HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Manfred Seebode als Fakultätskollege

Erinnerung an Prof. em. Dr. Manfred Seebode*

Von Prof. Dr. Michael Kahlo, Leipzig

I.

Als wir Leipziger Strafrechtler Manfred Seebode, dem langjährigen Sprecher unserer Fachgruppe an der Juristenfakultät, zu seinem 70. Geburtstag am 15. September 2008 - einer guten akademischen Tradition folgend und mit seinem zuvor eingeholten Einverständnis - "seine Festschrift" überreichten, waren wir zuversichtlich, dass unser Wunsch "ad multos annos" in Erfüllung gehen würde. Zwar war uns nicht verborgen geblieben, dass es schon damals ernsthafte gesundheitliche Probleme gab, die ihn belasteten; aber er machte diese Belastungen - mit Rücksicht auf uns und andere, die er mit seinen Sorgen nicht belasten wollte - so sehr mit sich

alleine ab, dass wir angesichts seiner nach außen gezeigten Vitalität und Lebensfreude glaubten hoffen zu dürfen, dass unser Wunsch für ihn in Erfüllung gehen würde; und dies bis zuletzt.

Indessen ist es anders gekommen: Für mich - wie wohl auch für die meisten anderen Fakultätskollegen - ganz überraschend und viel zu früh ist er am 29. Oktober 2011 verstorben.

Mit dem Faktum seines Todes ging und geht für uns, deren Gemeinschaft er als Mensch und Kollege so sehr bereichert hat, zunächst das Empfinden eines nicht nur endgültigen, sondern totalen Verlusts einher. Und doch, so kann man jedenfalls nach einiger Zeit vielleicht zu hoffen wagen, muss dieses Empfinden im Verhältnis zu einem verstorbenen Kollegen nicht unbedingt der Schlusspunkt sein, schon gar nicht im Hinblick auf einen wissenschaftlich so produktiven Strafrechtslehrer und als Person so liebenswürdigen und respektablen Menschen und Kollegen, wie Manfred Seebode dies gewesen ist. Man kann sich vielmehr seines Werks und seiner Person erinnern, und dies so, dass die Erinnerung das Vorbildliche und insofern auch für uns selbst Orientierende anwesend und lebendig hält.

Nun hatte er es - nach den Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe - nicht gern, allzu sehr in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Zu klar war ihm die Kraft der Eitelkeit bewusst, die sich nur umso stärker entfaltet, wenn einem allzu oft "gehuldigt" wird. Freilich, so lässt sich immerhin einwenden, um diese Kraft kann es bei einer Würdigung nicht gehen, die sich erinnernd auf Person und Werk eines verstorbenen Kollegen bezieht. Und auch der zweite, hypothetische Einwand, der von ihm zu erwarten gewesen wäre, verfängt in seinem Falle nicht, führt doch mit Blick auf ihn, wie sich im Folgenden erweisen wird, die Befolgung der alten Maxime, wonach über Tote nur Gutes geredet werden soll ("de mortuis nisi nihil bene"), gerade nicht zu den von ihm so ungeliebten Beschönigungen, insofern man - sei es auch noch so gut gemeint - ein unrealistisches und folglich in die Irre führendes Bild von dem Verstorbenen zu dessen Lebzeiten zu malen hätte.[1]

Es wird also der (hypothetische) Wille desjenigen, dessen Werk und Person im Folgenden (und überhaupt durch dieses Heft der HRRS) posthum gedacht werden soll, auch nicht dadurch verletzt werden, dass man es unternimmt, im Rückblick ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild von "Manfred Seebode als Fakultätskollege" zu zeichnen.

II.

Kollegialität , so konnte man von Manfred Seebode vorbildlich lernen, ist nicht allein formal durch die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Institution und/oder einer bestimmten Berufsgruppe zu definieren, sondern ist eine Form sachorientierter praktizierter Solidarität, die insbesondere in den Bereichen des akademischen Berufslebens gefordert ist, in denen der Zusammenhalt und das darin begründete Zusammengehörigkeitsgefühl eines Collegiums, etwa angesichts unterschiedlicher Meinungen und Interessen, auf die Bewährungsprobe gestellt wird, in denen sich also immer wieder praktisch erweisen muss, ob man sich auf die Einhaltung bestimmter Verhaltensstandards wechselseitig verlassen und deswegen einander vertrauen kann. Es war seine feste und nach meinen Erfahrungen mit ihm ausnahmslos gelebte Überzeugung, dass solche Solidarität die unverzichtbare Grundlage von Forschung, Lehre und Verwaltung in Universität und Fakultät bildet.

1.) Unter den vielen von ihm vorgelebten Facetten so verstandener Kollegialität ist zunächst insbesondere die Offenheit zu nennen, mit der er einem begegnete,[2] und die sich bei ihm mit einem originären Sinn auch für die Situation sowie den Horizont des kollegialen Anderen verband.

Diese Eigenschaft habe ich zum ersten Mal an ihm anlässlich meiner Bewerbung um die zum WS 1997/98 freigewordene Strafrechtsprofessur an der Leipziger Juristenfakultät erfahren (dürfen), und zwar zum einen an seiner erkennbar aufrichtigen kollegialen Aufgeschlossenheit für die von dem jungen Privatdozenten seinerzeit vorgetragenen Überlegungen zum Grund der Strafbefreiung beim Rücktritt von versuchter Tat; zum anderen dadurch, dass er bei unserem ersten Zusammentreffen nach meiner Bewerbung, Monate später, auf einer Strafrechtslehrertagung (in Berlin) in einer Vortragspause von sich aus auf mich zuging und mich ansprach, um mir zu signalisieren, dass ich mir wegen des erhofften Rufs nach Leipzig keine Sorgen machen solle; Verwaltungsverfahren benötigten, auch in der (ministerialen) Wissenschaftsverwaltung des Freistaates Sachsen, ganz einfach ihre Zeit.

Diese Offenheit im Umgang auch mit heiklen Situationen in Berufungsverfahren (oder auch anderen Fakultätsangelegenheiten) habe ich auch später, inzwischen selbst zu seinem Fach- und Fakultätskollegen geworden, mehrfach an ihm erlebt. So erinnere ich mich daran, wie er mich im Rahmen eines (späteren) Berufungsverfahrens - nach Anhörung der Bewerbungsvorträge - vor dem Beginn der entscheidenden Sitzung der Berufungskommission, in der über die Aufstellung der Liste beraten werden sollte, beiseite nahm, um mir vorab zu sagen, dass er unter dem Eindruck der Vorträge zu einer anderen Reihung der Kandidatinnen und Kandidaten gekommen sei als der, die wir einige Tage zuvor unter dem Vorbehalt der Qualität der Bewerbungsvorträge vorbesprochen hatten, und dass er mich in der bevorstehenden Sitzung damit nicht überraschen wolle.

Als dritter Fall von solcher praktizierter kollegialer Solidarität sei hier ein Vorgang angesprochen, der sich anlässlich seiner bevorstehenden Emeritierung ereignete: So fragte er mich im Hinblick auf sein Ausscheiden, was ich denn davon hielte, wenn die Ausschreibung seiner Nachfolge entsprechend seiner Denomination erfolgen würde? Und, falls ich damit einverstanden sei, hätte er einen jungen Kollegen im Auge, den er bei Gelegenheit der letzten Strafrechtslehrertagung kennengelernt habe und den er mir (und den anderen strafrechtlichen Kollegen) gerne vorstellen würde. - Darauf, seine Intelligenz auch dafür einzusetzen, das Profil und die Besetzung einer vakanten Strafrechtsprofessur (sei es auch seiner eigenen ehemaligen) "mit List und Tücke" oder gar Schlimmerem nach seinem eigenen Sinn einseitig zu bestimmen, wäre er nie gekommen. Vielmehr vertraute er auch hier der Kraft des Arguments sowie der Fruchtbarkeit der offen, sei es auch antagonistisch geführten diskursiven Auseinandersetzung, war ihm doch deutlich bewusst, was man zerstört, wenn man die Kollegialität (Offenheit) im Umgang miteinander durch die "Vermachtung" von Gremien und überhaupt ein durch die Verfolgung von Partikularinteressen geleitetes Verhalten ersetzt.

2.) In den beiden zuletzt erwähnten Beispielen ist eine weitere Facette seines Verständnisses von Kollegialität schon angeklungen: Die Beteiligung an der universitären Selbstverwaltung war ihm Kollegenpflicht. So war er nicht nur über zehn Jahre hinweg Sprecher und Koordinator "seiner" strafrechtlichen Fachgruppe an der Juristenfakultät, sondern war eine Wahlperiode lang Mitglied des Fakultätsrates der Juristenfakultät und hat in seiner aktiven Zeit sehr regelmäßig - häufig auch noch nach seiner Emeritierung - an den monatlichen Sitzungen des Collegiums teilgenommen, und dies obwohl ihm diese Sitzungen, wie ich von ihm selber weiß, nicht immer nur Freude bereitet haben. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich vor allem an eine seiner "Würzburger Geschichten", die er mir im Anschluss an eine einmal wieder eher zäh vergangene Gremiensitzung erzählte: Er habe dort, so berichtete er, einen Kollegen gehabt, der - wie dieser ihm anvertraut habe - über Jahre hinweg nach Gremiensitzungen der Würzburger Fakultät abends stets so missmutig nach Hause gekommen sei, dass seine Ehefrau die Sitzungstermine bereits an seinem Gesichtsausdruck habe ablesen können und ihm nach vielen Jahren stiller Duldung schließlich damit gedroht habe, sie werde sich von ihm scheiden lassen, wenn er auch weiterhin nach Gremiensitzungen derart unleidlich nach Hause komme - woraufhin dieser Kollege seine Mitarbeit in den Gremien abrupt beendet habe.

Er wusste also gut, was ihn erwartete, als er sich selbstverständlich dazu bereit erklärte, das - nach dem damals noch geltenden Grundsatz der Anciennität - eines Tages (wenn ich mich recht entsinne war es im Jahr 2001, also etwa 2 Jahre vor seiner Emeritierung) gewissermaßen auf ihn zulaufende Amt des Dekans der Juristenfakultät zu übernehmen, ohne Rücksicht auf seine damals schon angeschlagene Gesundheit. Und es hat seinerzeit deshalb vieler und langer Gespräche mit ihm bedurft, um ihn am Ende doch davon zu überzeugen, mit Rücksicht auf seine gesundheitliche Verfassung davon Abstand zu nehmen.

3.) Kollegialität als eine Form von Solidarität hat Manfred Seebode auch in der Begegnung mit ihm als strafrechtlichem Fachkollegen praktiziert. Nicht nur, dass er auch mir als deutlich jüngerem Kollegen fachwissenschaftlich stets "auf Augenhöhe" begegnete (wie man heute zu sagen pflegt), zu keiner Zeit also seinen Vorsprung an Denk- und Lebenserfahrung ausgespielt hat. Im Gegenteil: Kam es zu einem Fachgespräch, etwa über einen bei ihm in Arbeit befindlichen Aufsatz, zumeist in seinem Dienstzimmer, auf seiner schwarzen Ledercouch mit Pfeife oder Füllfederhalter in der Hand, erläuterte er mir häufig ganz offen nicht nur seine Gedankengänge mit allen ihren Umwegen, sondern auch seine nach wie vor bestehenden Zweifel an dem gefundenen Ergebnis und fragte offen nach, ob Argumentation und Resultat des Beitrags mich überzeugten.

Es lag ihm nicht, den großen "Strafrechts-Zampano" zu spielen.[3] Vielmehr ermutigte er, umgekehrt, einen dann und wann, einen Text, den man ihm gezeigt oder über den man mit ihm gesprochen hatte, doch zu veröffentlichen; dabei verband er diesen Vorschlag nicht selten damit, dass er sich anerkennend über den Inhalt eines Sonderdrucks äußerte, den man ihm kurz zuvor geschenkt und den er offensichtlich schon gelesen hatte.

4.) Obwohl er Wilhelm von Humboldts Ideal von "Einsamkeit und Freiheit" als Kennzeichnung der Existenz von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern, wie ich finde, sehr nahe kam, nahm er doch auch, oft wunderbar humorvoll, Anteil am akademischen Leben seiner (Fach-)Kollegen. Diese kollegiale Anteilnahme zeigte sich für mich beispielhaft daran, dass er mir zu einem meiner Geburtstage, der in die Zeit meines neunjährigen Studiendekanats fiel, eine Zimmerpalme zur Verschönerung meines Dienstzimmers schenkte und mir diese mit einer Glückwunschkarte überreichte, die ich heute noch besit-

ze und auf der er unter anderem schrieb, er wünsche mir, dass mich die Tätigkeit als Studiendekan in meinem neuen Lebensjahr nicht allzu oft "auf die Palme" bringen werde.

Und lebhaft in Erinnerung habe ich auch den Rat, den er mir zu meinem 50. Geburtstag gab, als er, gestützt auf eigene Erfahrung, seine persönlich überbrachten Glückwünsche mit der ermutigenden Aufforderung verband, die kommenden 10 Jahre intensiv für wissenschaftliche Projekte zu nutzen, da diese Dekade oftmals die letzte im Leben eines Wissenschaftlers sei, in der er unbehelligt durch gesundheitliche Sorgen arbeiten könne.

5.) Einen Sinn hatte er schließlich auch für kollegiale Geselligkeit als ein verbindendes Element im Umgang miteinander. Nicht nur, dass wir uns dann und wann zum Mittagessen verabredeten, bei dem dann übrigens häufig auch über anderes als Strafrecht gesprochen wurde, so dass ich über seine enorme Bildung, etwa auf dem Gebiet der Kunst, zuweilen sehr gestaunt habe. Vielmehr hat er es sich nicht nehmen lassen, die strafrechtlichen Fachkollegen - damals Heribert Schumann, Diethelm Klesczewski und mich - auch zu sich nach Hause zu einem schönen Abendessen mit mehreren Gängen einzuladen. Und zu erinnern ist hier auch etwa an seine großzügige Einladung im Anschluss an die Übergabe der ihm gewidmeten Festschrift in Leipzig, die neben den Beiträgerinnen und Beiträgern zu diesem Buch auch alle Fakultätsmitglieder einschloss.

III.

Als strafrechtswissenschaftlicher Fachkollege verband er aus meiner fakultätskollegialen Sicht Festigkeit im Grundsätzlichen mit einer beispielhaften Humanität in seinem Strafrechtsdenken.

1.) So ging Manfred Seebodes Denken (und dementsprechend auch seine wissenschaftlichen Arbeiten) von der festen Überzeugung aus, dass jede Wissenschaft - zumal die Strafrechtswissenschaft als ein die Wirklichkeit von Strafgerechtigkeit bezweckende Theoriezusammenhang - auf rational gesicherte, gewiss historisch sich entwickelnde, jedoch als solche nicht zu verhandelnde Prinzipien aufbaut, die - wie zum Beispiel das Prinzip der Strafgesetzlichkeit (Art. 103 Abs. 2 GG) - überwiegend ihren Niederschlag bereits in den Verfassungen moderner, republikanisch verfasster Staaten gefunden haben. Der zeitgenössische Zug zur "Flexibilisierung des Strafrechts" (Naucke)[4] war ihm nicht nur vollkommen fremd, sondern ein Dorn im Auge. Von den - wie Immanuel Kant dies einmal formulierte - "Modetönen des Zeitalters" ließ Manfred Seebodes Denken und Handeln sich nicht beeindrucken. Es war und blieb zeit seines Lebens ein prinzipienfestes und gerade deshalb skrupulöses Ringen um tragfähige Begründungen für eine humane Strafrechtstheorie und -praxis, die nicht selten von der "herrschenden Meinung" abwichen. Dabei verbanden sich seine wissenschaftlichen Skrupel - wie er mir einmal sagte, gehe es ihm jedenfalls mit Festschriftbeiträgen nicht selten so, dass er nach ihrer terminsbedingten Fertigstellung und Abgabe am Ende das Gefühl habe, es hätte sich auch die Gegenposition mit guten Gründen einnehmen lassen - nicht etwa mit relativistischen Vorstellungen von Strafrechtswissenschaft, sondern gemeint war eher die in dem alten "ars longa, vita brevis" zum Ausdruck kommende Einsicht, dass ein Menschenleben (und gar ein bloßer Lebensabschnitt) viel zu kurz ist, um den letztlich bewegenden Fragen auf den Grund zu kommen; ein Ausdruck also von sokratischer Bescheidenheit.

2.) Und gerade diese Einsicht ist es wohl gewesen, in der die schon erwähnte Humanität seiner strafrechtlichen Überzeugungen ihre Wurzeln hatte. Nicht nur, dass seine Forschung und Lehre sich nicht allein auf die Dogmatik des Allgemeinen und Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs und auf das Strafverfahrensrecht beschränkte, sondern diese Dogmatik mit Kriminologie und Haftvollzug verband; er nahm vielmehr von Anfang an, soweit dies möglich war, auch wirklich Anteil am Schicksal Strafgefangener.[5]

So hatte ich das große Glück, im Sommersemester 2008, also lange nach seiner Emeritierung, ein Seminar zum "Strafvollzug" mit ihm veranstalten zu dürfen, in dem ich nicht nur sehr viel von ihm lernen konnte über die Empirie und Theorie dieser Materie, sondern an dessen Ende auch ein gemeinsamer Besuch der im Volksmund und in Häftlingskreisen "Roter Ochse" genannten, weil aus roten Steinen gebaute Haftvollzugsanstalt in Halle mit den Studierenden stand, bei dem zu merken war, wie sehr er sich für die Biographien der Inhaftierten und die realen Bedingungen von deren Strafhaft interessierte und einsetzte und gerade deswegen ein hohes Ansehen bei der "Gefängnisleitung" genoss.

Auch, dass er schon 1983 in den von ihm herausgegebenen "Mitteilungen einer Untersuchungsgefangenen" dieser eine eigene Plattform dafür gab, sich mit der Wirklichkeit ihres U-Haftvollzuges auseinanderzusetzen, gehört hierher.

Und schließlich kenne ich außer ihm (mit Ausnahme seines Nachfolgers, Hendrik Schneider, dem Manfred Seebode das Bild "hinterlassen" hatte) keine Strafrechtskollegin und keinen Strafrechtskollegen, in deren bzw. dessen

Dienstzimmer ein Ölbild eines Strafhäftlings hängt, das die Gefängnismauern aus der Hof-Perspektive einer JVA zeigt.[6]

3.) Feste althergebrachte Grundsätze vertrat Manfred Seebode als Kollege auch angesichts der aktuellen Hochschulpolitik: Die Erhebung der Einwerbung von insbesondere privaten Drittmitteln zu einer Dienstpflicht für Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer zu machen, hielt er - wie auch ich meine: sehr zu Recht - ebenso für einen Irrweg wie die nur scheinbar moderne Vorstellung, man könne rechtswissenschaftliche Forschungsleistungen von außen, gleichsam "nach Zahl, Maß und Gewicht", bewerten und deswegen zur Grundlage einer sog. leistungsorientierten Besoldung machen.[7]

Sehr gut erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an den Besuch eines früheren Kanzlers der Universität Leipzig an der Juristenfakultät, der den Zweck hatte, uns das damals neue Drittmittelkonzept der Universität nahezubringen und uns dazu aufzufordern, doch mehr an solchen Mitteln einzuwerben, was Manfred Seebode dadurch beantwortete, dass er in seiner offenen, direkten Art darauf verwies, wie unrealistisch sich diese Aufforderung für einen Strafrechtswissenschaftler wie ihn ausnehme, es sei denn, er nehme das "großzügige" Angebot der "Scientology Church" an, die unlängst bei ihm angefragt habe, ob er sich vorstellen könne, für diese Rechtsgutachten zur Legalität von deren Praxis der Einwerbung von Mitgliedern zu machen.

IV.

Was fehlt ist noch ein kurzer Blick auf Manfred Seebode als Mensch, so wie er als Privatmann innerhalb und außerhalb der Fakultät erlebbar war.

Als solcher kam er mir von Anfang an als ein "stattlicher Herr" im besten Sinne vor, also ohne jeden Dünkel, immer gut angezogen, den angenehmen Seiten des Lebens bei allem Arbeitsfleiß, also stets nach getaner Arbeit, nicht abgeneigt. An einem guten Essen hatte er ebensolche Freude wie an einem guten Wein, wobei er önologisch vorrangig fränkisch sozialisiert gewesen ist, ohne sich dabei freilich auf Frankenweine wie den Würzburger Silvaner (im Bocksbeutel) zu beschränken.

Besonders zu den warmen Jahreszeiten konnte man ihn während seiner Mittags- oder Kaffeepause in seinem "Stammrestaurant" in Leipzig, unweit der Fakultät, die Tageszeitung lesend antreffen, am liebsten auf der Terrasse in der Sonne sitzend. Dabei meist Pfeife rauchend. Überhaupt war die Tabakspfeife so etwas wie ein Persönlichkeitsmerkmal.[8]

Der Liberalität seines wissenschaftlichen und politischen Denkens entsprach ein hohes Maß an persönlicher Individualität, die er in ganz verschiedenen Hinsichten lebte. So verfügte er als Freund, ja Liebhaber von alten, großen Limousinen ("Oldtimern"), die irgendwie stets zu ihm passten, immer über mehrere dieser Fahrzeuge, die er, wie mir schien: "nach Lust und Laune", abwechselnd nutzte. Mit ihnen pendelte er, zunehmend nach seiner Emeritierung, auch zwischen Leipzig und Ligurien, wo er ein Domizil besaß. Dass er sich auf diesem zuweilen sogar selbst handwerklich betätigte, erfuhr ich anlässlich eines Anrufs bei ihm in Italien dadurch, dass er unser Ferngespräch damit begann mir zu erklären, er sei gerade dabei, ein Mäuerchen zu reparieren; und dass er während dieser Arbeitstätigkeit sich auch noch die "Essais" von Montaigne in Form eines Hörbuchs "zu Gemüte führte", gehörte seinerzeit für mich zu den ganz überraschenden Facetten seiner auch sonst in mancher Hinsicht (im positiven, erfrischenden Sinn) unkonventionellen Lebensführung.

Im Umgang mit Anderen war Manfred Seebode ausgesprochen großzügig und hilfsbereit, und dies im Verhältnis zu "seiner Fachgruppe" auch über seine Emeritierung hinaus: Nicht nur, dass er an vielen der regelmäßigen Fachgruppentreffen der Leipziger Strafrechtler auch weiterhin teilnahm, sondern er war es auch, von dem der Vorschlag für das Generalthema der Leipziger Strafrechtslehrertagung (2011) kam[9] und uns "Aktiven" bei der Vorbereitung dieser Tagung mit Rat und Tat behilflich war, nicht

zuletzt auch dadurch, dass er seine guten Kontakte zu der damaligen Bundesministerin der Justiz (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger) dazu nutzte, diese für einen Einführungsvortrag zu dem Kongress zu gewinnen.

V.

Damit bin ich am Ende meiner Erinnerung an "Manfred Seebode als Fakultätskollege" angelangt, die ich - wie dies nicht nur aufgrund des "genius loccii lipsiensis", sondern auch wegen meiner eigenen wissenschaftlichen Herkunft aus Frankfurt am Main naheliegt - nicht zufällig mit dem Rekurs auf ein Goethe-Zitat beschließen möchte: "Wer philosophiert", hat Goethe einmal formuliert, "ist mit den Vorstellungen seiner Zeit nicht einig".[10] Auch Manfred Seebode war als Strafrechtskollege mit vielen gegenwärtig vorherrschenden und praktizierten Vorstellungen im Strafrecht und im Universitätsleben nicht einig. Insofern könnte man ihn - auch wenn er selbst sich ganz gewiss, schon aus Bescheidenheit, dagegen verwahrt hätte - auch einen Philosophen nennen. Dies freilich nicht im strikten, herkömmlichen Sinn, wohl aber im Sinne eines Akademikers, der sich als Strafrechtswissenschaftler Zeit seines Lebens eindringlich darum bemüht hat, der Wahrheit - im Strafrecht also: den Bedingungen der Strafgerechtigkeit - auf den Grund zu kommen. Als Fakultätskollege, Ratgeber und Gesprächspartner fehlt er mir, aber gewiss nicht weniger der Fakultät und der gesamten "Zunft" sehr. Nicht nur sein Lachen werde ich Zeit meines Lebens nicht vergessen.


* 15. September 1938 † 29. Oktober 2011. Der Beitrag ist die für die Veröffentlichung überarbeitete Fassung des Vortrags, den der Verfasser am 2. November 2012 im Rahmen der Akademischen Gedächtnisfeier für Manfred Seebode im Alten Senatssaal der Universität Leipzig gehalten hat.

[1] In jüngster Zeit scheint freilich auch das Gegenteil "in Mode zu kommen". Angetrieben durch die Sensationslust von Massenmedien, hat man damit begonnen, die "dunklen Seiten" im Leben verstorbener ehemaliger "Personen der Zeitgeschichte" aufzuspüren und über die dabei gefundenen "Erkenntnisse" zu berichten, und dies ohne Rücksicht darauf, dass die Verstorbenen sich selbst nicht mehr zur Wehr setzen können und die hinterbliebenen Angehörigen in aller Regel durch Trauerarbeit und Anderes absorbiert sind, sie also meistens ebenfalls nicht in der Lage dazu sind, sich stellvertretend für die verstorbene Person zur Wehr zu setzen. Als Beispiel solcher "postmortaler Wahrheitsfindung" sei hier nur auf zahlreiche neuere Berichte über das Privatleben John F. Kennedys verwiesen, der vor 50 Jahren (am 22. November 1963) einem Attentat zum Opfer gefallen ist.

[2] Diese Einstellung mag einem gerade unter Gebildeten selbstverständlich erscheinen, und doch ist sie es nicht, wie wohl jeder bestätigen kann, dem die Verhältnisse und manche Praxis im universitären Alltag aus eigener Erfahrung geläufig sind. - Schon Kant hat in seiner bahnbrechenden Untersuchung der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (1785) im Ersten Abschnitt ("Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen") realistisch und treffend darauf hingewiesen, dass der "gemeine Verstand" (wie er es formulierte) in seinem praktischen Beurteilungsvermögen "beinahe noch sicherer" sei als der Verstand von Intellektuellen (Kant spricht hier stellvertretend vom "Philosophen"), weil dessen Urteil sich typischerweise "durch eine Menge fremder, nicht zur Sache gehöriger Erwägungen leicht verwirren und von der geraden Richtung abweichend machen kann" (vgl. GMS, Edition Weischedel Band VI, S. 31 unten.).

[3] So nutzte er etwa auch die Schilderung seiner verschiedenen Beteiligungen als Gutachter in Strafgesetzgebungsverfahren (vgl. dazu Verf., Vorwort zur "Festschrift für Manfred Seebode", Berlin (2008), S. XVII/XVIII) niemals dazu, seine Person, etwa durch die Ausschmückung seines "Auftritts" vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, hervorzuheben. Vielmehr waren seine diesbezüglichen Erfahrungsberichte meist eher Berichte über die (organisierte) "Ohnmacht der Vernunft" in diesen Verfahren, die ihren Ausgang schon von der erkennbar ergebnisorientierten Zusammenstellung der Gutachter nahm.

[4] Darstellend und kritisch dazu vor allem Wolfgang Naucke, Strafrecht. Eine Einführung, 10. Auflage, Neuwied und Kriftel (2002), § 2 Rn. 32 ff., bes. Rn. 43 - 45 (zur Gewaltenteilung) sowie Rn. 52 (zur Flexibilisierung der gesetzlichen Straftatbeschreibungen und der Strafrahmenbestimmungen) und öfter; ähnlich bereits ders., Versuch über den aktuellen Stil des Rechts, Kiel 1986, sowie ders., Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Materialien zur neueren Strafrechtsgeschichte, Baden-Baden (2000).

[5] Vgl. dazu, wie Manfred Seebode bereits als junger Assistent in Würzburg Anteil am Leben von vor allem jugendlichen (Straf-) Gefangenen nahm und sich im Rahmen der von ihm gegründeten "Aktionsgemeinschaft Sozialisation" um Hafterleichterungen für diese sowie darum bemühte, den aus der Haft Entlassenen bei ihrem Übergang in ihr neues Leben in Freiheit behilflich zu sein, näher Bernd-Jochen Strubel, Manfred Seebode als Rechtspolitiker, in: Michael Kahlo u. a. (Hrsg.), Im Zweifel für die Freiheit. Gedächtnisschrift für Manfred Seebode (erweiterte Buchfassung), erscheint demnächst.

[6] Dazu passt auch, dass er mir einmal eine Weinflasche von der württembergischen Staatsdomäne Hohraindorf, Talheim (1998er Talheimer Hohe Eiche, Spätburgunder Kabinett) mitbrachte, die nach seinen Angaben den einzigen deutschen Wein herstellt, an dessen Produktion Strafhäftlinge beteiligt sind.

[7] Dass die gesetzliche Realisierung dieser "Reformidee" - wie weiterer hochschulpolitischer Gesetzesprojekte der zwischen 1998 und 2005 zuständigen und (mit-)verantwortlichen Ministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn - schließlich in verfassungswidrigen Formen erfolgte (vgl. dazu nur die Entscheidung des BVerfG vom 14. Februar 2012, 2 BvL 4/10 zur Verfassungswidrigkeit der hessischen Besoldungsordnung), hat das Abwegige dieses Irrweges nur umso deutlicher erkennbar gemacht. Dabei stellt die verfassungsgerichtliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit nur die äußerste Grenze des Ungerechten dar. Auch diesseits dieser Grenze war die "Reformidee", wie sich schnell zeigte, nichts anderes als der Versuch, unter dem verschleiernden Deckmantel angeblich leistungsgerechter Besoldung (die es zuvor ja dann wohl nicht gegeben haben soll) die Bezahlung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern praktisch flächendeckend abzusenken und diese so zu Zusatzleistungen und zusätzlichen Anstrengungen zu zwingen. Angesichts dessen erscheint es schon bemerkenswert, dass ausgerechnet die gleich für mehrere verfassungswidrige Hochschulgesetze des Bundes und deren landesrechtliche Konkretisierung (mit-) verantwortliche (ehemalige) Ministerin und heutige Abgeordnete des deutschen Bundestages seit dem 22. Oktober 2013 das Amt einer stellvertretenden Bundestagspräsidentin bekleidet.

[8] Dementsprechend hat Jan Zopfs, Strafrechtkollege aus Mainz, der vor seinem Wechsel nach Mainz ein Semester lang in Leipzig gewesen ist, in einem Brief an mich sehr anschaulich wie folgt geschrieben: "Mir ist der Pfeife rauchende Manfred Seebode in seinem gemütlichen Eckzimmer in der Otto-Schill-Straße 2 (dem früheren Sitz der Fakultät bis 2001; Einfügung vom Verf. dieses Beitrags) noch in guter Erinnerung, obwohl es nun schon 12 Jahre her ist."

[9] "Fragmentarisches Strafrecht in einer global vernetzten Welt?"

[10] Zitiert nach Stephan Sattler, Vorwort zu Robert Spaemann, Über Gott und die Welt, Stuttgart (2012), S. 9.