HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2014
15. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht

Von Maria Martina Risse, LL.B., Bucerius Law School

I. Einleitung

Als Teil des aus den Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatzes vom Vorrang der Verfassung [1] nehmen die Grundrechte Einfluss auf die Gesamtheit der einfachgesetzlichen Normen.[2] Gerade das Strafrecht, das als schärfste Waffe des demokratischen Rechtsstaates gilt, liegt im unmittelbaren Einflussbereich der Grundrechte.[3] Diese garantieren dem von einem Eingriff Betroffenen einen verfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegenüber der Staatsgewalt, soweit der konkrete Eingriff nicht mehr von der Verfassung gedeckt ist.[4] Folglich haben die Strafgerichte ihre Entscheidungen im Strafverfahren grundrechtskonform zu treffen.[5] Das Strafverfahren ist mittlerweile aber nicht nur rein nationalen Einflüssen ausgesetzt. Der zunehmend europäisierte Kontext des Strafrechts erstreckt sich nun auch auf die materiell- und verfahrensrechtliche Harmonisierung, auf die Koordinierung des nationalen Strafrechtseinsatzes und auf die Kompetenz der EU, in gewissen Bereichen supranationale Tatbestände schaffen zu dürfen.[6] Deshalb muss auch der Schutz von Individualinteressen - eine Aufgabe die zuvor ausschließlich den nationalen Grundrechten zuteil wurde - zusätzlich auch auf europäischer Ebene angesetzt sein.[7]

Ein gewisses Spannungsfeld wird hier durch zwei unionsrechtliche Hauptprinzipien geschaffen, welche die Schaffung der europäischen Grundrechte hauptsächlich beeinflussten: einerseits die unmittelbare Geltung des Unionsrechts und zum anderen dessen Vorrang vor nationalem Recht. Erstere schafft einen direkten Einfluss des Unionsrechts auf Rechtspositionen Einzelner, welcher immer deutlicher insbesondere im europäisierten Strafrecht spürbar ist. Dies kreierte das Bedürfnis, der supranationalen Hoheitsgewalt grundrechtliche Legitimation zu verleihen.[8] Über das erweiterte Schutzbedürfnis der Unionsbürger hinaus verlangte auch das Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts nach der Etablierung einer europäischen Grundrechtsordnung.[9] Schließlich würde die einheitliche Geltung des Unionsrechts davon beeinträchtigt, wenn zur Überprüfung von Unionsakten die nationalen Grundrechtsordnungen angewendet werden dürften. Folglich dienen die europäischen Grundrechte nicht nur zur Schutzgewährung, sondern vielmehr auch als Instrumentarium, um die Durchsetzungskraft des Unionsrechts zu sichern.

Bis zum Vertrag von Lissabon waren die europäischen Grundrechte ungeschriebene Rechtssätze, die von nationalen Gerichten häufig vernachlässigt wurden. Seitdem hat sich die Lage schlagartig geändert, denn die europäischen Grundrechte wurden durch die Grundrechtecharta kodifiziert und gewannen dadurch an Bedeutungskraft. Gerade für die Mitgliedstaaten ist die Charta von großer Relevanz, denn auch sie und nicht nur EU-Organe werden nach Art. 51 GRC gebunden soweit sie Unionsrecht durchführen. Dabei stellen sich eine Vielzahl an Fragen bezüglich der Grenze und des Umfang des Anwendungsbereichs sowie dem Verhältnis zwischen nationalen und europäischen Grundrechten. Gerade für das Strafrecht, das eng mit sozial-ethischen wie auch gesellschaftspolitischen Vorstellungen einer Gesellschaft verbunden ist,[10] sind diese Fragen insbesondere für den Individualschutz von hoher Relevanz. Wie weit erstreckt sich der Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte auf das europäisierte Strafverfahren? Wie verhalten sich die europäischen zu den nationalen Grundrechten? Verbietet der Vorrang des Unionsrechts gar eine Berufung auf strengere nationale Grundrechte? Vor allem diese Fragen soll der Beitrag im Lichte der jüngsten EuGH-Rechtsprechung nachgehen.

Insoweit stellt vor allem das Fransson-Urteil aus Sicht des BVerfG offenbar eine so große Bedrohung für den bisher geltenden Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte dar, dass das BVerfG einen Kompetenzentzug fürchtet, seinen Zuständigkeitsbereich deshalb klar posi-

tioniert und sogar mit einer ultra-vires-Kontrolle droht. Auch darauf wird der Beitrag eingehen.

II. Anwendbarkeit der EU-Grundrechte

Um beurteilen zu können, wie es letztlich um die Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte steht und ob das Fransson-Urteil tatsächlich einen radikale Erweiterung bewirkt, muss zunächst der Anwendungsbereichs der europäischen Grundrechte geklärt werden. Hierüber entscheidet vornehmlich Art. 51 GRC. Der Einfluss der Charta auf den Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte wird deshalb zunächst diskutiert, bevor die Implikationen der Fransson-Entscheidung nicht nur auf die Interpretation des Art. 51 GRC, sondern auch auf den von der Rechtsprechung konturierten Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte beurteilt und analysiert werden. Am Ende dieses Teils werden die gewonnenen Erkenntnisse genutzt, um die konkreten Auswirkungen der Entscheidung auf das Strafverfahren zu erläutern.

1. Anwendungsbereich der EU-Grundrechte vor dem Fransson-Urteil

Ursprünglich wurden die Mitgliedstaaten, anders als die Union, nicht explizit in Art. 6 Abs. 2 EUV als Grundrechtsverpflichtete genannt.[11] Der Vorrang des Unionsrechts wie auch das Bestreben einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts führten jedoch mit der Zeit zu der Notwendigkeit, in gewisser Weise auch die Mitgliedstaaten an die europäischen Grundrechte zu binden.[12] Zwar waren diese bereits durch ihre nationalen Grundrechte sowie durch das Völkerrecht zum Grundrechtsschutz verpflichtet. Allerdings gab die Verflechtung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht dazu Anlass, Mitgliedstaaten an eine spezifisch europäische Grundrechteordnung zu binden.[13] Der EuGH bejahte in seiner Rechtsprechung eine Bindung der Mitgliedstaaten an die europäischen Grundrechte immer dann, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht bestand. Zur Konkretisierung dieses gemeinschaftsrechtlichen Bezugs hat der EuGH das als "offene Suchformel" bezeichnete Kriterium entwickelt. Es besagt, dass die europäischen Grundrechte "im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts" gelten sollen.[14] Unmittelbar aus dieser Formel allein ergibt sich allerdings noch nicht, für welche spezifischen Akte der Mitgliedstaaten europäische Grundrechte Anwendung finden sollen.[15] Mit der Zeit entwickelte der EuGH zwei Fallgruppen, die nun erläutert werden.

a) Durchführungskonstellationen

Zunächst handeln die Mitgliedstaaten dann im Anwendungsbereich des Unionsrechts, wenn sie das Gemeinschaftsrecht durch Erlass abstrakt-genereller oder konkret-individueller Rechtsakte durchführen.[16] Um Durchführungskonstellationen handelt es sich hierbei, wenn der Mitgliedstaat als "verlängerter Arm" der Union handelt und dabei unionrechtliche Vorgaben in nationales Recht umsetzt.[17] Die Bindung der Mitgliedstaaten erfolgt dabei unter zwei Voraussetzungen: dem Vorhandensein von Unionsrecht und seiner Durchführung durch die Mitgliedstaaten.[18] Unionsrecht umfasst hiernach – neben dem Primärrecht – alle in Art. 288 AEUV genannten Handlungsformen der Union.[19] Auch wenn Mitgliedstaaten bei der Richtlinienumsetzung obligatorische Wahlmöglichkeiten zustehen oder sie explizit vorgegebene Ausnahmetatbestände nutzen, sind die europäischen Grundrechte auf die entsprechenden nationalen Normen anwendbar.[20] Das BVerfG erkennt grundsätzlich an, dass bei der Durchführung von Unionsrecht die entsprechenden Umsetzungsakte nicht an den nationalen Grundrechten gemessen werden, solange die europäischen Grundrechte einen entsprechenden Grundrechtsschutz gewährleisten.[21] Sobald allerdings keine zwingenden Vorgaben durch das Unionsrecht bestehen, geht es wohl davon aus, dass nationale Grundrechte anwendbar sind.[22]

b) Einschränkungskonstellationen

Ebenfalls im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH,[23] wenn sie Grundfreiheiten des Binnenmarkts unter Ausnutzung geschriebener oder ungeschriebener Schrankenvorbehalte im EU-Recht durch mitgliedstaatliches Recht einschränken.[24] Hierbei werden Mitgliedstaaten dann an die Unionsgrundrechte gebunden, wenn sie unionale Grundfreiheiten beeinträchtigen.[25] Dabei wirken die Grundrechte auf zwei unterschiedliche Arten: einerseits als "Schranken-Schranken", also als Grenze der den Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung grundfreiheitsbe-

schränkender Regelungen zur Verfügung stehenden Ausnahmegründen.[26] Hiernach findet die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, sich auf Rechtfertigungsgründe zu berufen, ihre Grenze in den Unionsgrundrechten. Schließlich handelt der jeweilige Mitgliedstaat insoweit auch im Anwendungsbereich des Unionsrechts.[27] Andererseits wirken die Grundrechte auch als selbstständige Rechtfertigungsgründe, die ihrerseits mit den Grundfreiheiten kollidieren.[28]

2. Art. 51 GRC – Verhältnis zur bisherigen EU-Grundrechtsjudikatur

Seit der Einführung der Grundrechte-Charta sind die europäischen Grundrechte in den Fokus der Judikatur getreten. Dementsprechend stellt sich auch vermehrt die Frage, ob sich der Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte nach Entstehung der Charta verändert hat. Daher ist also zu erörtern, ob Art. 51 GRC der Linie der bisherigen Rechtsprechung folgt.

a) Art. 51 GRC als Einschränkung?

Die Annahme, dass die Charta trotz ihrer Zielsetzung der Stärkung unionaler Grundrechte den bisherigen Anwendungsbereich einschränken soll, fußt auf dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Art. 51 GRC. Ihrem Wortlaut nach gilt die Charta für Mitgliedstaaten nur, wenn diese das Recht der Union durchführen. Unklar ist, was im Einzelnen darunter zu verstehen ist. Die Formulierung "ausschließlich bei der Durchführung" legt auf den ersten Blick nahe, dass die Grundrechtecharta lediglich in den vorgestellten Durchführungskonstellationen, nicht aber bei Einschränkungskonstellationen, anwendbar sein soll. Was die Entstehungsgeschichte der Norm betrifft, geht Art. 51 GRC auf einen Vorschlag des Grundrechtekonvents zurück, welcher vom Verfassungskonvent und von der Regierungskonferenz inhaltlich unverändert übernommen wurde. Der Konvent hatte ein Interesse daran, die Mitgliedstaaten dahingehend zu beruhigen, dass die Charta die vertikale Verteilung der Befugnisse nicht verschieben würde. Für die Mitgliedstaaten stellt nämlich die Grundrechtecharta eine erstmalige Positivierung ihrer Bindung an die Unionsgrundrechte dar . Schon deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten bezüglich ihres Bindungsgrads eine gewisse Vorsicht walten lassen wollten.[29] Letztlich wurde der Formulierungsprozess aber hauptsächlich wohl als redaktionelle Angelegenheit aufgefasst und war nicht explizit als Umgestaltung der bisher geltenden Rechtslage gedacht.[30]

b) Art. 51 GRC als Kodifizierung?

Deshalb ist trotz des Wortlautes und Teilen der Entstehungsgeschichte zu bezweifeln, dass Art. 51 GRC den in der Rechtsprechung definierten Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte einschränkt.[31] Dies gilt auch deshalb, weil die neue Charta einen engeren Zugriff besäße als die alten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Dies würde eine sinnwidrige Spaltung des Grundrechtsschutzes zwischen den Zeiten vor und nach Einführung der Charta bedeuten. Eine engere Deutung des Art. 51 GRC könnte gar nicht verhindern, dass die alte, weitergehende Rechtsprechung über die allgemeinen Rechtsgrundsätzen eingreift, die über Art. 6 III EUV fortbestehen.[32] Gerade auch die Erläuterungen zur Grundrechte-Charta, die gemäß Art. 6 I UA 3 EUV und Art. 52 VII GRC als Quellennachweis bei der Auslegung zu berücksichtigen sind, geben Anlass für die Annahme, dass die Charta an die Rechtsprechung anknüpft und insoweit nur die bestehenden Rechtslage kodifiziert. Erstens nehmen die Erläuterungen explizit auf die bisherige Rechtsprechung zur mitgliedstaatlichen Bindung Bezug und nennen dabei in Klammern gerade auch die ERT-Rechtsprechung, womit nicht nur die vom Wortlaut nahegelegten "Durchführungskonstellationen", sondern auch die "Einschränkungskonstellationen" umfasst wären.[33] Zweitens wird auch die bisher gültige Formel verwendet, wonach Mitgliedstaaten an das Unionsrecht gebunden sind, wenn sie "im Anwendungsbereich des Unionsrechts" handeln.[34] Mit dem Hintergrund kann der Wortlaut auch so interpretiert werden, dass "Durchführung des Rechts der Union" auch einfach als "Handeln im Rahmen des Unionsrechts" zu verstehen ist.[35]

c) Ergebnis

Insbesondere die Gefahr einer Spaltung des Grundrechtsschutzes spricht letztlich dafür, dass Art. 51 GRC an das bisherige Verständnis des Anwendungsbereichs der europäischen Grundrechte anknüpft. Somit sind Unionsgrundrechte auf nationales Recht und dessen Vollzug dann anzuwenden, wenn dieses auf Vorgaben des EU-Rechts beruht oder durch dieses gelenkt wird.[36] Auch wenn Mitgliedstaaten, wie bei der Richtlinienumsetzung, obligatorische Wahlmöglichkeiten zustehen oder sie explizit vorgegebene Ausnahmetatbestände nutzen, handeln sie dennoch im Anwendungsbereich des Unionsrechts.[37] Wenn aber der nationale Gesetzgeber Regelungen erlässt, dies aber nur bei Gelegenheit der Durchführung des Unionsrechts erfolgt, dann kann diese Maßnahme nach Verständnis der ante-Charta Rechtsprechung

lediglich an den nationalen Grundrechten gemessen werden.[38]

3. Die Fransson-Entscheidung

Im Folgenden ist zu erörtern, ob der Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte weiterhin nach den genannten Kriterien definiert wird, oder ob die Grundsatzentscheidung im Fall Fransson diesen erweitert hat.

a) Darstellung der Entscheidung

Herr Akerberg Fransson, ein selbstständiger Fischer, wurde beschuldigt, seinen steuerlichen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen zu sein. Er soll dabei insgesamt etwa 74.000 Euro an Einkommens- und Mehrwertsteuern hinterzogen haben. Zunächst wurden ihm für die begangenen Steuerstraftaten gemäß der schwedischen Steuersanktionsregelung Geldbußen in Form von Steuerzuschlägen auferlegt. Teile davon entfielen auf Verstöße hinsichtlich der Mehrwertsteuer. Diese Sanktionen wurden von ihm auch nicht angefochten und erlangten Bestandskraft.[39] Wegen desselben Sachverhalts wurde er zusätzlich angeklagt, ein Steuervergehen in einem schweren Fall begangen zu haben. Dies erfolgte mit der Begründung, dass dem schwedischen Fiskus durch den Verstoß gegen die steuerlichen Mitteilungspflichten erhebliche Einnahmen entgangen seien.[40] Ein zweites Verfahren hielt der schwedische Fischer allerdings für ungerecht und berief sich auf das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 50 GRC. Daraufhin setzte das schwedische Gericht das bei ihm anhängige Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Dabei ging es zunächst darum, ob die Charta in diesem Fall überhaupt Anwendung findet. Der EuGH kam zu dem auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis, dass die europäischen Grundrechte trotz der geringen Dichte der unionsrechtlichen Vorgaben einschlägig sind. Letztlich entschied sich Luxemburg dabei für eine großzügige Definition des Anwendungsbereichs, die zwar, wie folgend erläutert wird, auf einer unschlüssigen Argumentation beruht, im Ergebnis aber zu begrüßen und mit der Linie der Rechtsprechung in Einklang zu bringen ist. Der hinreichende unionsrechtliche Bezug der schwedischen Normen zum Unionsrecht ergibt sich laut EuGH aus dem Folgenden: Zunächst ist nach Art. 2, 250 Abs. 1 und 273 der RiL 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und aus Art. 4 Abs. 3 EUV jeder Mitgliedstaat verpflichtet, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen.[41] Außerdem birgt Art. 325 AEUV die Verpflichtung für Mitgliedstaaten, zur Bekämpfung von rechtswidrigen Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, abschreckende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

b) Allgemeine Implikationen der Entscheidung
aa) Keine Einschränkung des Anwendungsbereichs durch Art. 51 GRC

In Hinblick auf die Frage, ob Art. 51 GRC eine Kodifizierung oder Einschränkung des bisherigen Anwendungsbereichs der europäischen Grundrechte bezwecken soll, gibt der EuGH im Rahmen des Fransson-Urteils eine klare Stellungnahme ab. Zunächst konstatiert er, dass der Anwendungsbereich der Charta in Art. 51 Abs. 1 GRC definiert ist und gibt den Wortlaut der Vorschrift wieder, dass die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union an die Charta gebunden sind. Gleich im Anschluss stellt er dann ohne weitere Erklärungen einen Kausalzusammenhang zwischen der Formulierung des Art. 51 Abs. 1 GRC und einer Anknüpfung an die bisher geltende Rechtsprechung her: "Diese Bestimmung der Charta bestätigt also die Rechtsprechung des Gerichtshofs[...]".[42] Zuletzt erinnert der EuGH auch noch an Art. 51 Abs. 2 GRC, wonach die Charta die Zuständigkeiten der EU nicht ausweitet. Dies könnte man auch als Hinweis deuten, dass die Charta im Umkehrschluss eben auch nicht hinter die bereits erlangten Zuständigkeiten zurückfallen möchte.[43] Folglich sind nicht nur Konstellationen von dem Anwendungsbereich der Charta umfasst, die den "Durchführungskonstellationen" entsprechen, sondern weiterhin die Fallgruppe der "Einschränkungskonstellationen". Gerade weil der Wortlaut der Norm einer solchen kausalen Folgerung eher widerspricht, wären weitere Erklärungen statt einer kommentarlosen Feststellung an dieser Stelle hilfreich gewesen, obwohl Art. 51 Abs. 1 GRC, wie zuvor ausgeführt sehr wohl mit diesem Ergebnis ausgelegt werden kann. Dieses ist zu begrüßen, denn hierdurch wird eine Spaltung des Grundrechtsschutzes vermieden, zu der es gekommen wäre, wenn Art. 51 GRC einen engeren Anwendungsbereich gewähren würde als die alten allgemeinen Rechtsgrundsätze.[44]

bb) Erweiterung des Anwendungsbereichs?

Möglicherweise könnte das Urteil aber auch als zusätzliche Erweiterung des bisherigen Anwendungsbereichs der europäischen Grundrechte interpretiert werden. Befürworter dieser Ansicht bringen diesbezüglich vor, dass der EuGH hier eine Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte im Rahmen eines Sachverhalts bejaht, der auf den ersten Blick nach bisheriger Konturierung durch Rechtsprechung und Art. 51 GRC nicht unbedingt vom Anwendungsbereich umfasst ist. Mit acht an dem Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten, der Europäische Kommission und dem Generalanwalt teilen sie die Auffassung, dass die Charta für das schwedische Gericht nicht anwendbar ist, sondern ausschließlich nationales Verfassungsrecht und eventuell die EMRK.[45] Schließlich sei hier der Zusammenhang zwischen dem angewendeten Unionsrecht

und dem Handeln Schwedens gering und eventuell zu gering, um ein eindeutig feststellbares Interesse der Union an der Gewährleistung des Verbots der Doppelbestrafung zu begründen.[46] Vielmehr ginge es in diesem Fall hauptsächlich um die Anwendung von steuerrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionsregelungen des schwedischen nationalen Rechts und nicht etwa um die Durchführung von Unionsrecht. Denn die in Frage stehenden Normen seien nicht in Umsetzung einer EU-Richtlinie oder Verordnung eingeführt worden und die Dichte der unionsrechtlichen Vorgaben sei denkbar schwach.[47] Solche Vorgaben existierten für die Mehrwertsteuer nur in Form einer Richtlinie, die sich ausschließlich auf deren Berechnungsmethode beziehe. Zum Steuerbetrug an sich schweige sie hingegen.[48] Im Übrigen machen die vorenthaltenen Mehrwertsteuern auch nur ein Viertel der gesamten Steuerhinterziehung aus.[49] Die darüber hinaus bestehenden Vorgaben in Art. 250 und Art. 273 AEUV verpflichteten die Mitgliedstaaten lediglich allgemein zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Eine klare Handlungsanweisung lässt sich auch nicht Art. 325 AEUV entnehmen, der dem Schutz der finanziellen Unionsinteressen diene, die deshalb berührt seien, weil die Mehrwertsteuer anteilig in den EU-Haushalt fließt.[50] Folglich sei Schweden unionsrechtlich nicht zur Verhängung einer bestimmten Sanktionierung verpflichtet und habe einen weiten Gestaltungsspielraum als Teil seiner nationalen Verfahrensautonomie inne.

Auch deute der hier vorliegende recht hohe Abstraktionsgrad der unionsrechtlichen Vorgaben zur Bekämpfung des Steuerbetrugs wie auch der schwache Zusammenhang zwischen EU-Mehrwertsteuerrichtlinie und nationalem Strafverfahren deute eher darauf hin, dass das EU-Recht nicht als causa der nationalen Regelung fungiert, sondern lediglich als occasio hinzutritt.[51] Zwar seien nach dem EuGH europäischen Grundrechte anwendbar wo aufgrund von europarechtlichen Vorgaben Normverstöße sanktioniert werden – selbst wenn den Mitgliedstaaten in der Art der Sanktionierung Umsetzungsspielräume überlassen werden.[52] Herrschend verlange man aber gerade für die Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte, dass die nationale Maßnahme in einem Unionsrechtsakt angelegt ist und nicht bloß bei Gelegenheit der legislativen Durchführung des Unionsrechts erfolgt.[53] Mögliche Konsequenz des Fransson-Urteils wäre danach, dass auch dann von der Durchführung von EU-Recht gesprochen werden könnte, wenn die einschlägigen nationalen Vorschriften unabhängig von Verpflichtungen des EU-Rechts erlassen wurden, das EU-Recht also gerade nicht die causa für die nationalen Normen darstellt, sondern lediglich als occasio hinzutritt.[54] Auf den ersten Blick könnte man tatsächlich von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der europäischen Grundrechte ausgehen, vor allem bei näherer Analyse der EuGH Argumentation.

cc) Argumentation des EuGH

Zunächst stellt der Gerichtshof zutreffend fest, dass er keine Rechtsnormen im Hinblick auf die Charta beurteilen kann, die nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen.[55] Im nächsten Schritt dreht der EuGH diesen Gedanken allerdings einfach ins Positive und konstatiert, dass immer dann, wenn eine Rechtsnorm in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, die Charta anwendbar ist.[56] Diese bloße Umkehrung, die keine logisch zwingende Schlussfolgerung ist, hat den Effekt, dass weitere Differenzierungskriterien wie beispielsweise ein hinreichend enger Zusammenhang oder ein gewisser sachlicher Bezug zwischen nationaler Vorschrift und Unionsrecht keine Rolle für die Geltung der Charta spielen. So kommt der Gerichtshof im letzten Schritt auch zu dem Ergebnis, dass keine Fallgestaltungen denkbar sind, die vom Unionsrecht erfasst sind, ohne dass die Grundrechte anwendbar sind. Auf den ersten Blick scheint es so, als würde der EuGH lediglich klarstellen, dass Art. 51 Abs. 1 GRC die bisher geltende Linie der Rechtsprechung fortführt und keine Einschränkung oder Erweiterung darstellt. Dieser Eindruck entsteht insbesondere deshalb, weil der EuGH an die gängige Formulierung der Rechtsprechung "im Anwendungsbereich des Unionsrechts" anknüpft. Man darf dabei jedoch nicht verkennen, dass das Verständnis, wann ein Anwendungs- oder Geltungsbereich eröffnet ist und welcher Grad des sachlichen Bezugs dafür notwendig ist, eine Frage der Definition ist und sich nicht aus den Begrifflichkeiten allein ergibt. Es könnte sein, dass trotz der Verwendung einer Formel mit identischem Wortlaut der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte in tatsächlicher Hinsicht nach der Fransson-Entscheidung erweitert worden ist.

Dies könnte auch die dazu beitragen, die prompte, heftige Reaktion aus Karlsruhe zu erklären, die in der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur Antiterrordatei erfolgte.[57] Schon acht Wochen nach dem Fransson-Urteil äußert sich das BVerfG darin recht ausführlich und unter Verwendung starker Formulierungen dahingehend, dass die Fransson-Entscheidung "nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden darf, nach der für eine Bindung der Mitgliedstaaten jeder sachliche Bezug zum bloß abstrakten Anwendungsbereich ausreicht".[58] Eine Interpretation des Fransson-Urteils, nach der die Unionsgrundrechte nicht nur im Anwendungsbereich von Unionsrecht, sondern auch bei jeglichem sachlichem Bezug zum Anwendungsbereich von Unionsrecht Bindungswirkung

für Mitgliedstaaten entfalten, ginge über den von der EuGH-Judikatur bisher definierten Anwendungsbereich heraus. Gerade die Formulierung jener Entscheidung indiziert, dass es möglicherweise gerade nicht beim status quo ante bleibt und das Fransson-Urteil den bisher durch Rechtsprechung und Art. 51 GRC definierten Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte erweitert.[59] Zudem reagierte das BVerfG innerhalb eines Urteils, das im Grunde genommen keinerlei unionsrechtlichen Bezug aufweist. Der einzige Grund, weshalb sich das Gericht in sehr ausführlicher Weise innerhalb eines rein nationalen Sachverhalts dazu äußert, aus welchem Grund kein unionsrechtlicher Bezug vorliegt, eine Vorlagepflicht somit ausscheidet und auch die Unionsgrundrechte keinerlei Anwendung finden, liegt wohl darin, dass aus Sicht des BVerfG das Fransson-Urteil zumindest potenziell den Anwendungsbereich europäischer Grundrechte über das bisher bestehende Maß erweitern könnte. Zumindest scheint Karlsruhe die Fransson-Entscheidung als Präzedenzfall einzuschätzen, der eine zukünftig offensivere Marschrichtung des EuGH ankündigt und rechtfertigen könnte.

dd) Auslegungsmöglichkeiten des Urteils

Die vom EuGH verwendete Formulierung, dass die Grundrechtecharta immer dann gilt, wenn eine Rechtsnorm "in den Geltungsbereich des Unionsrechts" fällt, bereitet offensichtlich Unbehagen. Vom reinen Wortlaut des EuGH erfasst ist nämlich eine Vielzahl von Konstellationen, die eine Bandbreite an Verbindungen unterschiedlicher Intensität zwischen Unionsrecht und nationalem Recht aufweisen. Im Folgenden wird zunächst erörtert, welche Möglichkeiten vom Wortlaut des Fransson-Urteils umfasst sind und im nächsten Schritt identifiziert, welche dieser Möglichkeiten tatsächlich vom EuGH intendiert sein könnten.

Würde man "im Anwendungsbereich" so weit wie möglich auslegen, fielen auch Sachverhalte darunter, die zwar nicht Gegenstand einer EU-Harmonisierung sind, aber den spezielleren Grundfreiheiten unterfallen.[60] Diese Auslegungsmöglichkeit ist in systematischer Hinsicht zumindest denkbar, weil der sehr ähnlich gelagerte Wortlaut des Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV, der vom "Anwendungsbereich der Verträge" spricht, durch die Rechtsprechung ein sehr weites Anwendungsfeld erhalten hat.[61] Wären für die Unionsgrundrechte ein ähnlich weiter Anwendungsbereich vorgesehen wie für Art. 18 AEUV oder auch für die Grundfreiheiten, so würden diese auch beispielsweise für das BAföG, das Namensrecht, das Baurecht oder auch für Sozialleistungen gelten, obwohl in diesem Bereichen keine Harmonisierungskompetenzen der Union bestehen.[62]

Dass der EuGH tatsächlich einen solch weiten Anwendungsbereich für die Unionsgrundrechte vorsieht, ist aber aus mehreren Gründen fragwürdig. Erstens spricht gegen eine Intention des EuGH, seinen eigenen Kompetenzbereich so substanziell erweitern zu wollen, dass jenes Gericht allein schon aus Kapazitätsgründen nicht als Superrevisionsinstanz fungieren kann und somit gar nicht die Möglichkeit hätte, innerhalb unzähliger nationaler Sachverhalte die Anwendung der Unionsgrundrechte zu überwachen.[63] Zweitens lässt sich der weite Anwendungsbereich des Art. 18 AEUV und auch der Grundfreiheiten damit begründen, dass ihnen ausschließlich transnationale Sachverhalte unterfallen und folglich ihre Relevanz für die Beseitigung von Hindernissen und für den grenzüberschreitenden Verkehr besonders groß ist.[64] Sachverhalte, die in nationaler Zuständigkeit verbleien, unterfallen wegen ihrer Rückwirkung auf den Binnenmarkt beziehungsweise die Unionsbürgerfreizügigkeit einem Diskriminierungsverbot.[65] Hier geht es allerdings gerade nicht um transnationale Sachverhalte, sondern um interne Konstellationen, innerhalb derer ein ähnlich weiter Zugriff europäischer Vorgaben schwer zu rechtfertigen ist.[66]

Drittens hat der EuGH in zwei neueren Entscheidungen bestätigt, dass schlichte Unterstützungs- und Koordinierungsbefugnisse der Union keinen ausreichenden Bezug vom Unionsrecht zum nationalen Recht begründen.[67] Letztlich findet die Charta auch dann keine Anwendung, soweit das Unionsrecht selbst wie beispielsweise im Kontext der Sicherheitsdienste und des Strafrechts nationale Vorbehalte anerkennt oder einen bestimmten Eingriff gar nicht thematisiert.[68] So kam das BVerfG im Rahmen der Einrichtung einer nationalen Antiterrordatei zutreffend zum Ergebnis, dass es sich dabei um einen rein nationalen Sachverhalt ohne Unionsrechtsbezug handelt, bei dem eine Einwirken des EuGH einen ultra-vires-Akt darstellen würde.

Scheinbar sind abstrakte unionsrechtliche Befugnisse somit nicht ausreichend, sondern die Union muss dafür ihre Gesetzgebungskompetenzen auch tatsächlich ausgeübt haben. Im "Anwendungsbereich des Unionsrecht" befänden sich danach nationale Normen, die als Folge unionsrechtlicher Richtlinien oder Verordnungen erlassen wurden. Nach ständiger Rechtsprechung, die der EuGH im Fransson-Urteil ausdrücklich als weiterhin geltender Maßstab nennt,[69] sind davon auch Normen er-

fasst, die zur Ausfüllung von Gestaltungs- und Handlungsspielräumen von den Mitgliedstaaten erlassen wurden. Wenn von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts ausgegangen wird, scheint es plausibel, dass eine solche Ausdehnung sich auf den Bereich der Anwendung innerhalb von Handlungs- und Gestaltungsspielräume bezieht. Hierbei scheint der EuGH hauptsächlich auf eine "messbare Verpflichtung kraft Unionsrecht" abzustellen, die als Hauptkriterium für die Anwendung der Charta gilt.

Dabei scheint es auf den ersten Blick unerheblich zu sein, ob das Unionsrecht bestimmte Vorgaben bezüglich der Sanktionierungsart macht oder gar der Mitgliedstaat die nationale Norm als Folge seiner unionsrechtlichen Verpflichtung erlassen hat. Ein solches Verständnis ist zugegebenermaßen weit, befindet sich aber noch im Rahmen einer plausiblen Wortlautauslegung einer "Durchführung". Der Begriff an sich impliziert nicht das Erfordernis einer Intention, sondern kann auch in rein tatsächlicher Hinsicht interpretiert werden. Somit führen Mitgliedstaaten auch dann Unionsrecht durch, wenn sie rein tatsächlich Normen erlassen, die der Zielrichtung von europäischem Sekundärrecht entsprechen, ohne dass gerade dieses Sekundärrecht die nationale Norm provoziert hat und ihnen somit die bewusste Intention fehlt, durch die nationale Norm Unionsrecht umzusetzen. Ob nun eine entsprechende Intention vorlag und somit das Unionsrecht causa des nationalen Rechts ist, spielt ohnehin keine Rolle, solange rein faktisch entsprechende nationale Normen existieren. Den Beweis liefert die Gegenprüfung: Würde man dem entsprechenden Mitgliedstaat vorwerfen, Unionsrecht nicht umgesetzt zu haben, dürfte der Mitgliedstaat auf die nationalen Normen mit entsprechendem Regelungsgehalt in einem fiktiven Vertragsverletzungsverfahren hinweisen, unabhängig von deren Entstehungsgeschichte.[70] Wenn nun auch davon unabhängig eine Rückbindung an das Unionsrecht vorausgesetzt wird, stellt dies eine weite, allerdings nicht uferlose und mit der bisherigen Rechtsprechung vereinigungsfähige Erweiterung dar.

Allerdings könnte möglicherweise eine Besonderheit des Falls das expansiv anmutende Urteil des EuGH rechtfertigen. Berührt sind nämlich über Art. 325 AEUV die finanziellen Interessen der Union – ein besonders sensibler Bereich, den die Union mangels Strafrechtskompetenz nicht selbst schützen kann.[71] Gerade wenn es um originäre Unionsinteressen geht ist die Union befugt, ein Mindestmaß an Sanktionen zu verhängen, was es nach klassisch-rechtsstaatlichen Vorstellungen auch sinnvoll und notwendig erscheinen lässt, den Bürger in solchen Konstellationen ebenfalls auf unionsrechtlicher Ebene Schutz durch die Charta zu gewähren. Aus der Fransson-Entscheidung könnte sich ergeben, dass nationale Normen, die in Verbindung mit dem Schutz originärer Unionsinteressen stehen, eher häufiger in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen ohne dass ein bestimmter sachlicher Zusammenhang notwendig ist. Ob diese Normen nun gerade den Schutz von Unionsinteressen bezwecken und darin ihren Ursprung haben oder unabhängig davon existieren, wäre nach dieser Interpretation unerheblich. Allein die abstrakt bestehende Kompetenz der Union, Mindestsanktionen zu verhängen rechtfertigt, dass stets Grundrechtsschutz durch die Charta gewährleistet ist. Eine solche Interpretation des Urteils scheint auch das BVerfG für möglich zu erachten.[72] Allerdings verweist der EuGH zur Rechtfertigung seines auf den ersten Blick recht expansiven Auslegung des Art. 51 GRC nicht auf den Schutz originärer Unionsinteressen und es bleibt abzuwarten, ob er, wie vom BVerfG gefordert, dieser Linie in weiteren Urteilen Folge leisten wird.

ee) Beurteilung des Urteils

Unabhängig davon, ob der Grund für die recht weite Interpretation des Art. 51 Abs. 1 GRC durch den EuGH das besondere Schutzerfordernis bezüglich originärer Unionsinteressen war, kann die Entscheidung jedenfalls zumindest nicht als Kompetenzusurpation abgelehnt werden und ist darüber hinaus letztendlich zu begrüßen. Zwar mag auf den ersten Blick verwundern, dass der EuGH ohne weitere Erklärungen die begrifflichen Unterschiede zwischen der "Durchführung" des Unionsrechts und dessen "Geltungsbereich" schlichtweg zu ignorieren scheint, indem er beides miteinander gleichsetzt und der Entstehungsgeschichte des Art. 51 GRC dabei auch keine ausdrückliche Beachtung schenkt. Andererseits bewegt sich der EuGH mit seiner Entscheidung innerhalb des ihm zustehenden Kompetenzrahmens, denn eine wie im Honeywell-Beschluss[73] befürchtete Erweiterung der europäischen Gesetzgebungskompetenz folgt aus dem Urteil gerade nicht.[74] Völlig aus dem Rahmen des Erwartbaren fällt die Entscheidung des EuGH ebenfalls im Lichte der bisherigen Rechtsprechung nicht. Denn auch in den Fällen Österreichischer Rundfunk [75] und Carpenter [76] bejahte der EuGH die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts trotz eines offensichtlich jeweils nur potenziellen und hypothetischen Einflusses des Unionsrechts auf die mitgliedstaatliche Handlung.[77] Außerdem hat die Anwendung der Unionsgrundrechte in den Mitgliedstaaten ihren Ursprung gerade in der Übertragung von Hoheitsrechten von den Mitgliedstaaten an die Union. Dadurch obliegt ihr auch die Gewährleistungsverantwortung für einen gemäß Art. 23 GG im Wesentlichen vergleichbaren lückenlosen Grundrechtsschutz.[78] Soweit Verhaltensnormen auf europäischer Ebene ansetzen und durch Sanktionen gesichert sind, soll das Unionsrecht auch diesbezüglich einen eigenen Mindestschutz gewährleisten.[79] Die EU-Rechtsordnung, die das Verhaltensverbot oder Verhaltensgebot aufstellt, muss ebenso auch Instrumentarien verschaffen, um unverhältnismäßigen

Durchsetzungen auf europäischer Ebene entgegentreten zu können.[80] Wie im zweiten Teil erläutert wird, bleibt ein weitergehender nationaler Grundrechtsschutz neben der europäischen Grundrechtsordnung möglich, soweit das Unionsrecht Handlungs- und Gestaltungsspielräume eröffnet.[81]

Gegen die Annahme, dass durch die Fransson-Entscheidung der Kompetenzbereich des EuGH substanziell erweitert werden sollte, spricht ebenfalls, dass jenes Gericht allein schon aus Kapazitätsgründen nicht als Superrevisionsinstanz fungieren kann und gar nicht die Möglichkeit hätte, innerhalb unzähliger nationaler Sachverhalte die Anwendung der Unionsgrundrecht zu überwachen. Auch das BVerfG stellt trotz des geäußerten Unmuts über die Entscheidung fest, dass ein ultra-vires-Handeln von Seiten des EuGH in diesem speziellen Fall nicht vorliegt, auch wenn er einem solchen durch seinen Gebrauch starker Worte wohl vorbeugen möchte.[82] Begrüßenswert ist die Entscheidung weiterhin deshalb, weil sie Rechtsunsicherheit vermeidet.

Schließt man sich der Meinung des Generalanwalts an, so müsste aufgrund eines komplexen Regel-Ausnahme-Verhältnisses in jedem Einzelfall das Verhältnis zwischen nationalem Recht und bestehender Unionsvorgabe analysiert und dann entsprechende Rückschlüsse für die Geltung der Charta gezogen werden. Aber gerade in verflochtenen Rechtsordnungen kann eben nicht eindeutig zwischen EU-Vorgaben und nationalen Gestaltungsspielräumen getrennt werden.[83] Die Frage der Abgrenzung von nationalem zu europäischem Grundrechtsbereich ist beispielsweise in Mindestharmonisierungskonstellationen wie auch dann streitig, wenn nationale Parlamente über die Ausgestaltung individueller Rechtspositionen entscheiden müssen.[84] Der Versuch hier ein System zur kohärenten und stringenten Kompetenzzuweisung zu erschaffen wäre kaum möglich und würde langfristig eher zu Abgrenzungsunklarheiten und zu erhöhter Rechtsunsicherheit führen. Geht man von einer weiten Interpretation des Art. 51 Abs. 1 GRC aus, vermeidet solche Abgrenzungsprobleme. Weiterhin ermöglicht diese Auslegung einen Gleichlauf der Anwendungsbereiche der EU-Grundrechte mit den sich aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Art. 6 III EUV) ergebenden Grundrechten (Art. 53 GRC)[85] sowie einen Gleichlauf mit der Linie der Rechtsprechung vor dem Fransson-Urteil. Hätte der EuGH nun einen eher restriktiveren Ansatz verfolgt, würde dies einen Bruch mit der bereits existierenden Rechtsprechung darstellen.

4. Der Geltungsbereich der europäischen Grundrechte im Strafverfahren

Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 gilt die Charta auch im Straf- und Strafverfahrensrecht als verbindliches Primärrecht. Für die Mitgliedstaaten gilt sie nicht als Rechtekatalog, der universell Rechte verleiht, sondern ebenfalls gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC "ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union".[86] Nach wie vor gilt, dass ein Strafverfahren, das weder in den materiell-rechtlichen Vorschriften noch hinsichtlich der anzuwendenden verfahrensrechtlichen Normen auf einer unionsrechtlichen Einwirkung beruht oder dahingehende Funktionen erfüllt, keinen Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte darstellt.[87] Dies gilt gerade dann, wenn Unionsrecht im Kontext des Strafrechts nationale Vorbehalte anerkennt oder gar nicht thematisiert.[88] Solche Strafverfahren werden aufgrund der mittlerweile umfangreichen Kompetenzen der EU bei der Gestaltung des materiellen wie auch des prozessualen Strafrechts jedoch immer seltener anzutreffen sein. Um den Anwendungsbereich der Unionsrechte im nationalen Strafverfahren konturieren zu können, wird zunächst ein Überblick über die Kompetenzen der EU im materiellen und prozessualen Strafrecht gegeben. Im Anschluss wird geprüft, in welchen Konstellationen es sich nach den bisherigen Erkenntnissen um die "Durchführung von Unionsrecht" handelt und die Charta folglich Anwendung findet.

a) Kompetenzen der EU im materiellen und prozessualen Strafrecht

Im materiellen Strafrecht wird zwischen expliziten und impliziten Unionskompetenzen unterschieden. Als explizite Kompetenz gilt die Ermächtigung der Union gemäß Art. 83 Abs. 1 AEUV zum Erlass von Richtlinien zur Bekämpfung transnationaler Kriminalität wie beispielsweise Terrorismus, Menschenhandel, Geldwäsche, Korruption und organisierte Kriminalität.[89] Dabei ermächtigt Art. 83 Abs. 1 AEUV zur Festlegung von strafrechtlichen Mindeststandards, die eine Untergrenze für das nationale Strafrecht darstellen.[90] Wenn bereits im betreffenden Politikbereich Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, ermächtigt die Annexkompetenz des Art. 83 Abs. 2 AEUV ebenfalls zum Richtlinienerlass. Implizite Kompetenzen finden sich im Bereich der Betrugsbekämpfung in Art. 325 IV AEUV,[91] wie auch für den Schutz des Zollwesens gemäß Art. 33 AEUV.[92] Auch der Erlass supranationaler Straftatbestände auf Grundlage des Art. 79 II lit. c und lit. d AEUV im Bereich des Menschenhandels sind der Union gestattet.[93]

Als zentrale Norm für Rechtssetzungskompetenzen im Strafprozessrecht gilt Art. 82 AEUV. Im Verfahrensrecht

ermächtigt Art. 82 Abs. 1 UA 2 AEUV Rat und Parlament zum Erlass von Maßnahmen in den dort bezeichneten Bereichen. Als Rechtsakte kommen hier im Unterschied zu Art. 82 Abs. 2, Art. 83 AEUV nicht nur Richtlinien, sondern auch Verordnungen und Beschlüsse in Betracht.[94] Zusätzlich ermächtigt Art. 82 Abs. 2 AEUV zum Erlass von Mindestvorschriften durch Richtlinien in bestimmten strafprozessualen Bereichen wie der Zulässigkeit von Beweismitteln und der Rechte des Einzelnen im Strafverfahren.[95]

b) Extensive Anwendung im zunehmend europäisierten Strafrecht

Folglich hat die EU im strafrechtlichen Bereich eine weitläufige Gestaltungsmacht inne,[96] was in Kombination mit dem weiten Verständnis der "Durchführung von Unionsrecht" im Fransson-Urteil der Charta substanziellen Einfluss gewährt. Gerade auch die erhebliche Gestaltungsmacht der EU im Rahmen der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialordnung, die häufig mit Straf- oder Bußgeldvorschriften einhergeht, führen zu einem großen Anwendungsrahmen.[97] Von einer "Durchführung von Unionsrecht" ist grundsätzlich auszugehen, wenn Unionsrecht, wie bei Richtlinien gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV, nach entsprechender Umsetzung national angewendet oder wie im Falle von Verordnungen gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV durchgesetzt wird.[98]

Im Fransson-Fall lässt der EuGH es genügen, dass ein Teil des Tatvorwurfs einen gewissen Berührungspunkt zu materiell-rechtlichen Vorgaben des Unionsrechts aufweist. Der Gerichtshof formuliert in dem Zusammenhang, dass keine Fallgestaltungen denkbar sind, die vom Unionsrecht erfasst sind, ohne dass die Grundrechte dabei Anwendung finden.[99] Interpretiert man dies dahingehend, dass es ausreicht, wenn "eine rechtliche Situation" vom Unionsrecht umfasst ist, dann wären tatsächlich eine Vielzahl von strafrechtlichen Tatvorwürfen inbegriffen. Gerade im zunehmend europäisierten Wirtschaftsstrafrecht wird dies etwa beim Wertpapierhandelsgesetz, bei der Verhängung von Antidumpingzöllen oder bei Verstößen gegen Höchstlenkzeiten häufiger der Fall sein.[100]

Gerade weil ein ausreichender Bezug zum Unionsrecht im Fransson-Fall bejaht wurde, obwohl die nationalen Normen nicht zur bewussten Umsetzung der EU-Richtlinie eingeführt wurden, werden wohl die meisten Normen, die entsprechende Bereiche betreffen, vom Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte umfasst sein.[101] Ebenfalls dann, wenn ein Mitgliedstaat eine unionsrechtlich gebotene Norm rein funktional dem Strafrecht zuordnet, ist die Charta einschlägig, auch wenn das Unionsrecht selbst lediglich einen Sanktionsschutz fordert.[102]

Zudem könnte aus dem Urteil folgen, dass die Charta beim Vorliegen vorgelagerter unionsrechtlicher Primärrechtsmaterien einschlägig ist. Dann wären auch Delikte aus dem Bereich des Wettbewerbs-, Wertpapier-, Umwelt-, Urheber-, und Lebensmittelstrafrecht vom Anwendungsbereich der Charta umfasst.[103] Insbesondere wenn es um den Schutz originärer Unionsinteressen geht, scheint eine damit in Verbindung stehende Norm die Anwendbarkeit der Charta zu begründen. Vom originären Unionsinteresse umfasst sind speziell die Finanzinteressen, die in Art. 325 AUEV geschützt werden. Diese können nicht nur durch Hinterziehung von Mehrwertsteuern, sondern darüber hinaus beispielsweise auch durch die Veruntreuung von Unionsgeldern und durch Subventionsbetrug bei Unionsbeihilfen beeinträchtigt werden.[104]

c) Anwendung der Charta auf das Strafverfahren

Gerade in der Erweiterung der europäischen Grundrechtsgeltung auf den strafprozessualen Bereich entsteht der Eindruck, dass Richtlinien mitunter nur noch schmale Stege sind, über die Unionsgrundrechte zum Maßstab für weite Teile des mitgliedstaatlichen Rechts werden.[105] Vor der Fransson-Entscheidung stellte der EuGH bereits im Rahmen der Steffensen-Entscheidung[106] klar, dass die europäischen Grundrechte nicht nur auf das materielle, sondern auch auf das prozessuale Strafrecht anwendbar sind. Der EuGH konstatierte im Rahmen dieser Entscheidung, dass die Verfahren zur Geltendmachung von Gemeinschaftsrechten nicht weniger günstig ausgestaltet werden dürfen als entsprechende innerstaatliche Klagen, auch wenn die Richtlinie keine prozessuale Vorgaben für das Strafverfahren macht.[107] Deshalb wurde im nationalen Prozessrecht ebenfalls die Durchführung einer Richtlinie des Lebensmittelrechts gesehen und die Unionsgrundrechte kurzerhand auf den verfahrensrechtlichen Gesamtkomplex bezogen.

Der EuGH führt diesen recht expansiven Ansatz in der Fransson-Entscheidung speziell in Hinblick auf die europäischen Justizgrundrechte der Art. 47 ff. GRC sogar noch weiter aus. An der Urteilsbegründung fällt auf, dass der EuGH die Anwendbarkeit des in dem Fall einschlägigen verfahrensrechtlichen Grundrechts (Art. 50 GRC) ausschließlich anhand der nationalen Normen des materiellen Recht bestimmt. Zu Schwierigkeiten führt diese Vorgehensweise dann, wenn sich in einem Sachverhalt verschiedene Tatvorwürfe vereinen, die unterschiedliche Verbindungen zum Unionsrecht aufweisen. Wird beispielsweise eine ec-Karte geraubt, das Opfer dabei erheblich verletzt und die ec-Karte plangemäß zum Computerbetrug benutzt, dann liegen Raub und Benutzung der ec-Karte im Anwendungsbereich des Unionsrechts – Art. 2

Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln[108] – die Körperverletzung aber nicht.[109] Orientiert man sich strikt an der Herangehensweise des EuGH, für den der Bezug des Unionsrechts zu den einzelnen materiellen Straftatbeständen ausschlaggebend ist, könnten innerhalb eines Verfahrens verschiedene prozessuale Grundrechtsordnungen zu beachten sein, je nach dem, ob der materielle Straftatbestand in den "Anwendungsbereich des Unionsrechts" fällt.[110] Um diese Problematik zu umgehen, behilft sich der EuGH mit der so genannten Dominotheorie:[111] Danach gilt die Charta für einen prozessualen Gesamtkomplex, auch wenn mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht vollständig unionsrechtlich determiniert sind.[112] Es reicht bereits, wenn europarechtliche Vorgaben einen Berührungspunkt zum Tatvorwurf aufweisen.[113] Dies führt dazu, dass die strafverfahrensrechtlichen Grundrechte nach Art. 47 ff. GRC einen äußerst weiten Anwendungsbereich erhalten.

d) Bedenken gegen einen erweiterten Anwendungsbereich

Insbesondere im Strafrecht spricht gegen eine erweiterte Anwendung der Unionsgrundrechte über Bereiche hinaus, die unmittelbar von einer Richtlinie vorgegeben werden, die Natur der Richtlinie an sich. Schließlich ist diese ein zweistufiger Rechtsakt, der gerade Gestaltungs- und Handlungsspielräume für die Mitgliedstaaten schafft. Agiert ein Mitgliedstaat im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Spielräume, bewegt er sich ja per definitionem gerade nicht in einem Bereich, der unionsrechtlich determiniert ist. Andererseits wurde die Ausfüllung von Handlungsspielräumen gerade durch das Unionsrecht veranlasst und deshalb plädieren manche Stimmen dafür, dass auch bei der nationalen Ausfüllung von Handlungsspielräumen entsprechende unionsrechtliche Mindestschutzgewährleistungen eingreifen sollten.[114] Aber insbesondere der besondere Stellenwert des Strafrechts für die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, der Bezug zu ihrem Souveränitätsverständnis wie auch der "strafrechtsspezifischen Schonungsgrundsatz"[115] legen es nahe, bei der Ausfüllung von Gestaltungsspielräumen nationale Grundrechte anzuwenden. Schließlich sind auch nationale Strafrechtsnormen, die Gestaltungsspielräume ausfüllen, von sozial-ethischen Wertvorstellungen geprägt, auch wenn sie unionsrechtlich beeinflusst sind. Deshalb wird vertreten, dass eine allgemeine unionsrechtliche Verpflichtung zur Sanktionierung für Art. 51 I 1 GRC nicht ausreiche. Das Strafverfahren sei grundsätzlich als Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Strafgewalt zu sehen,[116] selbst wenn einschlägige nationale Normen auf das Unionsrecht zurückführbar sind und folglich Auslegungsfragen des Unionsrechts eine Rolle spielen.[117] Nur dann, wenn materielles Strafrecht oder Strafverfahrensrecht Gegenstand unionsrechtlicher Harmonisierung geworden ist[118] oder zumindest wenn dem Unionsrecht konkrete Vorgaben für das nationale Recht entstammen, sollen die Unionsgrundrechte anwendbar sein. Nur der Bezug einer unionsrechtlichen Norm zu einem Sachverhalt soll keine Rechtfertigung dafür liefern, das gesamte Gerichtsverfahren an den europäischen Grundrechten, insbesondere an den Justizgrundrechten, auszurichten.[119] Ähnlich wird vertreten, dass die Strafrechtsanwendung nur dann unter Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRC zu subsumieren ist, wenn europäische Straftatbestände oder EU-Strafprozessrecht unmittelbare Wirkung entfalten.[120]

Auch die Erweiterung der Grundrechtsgeltung auf das Prozessrecht wirft Fragen auf. Problematisch ist daran grundsätzlich, dass das unionsrechtliche Prozessrecht nicht umfassende, einschlägige prozessuale Regelungen bereit hält und insoweit den Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum überlassen werden muss.[121] Deshalb werden im Strafprozessrecht dem Unionsrecht durch das nationale Kompetenzgefüge, dem Subsidiaritätsprinzip und letztlich auch durch den Grundsatz der Verfahrensautonomie Grenzen gesetzt. Dieser gebietet es nämlich, nationales Verfahrensrecht auf den Vollzug von EU-Recht anzuwenden, soweit das Unionsrecht selbst keine anwendbaren Grundsätze bereithält.[122] Wenn also nationale prozessuale Normen Anwendung finden, sollten auch entsprechend die nationalen Grundrechte und nicht die Unionsgrundrechte angewendet werden. Gerade aus diesen Gründen wird in der Literatur ein restriktiver Ansatz vertreten, wenn es um die Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte auf das Strafverfahren geht.[123] Deshalb liegt ein alternativer Lösungsansatz darin, die Bindung an die Unionsgrundrechte nur so weit anzuerkennen, wie Unionsgrundrechte auf die konkret anzuwendenden Rechtshandlungen anwendbar sind. Ihnen sollte aber nicht das gesamte Verfahren unterworfen werden.[124] Nur weil eine bestimmte unionsrechtliche Norm in einem Prozess relevant wird, dürfe nicht direkt das gesamte Verfahren an den Unionsgrundrechten zu messen sein.[125] Es ist natürlich zu befürchten, dass die parallele Anwendung verschiedener Grundrechtsordnungen zu Rechtsunsicherheit und schwierigen Abgrenzungsfragen führen mag. Allerdings muss sich die juristische Praxis in Zukunft mit der Idee eines Nebeneinanders verschiedener Grundrechtsordnungen abfinden und - vor allem im Hinblick auf die unten beschriebenen Doppelgeltung - entsprechende Herangehensweisen ausarbeiten.

e) Beurteilung des Anwendungsbereichs post-Fransson

Unabhängig von den generellen Argumenten, die für einen erweiterten Anwendungsbereich der Charta sprechen, liegt in einer weiten Deutung des Art. 51 GRC, besonders auch mit Hinblick auf das Strafverfahren, kein Verlust. Ausschlaggebend ist dabei eine rechtsstaatliche Betrachtungsweise. Soweit nämlich Strafsanktionen zur Sicherung und Durchsetzung von Verhaltensnormen angewendet werden, die auf europäischer Ebene angesiedelt sind, soll dies nicht ohne einen europäisch abgesicherten Grundrechtsschutz erfolgen.[126] Die EU-Rechtsordnung muss durch Sicherung eines eigenen Mindestschutzes dazu in der Lage sein, eine unverhältnismäßige Durchsetzung der Normen zu verhindern.[127] Gerade dabei ist nicht nur an das europäisierte materielle, sondern auch das damit untrennbar verbundene prozessuale Strafrecht zu denken, was bei konsequenter Fortführung einer klassisch-rechtsstaatlichen Betrachtungsweise ebenfalls der Charta unterworfen werden sollte.

Letztlich kann aber eine abschließende Beurteilung eines erweiterten Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte nicht ohne Kenntnis möglicher Konsequenzen erfolgen. Allgemein kann nichts dagegen eingewendet werden, dass zusätzlich zu den nationalen Grundrechtsordnungen noch die europäischen Grundrechte hinzutreten und es somit zu einem weiträumig intensivierten Grundrechtsschutz kommen könnte. Sollten jedoch nationale Grundrechte, die ein erhöhtes Schutzniveau aufweisen, durch Anwendung der europäischen Grundrechte stets ausgeschlossen werden und es somit zu einer Verdrängung kommen, würde dies zu einer europaweiten Absenkung des Grundrechtsschutzes führen. Das Verhältnis der Grundrechtsordnungen zu einander wird deshalb ausführlich im nächsten Teil behandelt. Zumindest scheint jedoch das Strafverfahren einer möglichen Doppelgeltung der beiden Grundrechtsordnungen aufgrund seiner zweipoligen Natur nicht entgegenzustehen. Käme es – wie bei tripolaren Grundrechtskollisionen – stets zu Folgeproblemen und einer damit verbundenen Absenkung des Schutzniveaus, wäre einem erweiterten Anwendungsbereich kritischer entgegenzutreten. Letztlich stärkt die Fransson-Entscheidung vielerorts die Gerichte, vornehmlich in Skandinavien und dem Vereinigten Königreich. Während aus nationaler Sicht die Entscheidung fast schon als Machtverlust oder Einflusseinbuße gewertet wird, stellt sie andernorts, wie auch in Schweden, vielmehr einen Machtgewinn für nationale Gerichte dar.[128] Das schwedische Gericht hätte ohne eine Anwendung des Art. 50 GRC das Strafverfahren nicht als Doppelbestrafung aussetzen können. Vor allem in Mitgliedstaaten, in denen der Grundrechtsschutz nicht so umfassend gewährleistet ist wie durch die Charta, bedeutet ein weiter Anwendungsbereich einen umfassenderen und intensiveren Schutz der Bürger.

III. Verhältnis von EU-Grundrechten zu nationalen Grundrechten

Die weitreichende strafrechtliche Europäisierung wie auch der Vorrang des Unionsrechts führen bei einer Harmonisierung dazu, dass ein einheitlicher Binnenstandard für die Strafverfolgung und das materielle Strafrecht gelten soll. Dies geschieht mit der bereits erörterten Folge, dass Individualrechtsschutz nicht nur über nationale Grundrechte geleistet werden kann und somit Bedarf nach Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene besteht. Darüber hinaus dürfen Harmonisierung und Herstellung eines einheitlichen Binnenstandards aber auch nicht durch nationale Sonderwege, wie auch durch die Anwendung nationaler Grundrechte, durchbrochen werden. Deshalb wird auch als Folge des Vorrangs des Unionsrechts anerkannt, dass nationale Grundrechtsgarantien ihre Form nur noch dann und insoweit behalten, als das Unionsrecht dem nationalen Recht bei der Umsetzung Gestaltungs- und Handlungsspielräume eröffnet.[129] Das Verhältnis von nationalen zu europäischen Grundrechten innerhalb dieser Spielräume ist dabei nun zunehmend umstritten. Höchst medienwirksam ist die Frage im Rahmen der Fransson/Melloni-Rechtsprechung des EuGH zu Tage getreten. Die besondere Brisanz entspringt einer bestimmten Interpretation des Melloni-Urteils, nach der trotz Doppelgeltung strengere nationale Grundrechte stets unanwendbar wären, weil sie die Durchsetzungskraft des Unionsrechts beeinträchtigen. Die europäischen Grundrechte würden folglich nicht nur ein Mindestschutzniveau garantieren, sondern auch eine Maximalschutzgrenze darstellen, was in Kombination mit dem erweiterten Anwendungsbereich zu einer Absenkung des europäischen Grundrechtsschutzes führen würde.[130] Ob der EuGH mit dem Melloni-Urteil tatsächlich eine solch drastische Linie verfolgt oder ob nicht auch eine andere Leseart des Urteils denkbar ist, soll im Folgenden erörtert werden. Hierbei wird sich zeigen, dass die Furcht vor einer Absenkung des Grundrechtsschutzes zugunsten einer wirkungsvollen sekundärrechtlichen Durchsetzung des Unionsrechts unbegründet ist.

1. Geltung nationaler Grundrechte innerhalb von Gestaltungsspielräumen

Generell werden im Schrifttum bezüglich des Verhältnisses zwischen nationalen und europäischen Grundrechten drei unterschiedliche Ansätze vertreten. Nach der engsten Auffassung entfalten europäische Grundrechte, sollten diese zur Anwendung kommen, eine uneingeschränkte Sperrwirkung und Vorrang vor nationalen Grundrechten.[131] Sobald es sich also um den Vollzug von Gemeinschaftsrecht handelt, sind hiernach nationale Rechts-

schutzmöglichkeiten in den Grenzen der Solange II-Rechtsprechung ausgeschlossen.[132]

Die Gegenauffassung vertritt, dass nationale und europäische Grundrechte parallel und gleichzeitig gelten sollen.[133] Somit wäre ein weiterreichender nationaler Grundrechtsschutz trotz Parallelgeltung der Gemeinschaftsgrundrechte noch möglich und europäische Grundrechte würden daneben einen zu beachtenden Mindeststandard sichern.

Herrschende Ansicht ist, dass grundsätzlich zunächst Rechtsnormen des Sekundärrechts der Prüfung am Maßstab nationaler Grundrechte entzogen sind. Wenn nämlich das aus autonomen Rechtsquellen fließende Unionsrecht nicht an nationalen Grundrechten gemessen werden darf, dann soll das auch für Normen gelten, die zwar von Mitgliedstaaten erlassen werden, aber nur faktisch in Funktion eines "verlängerten Arms" des Unionsgesetzgebers.[134] Jenseits des unionsrechtlich determinierten Bereichs, also immer dann, wenn der Grundsatz der Verfahrensautonomie zum Tragen kommt, sollen aber nationale Maßnahmen, die Unionsrecht umsetzen, an den nationalen Grundrechten gemessen werden. Der Grundsatz der Verfahrensautonomie greift dann ein, wenn das Unionsrecht keine einschlägigen Regelungen vorgibt oder wenn das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird.[135]

2. Klärung des Verhältnisses durch Art. 53 GRC?

Möglicherweise könnte Art. 53 GRC zur endgültigen Klärung des Verhältnisses zwischen nationalen und europäischen Grundrechten beitragen. Grundsätzlich besagt Art. 53 GRC, dass keine Bestimmung der Charta als eine Einschränkung oder Verletzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten auszulegen ist, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Übereinkommen, bei denen die Union, die Gemeinschaft oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die EMRK sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden.[136]

Allerdings ist eine Auslegung Art. 53 GRC als Aufweichung des Vorrangprinzips oder als Meistbegünstigungsklausel widersprüchlich, denn schließlich liegt der Ursprung der Unionsgrundrechte ja gerade darin, dass ein Eingreifen nationaler Grundrechte die einheitliche Anwendung des Unionsrechts behindern könnte. Deshalb ist es schwer vorstellbar, dass Art. 53 GRC den Vorrang des Unionsrechts und folglich die Basis für die Geltung europäischer Grundrechte aufweichen sollte.[137] Vielmehr soll die Norm, ähnlich wie Art. 142 GG, lediglich die Eigenständigkeit der nationalen Grundrechtsordnungen gegenüber den Grundrechten des Gesamtverbandes sicherstellen. Art. 53 GRC sagt bloß aus, dass die Unionsgrundrechte zwar Vorrang vor entgegenstehenden nationalen Grundrechte genießen, dass aber außerhalb der Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach wie vor die nationalen Grundrechte gelten.[138] Eine endgültige Regelung bezüglich des Verhältnisses zwischen europäischen und nationalen Grundrechten lässt sich der Norm nicht entnehmen und folglich ist das Augenmerk im nächsten Schritt auf die EuGH-Judikatur zu legen.

3. Klärung des Verhältnisses durch die EuGH-Judikatur?

Besonders seit zwei Leitentscheidungen des EuGH ist das Verhältnis zwischen europäischen und nationalen Grundrechten in den Fokus der Medien gerückt. Nicht nur von einem "Staatsstreich" ist die Rede,[139] sondern gar davon, dass sich der EuGH der Grundrechtecharta zu Integrationszwecken bemächtigen will.[140] Die Empörung ist besonders groß, weil nach Ansicht einiger Stimmen in der Literatur der EuGH gerade im besonders grundrechtsempfindlichen Strafrecht eine Unionisierung der Grundrechtsstandards forciert hat.[141] Im Folgenden werden zunächst die zwei Entscheidungen, die besondere Aufruhr verursachten, dargestellt und analysiert, um ihre Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen nationale und europäische Grundrechte zu beurteilen.

a) Die Melloni-Entscheidung
aa) Sachverhalt

Im Fall Melloni wurde der Betroffene von einem italienischen Gericht in seiner Abwesenheit wegen betrügerischen Konkurses zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Verurteilte rügte, dass die im Verfahren tätigen Anwälte zum Zeitpunkt des Verfahrens nicht mehr von ihm beauftragt waren. Spanien wollte die Vollstreckung des Haftbefehls an die Bedingung knüpfen, dass Melloni in Italien ein Rechtsmittel gegen seine Verurteilung zur Verfügung stehen werde. Ansonsten könnte der Wesensgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren nach der spanischen Verfassung verletzt sein. Allerdings schloss Art. 4 a Abs. 1 RbEuHB die Möglichkeit einer verweigerten oder bedingten Auslieferung aus, wenn unter bestimmten Umständen Abwesenheitsurteile erfolgt sind.

bb) Anwendungsvorrang umfasst nationale Verfassungen

Was die Entscheidung für die Geltung nationaler Grundrechte neben der Charta so besonders macht, ist, dass es gerade um die Anwendbarkeit nationaler Grundrechte ging. Der EuGH stellte als wenig überraschendes Ergebnis fest, dass die nationalen Grundrechte in dem Fall keine Anwendung finden. Die Begründung ist, dass im

Rahmen des Europäischen Haftbefehls das materielle Strafrecht oder Strafverfahrensrecht durch die Union selbst harmonisiert wurde.[142] Dadurch, dass die nationalen Grundrechte vom Vorrang des europäischen Primär- und Sekundärrechts erfasst sind, kann nur dann Raum für nationales Verfassungsrecht bestehen, wenn den Mitgliedstaaten ein gewisser Umsetzungsspielraum zusteht. Im Fall des europäischen Haftbefehls finden sich allerdings innerhalb des Rahmenbeschlusses selbst schon ein Katalog von Faktoren, die einer Vollstreckung entgegenstehen. Würde man neben diesen bereits festgelegten Faktoren noch weitere gelten lassen, könnte dies gegen das Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen. Aufgrund der Verfassungsidentität der supranationalen Rechtsgemeinschaft steht die Anwendung der nationalen Grundrechte weiterhin unter dem Vorbehalt des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, wozu auch die Unionsgrundrechte gehören.[143] Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts erfasst unter Einschluss der Grundrechte also auch die nationalen Verfassungen.[144] Der EuGH führt an entsprechender Stelle aus, dass die Anwendung nationalen Verfassungsrechts in einem solchen Fall die Einheitlichkeit des im Rahmenbeschluss festgelegten Grundrechtsschutzstandards in Frage stellt, zu einer Verletzung der Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung führen kann und daher die Wirksamkeit dieses Rahmenbeschlusses beeinträchtigt.[145] Wie bereits angedeutet, ist dieses Ergebnis an sich überraschend. Schließlich bestanden eindeutige EU-Vorgaben ohne Gewährung von nationalen Handlungsspielräumen und schon seit der Solange-II-Rechtsprechung gelten die nationalen Grundrechte in einem solchen Fall nicht als Maßstab.[146] Dass sich Spanien deshalb nicht auf ein strengeres nationales Grundrecht berufen konnte, ist an sich ein wenig brisantes Ergebnis. Den Aufschrei in der Literatur bewirkten schließlich nicht das Ergebnis des EuGH, sondern andere Implikationen, die dem Urteil entnommen werden können. Zunächst aber zu den Kernaussagen der Fransson/Melloni-Rechtsprechung.

b) Doppelgeltung als Kompromissangebot?

Der EuGH geht im Rahmen des Urteils auf einige Grundsatzfragen ein, die das Verhältnis zwischen europäischen und nationalen Grundrechten betreffen. Innerhalb nationaler Handlungs- und Gestaltungsspielräume sollen dabei europäische und nationale Grundrechte parallel gelten. So führt der EuGH an entsprechender Stelle des Fransson-Urteils aus: "Hat das Gericht eines Mitgliedstaats zu prüfen, ob mit den Grundrechten eine nationale Vorschrift oder Maßnahme vereinbar ist, die in einer Situation, in der das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, das Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführt, steht es somit den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin frei, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden (...)".[147] Dieser Schritt des EuGH, unter Umständen eine Doppelgeltung zwischen beiden Grundrechtsordnungen zu gewährleisten, wird als Kompromiss gewertet.[148]

Gerade im Hinblick auf die weite Interpretation des Art. 51 GRC in Kombination mit dem Grundprinzip des Anwendungsvorrangs hätte der EuGH zumindest potenziell die alleinige Geltung der Charta vorschreiben können.[149] Nach der bisher gefolgten Trennungsthese wäre schließlich im Anwendungsbereich der Charta eine Geltung der nationalen Grundrechte ausgeschlossen. Der Weg der Doppelgeltung ermöglicht es jedoch Mitgliedstaaten im Rahmen von Regelungen, die nur am Rande von Unionsrecht determiniert werden, einen eigenen grundrechtlichen Gestaltungsspielraum einfließen zu lassen. Dies könnte zunächst den möglichen Unmut der Mitgliedstaaten darüber abmildern, dass auch in solchen Fällen, in denen Unionsvorgaben nationale Normen nur peripher berühren, die europäischen Grundrechte anwendbar sind. So wird in der Literatur zum Teil dieser Vorgehensweise des EuGH als "mehr als eine symbolische Geste" bezeichnet, die den nationalen Gerichten bei Regelungen, die nur am Rande von Unionsrecht determiniert sind, einen eigenen Gestaltungsspielraum einräumen.[150]

c) Doppelgeltung als Kampfansage?

Manche Stimmen in der Literatur sehen in der EuGH Judikatur allerdings kein Kompromissangebot, sondern vielmehr eine Kampfansage. Wurzel des Unmuts ist eine bestimmte Interpretationsweise der Fransson/Melloni-Rechtsprechung, die den Grundsatz der Doppelgeltung nicht nur für die Wahrung der nationalen Grundrechtsordnung letztlich wertlos macht, sondern darüber hinaus stets auch den Ausschluss strengerer nationaler Grundrechte zur Folge hätte. Im Fransson-Urteil wird zunächst auf eine mögliche Doppelgeltung hingewiesen, aber im Anschluss auf eine bestimmte Stelle im Melloni-Urteil verwiesen. Dort wird die Nichtanwendung eines schutzintensiveren nationalen Grundrechts damit begründet, dass ansonsten die Verletzung der Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung sowie die Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses beeinträchtigt wären.[151] In Zusammenschau dieser beiden Urteilsstellen könnte man denken, dass strengere nationale Grundrechte generell als Beeinträchtigung des Vorrangs, der Einheit und der Wirksamkeit des Unionsrechts gelten und somit stets von der Anwendung ausgeschlossen sind.[152] Folglich käme es nur dann zu einer Doppelgeltung von europäischen und nationalen Grundrechtsnormen, wenn die einschlägigen nationale Grundrechtsnormen nicht strenger als ihr europäisches Pendant sind und somit die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen könnten.

In diesem Fall aber wäre nicht nur eine Doppelgeltung für die Wahrung und Durchsetzung der nationalen Grundrechte wirkungslos, sondern schon der Begriff der Doppelgeltung verfehlt. Schließlich würden die nationalen Grundrechte nicht parallel gelten, sondern wären entweder aufgrund intensiveren Schutzcharakters ausgeschlossen oder würden allenfalls ein Schattendasein fristen, weil sie europäische Grundrechtsnormen lediglich konkretisieren würden. Einzig und allein dann, wenn nationale und europäische Grundrechte vollkommen deckungsgleich sind und identisch ausgelegt werden, hätten die Unionsgrundrechte keinen Vorrang vor den Grundrechten der Mitgliedstaaten. Gerade in diesen Fällen besteht aber auch kein besonderes Bedürfnis der Mitgliedstaaten, ihre Grundrechte als Ausdruck ihrer kulturellen und historischen Identität anzuwenden, da sich diese ja ohnehin mit den Unionsgrundrechten decken. Letztlich würden dadurch die grundrechtlichen Mindestvorgaben der europäischen Grundrechtecharta zu Punktvorgaben; ein Spielraum der Mitgliedstaaten entfiele größtenteils, wenn nationale Gerichte Verletzungen von Unionsrecht sanktionierten.[153]

In der einschlägigen Stelle des Melloni-Urteils erklärt der EuGH zwar, dass die strengeren nationalen Grundrechte nicht anwendbar sind.[154] Aber da dem nationalen Gesetzgeber in diesem Fall ohnehin kein Spielraum für die Anwendung nationaler Grundrechte zusteht, wird der EuGH in dieser Urteilspassage nur erklärt haben, warum bei umfassender unionsrechtlicher Normierung nationale Grundrechte, wie gehabt, keine Anwendung finden dürfen. Wären strengere nationale Grundrechte immer dann nicht anwendbar, wenn mitgliedstaatliche Handlungsspielräume eröffnet sind, dann würde dies zu einer Absenkung des grundrechtlichen Schutzniveaus führen. Historisch gesehen hatte das BVerfG die Prüfungskompetenz des EuGH gerade deshalb erweitert anerkannt, weil es anerkannte, dass der europäische Grundrechtsschutz einen vergleichbaren Schutzstandard gewährleistet. Könnte die Anwendung der Charta eine Absenkung des grundrechtlichen Schutzes bewirken, würde das dem Ursprung und dem Anspruch der Charta nicht gerecht werden, die letztlich gerade auch den durch die Europäisierung und Harmonisierung neuartigen grundrechtlichen Schutzbedarf innerhalb der Union gerecht werden möchte. Aus diesen Gründen scheint es grundsätzlich plausibler, die Einschränkung der grundrechtlichen Doppelgeltung durch den EuGH so zu interpretieren, dass für eine parallele Geltung der nationalen und europäischen Grundrechte einerseits das Schutzniveau der Charta als Mindestschutz gewahrt werden soll und andererseits der Vorrang des Unionsrecht beachtet werden muss, was aber nicht impliziert, dass strengere nationale Grundrechte per se unanwendbar sind, weil sie die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen könnten.[155]

d) Abschließende Beurteilung

Generell ist der Weg der Doppelgeltung zu begrüßen, denn letztlich ist unbestritten, dass das Strafverfahren "Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Strafgewalt" bleibt, auch wenn dadurch unionsrechtliche Bestimmungen umgesetzt werden und folglich im Strafverfahren Auslegungsfragen des Unionsrechts relevant sind.[156] Auch kann der Fransson/Melloni-Rechtsprechung nicht die drastische Folge beigemessen werden, dass strengere nationale Grundrechte stets automatisch schon deshalb unanwendbar sind, weil sie die Durchsetzungskraft des Unionsrechts beeinträchtigen könnten. Im Endeffekt sollen weder die Charta noch der Vorrang des Unionsrechts bei spielraumgewährendem Sekundärrecht den Grundrechtsschutz per se minimalisieren.[157] Schließlich gewährt gerade das zweipolige Strafrecht die Möglichkeit der parallelen Geltung verschiedener Grundrechtsordnungen, denn anders als bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen kommt es nicht zwingend zu einer Vereinheitlichung.[158]

Dennoch ist der Vorrang des Unionsrechts zu beachten, was dem EuGH bedeutsamen Einfluss gewährt. Zunächst müssen das BVerfG und die deutschen Fachgerichte stets überprüfen, ob die Ergebnisse, zu denen sie unter Anwendung der nationalen Grundrechte gekommen sind, mit den Vorgaben der Charta übereinstimmen.[159] Dies kann häufig nur durch ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV nach Vorlage beim EuGH erfolgen.[160] Es ist davon auszugehen, dass sich im Konfliktfall aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts letztendlich die Charta durchsetzt. Was dies konkret für das Bestehen strengerer nationaler Grundrechtsnormen bedeutet, ist noch unklar. Es bleibt abzuwarten, wie diese konkret mit dem Vorrang des Unionsrechts in Einklang gebracht werden können, auch wenn sie nicht automatisch von der Anwendung ausgeschlossen sind. Gerade im Strafrecht, dem "schärfsten Schwert des Staates", sollte die Abwägung zwischen Vorrang des Unionsrechts und Individualschutz deutlich zugunsten letzteren ausfallen und die Charta gerade nicht als Einfallstor für eine potenzielle Reduzierung des nationalen Grundrechtsschutzes gelten. Auch wenn das Strafrecht zunehmend der Europäisierung ausgesetzt ist, soll dies dennoch nicht heißen, dass Bürgern nicht auch die Abwehrrechte zuteil werden sollten, die als Teil ihrer nationalen Identität historisch und kulturell gewachsen sind.

Problematisch wird die Doppelgeltung hauptsächlich für Mitgliedstaaten, die aufgrund ihres eigenen ausgefeilten Grundrechtskatalogs auf schwierige Anpassungsprobleme treffen könnten.[161] Da das deutsche Strafverfahrensrecht mit Blick auf Ermittlungseinschränkungen an sich aber sehr zurückhaltend ist, sollte die Fransson/Melloni-Rechtsprechung wenige direkte Auswirkungen haben.[162] Beispielsweise im Hinblick auf das Beweisverwertungsverbot aus § 136a StPO, das den unionsrechtlich anerkannten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, dem nemo-tenetur-Grundsatz und der Menschenwürde verkörpert, sollte eine parallele Geltung von nationalen und europäi-

schen Grundrechten auswirkungslos bleiben.[163] Per se bewirkt die Einschränkung der Doppelgeltung durch die "Dreifaltigkeitsformel", "Vorrang, Einheit, Wirksamkeit", keine Absenkung des Grundrechtsschutzes. Gerade wenn man davon ausgeht, dass nationale und europäische Grundrechte auf einem hohen Level konvergieren werden. Dennoch bleibt nach der Fransson/Melloni-Rechtsprechung das ungute Gefühl, dass die Erweiterung des Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte nicht so sehr einem umfassenderen Grundrechtsschutz der Unionsbürger bezweckt, sondern mehr zur wirksamen, flächendeckenden und effektiven Anwendung des Unionsrechts beitragen soll.

IV. Fazit

Die fortschreitende Europäisierung und Harmonisierung des Strafrechts führt dazu, dass ein immer größerer Teil der nationalen Normen dem direkten Einfluss des Unionsrechts unterliegen. Gerade im strafrechtlichen Bereich ist der Individualschutz der Bürger von überaus großem Interesse und gerade deshalb sollte das Unionsrecht, wenn es schon die strafrechtliche Rechtssetzung vermehrt beeinflusst, auch entsprechende Schutzmöglichkeiten auf europäischer Ebene ansiedeln. Die großzügige Interpretation des EU-grundrechtlichen Anwendungsbereichs durch den EuGH im Fransson-Urteil ist folglich zu begrüßen, denn sie ist nicht nur mit der bisherigen Rechtsprechung vereinbar, sondern auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten geboten. Letztlich darf dieser erweiterte Anwendungsbereich der europäischen Grundrechte aber nicht dahingehend instrumentalisiert werden, dass strengere nationale Grundrechte kategorisch verdrängt werden, um die Durchsetzbarkeit des Unionsrechts zu stärken. Zwar ist dies sicherlich ein nicht zu vernachlässigendes Motiv, letztlich darf es aber nicht zur Absenkung des grundrechtlichen Schutzniveaus in Europa führen. Per se spricht eine Doppelgeltung beider Grundrechtsordnungen aber auch nicht für eine solch drastische Entwicklung. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie der EuGH den Balanceakt zwischen Sicherung des Vorrangs des Unionsrechts und Akzeptanz strengerer nationaler Grundrechte bewältigen wird.


[1] Zum Vorrang der Verfassung vgl. Hill in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 2. Aufl. (2001), § 156 Rn. 81.

[2] Michel JuS 1961, 274, 275; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht (1969), S. 25 ff.

[3] BVerfGE 6, 389, 433; 32, 98, 109; 82, 236, 259.

[4] Lepa DVBl 1972, 161, 165; Starck, JuS 1981, 237, 240; Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz (1999), S. 42.

[5] Schmidt ZStW 121 (2009), 645, 670.

[6] Gaede in: Enzyklopädie des Europarechts, Bd. 9 Europäisches Strafrecht (hrsg. von Böse, 2013), § 3 Rn. 5.

[7] Gaede ZStW 115 (2003), 845 ff.

[8] Kingreen JuS 2000, 857, 858; Franzius DÖV 2008, 933, 935; Nicolaysen EuR 2003, 719 ff.

[9] EuGH, Slg. 1970, 1125/1135, Rn. 3.

[10] Vgl. Rüter ZStW 1993, 35; Schubarth ZStW 110 (1998), 847; Greve in: Sieber, Europäische Einigung und Strafrecht (1993), S. 109 f.

[11] Cremer NVwZ 2003, 1452, 1454.

[12] Ranacher ZÖR 58 (2003), 21, 41.; Streinz, Europarecht, 6. Aufl. (2003), S. 143 f.

[13] Scheuing EuR 2005, 162, 163.

[14] Vgl. Eeckhout CML Rev. 39 (2002), 963; Jürgensen/Schlünder AöR 121 (1996), S. 221 f.

[15] Nusser, Unionsgrundrechte (2011), S. 10.

[16] Leiturteil: EuGH, Rs. 5/88 (Wachauf). Slg. 1989, 2609. Weitere Entscheidungen: EuGH,   Rs. C-2/92 (Bostock), Slg. 1994, I-955; EuGH, Rs. C-351/92 (Graff), Slg. 1994, I-3361; EuGH, Rs. C-63/93 (Duff), Slg. 1996, I-569; EuGH 1996, verb. Rs. C-74/95 u. C-129/95 (Strafverfahren gegen X), Slg. 1996, I-6609; EuGH, Rs. C-309/96 (Annibaldi), Slg. 1997,   I-7493; EuGH, Rs. C-292/97 (Karlsson), Slg. 2000, I-2737; EuGH, Rs. C-94/00 (Roquette), Slg. 2002, I-9011; EuGH, verb. Rs. C-20/00 und C-64/00 (Booker Aquaculture und Hydro Seafood), Slg. 2003, I-7411.

[17] Dazu, dass in Durchführungskonstellationen ein Handeln der Mitgliedstaaten als "agents" der Gemeinschaft vorausgesetzt ist, vgl. Jacobs E.L.Rev. 26 (2001), 331, 333; Kingreen/Störmer EuR 1998, 263, 279.

[18] Kingreen in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Kommentar, 4. Aufl. (2011), Art. 51 GRC Rn. 8.

[19] Vgl. Kingreen a.a.O. (Fn. 18), Art. 51 GRC Rn. 8.

[20] Streinz/Michl in: Streinz, Beck’sche Kurz-Kommentare, EUV/AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 51 GRC Rn. 7.

[21] BVerfGE 118, 79, 95.

[22] BVerfGE 118, 79, 95 (Treibhausgasemmissionen); BVerfGE 121, 1, 15 (Vorratsdatenspeicherung).

[23] So EuGH, Rs. C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Rn. 42.; Rs. C-368/95, Familiapress, Slg. 1997, S. I-3689, Rn. 24 ff.; Rs. C-112/00, Schmidberger, Slg. 2003, S. I-5659, Rn. 57; Rs. C-36/02, Omega, Slg. 2004, S. I-9609, Rn. 35.

[24] Scheuing EuR 2005, 162.

[25] Nusser a.a.O. (Fn. 15), S. 15.

[26] EuGH, Rs. C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Rn. 42; Rs. C-368/95, Familiapress, Slg. 1997, S. I-3689, Rn. 24 ff.

[27] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn. 13.

[28] EuGH, Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Slg. 1979, S. 649 Rn. 8; zur Grundrechtsbindung in diesem Kontext EuGH Rs. C-112/00, Schmidberger, Slg. 2003, S. I-5659 Rn. 57.

[29] Scheuing EuR 2005, 162, 182.

[30] Eeckhout CML Rev. 39 (2002), 963, 970.

[31] Ehlers-Ehlers, Europäische Grundfreiheiten, 3. Aufl. (2009), § 14 V 3 Rn. 53, Grabenwarter EuGRZ 2004, 563, 564 f.; Jarass, Charta der Grundrechte (2010), Art. 51 Rn. 10; Scheuing EuR 2005, 162, 182 ff.

[32] Die alten Rechtsgrundsätze gelten gem. Art. 6 Abs. 3 EUV fort, siehe Weiß EuZW 2013, 287, 289.

[33] Abl. EU 2007 Nr. C 303/17, S. 32.

[34] Abl. EU 2007 Nr. C 303/17, S. 32.

[35] Vgl. GA Bot, Schlussanträge v. 5.4.2011 in der Rs. C-108/10 (Scattolon).

[36] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn. 7.; Vgl. auch EuGH, verb. Rs. C-74/95 und C-129/95, X, Slg. 1996, I-6609 Rn. 24f.

[37] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn. 7.; deutlich die Große Kammer des EuGH in Rs. C-540/03, Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5769 Rn. 22; Szczekalla NVwZ 2006, 1019, 1020.

[38] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn. 9.

[39] Winter NZA 2013, 473, 475.

[40] Winter NZA 2013, 473, 475.

[41] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 50.

[42] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 43.

[43] Weiß EuZW 2013, 287, 288.

[44] Diese gelten gem. Art. 6 Abs. 3 EUV fort; deshalb unterstützt Weiß EuZW 2013, 287, 289 das neue Urteil; Thym NVwZ 2013, 889, 890.

[45] Rabe NJW 2013, 1407.

[46] Pressemitteilung Nr. 76/12, Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-617/10, 12.06.2012.

[47] Dannecker JZ 2013, 616, 617.

[48] Thym in: Verfassungsblog v. 28. Februar 2013, http://goo.gl/MNvrl , zuletzt abgerufen am 19. März 2014.

[49] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[50] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[51] Thym NVwZ 2013, 889, 890.

[52] EuGH, C 74/75 u.a., X, Slg. 1996, S. I-6609; Dannecker JZ 2013, 616, 617.

[53] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn. 9.

[54] Eckstein ZIS 2013, 220, 222; vgl. EuGH (Generalanwalt), Schlussanträge v. 12.6.2012 – C-617/10 (Fransson), Rn. 52 ff.

[55] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 44.

[56] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 44.

[57] BVerfG, 1 BvR 1215/07, Urteil v. 24.4.2013, BeckRS 2013, 49916.

[58] BVerfG, 1 BvR 1215/07, Urteil v. 24.4.2013, BeckRS 2013, 49916, Rn. 91.

[59] BVerfG, 1 BvR 1215/07, Urteil v. 24.4.2013, BeckRS 2013, 49916.

[60] Thym NVwZ 2013, 889, 893.

[61] Thym a.a.O. (Fn. 48); Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anwendung von Art. 18 AEUV sowie der Grundfreiheiten nicht auf den Sachbereich der EU-Harmonisierung begrenzt; vgl. exemplarisch EuGH, C-73/08, Slg. 2010, I-2735, Rn. 28 f. – Bressol & Chaverot.

[62] v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Kommentar (2013), Art. 18 AEUV Rn. 34 ff.

[63] Hierfür spricht auch, dass der EuGH den schwedischen Gerichten die Determinierung überlässt, ob tatsächlich eine doppelte Bestrafung vorliegt.

[64] Reine Inlandssachverhalte unterfallen (ungeachtet der unklaren Definition) mangels Eröffnung des Schutzbereichs ratione personae regelmäßig nicht Art. 18 AEUV; vgl. EuGH, C-212/06, Slg. 2008, I-1683 = BeckRS 2008, 70377 Rn. 38 f. (Gouvernement de la Communauté francaise et Gouvernement wallon).

[65] Vgl. Kingreen in: v.Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 705.

[66] Thym NVwZ 2013, 889, 893.

[67] EuGH, Urteil v. 19.4.2013 – C-128/12, BeckRS 2013, 09317.

[68] Gaede a.a.O (Fn. 6), § 3 Rn. 27.

[69] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 43.

[70] Wegner HRRS 2013, 126, 128.

[71] Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, 6. Aufl. (2013), § 9 Rn.26.

[72] Vgl. Pressemitteilung v. 24.4.2013, Nr. 2.

[73] EuGH, Urteil v. 12.7.2012 – C-J061/10, BeckEuRS 2012, 681394 – Honeywell.

[74] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[75] EuGH, Urteil v. 22.1.2013 – C-283/11 – Österreichischer Rundfunk.

[76] EuGH, Urteil v. 11.7.2001 – C-J006/00, BeckEuRS 2002, 264007 – Carpenter.

[77] Nusser a.a.O. (Fn. 15), S. 28.

[78] Rathke in: Verfassungsblog vom 8.3.2013, http://www.verfassungsblog.de/de/eugh-akerberg-fransson-mangold-reloaded/#.UiM1Exa8Vcw , zuletzt abgerufen am 19. März 2014.

[79] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[80] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[81] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[82] BVerfG, 1 BvR 1215/07, Urteil v. 24.4.2013, BeckRS 2013, 49916, Rn. 91.

[83] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[84] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[85] Rathke a.a.O. (Fn. 80).

[86] Dies umfasst nach der ERT-Rechtsprechung, die nach Fransson noch immer gilt, auch Einschränkungskonstellationen. Kokott/Sobotta EuGRZ 2010, 265 ff.; König/Nguyen ZJS 2008, 140, 142.

[87] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[88] So im Ergebnis auch BVerfG 24.4.2013, 1 BvR 1215/07, Rn. 88 ff. zu Fransson.

[89] Walther WiJ 2013, 158, 160.

[90] Ambos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (2008), 472; Safferling, Internationales Strafrecht: Strafanwendungsrecht – Völkerstrafrecht – Europäisches Strafrecht (2011), 417.

[91] Satzger a.a.O. (Fn. 73), § 8 Rn. 25.

[92] Satzger a.a.O. (Fn. 73), § 9 Rn. 50.

[93] Satzger a.a.O. (Fn. 73) ,§ 8 Rn. 26; vgl. Walter ZStW 2005, 918 f.

[94] Vogel a.a.O. (Fn. 64), Art. 82 Rn. 51.

[95] Ahlbrecht/Lagodny StraFO 2003, 329.

[96] Dabei ist allerdings gemäß dem Lissabon Urteil eine enge Auslegung der Art. 82 und 83 AEUV zu beachten, BVerfG Urteil vom 30.6.2009, Rn. 363.

[97] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[98] Borowsky in: Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. (2011), Art. 51 GRC Rn 24 ff.

[99] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 46.

[100] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[101] Dannecker JZ 2013, 616, 617.

[102] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[103] Walther WiJ 2013, 158, 160.

[104] Walther WiJ 2013, 158, 160.

[105] Kingreen a.a.O. (Fn. 18), Art. 51 GRC Rn. 12.

[106] EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-3735.

[107] Dannecker JZ 2013, 616, 618.

[108] Abl. EG 2001 Nr. L 149/1.

[109] Eckstein ZIS 2013, 220, 224; ders. ZStW 123 (2012), 490, 517 ff.

[110] Walther WiJ 2013, 158, 158.

[111] Eckstein ZIS 2013, 220, 224.

[112] Eckstein ZIS 2013, 220, 224.

[113] Walther WiJ 2013, 158, 160.

[114] Schließlich sind Richtlinien für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts (1994), S. 68.

[115] Eisele JZ 2001, 1157, 1160; Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, 6. Aufl. (2013), § 8 Rn. 9.

[116] Ladenburger in: Tettinger/Stern, Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta (2006), Art. 51, Rn. 45.

[117] Ladenburger a.a.O. (Fn. 116), Art. 51, Rn. 45.

[118] Ladenburger a.a.O. (Fn. 116), Art. 51, Rn. 45.

[119] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn.7.

[120] Eckstein ZIS 2013, 220, 224.

[121] Dannecker JZ 2013, 616, 618.

[122] Dannecker JZ 2013, 616, 618.

[123] Eckstein ZIS 2013, 220, 224.

[124] Streinz/Michl a.a.O. (Fn. 20), Art. 51 GRC Rn. 7.

[125] Ladenburger a.a.O. (Fn. 116), Art. 51 GRC Rn. 18.

[126] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[127] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[128] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[129] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3, Rn. 6.

[130] Bülte ZWH 2013, 219, 223; Vogel StR 2013, Heft 5, Editorial.

[131] Kingreen a.a.O. (Fn. 18), Art. 51 GRC Rn. 11; Wetter, Grundrechtecharta des Europäischen Gerichtshofs (1998), S. 95.

[132] Bloß die Einleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 234 EGV bliebe den nationalen Gerichten noch offen; Calliess JZ 2009, 113, 119.

[133] Ruffert EuGRZ 1995, 518, 528; Pernice NJW 1990, 2409, 2417.

[134] Kingreen a.a.O. (Fn. 18), Art. 51 Rn. 11.

[135] Dannecker JZ 2013, 616, 617.

[136] Calliess JZ 2009, 113, 119.

[137] Becker in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. (2012), Art. 53 GRC Rn. 9.

[138] Kingreen a.a.O. (Fn. 18), Art. 53 GRC Rn. 6.

[139] Süddeutsche Zeitung v. 27.02.2013.

[140] Vogel StV 2013, Heft 5, Editorial.

[141] Vogel StV 2013, Heft 5, Editorial.

[142] Dannecker JZ 2013, 616, 618.

[143] Thym NVwZ 2013, 889, 892.

[144] Thym NVwZ 2013, 889, 892.

[145] EuGH, Urteil v. 26.2.2013 – C-399/11, NJW 2013, 1215, Rn. 63.

[146] BVerfGE 73, 339 – Solange II.

[147] EuGH, C-617/10, Urteil v. 26.02.2013, HRRS 2013 Nr. 335, Rn. 60.

[148] Thym NVwZ 2013, 889, 892.

[149] Thym NVwZ 2013, 889, 892.

[150] Thym NVwZ 2013, 889, 892.

[151] EuGH, Urteil v. 26.2.2013 – C-399/11, NJW 2013, 1215, Rn. 63 = HRRS 2013 Nr. 223.

[152] Vgl. Bülte ZWH 2013, 219, 223; Vogel StR 2013, Heft 5, Editorial.

[153] Bülte ZWH 2013, 219, 223.

[154] EuGH, Urteil v. 26.2.2013 – C-399/11, NJW 2013, 1215, Rn. 63.

[155] Gaede a.a.O. (Fn. 6), § 3 Rn. 26.

[156] Dannecker JZ 2013, 616, 618.

[157] Gaede NJW 2013, 1279, 1281.

[158] Wegner HRRS 2013, 126, 129.

[159] Thym NVwZ 2013, 889, 895.

[160] Thym NVwZ 2013, 889, 895.

[161] Thym a.a.O. (Fn. 48).

[162] Bülte ZWH 2013, 219, 223.

[163] Bülte ZWH 2013, 219, 223. Ähnliches gilt für die Verwendungsverbote aus § 393 Abs. 2 AO und § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO, die ebenfalls im nemo-tenetur-Grundsatz wurzeln und deren Anwendung von der Judikatur bereits jetzt eng an diesen Grundsätzen orientiert ausgelegt wird.