HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Jul./Aug. 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

"Ihnen ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen!" – Zur Belehrung des Verhafteten über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Haftbefehlverkündungstermin

Von RA und Fachanwalt für Strafrecht Jochen Thielmann, Wuppertal

Die Frage, ab wann ein Beschuldigter in einem Strafverfahren zwingend einen Verteidiger an seiner Seite haben muss, ist vor drei Jahren vom Gesetzgeber neu beantwortet worden:[1] War bis dahin erst dann ein Fall notwendiger Verteidigung angenommen worden, wenn ein Beschuldigter länger als drei Monate in Untersuchungshaft war, so wurde dieser Zeitpunkt nunmehr vorgezogen auf den Beginn der Vollstreckung eines Haftbefehls (§ 140 Abs.1 Nr.4 StPO). Eine solche Beiordnung hat nach § 141 Abs.3 S.4 StPO "unverzüglich" zu erfolgen. Diese zeitliche Dringlichkeit kann jedoch mit dem Recht des Beschuldigten, sich selbst einen Verteidiger wählen zu dürfen, im Konflikt geraten. Es soll vorliegend aber nicht um die Frage gehen, ob die laut Gesetz "unverzügliche" Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch ohne dessen Anhörung möglich ist. Hier haben die Gerichte sich bereits dergestalt positioniert, dass eine Anhörung und eine angemessene Überlegungsfrist der Unverzüglichkeit nicht entgegenstehen.[2] Das Gericht muss "ohne schuldhaftes Zögern" handeln, was eine Zeit des Nachdenkens auf Seiten des Beschuldigten nicht entgegensteht. Sollte völlig ohne Anhörung beigeordnet werden, besteht ein Recht auf Austausch des Pflichtverteidigers.[3]

Der folgende Beitrag befasst sich mit der Thematik der Belehrung desjenigen Beschuldigten, der in Untersuchungshaft genommen wird. Die Möglichkeiten, sich über geeignete Strafverteidiger zu informieren, sind zu Beginn einer Untersuchungshaft stark eingeschränkt. Insofern ist es im Interesse eines fairen Verfahrens von besonderer Bedeutung, wie im Haftbefehlverkündungstermin die Belehrung durch den zuständigen Haft- bzw.

Ermittlungsrichter aussieht, um sicherzustellen, dass möglichst viele Beschuldigte selbstständig einen Verteidiger suchen, der ihr Vertrauen verdient.

I. Die derzeitige Praxis bei der Belehrung des Beschuldigten

Nimmt man sich einmal Protokolle einer haftrichterlichen Anhörung aus verschiedenen Bundesländern bzw. aus verschiedenen Gerichten desselben Bundeslandes zur Hand, so fällt auf, dass die Belehrungen qualitativ und quantitativ höchst unterschiedlich ausfallen.

1.Amtsgericht Wuppertal

a) In dem Protokoll eines Haftbefehlverkündungstermins des Amtsgerichts Wuppertal heißt es:

"Schließlich wird die Beschuldigte darauf hingewiesen, dass wegen ihrer Inhaftierung unverzüglich ein Pflichtverteidiger für die Dauer der Untersuchungshaft zu bestellen ist. Die Beschuldigte wird befragt, ob sie eine bestimmte Rechtsanwältin/einen bestimmten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger/in wünsche.
(für den Fall, dass die Beschuldigte eine bestimmte Rechtsanwältin/einen bestimmten Rechtsanwalt benennt) b.u.v. Der Beschuldigten wird RA X zum Pflichtverteidiger bestellt.
(für den Fall, dass der Beschuldigte niemanden benennt) Der Beschuldigte wird darauf hingewiesen, dass das Gericht eine geeignete Rechtsanwältin/einen geeigneten Rechtsanwalt selbst aussuchen wird, wenn der Beschuldigte innerhalb von zehn Tagen keine bestimmte Rechtsanwältin/keinen bestimmten Rechtsanwalt benennt."

b) Wenn es in dem Protokoll heißt, dass dem Beschuldigten nun "unverzüglich ein Pflichtverteidiger für die Dauer der Untersuchungshaft zu bestellen ist", so ist die Konzentration auf die Beiordnung eines Pflichtverteidigers so nicht richtig. Wenn ein Beschuldigter sich von einem Wahlverteidiger vertreten lassen möchte, so steht ihm dies schließlich frei. Es wird daher nicht klar gemacht, dass das Gesetz die Tätigkeit eines Verteidigers verlangt, nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Damit ist auch die Frage, ob der Beschuldigte einen bestimmten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger wünsche, nicht richtig gestellt.

Der Hinweis auf eine Beiordnung "für die Dauer der Untersuchungshaft" ist einerseits nicht vollständig richtig und andererseits verwirrend. Schließlich endet eine Beiordnung nicht automatisch mit dem Ende der Untersuchungshaft, weil sie – ggf. aus den anderen Gründen des § 140 StPO – regelmäßig über das Ende der U-Haft hinaus besteht. Es ist somit irreführend, wenn der Eindruck erweckt wird, dass der beigeordnete Verteidiger nur für die Zeit der Untersuchungshaft – und vielleicht auch nur im Hinblick auf diese Problematik (?) – an der Seite des Beschuldigten steht, auch wenn es gleichzeitig natürlich richtig ist, dass die Beiordnung erlöschen kann, wenn der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen wird und kein anderer Beiordnungsgrund gegeben ist.[4]

2. Amtsgericht Köln

a) Beim Amtsgericht Köln enthält das Protokoll nur folgende kurze Passage:

"Der Beschuldigte wurde darüber belehrt, dass er/sie aufgrund der Tatsache, dass er/sie sich in Untersuchungshaft befindet, durch einen Rechtsanwalt/Rechtsanwältin verteidigen lassen muss, und ihm/ihr ggf. ein Pflichtverteidiger/eine Pflichtverteidigerin beigeordnet werden wird; insoweit hat der/die Beschuldigte ein Auswahlrecht."

b) Der Hinweis, dass sich der Beschuldigte nun durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss und ihm ggf. ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden wird, ist vom Ansatz richtig. Allerdings ist die Kürze der Belehrung nicht geeignet, den Beschuldigten in die Lage zu versetzen, eine seiner Situation angemessene Entscheidung zu treffen. Zwar wird mitgeteilt, dass ihm ein Auswahlrecht zusteht, aber hinsichtlich der Möglichkeit, wie er an die geeigneten Informationen kommen kann und wie lange er sich Gedanken machen kann, schweigt das Protokoll. Hier besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass Richter mit eigenen Worten (und vielleicht auch nach eigenem Gusto) weitere Ausführungen machen, die hinterher nicht mehr nachzuvollziehen sind.

3. Amtsgericht Düsseldorf

a) Beim Amtsgericht Düsseldorf findet sich derzeit der folgende Text:

"Dem Beschuldigten wurde mitgeteilt, dass ihm ein Pflichtverteidiger/eine Pflichtverteidigerin zu bestellen sei, da gegen ihn Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a StPO – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 126a StPO – vollstreckt werde. Er erhalte Gelegenheit, binnen 3 Tagen/1 Woche ab heute schriftlich gegenüber dem Gericht zum Aktenzeichen des Haftbefehls einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin ihres Vertrauens zu benennen. Falls er keinen Rechtsanwalt/keine Rechtsanwältin benenne, werde das Gericht ihm einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin auswählen und als Pflichtverteidiger/Pflichtverteidigerin bestellen.
( ) Der Beschuldigte erklärte:
Ich möchte, dass mir der/die hier anwesende Rechtsanwalt/Rechtsanwältin als Pflichtverteidiger beigeordnet wird.
b.u.v. Rechtsanwalt X aus Düsseldorf wird dem Beschuldigten gem. § 140 Abs.1 Nr.4 StPO als Pflichtverteidiger-in beigeordnet.
( ) Der Beschuldigte erbat sich keine Gelegenheit zur Stellungnahme und stellte die Auswahl eines Pflichtverteidigers in das Ermessen des zuständigen Gerichts.
( ) Der Beschuldigte erklärte:
( ) Ich möchte, dass mir der/die heute nicht anwesende Rechtsanwalt/Rechtsanwältin als Pflichtverteidiger beigeordnet wird.
( ) Ich kenne keinen Rechtsanwalt/keine Rechtsanwältin.
( ) Ich äußere mich hierzu nicht."

b) Die Belehrung aus Düsseldorf wird sich – im Gegensatz zum rheinischen Rivalen – nicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, zu wenig ausführlich zu sein. Aber es gibt andere Probleme. Auch hier wird nur davon geredet, ein Pflichtverteidiger sei zu bestellen, so dass der Ausweg über die Wahlverteidigung dem Beschuldigten von Anfang an verborgen bleibt. Die Frage, welche Frist angemessen ist, innerhalb derer ein Beschuldigter einen Verteidiger benennen soll, ist insgesamt umstritten,[5] jedoch ist eine Drei-Tages-Frist in jedem Fall zu kurz.

Die Antwort des Beschuldigten nach dieser Belehrung wird zwar genau protokolliert, allerdings mit vorgefertigten Antworten. Wenn der Beschuldigte wünscht, dass der anwesende Rechtsanwalt beigeordnet werden soll – was dann auch unmittelbar geschieht – bleibt offen, wie es kommt, dass dieser Verteidiger schon am Termin teilnimmt. Wenn er auf Veranlassung des Beschuldigten gekommen ist, gibt es kein Problem, aber dies ist nicht die einzige mögliche Variante. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Richter unter Umgehung des Auswahl- und Benennungsrechts eines Beschuldigten kurzerhand selbstständig einen (ihnen vermutlich gut bekannten) Rechtsanwalt bitten, den Verhafteten kurz vor Beginn des Haftbefehlverkündungstermins in der Zelle aufzusuchen und diesen dann im folgenden Termin beiordnen.[6]

Das Protokoll benennt als zweite Möglichkeit, dass der Beschuldigte sich keine Gelegenheit zur Stellungnahme erbittet. Dies ist eine Umkehrung der rechtlichen Verhältnisse. Zum einen muss er um nichts bitten, denn es steht ihm eine solche Gelegenheit zu. Außerdem darf ein Schweigen auf die ursprüngliche Belehrung dieser Möglichkeit nicht so interpretiert werden, dass er keine Stellungnahmefrist benötigt, weil er keine Stellung nehmen will. Der freiwillige Verzicht auf das Auswahlrecht ist bei einem vernünftigen Beschuldigten nur unter diesen besonderen Umständen und in Unkenntnis der rechtlichen Bestimmungen zu erwarten.

Die letzte Alternative des Protokolls besteht aus drei Antwortmöglichkeiten. Zunächst bittet (!) der Beschuldigte um die Beiordnung eines bestimmten, nicht anwesenden Verteidigers. Es ergibt sich daraus nicht, ob er diesen bereits kennt und deshalb die Beiordnung wünscht oder "ins Blaue hinein" gewählt hat. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist auch ein Hinweis des Richters auf diesen bestimmten Anwalt. Die beiden weiteren Alternative führen unweigerlich dazu, dass zunächst niemand beigeordnet wird und die bereits benannte Frist zu laufen beginnt. Eine Aussage des Beschuldigten, dass er keinen Rechtsanwalt kenne, führt zu der Frage, was zu tun ist, um diesen Missstand abzuhelfen. Diese Frage wird vom Protokoll nicht beantwortet.

4. Amtsgericht Karlsruhe

a) Das "Protokoll über die Vernehmung des Beschuldigten nach vorläufiger Festnahme und Antrag auf Erlass eines Haftbefehls" beim Amtsgericht Karlsruhe enthält die folgende Passage:

"D. Beschuldigte wurde darüber belehrt, dass ihm/ihr vom Gericht ein Pflichtverteidiger/in zu bestellen ist, sofern er nicht einen Wahlverteidiger/in nimmt. D. Beschuldigte wurde befragt, ob er/sie eine/n Verteidiger/in seines/ihres Vertrauens kenne oder sonst die Bestellung einer/s bestimmten Verteidiger/s wünsche. D. Beschuldigte erklärte hierzu: "Ich möchte Rechtsanwalt X. als Pflichtverteidiger."

b) Das Amtsgericht Karlsruhe beginnt sehr gut, wenn er bereits im ersten Satz Pflichtverteidiger und Wahlverteidiger unterscheidet und dabei deutlich macht, dass ein Pflichtverteidiger nur dann zu bestellen ist, wenn kein Wahlverteidiger genommen wird. Hier wird deutlich gemacht, dass sich die Frage der Pflichtverteidigung nur stellt, wenn kein Wahlverteidiger beauftragt wird. Das weitere Prozedere ist aber auch in Karlsruhe zu dürftig, um es als eine angemessene Belehrung eines Inhaftierten zu bezeichnen. Was passiert, wenn der Beschuldigte keinen Rechtsanwalt nennen kann oder will? Wird er darüber informiert, dass ihm eine Zeit zusteht, einen passenden Rechtsanwalt zu finden? Wie sieht es mit den Sorgen eines Verhafteten bezüglich der Finanzierung eines Verteidigers aus? All diese Fragen werden auch in Karlsruhe nach diesem Formular gar nicht erst angesprochen.

5. Amtsgericht Passau

a) Schließlich sieht das Protokoll in Bayern, beim Amtsgericht Passau, wie folgt aus:

"Der Beschuldigte wurde gem. § 140 Abs.1 Nr.4 StPO über sein Recht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers belehrt.
Der Beschuldigte erklärte hierzu:
( ) Ich habe bereits einen Wahlverteidiger. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist mithin nicht erforderlich.
( ) Ich erbitte mir eine Frist von fünf Tagen zur Stellungnahme.
Die Frist wurde gewährt. Er/Sie wird die Benennung eines Wahl- oder Pflichtverteidigers unverzüglich an die Staatsanwaltschaft senden. Das entsprechende Formblatt hierzu wurde ausgehändigt. Geht das Formblatt nicht rechtzeitig bei der Staatsanwaltschaft ein, wird das Gericht einen Pflichtverteidiger auswählen.
( ) Ich benötige keine Gelegenheit zur Stellungnahme und stelle die Auswahl des Pflichtverteidigers in das Ermessen des Gerichts.
( ) Er/Sie bat um Beiordnung von RA/RA`in X.
Der/Die RA/RA`in konnten bislang nicht erreicht werden. Ein Sprechschein wird übersandt. Sollte keine Bereitschaft zur Mandatsübernahme bestehen, stelle ich die Auswahl in das Ermessen des Gerichts."[7]

b) In Passau hat man sich auch für eine ausführliche Protokollierung entschieden, in der auch die Unterscheidung zwischen Pflicht- und Wahlverteidiger frühzeitig deutlich gemacht wird. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist allerdings nicht nur dann nicht erforderlich, wenn der Inhaftierte bereits einen Wahlverteidiger hat, sondern auch wenn er einen solchen beauftragen will. Positiv hervorzuheben ist, dass es offenbar ein Formblatt gibt, das dem Beschuldigten ausgehändigt wird und in dem er seine Wahl dem Gericht mitteilen kann.[8] Wie er sich jedoch über geeignete Kandidaten informieren kann, bleibt offen.

Es gibt aber auch Mängel. Im Protokoll ist vom "Recht auf Beiordnung" die Rede, obwohl der Beschuldigte keine Möglichkeit hat, einen Verteidiger an seiner Seite abzulehnen. Auch hier gibt es die Formulierung, dass sich der Beschuldigte eine Stellungnahmefrist "erbitte", die dann "gewährt" wird, was Gedanken an eine längst vergangene, obrigkeitsstaatliche Justiz aufkommen lässt. Dem Beschuldigten steht eine angemessene Überlegungsfrist zu, es ist kein besonderes Entgegenkommen des Richters. Fünf Tage scheint angesichts der besonderen Situation sehr knapp bemessen zu sein.

Schließlich ist der Verzicht auf die eigene Auswahl und die Übernahme der Entscheidung durch das Gericht so prominent vertreten, dass man schon nicht mehr von einem subtilen Hinweis auf diesen Weg sprechen kann. Dies geschieht dann, wenn sich der Beschuldigte, der eine Frist erbittet, nicht rechtzeitig meldet, wenn er auf die Stellungnahme verzichtet oder wenn der gewählte Verteidiger keine Bereitschaft zur Mandatsübernahme zeigt. Warum in einem solchen Fall keine Möglichkeit einer zweiten Wahl besteht, ist nicht ersichtlich. Es scheint so zu sein, als ob das Protokoll immer wieder zu den Punkt kommt, dass ein Richter die Entscheidung trifft anstelle des Beschuldigten selbst.

6. Zusammenfassung

Auch nach drei Jahren ist nicht ersichtlich, dass die Belehrung des zu inhaftierenden Beschuldigten im Haftbefehlverkündungstermin einheitlich erfolgt. Alle fünf Formulare weisen wichtige Mängel auf, die mehr oder weniger große Auswirkungen auf den weiteren Fortgang des Verfahrens haben können.

7. Geschehen außerhalb des Protokolls

Es ergibt sich aus den zitierten Textbausteinen der Protokolle nicht, was tatsächlich im Termin gesprochen wird. Hier ist alles möglich, von der ausführlichen und fairen Belehrung im Sinne des Angeklagten, die all die Probleme der protokollierten Belehrung löst, bis hin zur offenen Nötigung, der Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zuzustimmen. Anhaltspunkte dafür, dass sich Richter nicht strikt an das vorformulierte Protokoll halten, wird jeder aufmerksame Strafverteidiger in der alltäglichen Praxis schon bemerkt haben. Ich möchte zwei kurze Beispiele schildern, die sich bei zwei Gerichten abgespielt haben, deren Formularprotokolle gerade überprüft worden ist.

  • Ein Festgenommener hat aufgrund der Umtriebigkeit seiner Verwandtschaft gleich zwei Verteidiger an seiner Seite, als er zum Haftrichter geführt wird. Nach der Invollzugsetzung des Haftbefehls ist der Haftrichter verwirrt, weil er nach eigenem Bekunden nun nicht weiß, welchen der beiden erschienenen Anwälte er nun beiordnen soll, zumal auch kein diesbezüglicher Antrag gestellt worden ist. Erst auf den Hinweis, dass eine Beiordnung doch wohl nicht angezeigt ist, wenn für einen Beschuldigten ein bzw. in diesem Fall sogar zwei Wahlverteidiger auftreten, entspannt sich der Richter und ordnet folgerichtig niemanden bei.
  • Ein Drogenabhängiger sitzt vor der Haftrichterin und nennt auf Befragen der Haftrichterin seinen ortsfremden Vertrauensanwalt. Als Antwort bekommt er zu hören, dass er sich gefälligst einen ortsansässigen Anwalt aussuchen solle, sie werde keinen auswärtigen Anwalt beiordnen. Nur weil
  • der Beschuldigte kategorisch auf seinem langjährigen Rechtsanwalt besteht und zudem erklärt, dass er keinen Verteidiger aus dieser Stadt kenne, erfolgt schließlich die gewünschte Beiordnung.

Diese beiden Beispiele zeigen, dass einerseits die Sicherheit mit dem Gesetz noch nicht endgültig vorhanden ist und zudem auch außerhalb des Protokolls versucht wird, Einfluss auf die Entscheidung des Beschuldigten auszuüben. Bei manchen Gerichten gibt es auch offensichtlich ein Standardvorgehen, das sich von den Protokollierungsvorschlagen stark unterscheidet.[9] Dies sollte nicht vorkommen, ist aber derzeit wohl nicht zu verhindern, weil insoweit die Transparenz fehlt und dem als einzigen anwesenden Beschuldigten in den überwiegenden Fällen die rechtliche Kenntnis fehlt.

II. Die äußeren Umstände

Die Belehrung durch den Haft- oder Ermittlungsrichter im Haftbefehlverkündungstermin über den weiteren Verfahrensablauf im Hinblick auf die Tätigkeit eines Verteidigers ist von besonderer Brisanz.

1. Die Situation des Verhafteten

Ein Beschuldigter befindet sich in einem Anhörungstermin beim Haftrichter, der am Ende einen Haftbefehl verkündet, regelmäßig in einer Ausnahmesituation.[10] Dies gilt umso mehr, wenn er alleine und ohne Rechtsanwalt dem Richter gegenübersitzt. Er wird dieser Situation nicht gewachsen sein, die zumeist ohne Vorwarnung auf ihn einstürzt. Wenn die zuständigen Polizeibeamten ihm den "Weg zum Haftrichter" angekündigt haben, denken jedenfalls diejenigen, die bis zu diesem Zeitpunkt keinen Verteidiger hinzugezogen haben, eher an Familie oder Arbeitsstelle als einen Rechtsbeistand. Bei den unmittelbaren Folgen der Inhaftierung steht die Verteidigung gegen den konkreten Tatvorwurf nicht an allererster Stelle.

Ein Beschuldigter sitzt einem Richter gegenüber, für den eine solche Anhörung mit anschließender Verkündung des Haftbefehls berufliche Routine ist, während der juristisch ungeschulte Beschuldigte völliges Neuland betritt und nicht wissen kann, was ihn erwartet. In dem Moment, in dem dann alles entschieden ist und für den Beschuldigten nicht selten die Welt einstürzt – der Haftbefehl wird verkündet und in Vollzug gesetzt –, wird dann vom Richter die Thematik des Pflichtverteidigers angesprochen. Ihm muss mitgeteilt werden, dass ihm eine Frist zusteht, innerhalb derer er sich einen Verteidiger suchen kann; unterbleibt dies, so kann er nach der Rechtsprechung den beigeordneten Verteidiger austauschen.[11]

Es versteht sich von selbst, dass ein Beschuldigter zu diesem Zeitpunkt generell überfordert ist, wenn es darum geht, eine wohlüberlegte Entscheidung zu treffen. Dabei ist es nur schwer vorstellbar, dass ein vernünftiger Beschuldigter zu diesem Zeitpunkt von sich aus bekundet, dass er keinen Verteidiger aussuchen möchte und das Gericht darum bittet. Es ist hingegen sehr gut vorstellbar, dass das Gericht anbietet, einen Verteidiger auszusuchen und zu bestellen, und der überforderte Beschuldigte diesem Vorschlag kurzerhand zustimmt, um seine Mitarbeit bzw. sein Vertrauen in den Richter und die Justiz zu bekunden. Ein solches Vorgehen hat jedoch den faden Beigeschmack, dass der Inhaftierte unter Druck handeln muss, und sollte deswegen möglichst vermieden werden. Dies ist auch in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung schon anerkannt. So haben sowohl das OLG Koblenz[12] als auch das OLG Düsseldorf sehr vernünftige Entscheidungen getroffen, die der besonderen Situation des Beschuldigten zu diesem Zeitpunkt gerecht werden. So hat das OLG Düsseldorf ausgeführt: "Mit Rücksicht auf die besondere Situation, in der sich ein oftmals überraschend und gerade erst in U-Haft genommener Beschuldiger befindet, hat daher der Ermittlungsrichter jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob der Beschuldigte sich bei Abgabe seiner Erklärung über deren Bedeutung, Bindungswirkung und Tragweite tatsächlich bewusst ist. Bestehen hieran Zweifel, darf im Interesse eines fairen Verfahrens von der Einräumung einer angemessenen Überlegungs- und Erklärungsfrist nicht abgesehen werden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 02.02.2011, 2 Ws 50/11 <juris>)."[13]

Das bedeutet, dass selbst dann, wenn ein Beschuldigter von sich aus um Beiordnung eines vom Richter auszusuchenden Verteidigers bittet, eine solche Bestellung dann nicht angezeigt ist, wenn Zweifel daran bestehen, dass sich der Beschuldigte über die "Bedeutung, Bindungswirkung und Tragweite" seiner Entscheidung bewusst ist. Bei einem juristisch nicht bewanderten Beschuldigten ist dies aber regelmäßig der Fall – wenn er nicht vorher von Seiten des Richters genau über die rechtliche Situation und die verschiedenen Möglichkeiten belehrt worden ist. Ohne eine vernünftige Belehrung ist daher von einer vernünftigen Entscheidung des Beschuldigten nur in Ausnahmefällen (wie zum Beispiel vielfach inhaftierter Beschuldigter) auszugehen.

2. Die Person des Verteidigers

Die Wahl eines Verteidigers ist nicht selten entscheidend für den weiteren Verlauf eines Strafverfahrens. Insofern

ist dieser Augenblick für einen Beschuldigten von höchster Bedeutung. Wenn die Qualität des Verteidigers nicht den Ansprüchen des Mandanten entspricht oder aber einfach die Chemie zwischen beiden nicht stimmt, kann dies für ein Verteidigungsverhältnis und damit auch für die Chancen im Prozess verheerende Auswirkungen haben. Umso wichtiger ist es, dass der Beschuldigte frühzeitig den "richtigen" Verteidiger findet und nicht am "falschen" bzw. "voreilig gewählten"[14] Verteidiger hängen bleibt.

Aus der Rechtsprechung der letzten Jahre wird evident, dass nicht immer die Kandidaten von den Gerichten als Pflichtverteidiger beigeordnet werden, die ihre Arbeit gewissenhaft machen[15]. Es gibt in der letzten Zeit genügend Beispiele für Pflichtverteidiger, die ihre Arbeit so nachlässig ausüben, dass die obergerichtliche Rechtsprechung sich gezwungen sah einzugreifen. So wurde ein Verteidiger durch das Oberlandesgericht Braunschweig entpflichtet, der den ihm anvertrauten und wegen des Verdachts des versuchten Mordes inhaftierten Mandanten zwei Monate lang nicht in der JVA besuchte.[16] Das Landgericht Trier entpflichtete einen Verteidiger, weil dieser bei Besprechungen mit dem Mandanten vergesslich erschien und häufig den Faden verlor, und begründete dies damit, dass der geschilderte Eindruck für die Kammer "aufgrund eigener Erfahrungen in der Vergangenheit durchaus nachvollziehbar" sei.[17] Das Kammergericht hat einen vom Haftrichter ausgesuchten Rechtsanwalt entpflichtet, weil dieser seine Mandantin trotz ihrer Weigerung wiederholt bedrängt hat, eine Honorarvereinbarung zu unterzeichnen, und zum Ausdruck gebracht hat, dass anderenfalls seine Motivation eingeschränkt sei.[18] Diese Fälle sind die Extrembeispiele, in denen sich Beschuldigte gegen die weitere Vertretung durch ihren Pflichtverteidiger wehren. Es muss davon ausgegangen werden, dass es unzählige ähnliche Fälle gibt, die keiner obergerichtlichen Prüfung zugeführt werden. Insofern bilden diese Entscheidungen die sichtbare Spitze eines Eisbergs. Die hohe Bedeutung der Verteidigerauswahl steht im direkten Gegensatz zu der Plötzlichkeit, in der der Haftrichter diesen Punkt im Haftbefehlverkündungstermin anspricht. Sie steht in der Praxis auch im Gegensatz zu der teilweise vorhandenen Bereitwilligkeit, mit der Beschuldigte den ihnen unbekannten Haftrichter über diese Frage entscheiden lassen, weil sie spontan keinen geeigneten Rechtsanwalt kennen und sich kooperativ geben wollen.

Entscheidend hinsichtlich der Person eines möglichen Pflichtverteidigers ist, dass sich der Beschuldigte darüber bewusst sein muss, dass nur unter bestimmten engen Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, diesen Rechtsanwalt auszutauschen. Dies wird bei vermögenden Beschuldigten kein Problem sein, weil durch die Beauftragung eines Wahlverteidigers gem. § 143 StPO die Beiordnung hinfällig wird. Aber bei der großen Mehrheit verhafteter Menschen besteht diese Möglichkeit aus finanziellen Gründen eben nicht. Aus diesem Grund muss ihnen vor Beiordnung eines Verteidigers bewusst gemacht werden, welche Konsequenzen dies haben kann, nämlich die dauerhafte Bindung an einen (dem Beschuldigten zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannten) Rechtsanwalt. Da die Rechtsprechung den Wechsel des Pflichtverteidigers nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zulässt, die die meisten Inhaftierten nicht kennen, versteht es sich von selbst, dass damit praktisch bei der Beiordnung schon die Vorentscheidung gefallen ist, wer den Beschuldigten im weiteren Verkauf des Verfahrens vertreten wird.

Auch wenn Teile der Rechtsprechung angesichts der besonderem Situation des gerade Inhaftierten bei der Frage des Wechsels des Pflichtverteidigers in diesem Fall nicht strikt an den althergebrachten Voraussetzungen des zerstörten Vertrauensverhältnisses festhalten,[19] ist die Gefahr immer noch nicht ausgeräumt, mit dem einmal beigeordneten Rechtsanwalt in die Hauptverhandlung zu ziehen. Denn auch hier gibt es zeitliche Begrenzungen, die einem Beschuldigten nicht bewusst sind: Wer über eine längeren Zeitraum mit dem Pflichtverteidiger zusammenarbeitet und erst dann den Wechsel beantragt – etwa weil er erst dann gemerkt hat, dass der Anwalt nicht der Richtige ist –kann sich nicht mehr auf die ursprünglich schwierige Situation berufen. Jetzt wird wieder das zerstörte Vertrauensverhältnis gefordert oder aber der einvernehmliche Wechsel mit Verzicht des neuen Pflichtverteidigers auf die bereits entstandenen Gebühren.[20]

Es bleibt somit dabei, dass auch trotz der veränderten Rechtsprechung zum Pflichtverteidigerwechsel die konkrete Gefahr besteht, mit dem (unbekannten) Verteidiger bis zum (vielleicht bitteren) Ende zurechtkommen zu müssen.

III. Der notwendige Inhalt einer Belehrung

Aufgrund der geschilderten Situation versteht es sich deshalb von selbst, dass die Belehrung zur gesetzlich vorgeschriebenen Verteidigung durch einen Rechtsanwalt für den Beschuldigten von höchster Bedeutung ist. Dies gilt vor allem deshalb, weil noch zu Beginn einer Haftbefehlsverkündung der Haftrichter darüber belehrt, dass es dem Beschuldigten zusteht, jederzeit einen Verteidiger zu beauftragen, er mithin ein Recht auf Verteidigerkonsultation hat. Wenige Minuten später nach Verkündung und Invollzugsetzung des Haftbefehls ist dann von der Pflicht die Rede, einen Verteidiger hinzuziehen zu müssen. Somit verändert sich die rechtliche Situation des Beschuldig-

ten in diesem Punkt in kürzester Zeit, was zwangsläufig zu Überraschung und Überforderung führen kann, wenn dem nicht durch eine ausführliche Belehrung oder einen veränderten Ablauf entgegengewirkt wird.

1. Wahl- und Pflichtverteidiger

Der Beschuldigte muss zunächst darüber informiert werden, dass er ab diesem Zeitpunkt einen Verteidiger benötigt, weil die Strafprozessordnung dies fordert. Eine eigenständige Entscheidung, dass er auch weiterhin keinen Verteidiger an seiner Seite haben will, ist ihm verwehrt, weil dies gesetzlich nicht vorgesehen ist. Die freie Entscheidung tritt zurück gegenüber dem Grundsatz des fairen Verfahrens, das eine Verteidigung verlangt. Wenn aber der Beschuldigte einen Verteidiger haben muss, so ist ihm der Unterschied zwischen den Instituten der Wahl- und der Pflichtverteidigung deutlich zu machen. Er muss wissen, was die Vor- und Nachteile von Wahl- und Pflichtverteidigung sind.

Es versteht sich von selbst, dass einem Beschuldigten, der bereits einen Wahlverteidiger beschäftigt, kein Pflichtverteidiger beigeordnet werden darf.[21] Ein "verteidigerloser" Beschuldigter sollte aber auch aufgeklärt werden, dass er zum jetzigen Zeitpunkt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers dadurch verhindern kann, dass er einen Wahlverteidiger beauftragt. Er sollte weiterhin wissen, dass er später beantragen kann, dass dieser Verteidiger ihm als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, wenn er sich dessen sicher ist und der Anwalt damit einverstanden ist.

Bevor sich der Beschuldigte für einen Pflichtverteidiger entscheidet, ist es unabdingbar, ihm deutlich zu machen, dass nach der Rechtsprechung ein Pflichtverteidiger nach seiner Beiordnung nur noch in Ausnahmefällen ausgewechselt werden kann. Dies geht zwar für den vermögenden Beschuldigten sehr einfach durch Beauftragung eines neuen Verteidigers. Ansonsten ist es aber nach jahrelanger Rechtsprechung nötig, dass das Vertrauensverhältnis zerrüttet ist.[22] Die Gerichte haben aber auch inzwischen die besondere Situation des Beschuldigten im Haftbefehlverkündungstermin bedacht und lassen einen Pflichtverteidigerwechsel in den ersten Wochen nach der Inhaftierung zu, wenn der Beschuldigte den Antrag stellt und den Verteidiger zuvor noch überhaupt nicht kannte.[23]

2. Die Finanzierung der Verteidigung

Ein offenkundig wichtiger Punkt nicht nur für mittellose Beschuldigte ist die Frage der Finanzierung des Verteidigers, den man gezwungen ist zu beauftragen. Die meisten Beschuldigten in Strafverfahren würden die Unterscheidung von Wahl- und Pflichtverteidiger an diesem Punkt festmachen: Wahlverteidiger muss man selbst (gut) bezahlen, Pflichtverteidiger werden hingegen (schlecht) vom Staat bezahlt. Deshalb sollen auch der Wahlverteidiger gut und der Pflichtverteidiger weniger gut arbeiten.[24]

Dem Beschuldigten muss vor diesem Hintergrund deutlich gemacht werden, dass es ein Irrglaube ist, dass Pflichtverteidiger vom Staat bezahlt werden und der Mandant ihre Dienste gewissermaßen geschenkt bekommt. Erstens hat der Pflichtverteidiger gem. § 52 Abs.1 S.1 RVG einen Anspruch gegenüber dem Mandanten auf Zahlung der Differenz zur Wahlverteidigung, andererseits werden die Kosten des Verfahrens gem. § 465 Abs.1 StPO einem Verurteilten auferlegt und die Pflichtverteidigergebühren gehören zu diesen Kosten. Die Unterscheidung zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger ist daher aus Beschuldigtensicht finanziell unerheblich, solange nicht eine Honorarvereinbarung unterzeichnet wird, wozu der Beschuldigte nicht gezwungen werden kann.

Es sollte deshalb zu diesem Punkt nur ausgeführt werden, dass die Vergütung des Pflichtverteidigers durch die Staatskasse abgesichert wird und dass auch ein gewählter Verteidiger jederzeit seine Beiordnung beantragen kann.

3. Pflichtverteidigerlisten

Es sollte bei jedem Gericht eine Liste bereitliegen, auf der die Rechtsanwälte des Amtsgerichtsbezirks aufgeführt sind, die dazu bereit sind, als Pflichtverteidiger aufzutreten. So wird sichergestellt, dass jeder Verteidiger nur auf einer einzigen Liste steht und dadurch die Liste nicht unüberschaubar werden, wie dies derzeit bei Verteidigerlisten zum Teil zu beobachten ist. Diese – auch im Internet zu veröffentlichen – Listen sollten neben dem Namen, der Adresse und der Telefonnummer des Anwalts auch weitere Qualifikationen wie Fachanwaltschaften sowie ggf. die Internetseite enthalten, damit man sich ohne größeren Aufwand weiter über den jeweiligen Anwalt informieren kann. Eine solche Liste mag nicht die beste Möglichkeit sein, sich über Verteidiger zu informieren, sie ist aber das Mindeste, was man Beschuldigten in dieser Situation zur Verfügung stellen sollte.

Die Gerichte sollten verpflichtet werden, eine solche Liste zu führen und dem Beschuldigten zur Verfügung zu stellen. Die derzeit bestehenden Pflichtverteidigerlisten, die demgegenüber entweder unübersichtlich sind oder aber von den Richter nicht beachtet werden, finden nur selten den Weg zu den Beschuldigten/Inhaftierten. Dies ist aber genau der Ort, an den eine Liste von Pflichtverteidigern gehört.

4. Kein Wort zur Möglichkeit des Verzichts

Schließlich sollte es im Haftbefehlverkündungstermin ausgeschlossen sein, dass ein Beschuldigter bereits jetzt auf sein so wichtiges Auswahlrecht verzichtet und die Entscheidung über die Person des Verteidigers in die Hände des Richters legt. Insofern sollten sämtliche Formulierungen in den Protokollen, die dem Betroffenen diese Möglichkeit suggerieren, entfernt werden. Es ist Aufgabe des Beschuldigten, sich um seinen Verteidiger zu kümmern und nicht Aufgabe des Richters, der mit einer solchen Entscheidung so tief in das zukünftige Verteidigungsverhältnis des Inhaftierten eingreifen würde wie mit keiner einzigen anderen Entscheidung sonst. Es muss daher Aufgabe des Haft- bzw. Ermittlungsrichters sein, dem Beschuldigten in die Lage zu versetzen, selbst oder mit Hilfe seiner Angehörigen die Wahl zu treffen, einerseits durch Aushändigung der Pflichtverteidigerliste, andererseits durch Hinweis auf die Dauer der Auswahlfrist. Hier ist der Richter gefragt, aktiv den Beschuldigten in die Lage zu versetzen, eine selbstständige Entscheidung zu treffen. Die Übernahme einer Auswahlentscheidung durch den Richter sollte hingegen ultima ratio sein, wenn tatsächlich der Beschuldigte keine Anstalten macht, sich selbst einen Verteidiger zu suchen. Und in diesem Fall sollte sich jeder Richter bei der Wahl so verhalten, als ob der Beschuldigte ein enger Verwandter wäre, um ermessensfehlerfrei zu handeln. Es geht bei dieser Entscheidung nicht um die Kollegen, die später das Hauptverfahren durchführen, und auch nicht um die Rechtsanwälte, die gerne einen lukrativen Auftrag erhalten, sondern allein um den Beschuldigten. Halten sich die Richter daran, so würde es die Jahrzehnte alten Klagen über Pflichtverteidiger, die ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, nicht mehr geben.

5. Formulierung einer angemessenen Belehrung

Aufgrund dieser Situation ist es notwendig, die Beschuldigten, die dem Haftrichter vorgeführt und in Untersuchungshaft kommen, fair und genau darüber zu belehren, wie es nun weitergeht. Wichtig ist es, dass einem Beschuldigten in dieser Situation. deutlich wird,

  • dass er zwar einen Strafverteidiger, aber nicht zwingend einen Pflichtverteidiger wählen muss;
  • dass er das Recht hat, die Entscheidung über die Person des Verteidigers selbstständig zu treffen;
  • dass er sich für diese Entscheidung genügend Zeit lassen kann;
  • dass er sich bei der Wahl keine Gedanken über die (ohnehin eintretenden) finanziellen Folgen machen muss.

Die Belehrung sollte einerseits juristisch korrekt, andererseits aber für einen "Durchschnittsbürger" ohne juristische Kenntnisse verständlich sein, um so eine "Parität des Wissens" herzustellen.[25] Folgend soll der Versuch unternommen werden, eine solche Belehrung zu formulieren:

Belehrung für den Fall, dass Sie in Untersuchungshaft kommen
Nach den gesetzlichen Bestimmungen benötigen Sie ab diesem Zeitpunkt einen Strafverteidiger. Auch wenn Sie keinen Verteidiger haben wollen, ist es die Pflicht des Gerichts, Ihnen einen Verteidiger zur Seite zu stellen. Es geht somit nun nicht mehr um die Frage, ob Sie einen Verteidiger bekommen, sondern nur noch darum, wer Sie verteidigen soll.
Sie haben das Recht, sich diesen Verteidiger selbst auszusuchen. Da dieser Rechtsanwalt in diesem Verfahren in Ihrem Sinne tätig werden muss, sollten Sie eine wohl überlegte Wahl treffen.
Ihr Rechtsanwalt kann als Wahl- oder Pflichtverteidiger auftreten. Es gibt zwei wichtige Unterschiede zwischen einem von Ihnen privat beauftragten Wahlverteidiger und einem vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger:
Die Kosten für den Pflichtverteidiger werden zum überwiegenden Teil von der Staatskasse abgesichert, während Sie das Honorar des Wahlverteidigers zunächst selbst tragen müssen. Es besteht aber die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt zunächst als Wahlverteidiger zu beauftragen und später seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger zu beantragen, mit der entsprechenden Kostenfolge.
Es ist nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich, einen Pflichtverteidiger auszuwechseln, während Sie ein Wahlverteidigermandat jederzeit kündigen können.
Wenn Sie einen Strafverteidiger kennen und auch von diesem vertreten werden wollen, so können Sie diesen jetzt nennen. Es spielt keine Rolle, ob dieser Anwalt Ihres Vertrauens in diesem Gerichtsbezirk zuhause ist oder nicht.
Das Gericht kann diesem Anwalt mitteilen, dass Sie einen Besuch in der JVA wünschen. Nach dem dortigen Gespräch können Sie entscheiden, ob Sie ihn beauftragen wollen oder nicht.
Sie können aber auch sofort beantragen, dass Ihnen dieser Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt wird. Dies wird das Gericht tun, wenn er sich dazu bereit erklärt.
Wenn Sie jetzt keinen Verteidiger benennen können, der Sie vertreten soll. so können Sie sich mithilfe einer Liste von ortsansässigen Anwälten, die Pflichtverteidigungen übernehmen,
oder über Ihre Verwandten oder Bekannten kundig machen.
Sie haben die Möglichkeit, in den nächsten zehn Tagen einen Verteidiger zu beauftragen, der sich dann bei Gericht für Sie bestellt
Sie haben auch die Möglichkeit, in dieser Frist dem Gericht einen Rechtsanwalt zu benennen, der als Pflichtverteidiger beigeordnet werden soll.
Wenn Sie innerhalb der Ihnen zustehenden Frist keinen Strafverteidiger benennen wollen bzw. ausgewählt haben, ist das Gericht gezwungen, ihnen aus der Liste der ortsansässigen Rechtsanwälte einen Pflichtverteidiger beizuordnen.
( ) Ich habe diese Belehrung verstanden.
( ) Ich möchte im Termin meinen hier bereits aufgrund meiner Bitte anwesenden Verteidiger Rechtsanwalt X beigeordnet bekommen. Der Verteidiger ist damit einverstanden.
( ) Ich habe die Liste mit den Rechtsanwälten des Gerichtsbezirks erhalten, die Pflichtverteidigungen übernehmen, und werde mir einen Verteidiger auswählen.
Ort, Datum Unterschrift

6. Zeitpunkt der Belehrung

Eine solche Belehrung des Beschuldigten sollte ihm nicht erst am Ende des Haftbefehlverkündungstermins ausgehändigt werden, sondern bereits früher, um sich auf diese Situation vorbereiten zu können. Auch wenn eine Belehrung bereits nach der vorläufigen Festnahme als zu früh erachtet wird, weil man noch nicht wisse, was passieren werde[26], so ist der geeignete Zeitpunkt erreicht, sobald die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl beantragt. An diesem Punkt ist nämlich die Wahrscheinlichkeit, inhaftiert zu werden, so groß, dass eine Belehrung darüber, was die Konsequenz im Falle der Vollstreckung des Haftbefehls ist, geboten erscheint. Meistens dauert es bis zur Anhörung noch einige Stunden, so dass sich der Beschuldigte mit der neuen Situation, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben wird, auseinandersetzen kann. Gleichzeitig sollte nun die Pflichtverteidigerliste ausgehändigt werden, um erste Überlegungen anzustellen.

IV. Zusammenfassung

Die Belehrung eines Beschuldigten, gegen den ein Haftbefehl vollstreckt werden soll, über die Pflicht, sich von nun an professionell verteidigen zu lassen, ist von erheblicher Bedeutung. Die bisherige Praxis der Gerichte ist demgegenüber nicht nur wenig einheitlich, sondern oftmals mit großen Mängeln behaftet.

Aufgrund der Folgen, die eine Beiordnung regelmäßig für einen Beschuldigten hat, ist es essentiell, dass der Inhaftierte zunächst entscheiden kann, ob er einen Wahlverteidiger beauftragen will, um so die Bindung an einen ihm unbekannten Pflichtverteidiger zu verhindern. Er muss des weiteren darüber informiert werden, dass diese Entscheidung nicht automatisch unterschiedliche finanzielle Folgen nach sich zieht. Außerdem ist ihm genügend Zeit einzuräumen, sich den geeigneten Verteidiger aussuchen zu können.

Um diese Zeitspanne zu vergrößern, sollte dem Beschuldigten in dem Moment, in dem die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehlsantrag stellt, von dem zuständigen Polizeibeamten zwingend eine Belehrung übergeben werden, damit er schon vorbereitet ist, wenn es im Haftbefehlverkündungstermin zu dieser Frage kommt. Auch eine Verteidigerliste sollte ihm zur Verfügung gestellt werden. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil zu diesem Zeitpunkt aus dem Recht, einen Verteidiger zu konsultieren, eine Pflicht wird. Dies muss dem Beschuldigten rechtzeitig klar gemacht werden. Damit wird auch die Zwickmühle von "unverzüglicher Beiordnung" und "Auswahlrecht des Beschuldigten" entschärft, weil dem Beschuldigten schon einige Stunden Zeit verbleiben, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Schließlich wird so verhindert, dass am Ende des Haftbefehlverkündungstermins der Beschuldigte von der Ankündigung einer "erzwungenen Verteidigung" überrascht wird.

Grundsätzlich sollte nicht der Richter, sondern der Beschuldigte selbst den Verteidiger wählen. Jeder subtile Hinweis, dass der Richter doch entscheiden kann, sollte im Termin vermieden werden. Nur wenn der Beschuldigte offensichtlich nicht selbst wählen will/kann, ist es nach der geltenden Gesetzeslage die Aufgabe des Richters, ermessensfehlerfrei einen Verteidiger zu wählen. Der Haftrichter sollte daher darauf hinwirken, dass sich der Festgenommene selbst einen Verteidiger aussucht. Das Auswahlrecht des Richters selbst sollte ultima ratio sein.


[1] Das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (BGBl I 2009, 2274) trat am 01.01.2010 in Kraft.

[2] Z.B. KG StV 2012, 656; OLG Düsseldorf StV 2011, 651.

[3] ThürOLG 2012, 330.

[4] Vgl. OLG Düsseldorf StraFo 2011, 275 = StV 2011, 651; nach OLG Celle, StraFo 2011, 48 setzt dies eine sorgfältige Ermessensentscheidung voraus.

[5] Für nicht unter zwei Wochen u.a. Wohlers StV 2010, 151; Heydenreich StraFo 2011, 263, 265 Lam/Meyer-Mews NJW 2012, 177, 180.

[6] Vgl. Nobis StRR 2012, 104; es wäre naiv zu denken, dass es sich bei einer solchen Überrumpelungsstrategie um bedauerliche Einzelfälle handelt.

[7] In dem konkret vorliegenden Protokoll war vom Beschuldigten die Auswahl des Pflichtverteidigers in das Ermessen des Gerichts gestellt worden. Daher erging noch in der Sitzung die Verfügung, dass ein bestimmter Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet werde.

[8] Das Formblatt lag dem Verfasser leider nicht vor, so dass nicht gesagt werden kann, was genau dort geschrieben steht.

[9] Ein Kollege aus Baden-Württemberg schildert den Ablauf dort gegenüber dem Unterzeichner wie folgt: "In BW gibt es ein Formular bei der Haftbefehlseröffnung. Faktisch ist es aber so, dass der Beschuldigte das Formular nicht liest und der Haftrichter fragt: Kennen sie einen Anwalt, den ich Ihnen als Verteidiger beiordnen soll?" Wenn der BS das verneint, wird spätestens innerhalb von 4 Tagen ein x-beliebiger beigeordnet. Es geht nicht nach Liste und auch sonst sind keine Auswahlkriterien bekannt. Fakt ist aber, dass bspw. in Jugendsachen immer und nahezu nur Zivilanwälte oder ganz junge Kollegen beigeordnet werden." Diese Schilderung bedarf keines weiteren Kommentars.

[10] Es gibt natürlich Ausnahmen, wie den Drogenabhängigen, der schon zum x-ten Mal beim Haftrichter sitzt und die dortige Prozedur mittlerweile kennt.

[11] OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213; LG Bochum StV 2011, 155; LG Siegen StRR 2012, 104.

[12] OLG Koblenz StV 2011, 349.

[13] OLG Düsseldorf StV 2011, 651.

[14] Lam/Meyer-Mews NJW 2012, 177, 180.

[15] Generell zur Problematik der Auswahl des Pflichtverteidigers durch den Richter Thielmann StraFo 2006, 358; ders. HRRS 2009, 452.

[16] OLG Braunschweig StV 2012, 719. Man beachte, dass die Entpflichtung dieses Rechtsanwalts vom zuständigen Kammervorsitzenden zunächst abgelehnt worden war und die Strafkammer der Beschwerde nicht abgeholfen hatte. Auch die Generalstaatsanwaltschaft hatte beantragt, die Beschwerde zu verwerfen; ähnlich OLG Düsseldorf NStZ-RR 2011, 48.

[17] StV 2012, 591.

[18] StV 2013, 142.

[19] Vgl. zuletzt BGH (Ermittlungsrichter) StraFo 2013, 23.

[20] Vgl. OLG Oldenburg NStZ 10, 210; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Düsseldorf StraFo 2007, 156; OLG Frankfurt/M. 2008,128.

[21] Hermann StraFo 2011, 133, 137.

[22] Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage (2012), § 143 Rn.5 mit Beispielen aus der Rechtsprechung.

[23] BGH (Ermittlungsrichter) StraFo 2013, 23.

[24] Dass diese pauschale Einschätzung ein Klischee darstellt, das trotz bestätigender Fälle mit der Realität nicht allzu viel zu tun hat, ergibt sich schon daraus, dass die meisten seriösen Strafverteidiger gar nicht umhin kommen, auch als Pflichtverteidiger tätig zu sein. Eine Unterscheidung in der Arbeitsmoral je nachdem, ob man beigeordnet worden ist oder nicht, wird es aber bei den guten Verteidigern nicht geben. Diese Verteidiger werden auch als Wahlverteidiger ihren Job nicht besser machen als als Pflichtverteidiger.

[25] Vgl. Jahn, FS Rissing-van Saan, S. 275, 294.

[26] Vgl. Brocke/Heller StraFo 2011, 1, 2.