HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 383
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 262/23, Beschluss v. 23.01.2024, HRRS 2024 Nr. 383
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. Dezember 2022 dahin ergänzt, dass zwei Jahre und vier Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen sind.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; einzig der Tenor der angefochtenen Entscheidung bedarf - nach Änderung der §§ 64, 67 StGB mit Wirkung zum 1. Oktober 2023 - der Ergänzung durch das Revisionsgericht (§ 349 Abs. 4, § 354a StPO, § 354 Abs. 1 StPO analog).
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch, zum Strafausspruch, zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB in der bis zum 30. September 2023 geltenden Fassung (nachfolgend: aF) und zur Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Zu letzterer ist die Erweiterung der Anordnung einer gesamtschuldnerischen Haftung des Angeklagten entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts nicht veranlasst. Der Senat verweist auf seine Rechtsprechung, wonach die unterbliebene Anordnung einer gesamtschuldnerischen Haftung den Angeklagten nicht beschwert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2022 - 1 StR 514/21 und vom 20. September 2022 - 1 StR 259/22).
2. Gleichfalls für sich genommen rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer nach § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB aF von der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 1 StR 601/19 Rn. 4 mwN).
a) Gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz StGB in der Fassung des am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023 (BGBl. I Nr. 203) ist jedoch der vor der Maßregel zu vollstreckende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und der anschließenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nach Erledigung (erst) von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Die Vollstreckungsvorschrift des § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB nF gilt gemäß § 2 Abs. 6 StGB - mangels eingreifender besonderer Übergangsregelung - auch hier. Von dem neuen Vollstreckungsregime sollen allein die bei Inkrafttreten des neuen Maßregelrechts schon rechtskräftigen „Altfälle“ ausgenommen werden; für diese bestimmt sich die Berechnung des Vorwegvollzugs nach dem Halbstrafenzeitpunkt gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB aF (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 77 f. und Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB). Die Voraussetzungen der Art. 316o Abs. 1 Satz 2, Art. 313 Abs. 2 EGStGB sind nicht gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2023 - 1 StR 354/23 Rn. 3-5 mwN).
b) Da die Strafkammer die Grundlagen für die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs rechtsfehlerfrei festgestellt hat, kann der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs nachholen und den Tenor entsprechend ergänzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21 Rn. 16 und vom 14. November 2023 - 1 StR 354/23 Rn. 2; jeweils mwN). Dem psychiatrischen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) folgend, ist die Strafkammer zu der Feststellung gelangt, dass die voraussichtliche Therapiedauer bei dem Angeklagten zwei Jahre beträgt. Bei der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, damit einem Erreichen des Zweidrittelzeitpunkts nach vier Jahren und vier Monaten sowie einer Therapiedauer von zwei Jahren ergibt sich ein Vorwegvollzug von zwei Jahren und vier Monaten.
Die erlittene Untersuchungshaft hat bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs außer Betracht zu bleiben. Die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB gebotene Anrechnung der Untersuchungshaft auf den vor der Unterbringung zu vollziehenden Teil der Strafe nimmt die Vollstreckungsbehörde im Vollstreckungsverfahren vor (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21 Rn. 15; vom 15. Januar 2020 - 1 StR 601/19 Rn. 4 und vom 6. März 2019 - 3 StR 29/19 Rn. 2).
c) Der Senat ist nicht wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) gehindert, die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs auf eine Angeklagtenrevision hin zu treffen; zudem kann er durch Beschluss (insofern gemäß § 349 Abs. 4 StPO) entscheiden. Denn diese Anordnung ergeht zu Gunsten des Angeklagten, weil die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolges dienen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21 Rn. 17 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 383
Bearbeiter: Christoph Henckel