Die CDU Deutschlands ist, wie auch andere Parteien in Deutschland, als nicht rechtsfähiger Verein (§ 54 BGB) organisiert. Dabei ist nach den Satzungen der Bundespartei und der Landesverbände davon auszugehen, dass die Aufnahme, über die regelmäßig der für den Wohnsitz zuständige Kreisverband entscheidet (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 des Statuts der CDU Deutschlands - im Folgenden: Statut -; § 4 Abs. 8 Satz 1 Satzung der CDU Hessen - im Folgenden: Satzung Hessen), zur (unmittelbaren) Mitgliedschaft sowohl in dem jeweiligen Landesverband als auch in dem Bundesverband führt; letzterer ist nicht nur als Dachverband der Landesverbände organisiert. Das ergibt sich, entgegen der Ansicht der Verteidigung des Angeklagten W., aus §§ 16 ff., § 35 Abs. 1, aber auch aus §§ 10, 11 Abs. 3 des Statuts.
Ist somit jedes Mitglied eines Kreis- und Landesverbands zugleich Mitglied des nicht rechtsfähigen Vereins auf Bundesebene, so käme grundsätzlich eine unmittelbare Betroffenheit sämtlicher Mitglieder der Bundespartei in Betracht, wenn ihnen das Vermögen der Gesamtpartei - und damit auch dasjenige des jeweiligen Landesverbands - in gesamthänderischer Verbundenheit gemäß § 54 Satz 1 i.V.m. § 718 Abs. 1 BGB zustände (vgl. dazu BGH NJW 1990, 1181), und eine Zuordnung des Parteivermögens zur Bundespartei als solcher oder zu ihren Untergliederungen daher nicht möglich wäre.
c) Das Reichsgericht hat für Tathandlungen, die vor Inkrafttreten des BGB zu Lasten des Vereinsvermögens eines kleinen, aus den Richtern eines Gerichts bestehenden nicht eingetragenen Idealvereins begangen wurden, entschieden, Verletzte im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO seien sämtliche Vereinsmitglieder (RGSt 33, 314, 316). Auch wenn das Vereinsvermögen wegen fehlender Rechtsfähigkeit des nicht eingetragenen Vereins grundsätzlich den Mitgliedern als Gesamthandsgemeinschaft zugeordnet wurde (vgl. auch Palandt-Heinrichs BGB 65. Aufl. § 54 Rdn. 7), ist in der Entwicklung der Rechtsprechung die vermögensrechtliche Anbindung an die einzelnen Mitglieder nicht rechtsfähiger Vereine, namentlich bei Großorganisationen, fast ganz aufgegeben worden (vgl. z. B. BGHZ 42, 210, 216; 50, 325, 329). Im Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00 (BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Außen-GbR, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet, Rechtsfähigkeit besitzt; das Verhältnis zwischen Verbindlichkeiten der Gesellschaft und der Haftung persönlich haftender Gesellschafter entspricht danach demjenigen bei der OHG. Auch diese inzwischen wohl unstreitige Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der Außen-GbR spricht dafür, die Regelung des § 54 Satz 1 BGB jedenfalls eng auszulegen. In der Literatur wird aus der genannten Rechtsentwicklung gefolgert, dass auch der nicht rechtsfähige Verein selbst Träger seines Aktiv- und Passivvermögens sei (vgl. Weick in Staudinger BGB, Stand Mai 2005, § 54 Rdn. 74; Schwarz in Bamberger/Roth BGB § 54 Rdn. 13; Hadding in Soergel BGB 13. Aufl., Stand 2000, § 54 Rdn. 16, 20).
d) Bei der Beurteilung der Anwendbarkeit von § 54 Satz 1 BGB auf politische Parteien ist zudem zu berücksichtigen, dass die zivilrechtlichen Regelungen zum Teil durch Regelungen des Parteienrechts überlagert und modifiziert werden (vgl. auch OLG Zweibrücken NJW-RR 2000, 749, 750). So gehen etwa §§ 24, 26, 26 a PartG jedenfalls dem Wortlaut nach von einer Rechtsträgerschaft der Partei aus. § 37 PartG schließt die Anwendung von § 54 Satz 2 BGB und damit eine persönliche Haftung der Mitglieder für Verbindlichkeiten aus, welche die Partei im eigenen Namen begründet hat. Dem entsprechen die Regelungen des § 35 Abs. 1 und 2 des Statuts. Hieraus ergibt sich, dass die Partei ihre Mitglieder im Innenverhältnis vermögensrechtlich gerade nicht wie Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft behandeln, sondern wie Mitglieder eines eingetragenen Vereins stellen will. Insoweit ist auch die grundsätzliche vermögensrechtliche Selbständigkeit der ihrerseits als nicht rechtsfähige Vereine organisierten Landesverbände zu berücksichtigen.
e) Im Ergebnis sind die beiden Richter, die den Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg angehören, von einem durch die verfahrensgegenständlichen Taten möglicherweise verursachten Vermögensschaden in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Partei allenfalls mittelbar betroffen. Das gilt sowohl für einen auf der Ebene des Landesverbands Hessen als auch für einen möglicherweise auf der Ebene des Bundesverbands oder anderer Landesverbände entstandenen Schaden. An dem durch die angeklagten Taten betroffenen Vereinsvermögen haben sie keinen Anteil, so dass sie nicht Verletzte im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO sind.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 589
Externe Fundstellen: NStZ 2006, 646
Bearbeiter: Ulf Buermeyer