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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 464

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2151/06, Beschluss v. 30.04.2007, HRRS 2007 Nr. 464


BVerfG 2 BvR 2151/06 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 30. April 2007 (LG München I/AG München)

Telekommunikationsüberwachung bei einem Dritten (Begriff der "bestimmten Tatsache"; Nachrichtenmittler); Fernmeldegeheimnis; Berufsfreiheit (Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt); Fall "el-Masri".

Art. 10 GG; Art. 12 GG; Art. 8 EMRK; Art. 6 EMRK; § 110a Satz 2 StPO; § 100b StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" in § 100 a Satz 2 StPO erfordert, dass die Verdachtsgründe über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen müssen. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen nicht. Erforderlich ist, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler geschlossen werden kann.

2. Es kann dahinstehen, ob nach dem Wortlaut des § 100 a Satz 2 StPO ("für den Beschuldigten Handelnde") und der Intention des Gesetzgebers Nachrichtenmittler nur solche Personen sind, die gewissermaßen "im Lager" des Beschuldigten stehen.

3. Das Abhören berufsbezogenen Gespräche eine Rechtsanwaltes berührt den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG, das dem Rechtsanwalt eine von staatlicher Kontrolle und Bevormundung freie Berufsausübung gewährleistet und dazu insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant schützt (vgl. BVerfGE 113, 29, 49). Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen für eine Telekommunikationsüberwachung und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 11. Januar 2006 - II Gs 275/06 - und der Beschluss des Landgerichts München I vom 21. August 2006 - 2 Qs 66/06 und 2 Qs 67/06 -, soweit er die Beschwerde als unbegründet zurückweist, verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.

Das Land Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Überwachung der Telekommunikation eines Rechtsanwalts (§ 100 a StPO).

I.

1. Der Beschwerdeführer ist anwaltlicher Vertreter des zeitweise - mutmaßlich von Geheimdienstkreisen - entführten E. Die Entführung fand im Zeitraum vom 31. Dezember 2003 bis 29. Mai 2004 statt.

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 11. Januar 2006 ordnete das Amtsgericht München nach § 100 a Satz 1, § 100 b StPO die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation betreffend den Festnetz- und Telefaxanschluss der Rechtsanwaltskanzlei an, in der außer dem Beschwerdeführer auch dessen Ehefrau als Rechtsanwältin tätig ist, sowie zweier auf den Beschwerdeführer angemeldeter Mobilfunkgeräte, wobei eines von der Ehefrau des Beschwerdeführers genutzt wird. In der Kanzlei sind auch zwei weitere in Bürogemeinschaft verbundene Anwälte tätig. Unbekannte Täter stünden im Verdacht, den Geschädigten E. gegen seinen Willen und mit Gewalt und Drohung von Gewaltanwendung festgehalten zu haben (Verschleppung gemäß § 234 a StGB). Auf Grund bestimmter Tatsachen sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Nachrichtenempfänger an ihn gerichtete Mitteilungen der Täter entgegennehme. Der Fall "E." sei derzeit in sämtlichen Medien Gegenstand der Berichterstattung. In Presseberichten werde einerseits die strafrechtliche Verantwortlichkeit einer Vielzahl von Personen und Institutionen, zum anderen die Rolle des Geschädigten (Erhalt von Schweigegeld) selbst diskutiert. Es müsse damit gerechnet werden, dass Täter oder Teilnehmer über Telefon mit dem Geschädigten oder dem Beschwerdeführer in Verbindung träten, um eine "Lösung des Falles" zu diskutieren. Andere Aufklärungsmittel seien nicht vorhanden.

Am 11. April 2006 wurde die Maßnahme durch das Amtsgericht verlängert. Sie dauerte bis zum 13. Juni 2006 an.

3. Der Beschwerde wurde durch das Landgericht München I am 21. August 2006 stattgegeben, soweit sie den Beschluss vom 11. April 2006 betraf. Dessen Rechtswidrigkeit wurde im Hinblick auf die Dauer der Maßnahme festgestellt. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer sei Nachrichtenmittler im Sinne von § 100 a Satz 2 StPO gewesen. Der Beschwerdeführer sei als anwaltlicher Beistand des Herrn E. einer breiten Öffentlichkeit im In- und Ausland bekannt geworden. Zwar sei zuzugeben, dass die Tat zum Zeitpunkt des ersten Beschlusserlasses mehr als eineinhalb Jahre zurückgelegen habe. Allerdings sei Ende 2005 das Medieninteresse (wieder-)erwacht. In dieser Zeit sei eine verstärkte Berichterstattung zum Schicksal des Geschädigten und dem Stand der Ermittlungen zu verzeichnen gewesen, insbesondere im Zusammenhang mit der in den USA eingereichten Zivilklage des Geschädigten gegen den damaligen Direktor der CIA, den aufkommenden Gerüchten um die Identität des "Sam" - einer mutmaßlich deutschsprachigen Verhörperson -, wiederholt aufgestellten Behauptungen, dem Geschädigten sei ein Schweigegeld gezahlt worden sowie diversen Debatten und Anfragen im Deutschen Bundestag zu dieser Problematik. In diesem Zeitraum seien Hinweise auf eine mögliche Beteiligung oder ein Mitwissen ausländischer Behörden an der Verschleppung aufgekommen. Der Geschädigte und der Beschwerdeführer seien nach eigenen Angaben in der Vergangenheit bereits mehrfach von Personen kontaktiert worden, die die Angaben des Geschädigten hätten bestätigen oder erhärten wollen. Nicht zu beanstanden sei die Annahme des Ermittlungsrichters, dass sich dem Täterkreis nahe stehende Personen an den Beschwerdeführer wenden könnten, um Vereinbarungen zu treffen, die den Geschädigten aus dem Blickfeld der Medien nehmen sollten.

§ 148 StPO stehe der Abhörmaßnahme nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer nicht als Verteidiger des Geschädigten tätig geworden sei. Geschützt würden aber nicht alle Mandatsverhältnisse eines Rechtsanwalts schlechthin. Dies zeige auch die für die Abfrage von Verbindungsdaten geltende Neuregelung in § 100 h StPO, die Ermittlungsmöglichkeiten lediglich in Bezug auf Verteidiger beschränke. Der Subsidiarität der Maßnahme sei genügt worden. Es sei nicht ersichtlich, dass die Vernehmung des früheren Bundesinnenministers Schily zu weitergehenden Erkenntnissen geführt hätte. Der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stehe auch nicht entgegen, dass eine im Jahre 2004 mit Einverständnis des Geschädigten vorgenommene Überwachung der mit dessen Handy geführten Telekommunikation ergebnislos geblieben sei, weil zu diesem Zeitpunkt noch kein besonderes Interesse einer breiten Öffentlichkeit bestanden habe. Mit Blick auf die Schwere der zu verfolgenden Tat sei die Maßnahme auch verhältnismäßig. Die Beschränkung der Abhörmaßnahme auf einen oder einzelne der auf den Beschwerdeführer zugelassenen Telefonanschlüsse sei zu Beginn der Maßnahme nicht möglich gewesen, weil nicht genau bekannt gewesen sei, welche Personen die Anschlüsse allein oder mitbenutzten. Dass bei Abhörmaßnahmen auch Unbeteiligte betroffen würden, sei der Maßnahme nach § 100 a StPO immanent.

4. Auch ein Antrag des Beschwerdeführers nach § 33 a StPO blieb ohne Erfolg. In diesem hatte der Beschwerdeführer unter anderem darauf hingewiesen, dass bestimmte polizeiliche Maßnahmen gegen den Geschädigten unternommen worden seien (Prüfung einer Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung, Klärung von Aliaspersonalien, Befragungen im Umfeld des von den Kindern des Geschädigten besuchten Kindergartens). Dies rücke den Beschwerdeführer in die Nähe einer Verteidigerstellung.

II.

Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 10 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Es bestünden Zweifel, ob eine wirksame Aufklärung durch die Ermittlungsbehörden gewollt gewesen sei, weil die Vernehmungen des früheren US-Botschafters Coats und des damaligen Bundesinnenministers Schily unterblieben seien, obwohl seit Dezember 2005 aus der Presse bekannt gewesen sei, dass sich die beiden Personen über die Entführung ausgetauscht hätten. Die Maßnahme sei ungeeignet gewesen, weil zum Zeitpunkt der Anordnung die Entführung bereits mehr als eineinhalb Jahre zurückgelegen habe. Dass dritte Personen lediglich auf Grund der öffentlichen Diskussion gerade nun an den anwaltlichen Vertreter heranträten, um den Fall "zu lösen", sei eine reine Vermutung. Da die Entführung mutmaßlich aus Geheimdienstkreisen heraus geschehen sei, die selbst mit der Praxis akustischer und visueller Überwachung hinlänglich vertraut seien, erscheine auch die Vorstellung fern liegend, ein etwaiges Angebot hätte durch einen schlichten Telefonanruf unterbreitet werden können. Wie haltlos diese Annahme gewesen sei, zeige sich daran, dass bei der Telefonüberwachung lediglich fünf Gespräche mit Journalisten über den Sachverhalt festgestellt worden seien, nicht aber solche aus dem möglichen Täterkreis. Die Maßnahme sei auch im Hinblick auf die vom Geschädigten bereits unter Beweis gestellte Kooperationsbereitschaft nicht erforderlich gewesen. Bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hätte dem besonderen Schutz des Mandatsverhältnisses zu einem Rechtsanwalt und dessen Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger im Sinne von § 53 Abs. 1 StPO stärker Rechnung getragen werden müssen. Die Vorschrift in § 100 h Abs. 2 StPO enthalte einen Wertungswiderspruch. Das Landgericht habe die Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 MRK, der die Achtung des Privat- und Familienlebens garantiere, nicht hinreichend berücksichtigt. Nach der Entstehungsgeschichte von § 100 a StPO könne sich die Maßnahme nur gegen den Beschuldigten oder Personen richten, die in seinem Lager stünden.

III.

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Im Zeitpunkt des Beschlusses vom 11. Januar 2006 hätten die Voraussetzungen der § 100 a, § 100 b StPO vorgelegen. Nach dem Wortlaut des § 100 a StPO könne sich die Maßnahme auch gegen das Opfer einer Straftat oder dessen Angehörige oder Vertraute richten, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie von dem Beschuldigten herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben (sog. Nachrichtenmittler). Der Eingriff in das Grundrecht des Art. 10 GG des Beschwerdeführers sei gerechtfertigt. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers seien keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass es den Strafverfolgungsbehörden tatsächlich nicht um eine lückenlose Aufklärung der Straftaten gegangen oder dass Zweck der Maßnahme allein das Abhören von Journalisten gewesen sei. Ziel der Maßnahme sei es allein gewesen, Erkenntnisse über eine etwaige Kontaktaufnahme des/der unbekannten Beschuldigten zu dem Beschwerdeführer zu erlangen. Dass beim Vollzug der Maßnahme auch Telefonate mit Journalisten abgehört worden seien, sei bei Anordnung der Maßnahme nicht beabsichtigt gewesen.

Dem die Telefonüberwachung anordnenden Richter stehe ein Ermittlungsspielraum zu, der im vorliegenden Fall auch nicht überschritten worden sei. Das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass auf Grund der ab Ende 2005/Anfang 2006 zunehmenden Medienberichterstattung der im In- und Ausland bekannte Beschwerdeführer aus dem Kreis der für die Straftat verantwortlichen Personen kontaktiert werden könnte, etwa um ihn einzuschüchtern und zu bedrohen oder aber um eine "stille Lösung" des Falls anzubieten. Hieran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Straftat im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme bereits eineinhalb Jahre zurückgelegen habe. Zum einen sei der Beschwerdeführer tatsächlich auf Grund des neu erwachten Medieninteresses mehrfach kontaktiert worden. Der Beschwerdeführer neige dazu, die Sachlage ex post zu betrachten und aus der Erfolglosigkeit der Maßnahme auf ihre Ungeeignetheit bereits bei ihrer Anordnung zu schließen. Maßgeblich sei aber, dass die Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Anordnung weder von vornherein aussichtslos noch unverhältnismäßig gewesen sei.

Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Ermittlung der Täter sei nicht ersichtlich. Die Staatsanwaltschaft habe im Vorfeld der Maßnahme bereits eine Vielzahl von Ermittlungsmaßnahmen in Form von Zeugenvernehmungen, Rechtshilfe- und Auskunftsersuchen ausgeschöpft, die nicht zur Ermittlung der Täter geführt hätten. Inwieweit die Vernehmung des damaligen Bundesinnenministers oder des amerikanischen Botschafters die Abhörmaßnahme entbehrlich gemacht haben könnten, sei nicht ersichtlich. Insbesondere sei nicht davon auszugehen gewesen, dass diesem Personenkreis die Identität der Täter bekannt gewesen sei. Auch die Durchführung der Abhörmaßnahme mit dem Einverständnis des Beschwerdeführers sei nicht gleichermaßen geeignet gewesen. Es sei nachvollziehbar, dass bei Kenntnis des Beschwerdeführers von der Abhörmaßnahme ein unbefangenes Gespräch mit etwaigen Anrufern nicht in gleicher Weise möglich gewesen wäre. Zudem sei nicht absehbar gewesen, ob der Beschwerdeführer der Überwachung seiner Telekommunikation zugestimmt hätte.

Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig im engeren Sinn gewesen. Dem Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers habe das Interesse an der Aufklärung und Verfolgung einer schwerwiegenden Straftat gegenüber gestanden. Hätten die Verfolgungsbehörden in Anbetracht der gegebenen Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts nicht alle gesetzlichen Möglichkeiten zur Aufklärung der Straftat ergriffen, wäre ihnen der Vorwurf mangelnden Verfolgungseifers in politisch brisanten Fällen gemacht worden.

Das Landgericht habe auch dem Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung getragen. Der Beschwerdeführer sei nicht als Verteidiger, sondern als anwaltlicher Vertreter des Opfers tätig gewesen. Die generelle Freiheit des Verteidigers von staatlichen Überwachungsmaßnahmen (§ 148 StPO) sei daher nicht zum Tragen gekommen. Überwacht werden sollte zudem lediglich die Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und Tätern oder Teilnehmern der Straftat. Zwischen diesen Personen habe aber ersichtlich kein schützenswertes Vertrauensverhältnis bestanden.

IV.

Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, und die Verfassungsbeschwerde erweist sich demnach als offensichtlich begründet, so dass die Kammer entscheiden kann (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 10 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.

1. a) Mit dem angeordneten Zugriff auf die Inhalte der Kommunikation ist der Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG betroffen. Das Fernmeldegeheimnis schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs (vgl. BVerfGE 67, 157 <172>; 106, 28 <35 f.>; 115, 166 <182>). Mit der grundrechtlichen Verbürgung der Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses soll vermieden werden, dass der Meinungs- und Informationsaustausch mittels Telekommunikationsanlagen deswegen unterbleibt oder nach Form und Inhalt anders verläuft, weil die Beteiligten damit rechnen müssen, dass staatliche Stellen sich in die Kommunikation einschalten und Kenntnisse über die Kommunikationsbeziehungen oder Kommunikationsinhalte gewinnen (vgl. BVerfGE 100, 313 <359>; 107, 299 <313>).

b) Mit der angegriffenen Anordnung der Abhörmaßnahme wurde in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen, weil sich staatliche Stellen ohne Zustimmung des Beschwerdeführers und sonstiger Beteiligter Kenntnis von dem Inhalt und den Umständen der fernmeldetechnisch vermittelten Kommunikationsvorgänge verschafft haben.

c) Die in der Anordnung der Abhörmaßnahme liegenden Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nicht gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG gerechtfertigt. Die Anordnung der Abhörmaßnahme diente zwar dem legitimen öffentlichen Zweck der Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (vgl. BVerfGE 107, 299 <316>). Jedoch waren die mit der Abhörmaßnahme verbundenen Eingriffe in die Grundrechte des Beschwerdeführers unverhältnismäßig im engeren Sinne. Die Frage, ob die Überwachung der Telekommunikation des Beschwerdeführers ein geeignetes Mittel zur Ermittlung des oder der Täter war, kann hier offen bleiben. Ebenso kann dahinstehen, ob vor der Anordnung der Abhörmaßnahmen mildere Mittel zur Ermittlung der Täter hätten ergriffen werden müssen. Jedenfalls war aber die Wahrscheinlichkeit, der Beschwerdeführer werde von dem oder den Tätern kontaktiert werden, als äußerst gering zu bewerten und vermochte - gerade mit Blick auf die seit der Tat verstrichene Zeit - keinesfalls die vorgenommenen schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte des Beschwerdeführers zu rechtfertigen.

aa) Die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation darf sich nur gegen solche Nichtbeschuldigte richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt (§ 100 a Satz 2 StPO). Zum Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" hat das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die Verdachtsgründe über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen müssen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2006 - 2 BvR 950/05 -, NJW 2006, S. 2974 <2975> zu § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO). Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen nicht. Erforderlich ist, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler geschlossen werden kann.

bb) Dies erscheint im vorliegenden Fall sehr zweifelhaft. Dabei kann dahinstehen, ob nach dem Gesetzeswortlaut ("für den Beschuldigten Handelnde") und der Intention des Gesetzgebers Nachrichtenmittler nur solche Personen sind, die gewissermaßen "im Lager" des Beschuldigten stehen (vgl. bei Mahnkopf/Döring, NStZ 1995, S. 112 <113>; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 100 a Rn. 12; a.A. dagegen zunehmend die neuere Literatur: vgl. Mahnkopf/Döring, a.a.O., S. 113; Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 25. Aufl., § 100 a Rn. 68; Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 100 a Rn. 25: auch Opfer einer Schutzgelderpressung kann Nachrichtenmittler sein, weil es Mitteilungen vom Beschuldigten entgegennimmt), was hier zu verneinen wäre. Entscheidend ist jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit einer Kontaktaufnahme des Beschuldigten oder seines Umfeldes mit dem Beschwerdeführer von vornherein so gering war, dass die Erfolgsaussichten der Maßnahme außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs standen. Die Umstände, die aus Sicht der Fachgerichte Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und dem Täterumfeld erwarten ließen, sind wenig konkret und tragen lediglich den Charakter von Vermutungen. Sie sind nicht geeignet, den Beschwerdeführer als Nachrichtenmittler im Sinne von § 100 a Satz 2 StPO erscheinen zu lassen.

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Ende der Entführung schon mehr als eineinhalb Jahre zurücklag. Soweit sich die Fachgerichte auf ein "Ende des Jahres 2005 (wieder-)erwachtes Medieninteresse" berufen, bleiben die Angaben zu unbestimmt. Das Landgericht setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass bereits ab Beginn des Jahres 2005, auch in der ausländischen Presse und auch unter Nennung des Namens des Beschwerdeführers, über die Verschleppung des E. durch Geheimdienstkreise berichtet worden war. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Kontaktaufnahme durch die Täter erst und gerade ab Januar 2006 zu erwarten gewesen wäre. Auch das vom Landgericht selbst ins Spiel gebrachte Gerücht, es sei bereits ein Schweigegeld gezahlt worden, spricht gerade gegen die Annahme diesbezüglicher aktueller Kontakte des Beschwerdeführers zu den Entführerkreisen. Inwiefern der Hinweis auf die "teilweise sehr zögerliche Behandlung diverser Erkenntnisanfragen und Rechtshilfeersuchen der ermittelnden Staatsanwaltschaft" etwas für die Annahme herzugeben vermag, der Beschwerdeführer sei Nachrichtenmittler des unbekannten Täters gewesen, erschließt sich nicht. Auch der Hinweis darauf, der Beschwerdeführer sei mehrfach von "diversen Personen kontaktiert worden", die die Angaben des Geschädigten bestätigt oder erhärtet haben wollten, sind zu pauschal und vage, um eine auf bestimmte Tatsachen gegründete Annahme stützen zu können.

2. Das Abhören der berufsbezogenen Gespräche des Beschwerdeführers berührt den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG, das dem Rechtsanwalt eine von staatlicher Kontrolle und Bevormundung freie Berufsausübung gewährleistet und dazu insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant schützt (vgl. BVerfGE 113, 29 <49>). Maßnahmen, die geeignet sind, das Entstehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu stören oder gar auszuschließen, greifen in die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts ein. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts liegt dabei auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege (vgl. BVerfGE 113, 29 <49>). Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und hätte die Fachgerichte vorliegend zu einer Ablehnung der Anordnung veranlassen müssen.

V.

1. Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 11. Januar 2006 und der Beschluss des Landgerichts München I vom 21. August 2006, soweit er der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 11. Januar 2006 nicht abhilft, sind wegen der Verstöße gegen Art. 10 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht München I zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

2. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 464

Externe Fundstellen: NJW 2007, 2752; StV 2007, 561

Bearbeiter: Stephan Schlegel