HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2012
13. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Einflüsse auf die Strafverteidigung - interne und externe Faktoren

Dr. Lorenz Leitmeier, München[*]

In einer Außenansicht machte Gisela Friedrichsen jüngst im Strafverteidiger[1] massive Veränderungen des Strafprozesses in den letzten Jahren aus, die sich ihrerseits gravierend auf die Strafverteidigung auswirkten – vor allem das "kaum noch beherrschbare Interesse der Medien"[2], die "wie ein Krebsgeschwür wuchernde Verständigung"[3], die "neue Rolle des Opfers"[4] und die "Stärkung der Persönlichkeitsrechte"[5] führte sie als bestimmende Faktoren an. Gerichtsverhandlungen würden mehr und mehr aus den Sitzungssälen in die Medien und die (verschlossenen) Besprechungszimmer verlagert.

Die nachfolgende Kritik dieser Thesen zeigt, dass die angeführten Einflussfaktoren grandios überschätzt werden; im Kern hat sich die Strafverteidigung viel weniger verändert, als es bei erster Betrachtung scheint:

I. Die Medien

Friedrichsen ist darin Recht zu geben, dass Strafrecht Unterhaltungswert hat und das Interesse der Medien findet.[6] Dies war allerdings immer schon so, wenngleich natürlich im Zeitalter des Internets und der zahllosen Privatsender "mehr Medien" als früher von Prozessen berichten. Falsch ist jedoch der Befund, wonach die Medien die Strafjustiz "erheblich verändert"[7] hätten – im Kern bleibt die Strafjustiz die gleiche. Zwei Beispiele machen dies deutlich: "Kachelmann" und das "Badewannen-Urteil".

a) "Kachelmann"

Friedrichsen selbst nennt "Kachelmann" als Beispiel für eine "Justiz, die sich unter dem Einfluss der Medien derart verändert hat, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe kaum noch gerecht werden kann."[8]

Tatsächlich allerdings ist im "Verfahren Kachelmann" nur eine Institution ihrer Aufgabe gerecht geworden: Das Landgericht Mannheim. Es hatte über eine Anklage zu

befinden, die bei erbrachtem Tatnachweis einen Strafrahmen von fünf bis fünfzehn Jahren vorsieht. Die beweisrechtliche Ausgangslage war höchst undankbar: Aussage gegen Aussage bei massivem Tatvorwurf. Bei dem vorgeworfenen Delikt der (qualifizierten) Vergewaltigung ist ein Gericht aber strukturell immer in einem Dilemma – der Tatvorwurf muss eingehend geprüft werden, gerade bei Aussage gegen Aussage sind die Beweise umfassend zu würdigen. Und "Würdigen" ist mehr als "Zur-Kenntnis-Nehmen": Die Version des Angeklagten und die der (mutmaßlich) Geschädigten müssen – ein Ermessen gibt es hier nicht! – intensiv hinterfragt und kritisch analysiert werden.

Dabei werden zwangsläufig Angeklagter (sofern er sich einlässt) und (mutmaßlich) Geschädigte persönliche und intime Antworten auf persönliche und intime Fragen geben müssen. Dies kann ein Gericht nur verhindern, wenn es einer Seite a priori mehr glaubt als der anderen – dies darf es aber nicht. In dieser Konstellation sind Beschädigungen unvermeidlich; für diese Beschädigungen ist aber im Kern nicht das Gericht verantwortlich. Die Medien indes haben "ihren eigenen Prozess" geführt, mit den bekannten Protagonisten auf jeder Seite: Bild und Bunte haben verurteilt, Spiegel und Zeit freigesprochen – lange bevor das Landgericht Mannheim sein Urteil gefällt hat.[9]

Im Schatten dieses Medienprozesses, der mit selten erlebter Härte geführt wurde und mit objektiver Berichterstattung aus einem Gericht wirklich nichts mehr zu tun hatte,[10] musste das Landgericht Mannheim mit den Mitteln der StPO den Sachverhalt aufklären und zu einem gut begründeten Urteil finden – und hat das mit Bravour gemacht. Das Urteil "Freispruch in dubio pro reo" nach umfassender Beweisaufnahme ist in einem solchen Prozess nicht überraschend; es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass das Gericht sich von "den Medien" treiben ließ. Das Landgericht hat seine Arbeit gemacht, und dies offensichtlich um Welten objektiver als "die Medien".

b) "Das Badewannen-Urteil"

In einem Indizienprozess vor dem Landgericht München II, über den auch Friedrichsen mehrmals berichtete,[11] wurde der Angeklagte wegen Mordes verurteilt; der BGH hob das Urteil auf, weil das Landgericht ein anderes Mordmerkmal als angeklagt annahm und nicht darauf hingewiesen hatte. Im zweiten Prozess wurde der Angeklagte von einer anderen Kammer des Landgerichts erneut verurteilt, der BGH bestätigte dieses Urteil.

Während des (zweiten) Prozesses berichtete die Süddeutsche Zeitung von einem "Mord, der keiner war."[12] Nach dem Plädoyer des Staatsanwalts, in dem dieser eine Verurteilung wegen Mordes beantragte, forderte die SZ in einem Kommentar, die bayerische Justiz möge für den Staatsanwalt eine Verwendung finden, in der er keinen Schaden anrichte.[13]

Die führende meinungsbildende Zeitung im Gerichtsbezirk propagierte also, dass in diesem Verfahren nur ein Freispruch möglich sei, baute also maximalen Druck auf. Was machte indes das Gericht? Es ließ sich hiervon nicht beeinflussen, jedenfalls nicht in der Urteilsfindung: Auch im Wissen, dass es nach Ansicht der SZ das Recht beugen würde, verurteilte es den Angeklagten wegen Mordes.

Ob das Urteil inhaltlich zutreffend ist, kann hier nicht beurteilt werden.[14] Systemtheoretisch aufschlussreich ist jedoch, nicht anders als im "Fall Kachelmann": Das "(Sub-)System Recht" ist weitgehend autonom und wenig beeinflussbar vom "(Sub-)System Medien" – jedenfalls ist die Einflussnahme viel schwächer, als "den Medien" zumeist zugeschrieben wird. Die Medien können weder Freisprüche noch Verurteilungen "herbeischreiben", sie wirken in keinem Gerichtsverfahren konstitutiv mit. Gerichtsreporter als "aktive Größe in einem Prozess" gibt es in der Zeitung,[15] aber nicht im Gericht. Die autonome Vorgabe des Systems Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG, die Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz, und die strengen prozeduralen Regeln der StPO (die durch ihre Verfahrensrationalität das Recht an die Moral rückkoppeln und dadurch Legitimität herstellen[16]) sind jedenfalls nicht nur juristisch die einzig relevante Größe, auch tatsächlich stabilisieren nur sie das Rechtssystem.

Die Medien tun das, was sie sollen und wofür sie unverzichtbar sind: Sie stellen Öffentlichkeit her, sie geben das Prozessgeschehen wieder, sie kontrollieren die Justiz. Das haben sie allerdings schon immer getan, weiter reicht ihre Macht nicht: Sie steuern keinen Prozess maß-

geblich, erst recht können sie einen Prozess nicht manipulieren. Im Sinne Niklas Luhmanns ist das System Recht also "informationell offen", gleichzeitig "operativ geschlossen".[17] Die "informationelle Offenheit" bewirkt eine strukturelle Koppelung: Das mediale Echo dringt zu den Entscheidern vor, die Berichterstattung beeinflusst die Richter, "ob diese wollen oder nicht".[18] Dieser Einfluss mag die Entscheidungsträger dazu bringen, die prozessuale Wirklichkeit in die ein oder andere Richtung akzentuiert zu konstituieren, maßgebliche Entscheidungsregel für die Urteile bleibt jedoch die StPO, der "binäre Code" des Rechtssystems ("Recht – Unrecht") ist nicht entscheidend von außen zu beeinflussen.

Für die Strafverteidigung bedeutet dies Kontinuität: So wie bisher hat sie es auch im "Zeitalter 2.0" im Strafverfahren mit der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und eventuell mit Nebenklägern zu tun. Die Medien hingegen sind kein Prozessbeteiligter. Wer als Strafverteidiger die Deutungshoheit im Gerichtssaal hat, braucht sie nicht in den Medien; umgekehrt hilft ihm die Deutungshoheit in den Medien nichts, wenn er sie im Gerichtssaal nicht erringt.

II. Die Verständigung

Wer die Verständigung als "Krebsgeschwür"[19], als "bösartigen, wuchernden Tumor"[20] bezeichnet, wählt ein verstörendes Bild: Er suggeriert, der BGH habe in seinem Beschluss vom 3. März 2005[21], der Gesetzgeber habe mit § 257c StPO den Strafprozess qualvoll verenden lassen.

Tatsächlich gibt es ernste Fragen zum "Deal", grundlegend rechtsphilosophische (Kann konsensorientiertes Denken, kann der Vertragsgedanke als Rechtskategorie auch im asymmetrischen Strafprozess autoritative Geltung erzeugen?[22] Ist in dem auf Wahrheit ausgerichteten Strafverfahren Raum für utilitaristisches Kalkül?[23]) und konkret grundrechtliche (Wurde das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren gem. Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gewahrt?[24]). Friedrichsen hat Recht, wenn sie das "konsensuale Verteidigen" als begrifflich paradox darstellt,[25] ihre Vorbehalte gegen die Verständigung sind seit langem bekannt:[26] Es werde "gemauschelt und hingebogen",[27] mit dem Recht umgegangen "wie mit einer billigen Handelsware".[28]

Ein unhaltbares Zerrbild entwirft Friedrichsen aber, wenn sie pauschal feststellt: "Die Richter lehnen sich zurück, ignorieren den Angeklagten und seinen Verteidiger, wissend, dass sie ohnehin die Trümpfe in der Hand haben. Was kann ihnen schon passieren? Nichts."[29] Der Richter, der eine günstige Strafe bei Geständnis anbietet und es im Fall der streitigen Verhandlung "richtig krachen lässt" – dieses Bild ist dann doch zu unterkomplex und verfehlt die Rechtswirklichkeit; insbesondere, da der Angeklagte ein Rechtsmittel hat.

Aber selbst wenn Friedrichsen Recht hätte und der "Deal" den Strafprozess torpedierte – das Argument geht an der Sache vorbei, es beweist nicht, was es beweisen soll: Für die Strafverteidigung ändert sich im Kern nicht viel. Allein relevant ist zunächst: Der "Deal" ist Realität,[30] ein Verteidiger muss damit umgehen, genauso wie im übrigen ein Staatsanwalt. Und ein guter Strafverteidiger wird die "Verständigung" als Option in seinem strafprozessualen "Werkzeugkasten" haben und sie so einsetzen, wie er das Schweigerecht seines Mandanten, das Beweisantragsrecht, das Fragerecht und alle anderen strafprozessualen Rechte einsetzt. Gute Verteidiger regen eine Verständigung an, wenn damit genau das Ziel zu erreichen ist, das die Verständigung legitimiert: Wenn die Vernehmung eines oder mehrerer Geschädigter – möglicherweise Kinder in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs – dadurch zu vermeiden ist, oder wenn die Beweise für eine Verurteilung ziemlich sicher reichen, die Abkürzung durch eine verschlankte Beweisaufnahme aber tatsächlich alle entlastet.

Und wer als Staatsanwalt in einer "Verständigung" schon einmal gehört hat: "Entweder mein Mandant bekommt eine Bewährungsstrafe, oder die Kinder werden umfassend vernommen – von mir, von einem Gutachter, und von der nächsten Instanz!", der weiß, dass der "Deal" auch vom Verteidiger als Waffe missbraucht werden kann.

Die Verständigung ist eine zwar spürbare Neuerung im Strafprozess, letztlich aber auch nur eine weitere strafprozessuale Option der Prozessbeteiligten. Die Verständigung mag das Gefälle zwischen Gericht und Verteidigung verstärken, da sie dem Gericht stärkere Macht verleiht als dem Verteidiger, innerhalb der grundsätzlich bestehenden Asymmetrie zwischen Gericht und Verteidigung belässt aber auch dieses Rechtsinstitut dem (gut

vorbereiteten und) geschickt agierenden Verteidiger genug Spielraum, seinen Mandanten ordentlich zu verteidigen. Der gute Verteidiger nutzt die Verständigung gut, der nicht so gute Verteidiger lamentiert.

Dass sich im Prinzip nicht so viel geändert hat, wie stereotyp behauptet, zeigt Friedrichsen selbst: Sie führt am Beispiel des "Exorzisten-Prozesses" vor, dass Erich Schmidt-Leichner vor Einführung der Verständigung eine streitige Verhandlung scharf führte, auf Freispruch plädierte (was allerdings nach Ansicht Friedrichsens "fern lag"[31]), die Angeklagten indes härter bestraft wurden, als von der Staatsanwaltschaft gefordert.[32] Ein solcher Verhandlungsverlauf wäre ohne die leiseste Abwandlung auch heute – nach Einführung des § 257c StPO – möglich. Jedem Verteidiger steht es frei, einen streitigen Prozess zu führen, fernliegende Freisprüche zu beantragen und Verurteilungen über dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu erzielen; der ein oder andere Strafverteidiger würde aber möglicherweise die Verständigung mit dem Gericht suchen, die Erweiterung seiner Handlungsoptionen begrüßen.

III. Nebenkläger- und Persönlichkeitsrechte

Nebenkläger bewirken keinen Wandel in der Strafverteidigung:

Friedrichsens Beispiele – die Prozesse gegen Verena Becker und den Vater des Winnenden-Attentäters[33] – sind methodisch als Argument bereits deshalb fragwürdig, weil diese Fälle exzeptionell und sicher nicht charakteristisch für den Strafprozess und damit die Strafverteidigung sind. Beide Fälle haben die Bundesrepublik (zeitgeschichtlich) geprägt, den typischen Strafprozess bilden sie nicht ab. Ungeachtet dessen zeigen aber auch sie keine wesentliche Änderung der Strafverteidigung: Mit Prozessbeteiligten, die ihre Rechte umfassend wahrnehmen, muss jeder Strafverteidiger von jeher zurechtkommen; im übrigen muss das auch jeder Staatsanwalt und jedes Gericht.

Und eine höhere Zahl an Nebenklägern – wobei zwanzig[34] sicher ausnehmend viele sind – kann ein Strafverteidiger auch handhaben; im übrigen muss das auch jeder Staatsanwalt und jedes Gericht. Wer als Beteiligter in einem zivilrechtlichen Baurechtsprozess mitwirkt, den dürfen auch zehn Nebenintervenienten nicht aus der Fassung bringen – die höhere Zahl der Beteiligten ist der höheren Komplexität geschuldet.

Die von Friedrichsen angeführte Stärkung der Persönlichkeitsrechte von Prozessbeteiligten schließlich tangiert nur die Medien, nicht die Strafverteidigung. Wenn Siegfried Kauder als Vorsitzender des Rechtsausschusses in Reaktion auf den Kachelmann-Prozess fordert, die Intimsphäre der Betroffenen dürfe nicht umfassend bis in den letzten Winkel öffentlich ausgeleuchtet werden,[35] verändert eine solche Forderung bei keinem einzigen seriösen Prozessbeteiligten auch nur eine Handlungsmaxime. Im Gegenteil: Diese Forderung wird jeder, wirklich jeder unterstützen, der seinen Beruf im Gerichtssaal gewissenhaft erfüllt. Kein einziger Rechtsanwalt wird sein Verteidigungsverhalten ändern oder sich gar in seiner Strafverteidigung dadurch beeinträchtigt fühlen, dass er die Intimsphäre von Angeklagten oder Zeugen respektieren möge. Freilich besteht hier ein sehr schwieriges Spannungsfeld zwischen der Aufklärungspflicht des Gerichts und dem Persönlichkeitsrecht der Beteiligten; eine Beschränkung des Fragerechts erweitert nicht nur den Opfer-/Zeugenschutz, sondern verkürzt zugleich die Verteidigungsrechte des Angeklagten. Insgesamt jedoch unterliegt das Fragerecht sehr weit gesteckten Grenzen, auf die menschliche Würde ist "Bedacht zu nehmen" im Rahmen der "vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung".[36] Beweiserhebungen zu Privat- und Intimleben sind sorgfältig auf ihre Unerlässlichkeit zu prüfen; hält das Gericht aber Fragen dazu für notwendig, ist die Intimsphäre von Zeugen nicht tabu. Wenn hier die Grenze etwas enger gezogen werden soll, und einige Fragen nicht mehr unter dem Globalaspekt "Glaubwürdigkeit des Zeugen" gestellt werden dürften, mag das die Verteidigung tangieren; dadurch wird aber noch nicht der Opferschutz gegen die Beschuldigtenrechte in Stellung gebracht, wird der Angeklagte noch nicht durch falsch verstandene Zeugenfürsorge ausgespielt. Und wer den Unterschied erlebt hat zwischen einer sachlich und respektvoll – gerade kontrovers, mitunter auch hart – geführten Verhandlung bei Sexualdelikten und einer unsachlich geführten, der wünscht sich, dass Kauders Forderung bereits morgen (strafbewehrtes) Gesetz wird.

Für die Medien mag das von Friedrichsen zitierte Urteil des OLG Köln vom 14.2.2012 die Welt bedeuten, wonach aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen nur eingeschränkt berichtet werden darf, insbesondere über Äußerungen von Prozessbeteiligten zu Vorgängen aus dem Sexualbereich;[37] für die gute Strafverteidigung hingegen ist dieses Urteil deklaratorisch.

IV. Fazit

Die Strafverteidigung ist wie alle professionellen Tätigkeiten eine evolutive Angelegenheit, sie ändert sich. Diese Änderungen sind allerdings viel weniger stark, als häufig angenommen; insbesondere die von Friedrichsen angeführten Faktoren sind weit überschätzt: Das System Recht funktioniert nach den eigenen (verfassungsgemäßen) Regeln, die Medien als externer Faktor können auf dieses System nur sehr überschaubar einwirken. Vielleicht lässt sich der ein oder andere Richter mit Blick auf die (vermutete) Berichterstattung beeindrucken, und wird von dem (menschlich verständlichen) Bemühen getrieben, "in der Öffentlichkeit gut dazustehen", struk-

turell ist das Rechtssystem durch "die Medien" aber nicht steuer- oder gar manipulierbar.[38]

Die "Verständigung" kann einen (grundlegenden) Wandel in der Strafverteidigung nicht herbeiführen: Absprachen sind seit Jahrzehnten virulent, das Phänomen ist seit 30 Jahren bekannt[39]; damit lässt sich ein "Wandel" nicht mehr begründen. Zuzugeben ist, dass die Verständigung auf dem rechtsfremden Faktor "Arbeitsüberlastung" beruht und in der Praxis häufig nur angedeutet nach originär rechtlichen, dogmatisch korrekten Strafprozessregeln abläuft.

Im Prinzip aber beeinflusst(e) die Verständigung die Strafverteidigung nicht anders als jede prozessuale Neuerung. Die Änderung mag deutlicher (gewesen) sein, weil die Verständigung ein zentrales Element ist; ein grundlegender Wandel in der Strafverteidigung ist mit ihr indes nicht verbunden. Ein guter Strafverteidiger integriert(e) diese Neuerung in sein Repertoire, allenfalls für weniger gute Strafverteidiger stürzt(e) die (Prozess‑)Welt zusammen. Wer freilich häufiger von "überlasteten Richtern" in eine Verständigung gedrängt wurde, zweifelt – zu Recht – an der systematischen Verwirklichung von Verfahrensgerechtigkeit. In dieser Hinsicht liegt es am Bundesverfassungsgericht, gegen Auswüchse anzugehen und der Verständigung – sofern sie als grundsätzlich zulässig bewertet wird – ein "Korsett" anzulegen.[40]

Nebenintervenienten machen den Strafprozess komplexer, ändern die Strafverteidigung aber qualitatitv allenfalls marginal.

Gar keinen Wandel in der Strafverteidigung schließlich lösen gestärkte Persönlichkeitsrechte von Prozessbeteiligten aus – für ein Organ der Rechtspflege ändert sich dadurch überhaupt nichts.

Der Wandel in der Strafverteidigung ist letztlich nicht stärker als der in anderen Berufen, als der in der Gesellschaft selbst. Um die Strafverteidigung muss einem im Ergebnis damit nicht "angst und bange"[41] sein. Und wer als Fazit allen Ernstes angibt, BGH-Richter schotteten sich mehr und mehr gegen "ihre natürlichen Gegner, die Strafverteidiger" (!) ab, um Zeit zu gewinnen "zum Intrigieren untereinander",[42] der vertritt in der Tat eine Außenansicht; zudem scheint das Fernglas ein wenig trüb zu sein.


* Der Autor ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München II.

[1] StV 2012, 631-636.

[2] StV 2012, 631.

[3] StV 2012, 631.

[4] StV 2012, 631 .

[5] StV 2012, 631.

[6] StV 2012, 632 ("Und wer macht da nicht gern mit?").

[7] StV 2012, 632.

[8] StV 2012, 631.

[9] Siehe FAZ vom 1.6.20 11 ("Und das wollen Journalisten sein?"), abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/kachelmann-prozess-in-den-medien-und-das-wollen-journalisten-sein-1635503.html; alle Online-Fundstellen zuletzt abgerufen am 8.11.2012.

[10] "Parteiischer und einseitiger, als die Berichterstattung der Genannten ausgefallen ist, kann man sich die Arbeit von Vertreterinnen der ´vierten Gewalt´ jedenfalls nicht vorstellen.", FAZ vom 1.6.2011 (Fn. 9).

[11] Zuletzt am 17.1.2012, abrufbar unter http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mord-an-seniorin-das-zweite-lebenslang-fuer-den-hausmeister-a-809729.html. Die Getötete wurde in einer Badewanne gefunden, deshalb "Badewannen-Urteil".

[12] Süddeutsche Zeitung vom 12.1.2012, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/bayern/hausmeister-unter-tatverdacht-der-mord-der-keiner-war-1.1255739.

[13] Süddeutsche Zeitung vom 12.1.2012, S. 30.

[14] Da nunmehr drei Gerichte den Angeklagten wegen Mordes für schuldig befunden haben, dürfte tatsächlich eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Urteils streiten. Friedrichsen sieht das differenzierter (objektiver?): "Einem Gericht zu unterstellen, es habe wider besseres Wissen ein Urteil gefällt, steht keinem Außenstehenden zu. Allerdings gibt es Fälle, in denen sich der Eindruck einstellt, ein Prozeß steuere ein bestimmtes Ziel an (zum Beispiel die Bestätigung des Urteils aus der ersten Instanz, weil sich die Richter-Kollegen gewiss nicht geirrt haben)."; vgl. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mord-an-seniorin-das-zweite-lebenslang-fuer-den-hausmeister-a-809729.html. Sich einen bösen Verdacht zu verbieten, um ihn gleich darauf zu insinuieren – rhetorisch sehr schön.

[15] Siehe FAZ vom 1.6.2011 (Fn. 9).

[16] Habermas, Kritische Justiz 1987, 1. Zur (fast-reinen) Verfahrensgerechtigkeit durch Rechtsverfahren im Rahmen einer institutionellen Ordnung, die sich um Gerechtigkeit zumindest bemüht, vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (197 9 ), S. 229, 398f.

[17] Rechtstheorie 1983, 129, 137; auch Luhmann, Das Recht der G esellschaft (1995).

[18] Kocks spricht – unter Berufung auf Brigitte Koppenhöfer von der Medienöffentlichkeit als "unsichtbarem Schöffen"; vgl Legal Tribune Online, abrufbar unter http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/gerichte-und-medien-der-unsichtbare-schoeffe/.

[19] StV 2012, 631.

[20] StV 2012, 635.

[21] GSSt 1/04 = BGHSt 50, 40 = HRRS 2005 Nr. 310 = StV 2005, 421 (Ls.) = StV 2005, 311.

[22] Lüderssen StV 1990, 415; Jahn ZStW 2006, 427; kritisch Schünemann, FS Riess (2002), 525; Hassemer, FS Hamm (2008), 171. Zum Spannungsverhältnis von Konsensprinzip und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 257c Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO?) vgl. Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2630 f.

[23] Dworkin , Bürgerrechte ernstgenommen (1984). Sein "Herkules-Richter" (als regulative Idee) würde prinzipienverpflichtet das gerechte Urteil suchen, nicht taktisch über die Wahrheit verhandeln; vgl. S. 182ff.

[24] Vgl. etwa BVerfG vom 5.3.2012 – 2 BvR 1464/11HRRS 2012 Nr. 282 = NJW 2012, 1136 = StV 2012, 385.

[25] StV 2012, 636.

[26] Erstmals Weider alias Detlef Deal (aus Mauschelhausen), StV 1982, 545.

[27] StV 2012, 634.

[28] StV 2012, 635.

[29] StV 2012, 635.

[30] Verfassungsbeschwerden sind beim BVerfG anhängig und wurden am 7.11.2012 mündlich verhandelt (2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11), vgl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-071.html; dazu Ignor StV, Heft 11/2012, Editorial.

[31] StV 2012, 634.

[32] StV 2012, 634.

[33] StV 2012, 633.

[34] StV 2012, 633.

[35] Zitiert nach StV 2012, 632.

[36] BGH HRRS 2005 Nr. 367 – m.w.N.

[37] Vgl. StV 2012, 632; OLG Köln vom 14.2.2012, 15 U 123/11BeckRS 2012, 04216.

[38] Friedrichsen bringt das selbst zum Ausdruck, wenn sie über Informationen und Akteninhalte schreibt, die vorab in der Presse zirkulieren: "Dass es aber darauf letztlich nicht ankommt, sondern auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung, wussten einige der professionellen Beobachter."; StV 2012, 632.

[39] Siehe Fn. 26.

[40] Siehe Fn. 30.

[41] StV 2012, 636.

[42] StV 2012, 636. Damit spielt Friedrichsen offenbar auf den unerfreulichen Besetzungsstreit am BGH an (dazu Schünemann, StV, Heft 3/2012, Editorial). Dass unter diesem Konflikt die Strafverteidiger leiden würden, ist neu, wird von Friedrichsen allerdings nicht belegt. Zu den (möglichen) Auswirkungen auf die Beschuldigten, insbesondere im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 S.2 GG siehe BVerfG vom 23.5.12 – 2 BvR 610/12 und 2 BvR 625/12HRRS 2012 Nr. 555 = StV 2012, 513; dazu Fischer/Krehl StV 2012, 550.