Bearbeiter: Stephan Schlegel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 437/00, Urteil v. 17.01.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 17. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte
a) freigesprochen und
b) wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Einfuhr von Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Von dem Vorwurf des Mordes und des Raubs mit Todesfolge hat es den Angeklagten freigesprochen. Die hiergegen eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger führen mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils. soweit der Angeklagte freigesprochen und soweit er wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge verurteilt wurde.
1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der Angeklagte vereinbarte im Jahre 1997 mit dem späteren Tatopfer M., einem entfernten Verwandten, für diesen in Deutschland Abnehmer für Kokain zu suchen. M. lebte damals in Brüssel und Baden-Baden und handelte mit Kokain. Im September 1997 trug M. dem Angeklagten an, für ihn 500 g Kokain guter Qualität zu verkaufen. Der Angeklagte, der bis dahin keine Erfahrung mit dem Drogenhandel hatte, weihte seinen engen Freund P. ein; dieser erklärte sich bereit, gemeinsam mit dem Angeklagten Käufer für das Kokain zu suchen. M. überließ ihnen daher 460 g Kokain guter Qualität. Der Angeklagte verkaufte in der Folge 40 g für 4.000 DM an einen unbekannten Abnehmer: weitere Käufer fand er nicht. M. holte den Rest des Rauschgifts daher nach etwa zwei Wochen wieder ab. Trotz des Fehlschlags erneuerte er sein Angebot an den Angeklagten und P., künftig gemeinsame Geschäfte zu machen, da er beabsichtigte, sich verstärkt in Deutschland zu betätigen.
Bis März 1998 folgten mehrere Treffen zwischen M., dem Angeklagten und P., ohne daß die Suche nach Abnehmern Erfolg hatte. Im April oder Mai 1998 erfuhr der Angeklagte, daß der ihm bekannte K. am Ankauf von 100 bis 150 g Kokain interessiert sei. Hiervon informierten der Angeklagte und P. den M.; dieser teilte Ende Juni 1998 mit, er könne das Rauschgift liefern. Die Lieferung sollte am 29. Juni 1998 erfolgen; hierzu wurde ein Treffpunkt in R./Luxemburg vereinbart. Am Tattag gelang es dem Angeklagten jedoch nicht, Kontakt zu dem Abnehmer K. herzustellen; dies verschwieg er dem M.. der mit dem Kokain aus Brüssel anreiste.
Der Angeklagte und P. fuhren am Abend des 29. Juni mit dem Pkw des P. von L. nach R. und trafen dort gegen 24.00 Uhr den M.. Dieser hatte das Kokain außerhalb des Ortes versteckt; P. wurde beauftragt, das Rauschgift zu holen. Nach einigen Schwierigkeiten bei der Suche verbrachte P. gegen 1.00 Uhr das Kokain vereinbarungsgemäß über die Grenze nach Deutschland, wo er sich mit M, und dem Angeklagten auf einem Parkplatz traf. Der M. fuhr als Beifahrer in seinem vom Angeklagten gesteuerten Pkw, während P. aus Sicherheitsgründen allein vorausfuhr. Nachdem der Angeklagte dem M. mitgeteilt hatte, vermutlich werde man den Abnehmer in L. nicht mehr treffen, beschloß M., in einem Hotel in Trier zu übernachten. Hiervon wurde P. unterrichtet; man fuhr daher nun in Richtung Trier. Unterwegs übergab M. dem Angeklagten das Kokain. Während der Fahrt unterhielten sich die beiden über zukünftige Geschäfte.
Weil M. Kokain konsumieren wollte, hielten beide Fahrzeuge gegen 3.00 Uhr hintereinander auf einem Parkstreifen neben der Fahrbahn an. Alle drei konsumierten nun eine Portion Kokain. Da P. erklärte, er wolle nun auch mit M. über zukünftige Geschäfte sprechen, stieg der Angeklagte in den vorne stehenden Pkw des P. ein; dieser setzte sich ans Steuer des von M. gemieteten Pkw und sprach den M. alsbald auf den Ablauf künftiger Geschäfte an. Dieser erklärte nun, er wolle mit P. keine weiteren Geschäfte machen; der Gewinn des aktuellen Geschäfts sei im übrigen nur durch zwei zu teilen.
Hierüber geriet P. in Zorn. Er zog deshalb die von ihm mitgeführte halbautomatische Pistole Kaliber 7.65 hervor und schoß dem neben ihm sitzenden M. in den Kopf. Er schoß das gesamte Magazin leer, wechselte es gegen ein weiteres Magazin aus und schoß dann weiter. Insgesamt gab er mindestens zwölf Schüsse in schneller Folge ab. Nach den ersten beiden Schüssen stieg P., weiter auf M. schießend, aus dem Fahrzeug aus; die letzten Schüsse gab er vor der geöffneten Tür stehend ab. M. wurde von mindestens acht Schüssen im Kopf- und Halsbereich getroffen und verstarb alsbald.
P. ging zu seinem einige Meter entfernten eigenen Fahrzeug, wies den darin sitzenden Angeklagten an, auf den Beifahrersitz zu wechseln, setzte sich selbst ans Steuer, wendete und fuhr nach L.., ohne etwas zu sagen. Der Angeklagte, der zwar wußte, daß P. "bei solchen Fahrten" eine Pistole bei sich zu tragen pflegte, jedoch konkret hieran nicht gedacht hatte, war schockiert und sprachlos. Zu Hause nahm er die Pistole des P. an sich, weil er irrtümlich befürchtete dieser werde Selbstmord begehen, und versteckte sie zusammen mit dem Kokain in seiner Wohnung. Dann fuhren beide in eine 10 km entfernte Nachtbar, wo sie zur Beruhigung Alkohol zu sich nahmen. Erst dort erzählte P. dem Angeklagten von dem Grund für seine Tat.
Am nächsten Tag vergruben der Angeklagte und P. die Pistole und das Kokain, weil sie mit dem Rauschgifthandel nichts mehr zu tun haben wollten. Nachdem sich der Abnehmer K. wieder gemeldet hatte, verkauften sie ihm gleichwohl aus der Gesamtmenge von 150 g im Juli 1998, am 15. August und am 15. September 1998 jeweils 50 g Kokain zu je 4.500 DM. Der Wirkstoffanteil betrug 92,4 %; den Erlös teilten der Angeklagte und P. zu gleichen Teilen.
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Freispruchs, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Auf die Zulässigkeit der von den Nebenklägern erhobenen Aufklärungsrüge kommt es daher nicht an.
a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Die bloße Unwahrscheinlichkeit eines vom Tatrichter festgestellten Geschehens führt für sich allein ebensowenig zur Rechtsfehlerhaftigkeit wie der Umstand, daß abweichende Feststellungen möglich wären. Die Beweiswürdigung muß jedoch in sich schlüssig und frei von Lücken und Widersprüchen sein; mit naheliegenden Möglichkeiten eines von den Feststellungen abweichenden Geschehensablaufs hat sich der Tatrichter auseinanderzusetzen. Aus den Urteilsgründen muß sich ergeben, daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern von einem zutreffenden Ausgangspunkt betrachtet und unter diesem Blickwinkel in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden.
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, soweit sich das Landgericht nicht davon zu überzeugen vermochte, daß der Angeklagte an der Tötung des Rauschgiftlieferanten M. beteiligt war. Da der frühere Mitangeklagte P. sich sowohl als Angeklagter, als auch -nach Verfahrensabtrennung - als Zeuge zur Sache nicht eingelassen, hat, stützen sich die Feststellungen des Landgerichts weitgehend auf die Einlassung des Angeklagten selbst. Dieser hat die festgestellten Rauschgift-Geschäfte eingeräumt, eine Beteiligung an der Tötung des M. jedoch bestritten. Der Ansatz, von welchem aus das Landgericht diese Einlassung gewürdigt hat, erweist sich insoweit als rechtsfehlerhaft, als sich die Beweiswürdigung im wesentlichen auf die Prüfung beschränkt, ob die durchweg als "Geständnis" bezeichnete, den Mitangeklagten P. belastende Einlassung des Angeklagten durch andere Beweisergebnisse widerlegt sei. Durch diesen Ansatz hat sich das Landgericht den Blick darauf verstellt, daß es sich bei der Tatschilderung des Angeklagten nicht um eine Zeugenaussage im Verfahren gegen P. und im Kern auch nicht um ein Geständnis handelte, sondern um das Bestreiten des gegen den Angeklagten selbst gerichteten Tatvorwurfs. Der unzutreffende Ansatzpunkt wird etwa in der Erwägung deutlich, für die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten spreche die Konstanz seiner Schilderung des Kerngeschehens (UA S. 106). Tatsächlich beschränkte sich, wie die umfangreiche Darstellung der verschiedenen im Verfahrensverlauf gegebenen Einlassungen des Angeklagten zeigt, diese Konstanz im wesentlichen auf die Behauptung, nicht er, sondern P. habe den M. getötet. Der bloßen Konstanz des Bestreitens eines Beschuldigten kommt das vom Landgericht angenommene Gewicht in der Regel nicht zu.
c) Bei der Prüfung des Tatvorwurfs hätte das Landgericht zunächst die Beweisergebnisse werten müssen, die für eine Tatbeteiligung des Angeklagten sprachen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich insoweit eine Vielzahl gewichtiger Beweisanzeichen, deren Bedeutung für die Gesamtwürdigung nicht schon mit der Erwägung erschöpft ist, die jeweils selbstentlastende Einlassung des Angeklagten sei nicht widerlegbar oder der von ihm geschilderte Geschehensablauf jedenfalls möglich. So sprachen etwa die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort sowie der Umstand, daß der Angeklagte nach der Tötung des M. im Besitz der Waffe und des Rauschgifts war, ebenso für seine Tatbeteiligung wie die ungewöhnlichen Einzelheiten bei der Durchführung des Rauschgiftgeschäfts, etwa der Umstand, daß der Angeklagte den Lieferanten M. aus Brüssel anreisen ließ, obgleich mangels Kontakt zu dem Abnehmer K. die von M. erwartete Geschäftsabwicklung jedenfalls unklar war.
Auch die widersprüchlichen -jeweils auf Vorhalt abweichender Beweisergebnisse nachgebesserten - Einlassungen des Angeklagten bei seinen polizeilichen Vernehmungen sprachen gegen ihn. So hatte er etwa zunächst, um sich vom Vorwurf der Tötung des M. zu entlasten, eine Version des Tatablaufs geschildert, wonach der Mitangeklagte P. in das Fahrzeug des M. gar nicht eingestiegen war, sondern sogleich von außen auf M. geschossen hatte. Die Veränderung dieser Einlassung und die spätere Schilderung eines angeblichen Gesprächs zwischen P. und dem Tatopfer, aus welchem allein sich die im Urteil festgestellte Tatmotivation des P. ergab, kann mit dem vom Landgericht angenommenen Bestreben des Angeklagten, den P. zu entlasten (UA S. 103), nicht erklärt werden. Die Erwägung des Landgerichts, es sei auf der Grundlage der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten für ihn "kein Motiv für eine Tötung M .'s erkennbar" (UA S. 91), erweist sich daher als nicht tragfähig.
Das gilt auch für die Beweiswürdigung zur Kenntnis des Angeklagten von der Bewaffnung des P.. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte der Angeklagte angegeben, es sei ihm "eigentlich schon klar gewesen", daß P. seine Pistole, die er "bei solchen Fahrten immer" dabei gehabt habe, am Tattag mitführte. In der Hauptverhandlung hatte der Angeklagte diese Einlassung dahin geändert, er habe an die Pistole am konkreten Tag nicht gedacht (UA S. 103 ff). Die Urteilsgründe führen hierzu aus, selbst wenn der Angeklagte am Tattag von der Bewaffnung P's gewußt hätte, sei hieraus "keinesfalls zwingend" zu schließen, er sei mit dem Einsatz der Waffe einverstanden gewesen (UA S. 104). Auch diese Erwägung verkürzt das Gewicht der Beweisergebnisse, denn im Verfahren gegen den Angeklagten ging es nicht darum, ob einzelne Beweisanzeichen "zwingend" gegen eine Alleintäterschaft des P. sprachen.
d) Den für die Tatbeteiligung des Angeklagten sprechenden Umständen waren in einem zweiten Schritt entlastende Ergebnisse der Beweisaufnahme gegenüberzustellen. Soweit diese ihre Grundlage allein in den selbstentlastenden Einlassungen des Angeklagten fanden, so konnte deren -jeweils isolierte Unwiderleglichkeit die erforderliche Gesamtwürdigung weder ersetzen noch von vornherein begrenzen; vielmehr kann die Annahme der Unwiderleglichkeit des Bestreitens ihrerseits nur Ergebnis einer umfassenden Abwägung der Beweisergebnisse sein. Daß das Landgericht insoweit von einem unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, zeigt sich etwa in der Behandlung der Erklärung des Angeklagten, er habe nach der Tat die Schußwaffe und das Rauschgift deshalb in seiner Wohnung versteckt, weil er gefürchtet habe, P. werde sich nun selbst töten. Dieser Einlassung konnte, da es an Anhaltspunkten für eine Suizidgefährdung des P. ersichtlich mangelte, nur geringes Gewicht zukommen, welches sich durch das vom Angeklagten eingeräumte nachfolgende Aufsuchen einer Nachtbar kaum erhöhte.
e) Die Abwägung der Beweisergebnisse in den Urteilsgründen erfolgt zwar unter der Bezeichnung Gesamtwürdigung; aufgrund des unzutreffenden Ausgangspunkts erweist sich diese jedoch nicht als Abwägung der für und gegen eine Tatbeteiligung des Angeklagten sprechenden Umstände, sondern entspricht in ihrem Charakter eher der Würdigung einer (Zeugen-)Aussage im Verfahren gegen den früheren Mitangeklagten. Der Senat kann nicht ausschließen, daß der Tatrichter, wäre er insoweit von einem zutreffenden Ansatzpunkt ausgegangen; zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.
3. Die Aufhebung erfaßt auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft ist insoweit unwirksam, weil zwischen dem Tötungsdelikt und dem Verbrechen nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG Tateinheit gegeben ist. Erwiese sich der Tatvorwurf einer gemeinschaftlichen Tötung des Lieferanten M. mit dem Ziel, sich in den Besitz des von diesem mitgeführten Rauschgifts zu bringen, als zutreffend, so hätte sich in der Tötungshandlung gerade die der verschärften Strafdrohung des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zugrundeliegende Gefahr realisiert (vgl. BGHSt 42, 123, 125 ff; 43, 8, 13 ff.; BGHR BtMG § 30 a Abs. 2 Mitsichführen 1: Urteile des Senats vom 20. Juni 2000 - 2 StR 123/00 und vom 17. Januar 2001 - 2 StR 438/00).
4. Dagegen sind der Schuldspruch wegen des im September 1997 begangenen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und die hierfür verhängte Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten von der insoweit wirksam beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft und von der Aufhebung des Urteils im übrigen nicht erfaßt. Es kann daher dahinstehen, ob der Angeklagte bei dieser Tat als Mitglied einer Bande handelte.
Bearbeiter: Stephan Schlegel