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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 519/00, Urteil v. 13.02.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 519/00 - Urteil v. 13. Februar 2001 (LG Hechingen)

Minder schwerer Fall der Vergewaltigung in der Ehe (Widerlegung des atypischen Regelbeispiels); Sexuelle Nötigung; Strafaussetzung zur Bewährung (Unzureichende Ablehnung wegen vermutetem Rückfall bei Altersdemenz)

§ 177 Abs. 2 StGB; § 56 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 11. August 2000 aufgehoben, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Tübingen zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten am 15. November 1999 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf seine Revision hin hat der Senat jenes Urteil im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat gegen den Angeklagten nunmehr eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verhängt. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht dem Angeklagten die Aussetzung der Strafe zur Bewährung versagt hat; im übrigen ist es unbegründet.

I.

1. Nach den insoweit rechtskräftigen Feststellungen des ersten tatrichterlichen Urteils ist der nicht vorbestrafte, zur Tatzeit 64jährige asthmakranke Angeklagte, der unter einer beginnenden organischen Persönlichkeitsstörung leidet, mit dem Tatopfer seit 1987 in zweiter Ehe verheiratet. Zwischen den Eheleuten war es immer wieder zu Streitigkeiten und massiven Auseinandersetzungen gekommen. Anlaß hierfür war der sehr häufige Wunsch des Angeklagten gewesen, mit seiner Ehefrau geschlechtlich zu verkehren. Dafür hatte diese ihm nach seiner Einstellung jederzeit zur Verfügung zu stehen. Infolgedessen hatte sich seine Frau bereits wiederholt zu einer Nachbarin geflüchtet und vorübergehend auch in einem Frauenhaus Unterkunft gefunden.

Die Situation verschärfte sich schließlich aufgrund einer Blasenerkrankung der Ehefrau, die die Ausübung des ehelichen Verkehrs erschwerte und schließlich schmerzhaft machte. Sie litt zudem zur Tatzeit an einer Scheidenentzündung, nachdem ihr kurz zuvor ein Blasenkatheter entfernt worden war. Am Tattag bedrängte der Angeklagte seine Frau, die sich schließlich mit seinem Vorschlag einverstanden erklärte, sich unbekleidet auf das Bett zu legen und sich vom Angeklagten streicheln zu lassen. Dieser wollte sich dabei selbst befriedigen. Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs wollte seine Frau - wie der Angeklagte wußte - auf keinen Fall. Während des weiteren Verlaufs faßte der sexuell erregte Angeklagte indessen den Entschluß, entgegen der getroffenen Absprache nun doch den Verkehr auszuüben. Er ignorierte die Aufforderung seiner Frau, dies zu unterlassen. Die Geschädigte begann sich zur Wehr zu setzen, indem sie versuchte, den Angeklagten wegzudrücken und ihm mit der rechten Hand gegen die Brust schlug. Es gelang ihr jedoch nicht, den auf ihr liegenden, körperlich überlegenen Angeklagten abzuwehren. Um ihren Widerstand zu überwinden, hielt dieser sie an den Oberarmen fest und führte etwa 20 bis 30 Minuten den Geschlechtsverkehr durch. Dies war für das Opfer mit erheblichen Schmerzen verbunden.

2. Die nunmehr zuständige Strafkammer hat ergänzend u.a. festgestellt, daß der Angeklagte sich in dieser Sache etwa neun Monate in Untersuchungshaft befand und ihn seine Ehefrau nach der Haftentlassung wieder in die eheliche Wohnung aufgenommen hat. Die Eheleute haben auch wieder Intimkontakte. Der Angeklagte wünscht nach wie vor täglichen Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten, obwohl er weiß, daß dies nicht deren Wunsch entspricht. Er ist jedoch unverändert der Auffassung, daß seine Ehefrau ihm täglich dazu bereitzustehen habe. Diese äußert zwar ihre Unlust hierüber, widersetzt sich jedoch dem Angeklagten nicht, sondern läßt den Geschlechtsverkehr über sich ergehen. Der Angeklagte hat sich deshalb bislang nicht wieder zur Anwendung von Gewalt gezwungen gesehen, um den von ihm gewünschten Geschlechtsverkehr durchzusetzen.

Der Angeklagte leidet an beginnender Altersdemenz; infolgedessen vermag er nur ein geringes Maß an Selbstkontrolle aufzubringen, wenn er eine Diskrepanz zwischen seinen eigenen und den entgegenstehenden Wünschen anderer Personen aufkommen sieht. Das hat eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit zur Folge.

3. Bei der Strafzumessung ist das Landgericht trotz Vorliegens des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB wegen zahlreicher Milderungsgründe vom Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB ausgegangen, den es wegen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nochmals nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Die verhängte Freiheitsstrafe hat es nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil die Prognose für den Angeklagte nicht günstig sei. Dieser zeige auch jetzt keinerlei Verständnis für seine Frau, verlange vielmehr von ihr täglichen Geschlechtsverkehr, obwohl er genau wisse, daß dies nicht deren Wünschen entspreche, wenngleich sie sich hiergegen nicht zur Wehr setze. Deshalb sei die Kammer überzeugt, daß es zu einer neuerlichen Vergewaltigung käme, würde die Geschädigte sich dem Angeklagten verweigern; denn dieser verharre in der althergebrachten Anschauung, daß die Ehefrau dem Manne nach dessen Wunsch zum Geschlechtsverkehr zur Verfügung zu stehen habe. Aufgrund der schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen stehe fest, daß die beim Angeklagten vorliegende Altersdemenz weder medikamentös noch "psychoanalytisch" behandelt werden könne. Bei einem solchen Krankheitsbild kämen allenfalls noch "Lernprozesse" in Betracht. Mit seinem Nachtatverhalten habe der Angeklagte aber gerade gezeigt, daß ein solcher Lernprozeß bei ihm trotz neunmonatiger Untersuchungshaft nicht stattgefunden habe.

II.

Der allein noch zur Nachprüfung stehende Rechtsfolgenausspruch begegnet hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe keinen rechtlichen Bedenken. Die Versagung der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung kann hingegen von Rechts wegen nicht bestehen bleiben.

1. Die Revision meint, die Begründung des Landgerichts lasse eine Gesamtwürdigung zu der Frage vermissen, ob anstelle des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) nicht ausnahmsweise sogar der Strafrahmen für den minder schweren Fall der sexuellen Nötigung zugrundezulegen sei (§ 177 Abs. 5 StGB). Damit zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf.

Die Anwendung des Strafrahmens für den minder schweren Fall trotz Vorliegens eines Regelbeispiels für den besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn schuldmindernde Umstände von ganz außergewöhnlichem Ausmaß gegeben sind (vgl. BGH NStZ 1999, 615; StV 2000, 306, 307; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 177 Rdn. 40). Dies hat das Landgericht nicht übersehen (vgl. UA S. 9), allerdings unter Hinweis auf eine vorgenommene Gesamtabwägung "aller genannten" Umstände hier verneint. Das genügte.

2. Die Begründung des Landgerichts zur Nichtaussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung leidet indessen an einem rechtlich erheblichen Erörterungsmangel. Zwar kommt dem Tatrichter für die Entscheidung über die Strafaussetzung ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 56 Rdn. 9 i mit Rechtsprechungsnachweisen). Hier aber ist die Würdigung des Landgerichts unvollständig und deshalb ermessensfehlerhaft; sie bezieht wesentliche, im Gesetz ausdrücklich abstrakt aufgeführte Gesichtspunkte nicht ein (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das gilt namentlich für die Frage, welche Wirkung für den Angeklagten von einer etwaigen Strafaussetzung ausginge; aber auch die Umstände der Tat und das Nachtatverhalten gegenüber der Ehefrau werden nicht umfassend in die Würdigung einbezogen.

Die Strafkammer stellt darauf ab, daß der Angeklagte nach ihrer Überzeugung im Falle einer Gegenwehr der Ehefrau aufgrund seiner Einstellung und seiner verminderten Selbstbeherrschung wieder Gewalt zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs anwenden würde. Damit greift sie indessen zu kurz. Festgestellt ist, daß der Angeklagte jedenfalls nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft keine Gewalt mehr angewendet hat. Ob dies allein auf die duldende Haltung der Ehefrau zurückgeht oder möglicherweise die Hemmschwelle des Angeklagten vor dem Einsatz von Gewalt gegenüber seiner Frau durch das Erleben des Verfahrens und der Untersuchungshaft angehoben ist, hätte der Erörterung bedurft. Entscheidend ist insoweit nicht, daß der Angeklagte in seiner "althergebrachten Anschauung" verharrt, sondern ob er sich insoweit gleichwohl zu beherrschen und von gewaltsamer Durchsetzung seiner sexuellen Wünsche abzusehen vermag. Daß das nicht der Fall sein würde, versteht sich nicht von selbst.

In diesem Zusammenhang wäre auch die Wirkung zu erwägen gewesen, die von einer Strafaussetzung auf den Angeklagten ausgeht, insbesondere ob er sich gerade durch den Druck eines gegebenenfalls zu gewärtigenden Widerrufs der Strafaussetzung in seinem Verhalten beeinflussen läßt. Dies ist im Zusammenhang mit den Umständen der begangenen Tat zu bewerten, bei der die Gewaltanwendung durch den Angeklagten erst nach einem zunächst einvernehmlichen sexuellen Kontakt und bei entsprechender Erregung des Angeklagten erfolgte. Diese Gesichtspunkte sind mit in Betracht zu ziehen bei der Prognose, welches Verhalten des Angeklagten zu erwarten wäre, wenn seine Ehefrau tatsächlich von vornherein den Geschlechtsverkehr ablehnen und sich entsprechend verhalten würde. Daß diese sich aus Furcht vor Gewalt auf den Geschlechtsverkehr einläßt, obgleich er nicht ihrem Wunsch entspricht, ist für die Bewertung ersichtlich wenig aussagekräftig. Es kommt darauf an, ob bei einer Ablehnung des sexuellen Kontakts durch die Ehefrau schon von vornherein der Angeklagte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Grenze zur strafbaren Nötigung nicht überschreiten würde.

Der Tatrichter wird deshalb über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung erneut zu befinden haben und dabei namentlich auch die Wirkungen einer etwaigen Strafaussetzung auf das Verhalten des Angeklagten sowie den Umstand mitzuerwägen haben, daß die abgeurteilte Tat des Angeklagten im Zustand - zunächst einvernehmlich bewirkter - sexueller Erregung begangen wurde. Die insoweit zugrundeliegenden Feststellungen konnten bestehen bleiben, weil lediglich ein Wertungsfehler in Rede steht, ergänzende Feststellungen sind statthaft.

Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Externe Fundstellen: NStZ 2001, 366; StV 2001, 457

Bearbeiter: Karsten Gaede