Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 14/02, Urteil v. 06.06.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. September 2001 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, und wegen Körperverletzung in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts mißbrauchte der Angeklagte seine 1985 geborene Stieftochter 1995 oder 1996 sowie am 25. März 2001 sexuell. Ferner schlug und trat er sie im Dezember 2000, im Februar 2001 und am 25. März 2001 mit der Hand und einmal mit den Füßen. Bei allen Taten war der Angeklagte durch den vorangegangenen Genuß alkoholischer Getränke leicht enthemmt. Jedoch war seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei keiner der Taten erheblich vermindert.
Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Rechtsfolgenausspruch. Mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge greift er insbesondere die Feststellung nicht erheblich verminderter Schuldfähigkeit an. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
Die Revision ist - von vorneherein - wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Dies ergibt die Auslegung der Revisionsrechtfertigung. Sie hat das erklärte Ziel, den Weg zur Verurteilung zu einer geringeren Freiheitsstrafe zu eröffnen, zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
1. Mit der Verfahrensrüge wendet sich der Angeklagte gegen die Ablehnung seines Antrags auf Einholung eines "psychologischen-psychiatrischen-suchtmedizinischen Sachverständigengutachtens" durch das Landgericht.
Die Rüge ist zulässig. Die Revisionsbegründung genügt noch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar vermag die Nennung der Fundstellen des Beweisantrags und des Ablehnungsbeschlusses in den Akten deren inhaltliche Wiedergabe in der Revisionsrechtfertigungsschrift grundsätzlich nicht zu ersetzen (vgl. LR-Hanack StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 83; KK-Kuckein StPO 4. Aufl. § 344 Rdnr. 39; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 344 Rdn. 21; jeweils m.w.N.; differenzierend: Kutzer, StraFo 2000, 326 [327]). Der Beschwerdeführer teilt daneben aber noch mit, daß zur Auswirkung des Alkohol- bzw. Tablettenkonsums des Angeklagten auf dessen Schuldfähigkeit bereits zwei rechtsmedizinische Sachverständige gehört wurden, die eine wesentliche - alkohol- oder medikamentenbedingte - Verminderung des Einsichts- oder Steuerungsvermögens des Angeklagten zu den Tatzeiten verneinten, daß der Angeklagte die Beauftragung eines weiteren - psychiatrischen - Sachverständigen hierzu beantragt hatte, die Strafkammer dies aber unter Hinweis auf ihre eigene Sachkunde abgelehnt hat. Dies genügt hier, um den Senat in die Lage zu versetzen, allein anhand der Revisionsbegründung und der Urteilsgründe zu überprüfen, ob der behauptete Verfahrensverstoß gegeben ist.
Weiterer Vortrag in der Revisionsbegründung wäre allerdings dann erforderlich gewesen, wenn Grundlage des beantragten Sachverständigengutachtens nicht nur der Alkohol- und Tablettenkonsum des Angeklagten hätte sein sollen, sondern etwa Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten. Diese hätten dann genannt werden müssen.
Die Verfahrensrüge ist jedoch unbegründet. Die Strafkammer hat den Beweisantrag rechtsfehlerfrei unter Berufung auf ihre eigene Sachkunde zurückgewiesen (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Diese wird in den Urteilsgründen überzeugend nachgewiesen. Die Strafkammer durfte dabei auch auf die ihr in der Hauptverhandlung durch die Ausführungen der bereits gehörten Sachverständigen vermittelten Erkenntnisse zurückgreifen (vgl. G. Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl. Rdn. 1193 m.w.N.).
2. Auch mit der Sachrüge bleibt die Revision ohne Erfolg.
a) Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer festgestellt, daß die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in keinem der Fälle alkoholbedingt oder in Folge der Einnahme von Tabletten (Diazepam) erheblich vermindert war.
aa) Der Angeklagte nimmt regelmäßig große Alkoholmengen zu sich. Er ist "hochgradig alkoholgewöhnt". Nach Alkoholkonsum wird er zuweilen aggressiv. Eine süchtige Einengung auf den Konsum von Alkohol liegt jedoch nicht vor. Seine Lebens- und Freizeitgestaltung ist nicht beeinträchtigt. Mit Rücksicht auf seinen Beruf als Fernfahrer, den er seit fünfzehn Jahren beanstandungsfrei ausübt, trinkt der Angeklagte in der Regel nur an Wochenenden, soweit familiäre Unternehmungen nicht entgegenstehen. Erinnerungslücken infolge von Trunkenheit hatte der Angeklagten noch nie. Alkoholbedingte Entzugserscheinungen konnten bei einer einmonatigen stationären Behandlung des Angeklagten ab Ende Mai 1995 nach einem Suizidversuch nicht festgestellt werden.
Konkrete Anhaltspunkte zum Grad der Alkoholisierung des Angeklagten bei den Taten gibt es nur hinsichtlich der Vorfälle am 25. März 2001. Eine am nächsten Tag um 02.10 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,91 ‰. Davon ausgehend ergibt sich eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,54 ‰ bei der Körperverletzung - Tatzeit zwischen 19.00 Uhr und 19.23 Uhr - und von 3,41 ‰ bei der sexuellen Nötigung (Tatzeit zwischen 19.40 Uhr' und 20.00 Uhr). Ein um 20.45 Uhr vorgenommener Atemtest ergab eine Alkoholkonzentration von 2,48 ‰. Ausfallerscheinungen waren bei dem Angeklagten weder zum Zeitpunkt seiner Festnahme um 20.00 Uhr noch bei der ärztlichen Prüfung seiner Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit der Blutentnahme um 02.10 Uhr erkennbar.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte aufgrund ärztlicher Verordnung ab Mai 1994 ungefähr ein Jahr lang täglich lediglich eine Tablette Diazepam ein und nicht fünf bis sieben, wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung entgegen seinen Angaben gegenüber dem ihn 1995 behandelnden Arzt einließ. Die Beendigung dieses Tablettenkonsums hatte zu Beginn seiner stationären Behandlung nach einem Suizidversuch ab Ende Mai 1995 nur eine leichte Entzugssymptomatik zur Folge.
bb) Auf dieser Grundlage ist die selbst sachkundige und zudem sachverständig beratene Strafkammer aufgrund sorgfältiger Erwägungen unter Darstellung der maßgeblichen Anknüpfungstatsachen zu der Überzeugung gekommen, daß weder der Alkoholmißbrauch des Angeklagten noch (hinsichtlich der ersten Tat) die regelmäßige Einnahme von Diazepam - auch nicht im Zusammenwirken mit Alkohol - eine schwere Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer suchtbedingten und suchttypischen Depravation des Angeklagten zur Folge hatte und er zu den Tatzeiten auch nicht infolge einer akuten Alkohol- und / oder Medikamentenintoxikation an einer krankhaften seelischen Störung litt.
Dies ist auch hinsichtlich der Taten am 25. März 2001 von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten lag zum Zeitpunkt der ersten der beiden Taten am 25. März 2001 im Bereich von 2,5 ‰ bis 3,54 ‰. Die Strafkammer hat nicht verkannt, daß eine Blutalkoholkonzentration in der hier nach Rückrechnung nicht ausschließbaren Höhe "zwar an sich geeignet ist, eine forensisch relevante Intoxikation zu indizieren". Allerdings verliert - worauf die Strafkammer zu Recht hinweist - der errechnete maximale Blutalkoholwert infolge des langen Rückrechnungszeitraums an indizieller Bedeutung für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH NStZ 1998, 457 [458]), zumal hier die - ebenfalls indizielle - tatnahe Atemluftmessung eher auf eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit an der unteren Grenze der Bandbreite der möglichen Werte schließen läßt.
Vor allem aber gibt es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber, daß ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen ist. Denn eine durch den Blutalkoholgehalt angezeigte, wirksam in den Blutkreislauf aufgenommene Alkoholmenge wirkt nach medizinischer Erfahrung auf jeden Menschen unterschiedlich (BGHSt 43, 66 [71 f.]; vgl. auch BGH NStZ 1998, 458). Das Landgericht stellte rechtsfehlerfrei fest, daß das körperliche und geistige Leistungsvermögen des in hohem Maße alkoholgewohnten Angeklagten kurz nach der Tat und auch zum Zeitpunkt der Entnahme der Blutprobe - bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,91 ‰ - nicht wesentlich beeinträchtigt war. Dabei hat die Strafkammer - bei Darlegung der Befundtatsachen - nicht nur auf das kontrollierte und äußerlich geordnete Verhalten des Angeklagten abgestellt, sondern insbesondere auch auf dessen klares Bewußtsein, seine sofortigen adäquaten Reaktionen auf Fragen und Handlungen anderer, den geordneten Denkablauf, seine ruhige Stimmung und sein normales Befinden. Wenn die Strafkammer vor diesem Hintergrund eine erhebliche Verminderung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit auch bei Begehung der Taten am 25. März 2001 ausgeschlossen hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
b) Daß sich der Angeklagte das Ermittlungs- und Strafverfahren wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung zum Nachteil der Darlene N. am 14. Februar 1998 hinsichtlich der Tat (sexuelle Nötigung) am 25. März 2001 nicht zur Warnung dienen ließ, durfte die Strafkammer berücksichtigen, auch wenn jenes Verfahren am 4. Januar 2001 mit einem Freispruch endete (vgl. BGHSt 25, 64; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 367).
c) Auch im übrigen ergab die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Externe Fundstellen: NStZ 2002, 532
Bearbeiter: Ulf Buermeyer