Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2004
5. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser der HRR-Strafrecht,
die Januar-Ausgabe 2004 der HRRS macht eine Auswahl der herausragenden Informationen enorm schwer. Mit einigen Veränderungen der HRRS hoffen wir, unser Angebot weiter verbessert zu haben. Besonders hervorheben möchte ich vielleicht die nunmehr beginnende HRRS-Aufsatzreihe von Frau Dr. Daniela Demko, die Ihnen die Maßstäbe strafverfahrensrelevanter EMRK-Rechte rechtsprechungsbezogen vermitteln wird (Reihe strafprozessuale Leitfälle zur EMRK). Die Entscheidung Steur v. Niederlande (HRRS 2004 Nr. 1) aus dieser Ausgabe vermag Ihnen dabei zu zeigen, dass die europäischen Maßstäbe tatsächlich öfter als gemeinhin angenommen die deutsche Rechtsordnung beeinflussen können.
Den Aufsatz von Herrn Prof. Klesczewski zum System des Beweisantragsrechts und der Konnexität beim Beweisantrag sollten Sie ebenfalls nicht versäumen. Viele weitere BGHSt bzw. BGHR-Entscheidungen lohnen einen intensiven Besuch der Internetseite HRR-Strafrecht bzw. die eingehende Lektüre unserer auch im PDF-Ausdruck frei verfügbaren Onlinefachzeitschrift HRRS.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Karsten Gaede
Wiss. Ass.
1. Einem Rechtsanwalt darf nicht ohne hinreichenden Grund die Verletzung seiner beruflichen Standards attestiert werden, selbst wenn ihn dadurch keinerlei Sanktionen treffen. Ein derartiger Tadel kann einen einschüchternden Effekt ("chilling effect") haben, der ihn hinsichtlich der Wahl seiner tatsächlichen und rechtlichen Argumentation bei der zukünftigen Verteidigung seiner Mandanten hemmen könnte. Ein solcher Tadel stellt einen Eingriff in die Meinungsfreiheit des Rechtsanwaltes dar, der vom Staat nur dann gerechtfertigt werden kann, wenn er ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis für einen im Einzelfall verhältnismäßigen und auf einem Gesetz beruhenden Eingriff hinreichend darlegt.
2. Zur Beurteilung derartiger Fälle prüft der EGMR den Eingriff im Lichte des gesamten Falles einschließlich der dem Anwalt vorgeworfenen Äußerungen sowie der Umstände, unter denen sie getroffen worden sind. Hierbei prüft der EGMR, ob die von den nationalen Behörden angewendeten Standards mit den Prinzipien des Art. 10 EMRK im Einklang stehen. Ebenso prüft er, ob sich die Behörden auf eine akzeptable Würdigung der relevanten Tatsachen abstützen.
3. Die schwächere Position des Angeklagten, der von einem Polizeibediensteten wegen einer Straftat verhört wird, erfordert bei der Meinungsfreiheit einen stärkeren Schutz hinsichtlich Äußerungen, mit denen das Verhalten des Polizeibediensteten bei diesem Verhör kritisiert wird. Auch wenn Äußerungen einen pflichtbewussten Polizeibediensteten diskreditieren, ist zu beachten, dass die Grenzen der hinzunehmenden Kritik den Umständen entsprechend weiter sein können, wenn sie sich gegen Bedienstete des Staates bei der Ausübung ihrer Zwangsrechte gegenüber Privatpersonen richtet. Auch Bedienstete des Staates sind hingegen nicht von jedem Schutz gegen verletzende und missbräuchliche Angriffe hinsichtlich der Ausübung ihrer Pflichten ausgenommen. Gegen das Zurücktreten der Meinungsfreiheit spricht es jedoch, wenn die Vorwürfe nur vor Gericht und strikt auf das Verhalten im Einzelnen, nicht hingegen gegen die Person als solche gerichtet werden.
1. Art. 315 a EGStGB in der Fassung nach dem 3. Verjährungsgesetz ist in der vom Bundesgerichtshof vertretenen Norminterpretation, wonach Absatz 2 die absolute Verjährung für alle Deliktsgruppen bis zum 2. Oktober 2000 verlängert, mit der Verfassung vereinbar.
2. Als Verjährungsregelung ist Art. 315 a Abs. 1 und Abs. 2 EGStGB nicht am Maßstab des Bestimmtheitsgrundsatzes gemäß Art. 103 Abs. 2 GG zu messen, denn Art. 103 Abs. 2 GG verbietet nur die rückwirkende Strafbegründung sowie die rückwirkende Strafverschärfung. Er besagt dagegen nichts über die Dauer des Zeitraums, während dessen eine in verfassungsmäßiger Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und durch Verhängung der angedrohten Strafe geahndet werden darf (vgl. BVerfGE 25, 269, 286 ff.).
3. Art. 315 a EGStGB verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Denn dem Gesetzgeber bleibt die Auswahl der Parameter überlassen, die für dieselben oder für unterschiedliche Rechtsfolgen den Ausschlag geben sollen, im Rechtssinne also "gleiche" und "ungleiche" Sachverhalte schaffen (vgl. BVerfGE 75, 108, 157; 78, 249, 287). Seine weitgehende Gestaltungsfreiheit endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung der Lebenssachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, weil ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung offensichtlich fehlt, es sich demnach um Regelungen handelt, die unter keinem sachlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt sind und damit als willkürlich erscheinen. Dagegen stellt die vereinigungsbedingte Notsituation der Justiz in den neuen Ländern einen sachlich vertretbaren, am Gerechtigkeitsgedanken orientierte und nachvollziehbare Gesichtspunkt für die Schaffung unterschiedlicher Verjährungsfristen dar.
4. Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann durch das Bundesverfassungsgericht nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass ein Gericht das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich weder erwogen (vgl. BVerfGE 65, 293, 295 f.; 85, 386, 404) noch in den Entscheidungsgründen verarbeitet hat (vgl. BVerfGE 47, 182, 189; 58, 353, 357), wobei letztinstanzliche Entscheidungen von Verfassungs wegen grundsätzlich keiner Begründung bedürfen (BVerfGE 50, 287, 289 f.).
1. Art. 6 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass ein Ausländer als Folge der Verletzung von Strafnormen außerhalb des Bundesgebietes zur Verantwortung gezogen wird Die internationale Offenheit des vom Grundgesetz verfassten Staates sowie sein Interesse an der Durchsetzung des eigenen Strafanspruchs im Ausland überwiegen angesichts der typischerweise schwerwiegenden "auslieferungsfähigen" Straftaten regelmäßig die Schutzwirkung des Art. 6 GG.
2. Aus der Tatsache, dass der Ehepartner des Auszuliefernden die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, folgt nicht, dass der Beschwerdeführer einen Anspruch auf die Unterbringung in einer nach deutschen Vollstreckungsstandards geführten Justizvollzugsanstalt hat.
3. Die Wahrung des Prinzips des Verbotes von Sondergerichten ist im Auslieferungsverfahren nicht anhand des Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern daraufhin zu überprüfen, ob das Gericht des Auslieferungsstaates dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard und den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland genügt (vgl. BVerfGE 59, 280, 282 ff.; 63, 332 337 ff.). Erforderlich ist ein unabhängiger Spruchkörper, der kraft Gesetzes errichtet ist und im Rahmen rechtlich festgelegter Zuständigkeiten nach einem rechtlich geordneten Verfahren durch Richter, deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Rechts wegen gewährleistet ist, Rechtsprechungsfunktionen nach Maßgabe von Rechtsnormen wahrnimmt
4. Die Anwendung und Würdigung einfachen Rechts ist in erster Linie Sache der Fachgerichte (vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.; 62, 189, 192 f.; 85, 248, 257 f.; 95, 96, 127 f.). Das Bundesverfassungsgericht überprüft im Hinblick auf das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG nur, ob die Rechtsanwendung und das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich
vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, die Entscheidung beruhe auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungen (vgl. BVerfGE 80, 48, 51; stRspr).
1. Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Daraus ergeben sich für die Strafgerichte Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die auch bei den im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind. Sie setzen unter anderem Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegen auch Entscheidungen über die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung.
2. Bei der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich zunächst um die Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht, die Sache der Strafgerichte ist. Sie wird vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin nachgeprüft, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 92 f., 72, 105, 113 ff.).
3. Für die tatsächlichen Grundlagen einer Prognoseentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB gilt von Verfassungs wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Es verlangt, dass der Richter die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewertet, verbietet mithin, dass er die Bewertung einer anderen Stelle überlässt. Darüber hinaus fordert es vom Richter, dass er sich ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (vgl. BVerfGE 70, 297, 309 ff.).
4. Eine positive Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB setzt keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus; dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit ist jedoch in angemessener Weise Rechnung zu tragen.
1. Die Wortlautgrenze des § 258 Abs. 1 StGB wird auf Grund seiner Verweisung auf § 11 Nr. 8 StGB nicht überschritten, wenn in der Vereitelung von strafprozessualen Maßnahmen nach § 111d StPO, die der Realisierung der späteren Verfallsanordnung dienen sollen, zugleich auch eine Vereitelungshandlung der Durchsetzung des Verfallsanspruchs selbst gesehen wird.
2. Als spezielles Willkürverbot für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Straftatbestandes schließt aber die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert dabei die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 64, 389, 393 f.; 92, 1, 12). Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen (BVerfGE 92, 1, 12).
3. Das Bestimmtheitsgebot verwehrt es den Strafgerichten nicht, den Wortlaut einer Strafbestimmung weit auszulegen. Gerade wenn der Normzweck eindeutig und offensichtlich ist, kann eine daran orientierte weite Auslegung des Wortsinns geboten sein (vgl. BVerfGE 28, 175; 183; 57, 250, 262).
Hinsichtlich des Zeitpunkts des Tätigwerdens durch die Strafverfolgungsbehörden enthält § 152 Abs. 2 StPO keine Regelung. Es ist jedoch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn aus Gründe der Prozessökonomie und der Ermittlungstaktik, etwa im Interesse einer umfassenden Aufklärung, eine Zurückstellung von Ermittlungshandlungen stattfindet. Die Frage des Einschreitens der Strafverfolgungsbehörden gegenüber einem Beschuldigten hängt dabei erfahrungsgemäß von vielfältigen Einschätzungen auch kriminalpolitischer Natur ab, deren Nachprüfung im Einzelnen dem Bundesverfassungsgericht entzogen ist.
1. Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden darf (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG). Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie die des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts und daher auch die Anstaltsunterbringung gefährlicher Verurteilter zum Schutze der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180, 219; 90, 145, 172).
2. Je länger eine Unterbringung im Maßregelvollzug dauert, desto strenger sind die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, um der Gefahr von Routinebeurteilungen vorzubeugen und sicherzustellen, dass der Richter eine das Gewicht des Freiheitsanspruchs berücksichtigende eigene Entscheidung auf gesicherter Tatsachengrundlage aufbaut. Der Richter hat allgemeine Wendungen zu vermeiden und seine Würdigung eingehend abzufassen, um seine Bewertung substantiiert offen zu legen, nach der die vom Verurteilten ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufwiegt (vgl. BVerfGE 70, 297, 310 f., 316). Die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit muss zur Dauer des erlittenen Freiheitsentzugs in Beziehung gesetzt werden (vgl. BVerfGE 70, 297 311 f.).
1. Das Wohnungsgrundrecht gewährleistet dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse der freien Entfaltung der Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum.
2. Der Richter hat die verfassungsrechtliche Pflicht, durch geeignete Formulierung des Durchsuchungsbefehls im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Grundrechtseingriff messbar und kontrollierbar bleibt. Notwendig hierfür sind insbesondere tatsächliche Angaben über die aufzuklärenden Straftaten bzw. den aufzuklärenden Tatvorwurf, wobei eine nur schlagwortartige Umschreibung nicht ausreicht (vgl. BVerfGE 42, 212, 220 f.).
Das Bundesverfassungsgericht kann dem Beschwerdeführer einer Verfassungsbeschwerde eine Missbrauchsgebühr auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde missbräuchlich ist. Ein Missbrauch liegt unter anderem dann vor, wenn die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und ihre Einlegung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss.