HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2009
10. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Das Recht der Wiederaufnahme in Europa

Bestandsaufnahme und Ausblick

Von Dr. Sabine Swoboda, Universität Passau [*]

I. Einführung

Das Wiederaufnahmeverfahren hat in Europa Konjunktur. Als innerstaatliches "Auffang"- und "Sicherheitsnetz" für fehlgegangene Strafverfahren hat es sich seit Langem bewährt, doch im Zuge fortschreitender europäischer Integration gerät das nationale Wiederaufnahmerecht auch immer mehr zum Sicherheitsnetz von europäischem Rang. Sei es die Heilung von Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)[1] oder die Korrektur fremder rechtskräftiger und damit unionsweit anzuerkennender Strafentscheidungen,[2] die Wiederaufnahme ist der Korrekturmechanismus, der die notwendigen Veränderungen bewerkstelligen soll. Dieser Beitrag geht der Frage nach, welche europäischen Mindeststandards für die Wiederaufnahme – unter Einschluss der Aspekte Strafklageverbrauch und Rechtskraftdurchbrechung – gelten und welche Spannungen sich europaweit aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der nationalen Wiederaufnahmeverfahren ergeben können. Besonderes Augenmerk wird dabei auch auf der im In- und Ausland geführten Diskussion um eine Verschärfung der Wiederaufnahme in malam partem liegen, denn diese rechtsvergleichende Perspektive ist in der deutschen Reformdiskussion zur Wiederaufnahme[3] bislang zu kurz gekommen.

II. Europäische Mindeststandards zu Strafklageverbrauch und Rechtskraftdurchbrechung

Nur wenige internationale Vorschriften nehmen zur Wiederaufnahme in Strafsachen Stellung; und die Normen, die es gibt, sind von enttäuschend knappem Gehalt.

1. Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten

Im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und in der EMRK wird ein Recht der Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten nicht ein-

mal erwähnt.[4] Nur aus Art. 14 Abs. 6 IPbpR und Art. 3 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK (7. ZP-EMRK) lässt sich mittelbar herauslesen, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung dann zu einer Aufhebung des Urteils führen sollte, wenn im Nachhinein eine neue oder eine neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist, dass ein Fehlurteil vorlag . Die Urteilsaufhebung kann aber auch im Wege der Begnadigung erfolgen. Eine vollständige Rehabilitierung des Verurteilten durch Beseitigung eines falschen Schuldspruchs ist nicht gefordert.[5]

2. Wiederaufnahme zuungunsten eines bereits Abgeurteilten

Immerhin aber verbieten Art. 14 Abs. 7 IPbpR und Art. 4 Abs. 1 7. ZP-EMRK die doppelte Verfolgung und Aburteilung solcher Straftaten, für die der Betroffene bereits einmal nach dem Gesetz und Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates rechtskräftig abgeurteilt worden ist.

a) Das Doppelverfolgungsverbot im IPbpR und in der EMRK

Die Schutzwirkungen dieses internationalen Verbots ne bis in idem reichen allerdings nicht weit. Das Verbot verhindert zunächst nur die innerstaatliche Doppelverfolgung. Die Einleitung eines neuen Strafverfahrens wegen desselben Strafsachverhalts in einer anderen Rechtsordnung bleibt weiter zulässig. [6] Ebenso zulässig bleibt die wiederholte Sanktionierung desselben Verhaltens im Wege eines Straf- und anschließend eines Verwaltungs- oder Disziplinarverfahrens. [7] Und auch Rechtskraftdurchbrechungen im Wege der Wiederaufnahme "nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates" zugunsten wie zulasten eines Angeklagten werden von Art. 4 Abs. 2 7. ZP-EMRK nicht ausgeschlossen.

Bis zum 10. Februar 2009 bezog sich der Schutz des Art. 4 Abs. 2 7. ZP-EMRK zudem nur auf die Erneuerung der Strafverfolgung wegen der bereits abgeurteilten "Straftat" (Englisch: offence, Französisch: infraction), bezogen auf die tatsächliche Handlung in ihrer konkreten strafrechtlichen Bewertung.[8] Der Doppelverfolgungsschutz umfasste also gerade nicht wie in Art. 103 Abs. 3 GG und § 264 Abs. 1 StPO "das gesamte Verhalten des Täters", "soweit es nach der natürlichen Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt",[9] sondern verboten war nur die Anklage des gleichen Verhaltens unter einem gleichen oder einem in seinen wesentlichen Unrechtselementen gleichartigen Strafvorwurf. Gegen eine künstliche Aufspaltungen eines einheitlichen Lebenssachverhalts in mehrere Teilhandlungskomplexe oder gegen die Zerstückelung der Anklage in diverse materiell-rechtliche Teilvorwürfe bot Art. 4 Abs. 2 7. ZP-EMRK keinen Schutz.[10] Das änderte sich erst am 10. Februar 2009 mit Urteil der Großen Kammer in Zolotukhin v. Russland, in dem der Begriff der "Straftat" aus Art. 4 Abs. 1 7. ZP-EMRK neu definiert wurde. Der Tatbegriff der EMRK orientiert sich nunmehr an der Identität des tatsächlichen Verhaltens, unabhängig von seiner materiell-strafrechtlichen Bewertung.[11] Neue Strafverfolgungsmaßnahmen sind nun bereits dann verboten, wenn die neuen Vorwürfe an identische oder zumindest im Wesentlichen gleiche Tatsachen anknüpfen.[12] Anklagestückelung oder künstlich zergliederte Handlungskomplexen darf es nicht mehr geben. Das bedeutet allerdings auch, dass der Mechanismus der Wiederaufnahme in malam partem in Europa in Zukunft immer mehr Gewicht erlangen wird, denn die Rechtsordnungen, die bisher dank eines mit rechtlichen Wertungen angereicherten Tatbegriffs das Institut der Rechtskraft weitgehend umgehen konnten, werden nun nicht mehr so großzügig auf eine Rechtskraftdurchbrechung durch Wiederaufnahme zuungunsten des Abgeurteilten verzichten.

b) Verbot eines nie endenden Strafverfahrens

Eine Wiederaufnahme in malam partem setzt voraus, dass "neue Beweise oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist."[13] Fundamentale Verfahrensmängel müssen sich im Verfahrensergebnis niedergeschlagen haben, während es bei neuen Beweisen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen genügt, dass sie sich zur Beeinflussung des Ergebnisses "eignen". Der EGMR hat sich mit der Wiederaufnahme zuungunsten eines Abgeurteilten selbst nur sporadisch befasst, etwa um festzustellen, dass die zur

Wiederaufnahme vorgebrachten Tatsachen oder Beweise wirklich neu sein müssen[14] oder dass die Wiederaufnahme nicht allein mit erheblichen Ermittlungsversäumnisse der Strafverfolgungsbehörden begründet werden darf.[15] Als unfair i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK und unvereinbar mit Art. 4 des 7. ZP-EMRK hat der EGMR weiterhin eine Rechtsmittelregelung bezeichnet, die es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, jederzeit, z.T. sogar ohne jede Fristbindung, die Überprüfung eines bereits rechtskräftigen Urteils zu erreichen.[16] Die in den ehemaligen Sowjetstaaten traditionell verankerten Befugnisse des Gerichtspräsidiums, einen bereits endgültig abgeurteilten Sachverhalt nach staatsanwaltschaftlichem "Protest" per Verfügung einer neuen Verhandlung zuzuführen, waren also konventionswidrig.[17] Ein Sachverhalt darf nicht durch "Endlosverfahren" so lange wiederholt zur Verhandlung gebracht werden, bis das gewünschte Ergebnis erzielt ist.

III. Bestandsaufnahme: Das Wiederaufnahmeverfahren in ausgewählten europäischen Rechtsordnungen

Die europäischen Rechtsordnungen unterteilen sich zunächst in solche, die eine Wiederaufnahme ausschließlich zugunsten des Verurteilten zulassen, und solche, die auch eine nachträgliche Fehlerkorrektur zulasten eines Freigesprochenen durch Wiederaufnahme ermöglichen.

1. Begründungen für ein absolutes Verbot der Rechtskraftdurchbrechung zuun-gunsten eines Freigesprochenen

Eine Wiederaufnahme von Strafverfahren zugunsten des Verurteilten bei gleichzeitigem Verbot einer Wiederaufnahme zulasten eines Abgeurteilten, findet sich in Europa z.B. in den Strafverfahrensordnungen von Belgien[18], Frankreich[19], Italien[20], Portugal [21] und Spanien.[22] Momentan ist die Wiederaufnahme zuungunsten eines bereits einmal Abgeurteilten auch noch in Irland [23], in den Niederlanden[24] und in Schottland [25] verboten, wobei diese Verbote aber in Kürze fallen sollen.

Auf welche Prinzipien aber stützen die genannten Rechtsordnungen ihre Ablehnung einer Wiederaufnahme in malam partem? In Bezug auf die angelsächsischen Rechtsordnungen, i.e. England, Schottland und Irland, wurde die Erklärung z.T. in der adversatorischen Natur des Strafverfahrens gesucht. Der angelsächsische Strafprozess diene in erster Linie der Streitentscheidung, nicht der Wahrheitsermittlung. Daher sei er nach dem Vorbild eines "fairen sportlichen Wettkampfes" ausgestaltet. Der Wettkampfcharakter des Verfahrens bringe mit sich, dass der Staat nur ein einziges Mal die Chance auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs erhält. Scheitert der Staat vor Gericht mit diesem Begehren, gebiete die Rechtsstaatlichkeit (rule of law), dass der Staat diese Niederlage und den Freispruch des Bürgers als endgültig akzeptiert. Das soll selbst dann gelten, wenn das Strafverfahren von gravierenden Mängeln gezeichnet war. [26] Dieser Begründungsversuch für ein Verbot der Wiederaufnahme in malam partem bricht allerdings in sich zusammen, wenn man ihn mit den neuesten Reformvorhaben zur Wiederaufnahme zuungunsten eines bereits in der Sache Abgeurteilten der angelsächsischen Rechtsordnungen kontrastiert. Der Wettbewerbscharakter des angelsächsischen Strafverfahrens findet in dieser Reformdiskussion, wenn überhaupt, nur am Rande Beachtung. Deutlich im Vordergrund steht dagegen der Gedanke, dass das Fortbestehen eines Gerichtsurteil, welches erwiesenermaßen durch Einschüchterung oder Bestechung der Zeugen und Geschworenen zustande gekommen ist, notwendig das allgemeine Vertrauen in die Integrität und Objektivität der staatlichen Strafrechtspflege untergräbt. Bei derart gravierenden Verfahrensmängeln sei daher eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu ermöglichen. [27] Unerträglich erscheint den Reformern zudem, einen Freispruch dann noch aufrecht zu erhalten, wenn der Freigesprochene die Tat im Nachhinein glaubhaft gesteht. Das schützende Netz, dass das Verbot der Doppelverfolgung um den Freigesprochenen zieht, werde nicht dadurch zerstört, dass der Freigesprochene diesen Schutz aus eigenem Antrieb beiseite schiebt und die Unrichtigkeit des Urteils offenbart. [28] Insgesamt wenden sich also auch die angelsächsischen Rechtsordnungen immer mehr einem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit zu, hinter dem die formelle Rechtskraft zurückzustehen hat.

Auch der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit mit den Aspekten Rechtssicherheit und Verfahrensfairness gebietet nicht zwingend den Ausschluss einer Wiederaufnahme in malam partem, [29] denn sie sind auch in den Rechtsordnungen anerkannt, die eine Wiederaufnahme zuungunsten eines Verurteilten zulassen. [30] Natürlich darf es nicht im Belieben des Staates stehen, den Einzelnen willkürlicher Verfolgung zu unterziehen und ihn wiederholt mit Strafklagen zu überziehen, doch dass der Schutz der individuellen Freiheit auch dort absoluten Vorrang beanspruchen soll, wo der Abgeurteilte das Fehlurteil durch eigenes strafbares Verhalten erwirkt hat oder er den entstandenen Rechtsfrieden noch nachträglich durch sein Geständnis erschüttert, lässt sich nur entweder mit einer enorm starken Gewichtung der Beschuldigtenrechte [31] oder aber mit einer Überhöhung des Grundsatzes der formellen Rechtskraft erklären. Letzteres scheint mir zumindest für Frankreich die zutreffende Erklärung für den Ausschluss der Wiederaufnahme zuungunsten eines Freigesprochenen zu sein, denn dort ist nicht nur die Wiederaufnahme in malam partem verboten, auch Wiederaufnahmen zugunsten eines Verurteilten haben nur selten Erfolg,[32] denn ein endgültiges Urteil hat in Frankreich sehr starke formelle Rechtskraftwirkungen. Es gilt als Ausdruck der Wahrheit (res judicata pro veritate habetur) [33] – und diese Wahrheit ist nachträglich nur schwer zu erschüttern. Doch eine ideologische Überhöhung des Prinzips der formellen Rechtskraft gegenüber der materiellen Wahrheit hat im heutigen Strafverfahren aus meiner Sicht keinen Platz. Die formelle Rechtskraft hat als Schutz vor willkürlicher Doppelverfolgung ihre Berechtigung, aber sie kann für sich allein nicht die Richtigkeit eines Urteils begründen. [34] Natürlich schafft die Rechtskraft Rechtsfrieden, indem man an das Urteil eine Vermutung zugunsten seiner Richtigkeit knüpft, [35] aber diese Vermutung und damit auch der Rechtsfrieden sind hinfällig, wenn sich das Urteil im Nachhinein als massiv fehlerhaft erweist – und das gilt für unrichtige Verurteilungen wie unrichtige Freisprüche gleichermaßen. Ein völlige Ausschluss von Wiederaufnahmen in bonam wie in malam partem ist daher nicht zukunftsfähig.

Zudem zeigen die genannten Strafverfahrensordnungen eine Neigung, den Schutz des Doppelverfolgungsverbotes durch Einengung des strafprozessualen Tatbegriffs und damit einhergehender Reduzierung der Reichweite des Strafklageverbrauchs zu umgehen. Offenbar besteht also auch hier Bedarf nach einer Korrektur von Justizirrtümer auch zuungunsten eines Freigesprochenen. [36] So schreibt Frankreich zwar in Art. 368 Code de procédure pénale (fr. StPO) fest, dass eine Person nicht zweimal auf der Grundlage identischer Fakten abgeurteilt werden darf, selbst wenn sich die rechtliche Bewertung dieser Fakten nachträglich ändern sollte, doch der Schutz des Art. 368 fr. StPO bezieht sich nur auf Freisprüche durch das französische Schwurgericht (la Cour d’Assises). Ein vom Vorwurf des Mordes Freigesprochener kann damit zwar nachträglich nicht mehr in derselben Sache wegen fahrlässiger Tötung belangt werden, [37] doch umgekehrt ist es durchaus zulässig, einen bereits wegen fahrlässiger Tötung Verurteilten mit einer zweiten Anklage wegen Totschlags oder Mordes zu überziehen, wenn sich nach neuen Ermittlungen herausstellt, dass eigentlich diese Tatbestände durch das Schwurgericht abzuurteilen gewesen wären. [38] Trotz nahezu identischer Sachverhalte zugelassen wurde auch eine zweite Anklage wegen Betrugs (escroquerie) nach einem Freispruch vom Vorwurf der Untreue (abus de confiance) und eine Anklage wegen Steuerbetrugs (fraude fiscale) nach einem Freispruch vom Vorwurf des Bankrotts (banqueroute). [39]

2. Typische Wiederaufnahmeregelungen

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten wie auch zuungunsten eines Beschuldigten kennen z.B. Bulgarien[40], Dänemark, [41] Deutschland[42], England [43], Estland [44], Finnland[45], Griechenland[46], Norwegen[47], Österreich[48]; Polen[49], Rumänien[50], Russland[51], Schweden [52], in der Slowakei [53] und in Ungarn.[54]

a) Die Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten

Die Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten begründet sich typischerweise entweder darauf, dass der Entscheidung gefälschte Beweisdokumente oder falsche Zeugen- oder Sachverständigenangaben zugrunde lagen oder dass sich Verfahrensmitwirkende oder Dritte Straftaten zuschulde haben kommen lassen, die mit dem Verfahren in engem Zusammenhang stehen. [55] Zugunsten eines Verurteilten wirken auch widersprüchliche Aburteilungen [56] und generell alle neuen Tatsachenerkenntnisse oder Beweise, die zum Zeitpunkt des ersten Urteils noch unbekannt waren oder dem Gericht nicht rechtzeitig vorgelegt werden konnten. Die neuen Erkenntnisse müssen allerdings geeignet sein, einen Freispruch oder eine mildere Bestrafung auf der Grundlage eines neuen Strafgesetzes zu erreichen. [57] Der Maßstab für diesen Eignungstest variiert von Gesetzestext zu Gesetzestext. Es muss aber zumindest möglich oder wahrscheinlich erscheinen, dass das Verfahren bei Kenntnis der neuen Tatsachen und Beweise für den Verurteilten einen günstigeren Ausgang genommen hätte. [58] Manche Strafverfahrensordnungen belegen die Staatsanwaltschaft auch mit einer Informationspflicht gegenüber dem Verurteilten, sollte sie Kenntnis von neuen, dem Verurteilten günstigen Beweisen erhalten, [59] wobei dieses Informationsgebot fairerweise aber auch dort gelten muss, wo das Gesetz hierzu schweigt. [60]

In vielen kontinentaleuropäischen Strafverfahrensordnungen stellt die Verfassungswidrigkeit der einem Urteil zugrunde gelegten Strafnorm einen Wiederaufnahmegrund dar. [61] Gravierender Rechtsfehler in der Auslegung oder Anwendung von Gesetzen können zumindest in den skandinavischen Ländern die Wiederaufnahme begründen. [62] Wiederaufnahmebegründend wirkt ferner regelmäßig die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR, [63] wobei zur deutschen Wiederaufnahmeregelung in § 359 Nr. 6 StPO an dieser Stelle angemerkt sei, dass die Norm auf Dauer europäischen Anforderungen auf Korrektur einer Konventionsverletzung nicht genügen wird, insbesondere dann nicht, wenn es um die Umsetzung von Urteilen geht, die der EGMR im Wege des Piloturteilsverfahrens gefällt hat. Die seit 2004 vom EGMR verfolgte Piloturteilsstrategie gestattet dem Gerichtshof, gleichartig gelagerte Beschwerden aus demselben europäischen Staat nur noch anhand eines Musterverfahrens und nicht mehr in massenhaften Parallelverfahren durchzuprüfen. [64] Sollten bei dieser Musterprüfung strukturell begründete Defizite des innerstaatlichen Rechts oder der innerstaatlichen Verwaltungspraxis zutage treten, stellt der Gerichtshof im Urteiltenor diese Defizite und die daraus resultierenden Rechtsverletzungen fest und bezeichnet konkrete Maßnahmen, die der verurteilte Staat zu ergreifen hat, um die fortdauernde Konventionsverletzung zu beenden. Die weiter anhängigen Beschwerden in den Parallelverfahren werden vom EGMR für ungültig erklärt und aus dem Register gestrichen. Letzteres bedeutet aber, dass es nicht mehr zur der in § 359 Nr. 6 StPO vorausgesetzten Feststellung einer Konventionsverletzung im konkreten Einzelfall kommt. Dennoch muss der Staat auf den Urteilsspruch reagieren. Er könnte die Wiederaufnahme in den vom EGMR für erledigt erklärten Parallelverfahren natürlich jeweils durch gesondertes Gesetz anordnen, [65] doch besser wäre, § 359 Nr. 6 StPO generell auf Verletzungen der EMRK und anderer internationaler Verträge sowie auf Verletzungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auszudehnen. [66]

b) Wiederaufnahme in malam partem

Für die gegenwärtige deutsche Diskussion um eine Ausweitung der Wiederaufnahmegründe zuungunsten eines Beschuldigten in § 362 StPO [67] ist natürlich weitaus interessanter, unter welchen Bedingungen andere europäische Rechtsordnungen eine Wiederaufnahme zuungunsten eines Freigesprochenen zulassen. Wiederaufnahmen in malam partem gründen sich typischerweise auf gravierende Verfahrensmängel des Erstverfahrens, i.e. auf Beweisverfälschungen, falsche Zeugenangaben oder Straftaten von Mitwirkenden oder Dritten, die das Verfahrensergebnis zum Vorteil des Beschuldigten beeinflusst haben. [68] Soweit ersichtlich macht keine der hier untersuchten Strafverfahrensordnungen zur Voraussetzung, dass die gravierenden Mängel des Erstverfahrens dem Beschuldigten auch eindeutig zugerechnet werden können. Eine solche Bedingung würde auch nur Beweisschwierigkeiten generieren und an der Tatsache, dass ein gravierend defizitäres Strafverfahren vorlag, nichts ändern. [69]

Für eine große Zahl von Strafverfahrensordnungen ist es auch ganz selbstverständlich, dass nachträgliche neue Tatsachenerkenntnisse oder Beweise eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulasten eines Abgeurteilten ermöglichen, wenn die neuen Erkenntnisse entweder allein oder im Zusammenwirken mit den bereits bekannten Beweisen mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Betroffene die Tat oder eine schwerere Tat als die, wegen der er bereits abgeurteilt wurde, begangen hat.[70] Dabei wird in der Regel sogar die reine Strafmaßwiederaufnahme für zulässig erklärt, soweit die nachträglichen Erkenntnisse auf eine Straftat schließen lassen, die nach einem erheblich strengeren Strafgesetz zu beurteilen gewesen wäre. Rumänien und Russland ermöglichen eine Strafmaßwiederaufnahme sogar allein zu dem Zweck, eine strengere Bestrafung auf der Grundlage der Strafnorm zu erreichen, auf die sich bereits die Erstverurteilung stützte.[71] Allerdings zeigen all diese Rechtsordnungen wiederum Bemühungen, die Wiederaufnahme in malam partem auf Ausnahmefälle zu beschränken. So ist in den skandinavischen Staaten die Wiederaufnahme auf das nachträgliche Zutagetreten solcher Straftaten beschränkt, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von in Schweden einem[72], in Finnland zwei[73] oder in Norwegen drei[74] Jahren bedroht sind. Manche Prozessordnungen binden die Wiederaufnahme an die Laufzeit der Strafverfolgungsverjährung[75] oder belegen die Staatsanwaltschaft mit Antragsfristen, typischerweise einer Halbjahres-[76] oder Jahresfrist[77] nach Kenntniserlangung von den neuen Fakten oder Beweisen. Zu erinnern ist zudem an die Rechtsprechung des EGMR mit der Bedingung, dass nur fundamentale Verfahrensmängel[78] und wirklich neue Fakten oder Beweise eine Wiederaufnahme begründen sollen, um nicht der Staatsanwaltschaft mit der Wiederaufnahme Mittel und Wege zu eröffnen, ein aus ihrer Sicht missglücktes Verfahren ohne gravierenden Anlass ein zweites Mal zur Verhandlung zu bringen.[79]

3. Preisgabe von Rechtssicherheit durch Grenzkorrekturen? Die englische Diskussion um eine Wiederaufnahme in malam partem

Die in Deutschland geplante Reform des Wiederaufnahmerechts bei Freisprüchen von schwersten Verbrechen, d.h. von Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, allesamt Straftaten, die keiner Verjährung unterliegen, wenn neue wissenschaftliche Techniken oder Erkenntnisse einen nachträglichen Tatnachweis gegen den Freigesprochenen ermöglichen,[80] wäre in Europa eine Besonderheit, selbst im Vergleich zu den Rechtsordnungen, die eine Wiederaufnahme zuungunsten des Beschuldigten aufgrund neuer Beweise kennen. Was die Reformpläne dabei vom Recht der anderen Staaten unterscheidet, ist die Halbherzigkeit, mit der sie sich vom Schutz der individuellen Rechtssicherheit abwenden. Der Reformentwurf behauptet, das in Deutschland bestehende Wiederaufnahmerecht bleibe trotz der geplanten teilweisen Durchbrechung des Schutzes vor Doppelverfolgung in seinen

Grundstrukturen unverändert.[81] Das aber ist unzutreffend. Die Reform erwirkt nicht nur eine partielle Öffnung des Verbots ne bis in idem zugunsten der materiellen Gerechtigkeit, sie verlangt vielmehr eine Grundsatzentscheidung darüber, welchem der Prinzipien der individuellen Rechtssicherheit und materiellen Gerechtigkeit in Zukunft stärkeres Gewicht zukommen soll. Nach bisheriger Lesart des Art. 103 Abs. 3 GG hat die individuelle Rechtssicherheit Vorrang, soweit nicht das erste Strafverfahren derart fundamentale Verfahrensmängel aufweist, dass von einer rechtsförmigen Aburteilung nicht gesprochen werden kann,[82] oder aber der Freigesprochene den mit Rechtskraft des Freispruchs eingetretenen Rechtsfrieden selbst zerstört, indem er sich öffentlich und glaubhaft der Tat berühmt.[83] Wenn nun aber auch neue Beweismittel oder Ermittlungserkenntnisse den Weg in die Neuverhandlung eröffnen, steht nicht mehr nur die "Weiterentwicklung" von Art. 103 Abs. 3 GG in Frage,[84] sondern eine klare Verschiebung des Schwergewichts im Spannungsfeld Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit hin zum Pol der Gerechtigkeit.

Eine solche grundlegende Neugewichtung von Verfassungsprinzipien bedarf eingehender Begründung, doch die sucht man im Reformentwurf vergeblich. Hinweise auf ein mögliches "Austarieren" von Prinzipien und "Grenzkorrekturen" zu Art. 103 Abs. 3 GG[85] genügen zur Rechtfertigung dieses fundamentalen Perspektivenwechsel jedenfalls nicht. Daher mag die vor einiger Zeit in England zum selben Thema geführte Reformdiskussion Beispiel geben, wie man sich dieser Neugewichtung der Prinzipien Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit im Recht der Wiederaufnahme argumentativ nähern könnte.[86] Dabei bin ich mir bewusst, dass es für die Diskussion um das Spannungsverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit und individueller Rechtssicherheit eigentlich gar keiner ausländischen Anreize bedarf, denn die entscheidenden Argumente lassen sich auch in den deutschen Quellen zur Reformation des Strafprozesses in der Mitte des 19. Jahrhunderts finden.[87] Von Interesse ist die zeitgenössische englische Gesetzgebungsdebatte vielmehr wegen ihrer gegenüber dem 19. Jahrhundert veränderten Prämissen, namentlich ihrer Einbettung in die Technologiebegeisterung und den Fortschrittsglauben des 21. Jahrhunderts. Denn erst das nahezu bedingungslose Vertrauen in die Erkenntnismöglichkeiten der modernen Kriminaltechnik vermag zu erklären, warum man plötzlich derart bereitwillig auf rechtsstaatlich bewährte Schutzmechanismen gegen Übergriffe der staatlichen Gewalt verzichten will. Wahrheit und Gerechtigkeit erscheinen im heutigen Strafverfahren dank modernster Aufklärungstechnologie endlich greifbar. Wie könnten es da noch formale Begrenzungen der staatlichen Aufklärungsgewalt wagen, sich dem Geltungsanspruch der materiellen Gerechtigkeit entgegenzustellen?

a) Hintergrund: Double jeopardy in England

Vor einer Darstellung der Wiederaufnahmeregelungen des englischen Strafverfahrensrechts, sind einige Bemerkungen zu Inhalt und Reichweite des englischen Doppelverfolgungsverbots angebracht. Die angelsächsische rule against double jeopardy hat nie auch nur annähernd die Schutzwirkungen entfaltet, die sich mit den deutschen Vorgaben zum Strafklageverbrauch in Anknüpfung an den strafprozessualen Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO erzielen lassen. Das englische Strafverfahrensrecht kennt keinen faktischen Tatbegriff. Gegenstand der englischen Aburteilung ist die Tat, wie sie sich aus der Faktenschilderung der Anklage in Verbindung mit der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft ergibt.[88] Damit ist in England auch völlig anerkannt, dass über ein und denselben Tatsachenkomplex wiederholt Anklage erhoben werden kann, sofern dies nur unter jeweils anderem strafrechtlichen Gesichtspunkt geschieht.[89] Unzulässig wäre eine zweite Strafanklage nur, wenn sie Delikte zur Aburteilung bringt, die mit den bereits zuvor verhandelten Straftaten in allen rechtlichen und tatsächlichen Elementen identisch oder deren Unrechtselemente darin zumindest mit enthalten sind, denn dann hätten diese Delikte bereits zuvor mit abgeurteilt werden können (per verdict of guilty of a lesser offence).[90] Eine neue Aburteilung darf auch dann erfolgen, wenn im Nachhinein ein Sachverhaltselement neu hinzutritt, das eine Neubewertung der Tat erforderlich macht. Ein Vorgang, der zunächst als Körperverletzung (assault) abgeurteilt wurde, darf daher ein zweites Mal als Mord (murder) oder Totschlag (homicide) zur Anklage kommen, wenn das Opfer später an seinen Verletzungen verstirbt.[91] Sollte sich der Angeklagte im Erstverfahren einer Falschaussage oder einer anderen Straftat der "Perversion" der Rechtspflege strafbar gemacht haben, um seinen Freispruch zu erwirken, so war es zwar bis 1996 unmöglich, den fehlerhaften Freispruch wieder aus der Welt zu schaffen, aber dafür durften die Gerichte für den Meineid

und die anderen Straftaten gegen die Rechtspflege sehr hohe Strafen auskehren.[92] Die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen des Ersturteils galten quasi als über die Folgeverurteilung wegen der Manipulationen korrigiert.[93]

Angesichts derart vielfältiger Umgehungsmechanismen verwundert nicht, dass im englischen Strafprozess jahrzehntelang gar kein Bedarf nach rechtskraftdurchbrechenden Instituten bestand. Der Schutzumfang der angelsächsischen rule against double jeopardy war derart eng zugeschnitten, dass sich ein Wiederaufnahmeverfahren erübrigte. Gleichzeitig macht sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts in der englischen Strafverfahrensordnung ein Prozess bemerkbar, durch den sich das traditionell adversatorische Verfahren immer mehr vom Prinzip der formellen Unantastbarkeit eines verfahrensabschließenden (Erst-, später auch End-)Urteils löst und das Verfahren den Belangen der materiellen Wahrheit öffnet.[94] In England begann dieser Prozess mit der sukzessiven Einführung von Rechtsmittelrechten der Staatsanwaltschaft[95] und endete vorläufig in 1996 und 2003 mit der Einführung der Wiederaufnahme zuungunsten eines rechtskräftig Freigesprochenen, wenn der (Teil-)Freispruch auf gravierenden Verfahrensmanipulationen beruht (tainted acquittal exception)[96] oder die Tat nachträglich durch neue "zwingende" Belastungsbeweise nachweisbar wird (new and compelling evidence exception).[97]

b) Die englische Debatte zur Durchbrechung der Urteilsrechtskraft aufgrund neuer Beweise zuungunsten des Beschuldigten

Anstoß zur Debatte um die Einführung einer Wiederaufnahme zuungunsten eines Beschuldigten gaben in England und später dann auch in Schottland jeweils spektakulär gescheiterte Strafverfahren, deren Misslingen auf nachlässige Ermittlungspraktiken bis hin zu gravierendem polizeilichen Fehlverhalten zurückgeführt wird. Die Ermittlungen zu der rassistisch motivierten Ermordung des 18jährigen Stephen Lawrence in London am 22. April 1993 gelten heute z.B. als Paradefall für polizeiliche Inkompetenz und institutionellen Rassismus.[98] In Schottland war es das Scheitern des "World’s End murder trial", das den Gesetzgeber zur Befassung mit der Wiederaufnahme in malam partem anregte. Der World’s End murder trial befasst sich mit den Sexualmorden an zwei 17jährigen Mädchen nahe Edinburgh im Oktober 1977. Bei beiden Tatopfern konnten Spermaspuren sichergestellt werden, die gut 25 Jahre später per DNA-Analyse einem Verdächtigen zugeordnet werden konnten. Dieser befand sich wegen anderer Sexualmorde bereits seit 1982 in lebenslanger Haft. Trotz einschlägiger Kriminalbiographie und DNA-Spuren am Mordwerkzeug sah sich der vorsitzende Richter aber nicht in der Lage, allein aus dem Nachweis eines Sexualkontakts zwischen dem Angeklagten und den Opfern im Zeitraum von bis zu zwölf Stunden vor deren Tod auch auf die Ermordung der Mädchen durch den Angeklagten zu schließen.[99] Erst nach Rechtskraft des Freispruchs stellte sich heraus, dass dem Angeklagten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur die Morde im World’s End Verfahren, sondern noch vier weitere Sexualmorde im Zeitraum zwischen 1970 und 1982 zugeordnet werden können – zusätzlich zu den Morden, für die er bereits 1982 und 2001 verurteilt worden war.

Das erstaunliche an beiden Verfahren ist, dass sie sich überhaupt nicht für eine Wiederaufnahme aufgrund neuer Belastungsbeweise zu eigenen scheinen. Im World’s End murder trial hatten dem Gericht bereits sämtliche DNA-Spuren vorgelegen und das Stephen Lawrence Verfahren war daran gescheitert, dass die Tatzeugen die mutmaßlichen Täter in der Dunkelheit nicht hatten erkennen können, was sich auch in einem Wiederaufnahmeverfahren nicht beheben lässt. Dennoch war der öffentliche Aufschrei ob des Scheiterns dieser Verfahren hörbar genug, um den Gesetzgeber zur Diskussion um Bedeutung und Nutzen der formellen Urteilsrechtskraft und mögliche Ausnahmeregelungen zu veranlassen. In der Diskussion stritten auf der Seite der Befürworter der Wiederaufnahme in malam partem die Belange der materiellen Gerechtigkeit und das öffentliche Vertrauen in die Rechtsgültigkeit bzw. Legitimität (legitimacy), Zuverlässigkeit und Fehlerfreiheit (accuracy) strafgerichtlicher Endurteile; und auf der Seite derjenigen, die auf eine Endgültigkeit eines strafgerichtlichen Freispruchs bestanden, die Besorgnis um (i) eine möglicherweise erhöhte Gefahr fehlerhafter Verurteilungen (the risk of wrongful conviction), die sich aus der strategisch viel günstigeren Ausgangsposition der Anklage bei einer Verhandlung im zweiten Anlauf ergeben könnte, und die Besorgnis über (ii) unzumutbare Belastungen für den Beschuldigten aus dem wiederholten Strafverfahren (the distress of the trial process), zumal sich angesichts des strategischen Vorteils, in dem sich die Anklagebehörde im zweiten Verfahren typischerweise befindet, fraglich ist, ob dem Beschuldigten überhaupt noch ein faires Verfahren zugesichert werden kann. Beschworen wurde weiterhin (iii) die Bedeutung der Finalität abschließender Verfahrensentscheidungen (the importance of finality in litigation), gerade auch in Strafsachen, und die Notwendigkeit, (iv) Anreize für effiziente strafrechtliche Ermittlungs- und Verfolgungspraktiken zu schaffen (the promotion of efficient investigation and prosecution), damit die Anklagebehörde

ihre Karten bereits im ersten Verfahren vollständig offen legt und nicht aus taktischen Gründen nur bruchstückweise Anklagen erhebt.[100] Äußerungen von wissenschaftlicher Seite ergänzten die Liste der Argumente gegen eine Wiederaufnahme zuungunsten des Beschuldigten um Befürchtungen, (v) mit der Wiederaufnahme von Strafverfahren könnten tief in den demokratischen Legitimationsgrundlagen des jury trial verwurzelte Entscheidungsbefugnisse der Geschworenen ausgehebelt werden, darunter insbesondere die Befugnis der Jury, das der Anklage zugrunde gelegte Strafgesetz für die Verurteilung außer Acht zu lassen (right to jury nullification) und den Angeklagten ungeachtet aller gegen ihn sprechenden Beweise in einer Art bürgerlichen Trotzreaktion gegen "ungerechte" Gesetze freizusprechen (jury power to acquit against the evidence). Zudem gelte es, (vi) einer ineffizienten Nutzung der äußerst knappen Ressourcen von Gericht und Strafverfolgungsbehörden vorzubeugen (conserving scarce prosecutorial and judicial resources) und (vii) dem Staat oder einzelnen auf Verurteilung erpichten Staatsbediensteten ein Drangsalieren des Bürgers durch wiederholte Strafverfolgung von vornherein zu verwehren (to prevent harassment). Zuletzt wird gegen eine Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen ins Feld geführt, dass (viii) ein Offenlegen von Unzulänglichkeiten des ersten Strafverfahrens dem öffentlichen Ansehen der Justiz und dem allgemeinen Vertrauen in das Rechtssystem weit mehr schaden könnte als ein Verzicht auf nachträgliche Korrektur des Fehlers im Wege der Wiederaufnahme (maintaining the Public’s respect and confidence in the legal system).[101]

Über das letztgenannte Argument lässt sich, wie auch über andere auf der Liste, trefflich streiten. Ob nun die rückblickende Offenbarung von Justizirrtümern mehr Bürgervertrauen verspielt als die Nichtkorrektur eines als höchstwahrscheinlich fehlerhaft erkannten Urteils, wird man mangels empirischer Forschung auf diesem Gebiet dem Standpunkt des Betrachters überlassen müssen. Jedenfalls aber wäre es verfehlt, die Entscheidung für oder gegen einen Vorrang der Rechtssicherheit vor der materiellen Gerechtigkeit von einem vermeintlichen Bürgervertrauens in die Unfehlbarkeit des nationalen Justizsystems abhängig zu machen. Es ist auch nicht empirisch nachgewiesen, dass die Erneuerung der Strafverhandlung tatsächliche höhere Fehlurteilsrisiken birgt. Ausgehend von der Prämisse, dass (auch) im zweiten Strafverfahren rechtsstaatliche Standards gewahrt und sämtliche schuld- und strafausspruchrelevanten Tatsachenfeststellungen entsprechend der Beweisregel beyond reasonable doubt getroffen werden, dem Angeklagten also Tatbeteiligung und Tatschuld jenseits aller vernünftiger Zweifel und zur Überzeugung der Richter nachzuweisen sind, sollte das Fehlurteilsrisiko im zweiten Versuch jedenfalls nicht höher sein als im ersten. Solange es an empirisch verifizierten und verifizierbaren Daten zum Fehlurteilsrisiko in Strafverfahren mangelt, wird man das Fehlurteilsargument damit in den Bereich der bloßen Mutmaßungen verweisen müssen.[102] Natürlich können sich die Verurteilungschancen zuungunsten des Angeklagten verschieben, wenn es der Staatsanwaltschaft gelingt, aus der Wiederholung der Beweisaufnahme bei nunmehr vorhersehbarer Verteidigungsstrategie einen taktischen Vorteil zu schlagen.[103] Im angelsächsischen Parteiverfahren, in dem Vortragskalkül und Überraschungseffekte immer noch ihren festen Platz haben, mag ein solcher strategischer Vorteil auch nicht von der Hand zu weisen sein. Dennoch streitet das Strategieargument nicht zwingend für ein Verbot der Wiederaufnahme, sondern vielmehr nur dafür sicherzustellen, dass die Strafverfolgungsbehörde von Anfang an mit offenen Karten spielt und den gesamten Sachverhalt bereits im Erstverfahren umfassend ermittelt und zur Anklage bringt.[104] Eine gewissenhaft-erschöpfende Sachverhaltsaufklärung lässt sich dann aber sinnvoller mit einer Reform des angelsächsischen Anklageprinzips zugunsten eines faktischen Tatbegriffs erwirken, wie ihn seit Februar 2009 auch der EGMR fordert.[105] Strategischem Anklagekalkül wäre so ein Riegel vorgeschoben und die effiziente Nutzung öffentlicher Ressourcen gesichert.

Für den englischen Gesetzgeber standen dann auch nicht Strategieargumente oder Fehlurteilsrisiken im Vordergrund, sondern der mit dem Gehalt einer Freiheitsgarantie aufgeladene Aspekt der Finalität strafrechtlicher Endentscheidungen und – damit eng verbunden – die Gefahr der Schikane eines zwar rechtskräftig freigesprochenen, von den Ermittlungsbehörden jedoch weiterhin als tatverdächtig drangsalierten Bürger.[106] Das Prinzip der Finalität versichert in seiner psychologischen Dimension dem Einzelnen das Ende jeder staatlichen Verfolgung und Erholung von den erlittenen Belastungen sowie die Chance auf einen Neuanfang Die Verdächtigungen und Heimsuchungen durch staatliche Behörden haben ihr Bewenden. Weitere Informationseingriffe oder "fishing expeditions" in der Sphäre des Betroffenen haben keine rechtliche Grundlage mehr. Die Finalität entspricht in ihrer psychologischen Dimension damit der Zusage von Planungssicherheit.[107] Über diesen psychologischen Aspekt der Planungssicherheit hinaus verbindet sich mit der Anerkennung der Finalität strafrechtlicher Endurteile aber auch eine zentrale verfassungsrechtliche Wertentscheidung. Eine Rechtsordnung, die bereit ist, der Rechtskraft eines Freispruchs auch noch dann Beachtung zu zollen, wenn eine Mehrfachverfolgung im Interesse von Allgemeinheit und der materiellen Gerechtigkeit begründbar erscheint, bekennt sich zur Wertschätzung individueller Freiheitsräume und damit zur aufgeklärt-liberalen Rechtstradition. Sie akzeptiert, dass eine unnachsichtige endlose Strafverfolgung zwar möglicherweise eine Annäherung an die Wahrheit, jedoch nicht unbe-

dingt mehr Gerechtigkeit bringt,[108] und dass dem Bürger formale Abwehrmechanismen an die Hand zu geben sind, um dem Staat bei Übergriffen in seine Freiheitsräume Grenzen zu ziehen.[109] Hat der Bürger die Strafverfolgung einmal erduldet und seinen Freispruch nach allen Regeln des Rechts erkämpft, hat er seinen Teil des Sozialvertrags erfüllt. Nun liegt es am Staat, im Gegenzug seinen Teil der Vereinbarung einzuhalten und den Bürger von jeder weiteren Verfolgung freizustellen.[110] Das Doppelverfolgungsverbot avanciert so zum Symbol der Rechtsstaatlichkeit. Es versichert, dass die Inanspruchnahme des Einzelnen durch den Staat Grenzen kennt und die Unterordnung seiner individuellen Autonomie unter die Belange der Gemeinschaft nicht von Dauer ist.[111]

Aus diesem Verständnis des Doppelverfolgungsverbots als liberale Grundsatzentscheidung eines freiheitlich-demokratischen Rechtssystems zog die englische Law Commission nun allerdings nicht die Konsequenz, dass Ausnahmen zum Grundsatz der formellen Rechtskraft generell unzulässig wären. Ausnahmen sollten vielmehr dann möglich sein, wenn sie so präzise und eng formuliert sind, dass sie die Funktion des Verbots als Begrenzung staatlicher Strafverfolgungsgewalt nicht in Frage stellen. Wiederaufnahmen zuungunsten eines Freigesprochenen auf der Grundlage neuer glaubhafter Beweise sollten daher ausschließlich bei Mord und Völkermord gebilligt werden – und auch dann nur, wenn die Fehlerhaftigkeit des Freispruchs geradezu ins Auge springt.[112] Bei diesem Ergebnis fühlt man sich unweigerlich an den in Deutschland diskutierten Gesetzesentwurf zur Wiederaufnahme erinnert, der die Korrektur von rechtskräftigen Freisprüchen ebenfalls nur für Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ins Auge fasst und dabei hofft, dass der Kern des Doppelverfolgungsverbotes durch derartige "Grenzkorrekturen" unangetastet bleibt. Doch diese Hoffnung trügt. Die Prinzipien der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit lassen sich in keinem Kompromiss zusammenführen. Man muss sich nur das weitere Schicksal des Gesetzgebungsvorschlags der Law Commission ansehen, um die nächsten Stufen in der Erosion des Grundsatzes der Rechtssicherheit vorherzusagen. Die von der Law Commission so vorsichtig formulierten "Grenzkorrekturen" dienten dem englischen Gesetzgeber im Folgenden als Hebelpunkte, um mit einem flammenden Plädoyer für noch mehr materielle Gerechtigkeit das gesamte Doppelverfolgungsverbot aus den Angeln zu heben. Eine Wiederaufnahme zuungunsten eines Freigesprochen darf gemäß ss. 75-83 Criminal Justice Act 2003 heute immer dann erfolgen, wenn neues und "zwingendes" Beweismaterial (new and compelling evidence) den Nachweis einer der in Anhang 5, Teil 1 zum Criminal Justice Act 2003 genannten schweren Straftaten ermöglicht. Die Liste in Anhang 5, Teil 1 zum Criminal Justice Act 2003 hört aber nicht bei Mord oder Völkermord auf, sondern umfasst einen mehrseitigen Katalog weiterer schwerer Straftaten, darunter Straftaten gegen das Leben, schwere Sexual- und Betäubungsmitteldelikte, Brandstiftungs- und Explosionsstraftaten und Terrorismus- und Völkerrechtsverbrechen. Die eng umrissen Ausnahmeregelungen aus dem Vorschlag der Law Commission wurden so zu Einbruchsstellen, aus denen heraus der Gesetzgeber die vollständige Unterhöhlung der individuellen Rechtssicherheitsgarantie betrieb. Denn das Argument der materiellen Gerechtigkeit ist gerade in seiner Überhöhung ein K.o.-Argument.[113] Eröffnet man ihm nur überhaupt die Chance, mit dem Grundsatz der individuellen Rechtssicherheit in Abwägung zu treten, so wird das Argument der Gerechtigkeit dieses fundamentale Strukturprinzip der aufgeklärt-liberalen Rechtstradition mühelos mit einer impulsiven Beschwörungen der "Unerträglichkeit" eines fehlerhaften Urteils aus den Angeln heben. Das englische Beispiel zeigt, dass der Schutz des Doppelverfolgungsverbotes in seiner heute in Art. 103 Abs. 3 GG ausgeformten Gestalt keinen noch so geringfügigen "Grenzkorrekturen" zugänglich gemacht werden darf. Zumindest nicht, wenn man an der Struktur eines freiheitlich-demokratischen Rechtssystems weiterhin festhalten will.[114]

IV. Funktion der Wiederaufnahme in grenzüberschreitenden Strafverfahren

Der letzte Teil dieses Beitrags soll die Brücke zum europäischen Strafverfahren und dort zu den Mechanismen der grenzübergreifenden Zusammenarbeit in Strafsachen schlagen, über die auch fremdes Wiederaufnahmerecht innerstaatlich relevant wird.

1. Bezugspunkte zur Wiederaufnahme im Recht der dritten Säule

Der Vertrag von Amsterdam von 1997 hat EU- und EG-Vertrag um das Ziel der Errichtung eines "Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" erweitert.[115] Zur "polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit" in der dritten Säule der EU zählen u.a. der so genannte "Schengen-Besitzstand"[116] sowie zahlreiche unionsrechtliche Übereinkommen über die europäische Rechtshilfe in

Strafsachen[117] In den Schlussfolgerungen von Tampere von 1999 wurde die politische Leitlinie des "Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung" von gerichtlichen Entscheidungen und Urteilen formuliert.[118] Dieser Grundsatz ist Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen. Im Vertrag von Lissabon sollte er als Leitprinzip sogar dem Kapitel über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen vorangestellt werden.[119] Dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung entstammen zahlreiche europäische Rechtshilfeinstrumente wie z.B. der Europäische Haftbefehl,[120] die europäische Einziehungsentscheidung[121] oder die europäischen Beweisanordnung.[122] Geldstrafen und Geldbußen,[123] freiheitsentziehende Strafen oder andere freiheitsentziehende Maßnahmen[124] sind heute ebenso europaweit vollstreckbar wie Bewährungsentscheidungen[125] oder Berufsverbote[126].

Zwar enthält keines der genannten Rechtshilfeinstrumente eigene Regelungen zur Wiederaufnahme in Strafverfahren, sie setzen aber zum Teil die Existenz eines nationalen Wiederaufnahmeverfahrens voraus. So erklärt Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (RB-EuHb), dass sich der Staat, der um Übergabe einer in Abwesenheit verurteilten Person ersucht wird, vom haftbefehlausstellenden Staat eine Zusicherung ausbedingen kann, dass diese Person nach der Überstellung die Möglichkeit haben wird, eine "Wiederaufnahme" des Verfahrens zu beantragen. Diese Zusicherung bezieht sich aber weniger auf Wiederaufnahmen im klassischen Sinn als auf Rechtsbehelfe, die einen in absentia Verurteilten ohne größere Zulässigkeitshürden befähigen, eine Neuverhandlung in der Sache anzustrengen und darüber die Aufhebung des Urteils und eine völlig neue Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Aspekte des Falles herbeizuführen.[127] Die klassische Wiederaufnahme eignet sich hierfür nur bedingt, namentlich, wenn auf die sonst im Aditions- und Probationsstadium geprüften Zulassungsvoraussetzungen verzichtet wird.[128]

Ansonsten findet sich in den europäischen Rechtshilfeinstrumenten mehrfach der Grundsatz formuliert, dass eine europaweit vollstreckbare Entscheidung grundsätzlich nur im Entscheidungsstaat durch Wiederaufnahme angefochten werden kann. Der Vollstreckungsstaat kann die Vollstreckung der Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen ablehnen, ist aber zur Aufhebung der Entscheidung nicht befugt.[129] Hier ist vor allem ein Bereich auszumachen, in dem ein Staat gezwungenermaßen mit dem Wiederaufnahmerecht eines anderen EU-Staates konfrontiert wird, namentlich bei Anwendung des transnationalen Doppelbestrafungsverbots aus Art. 54 SDÜ.

2. Anerkennung fremder Urteilswirkungen – Art. 54 SDÜ

Das transnationale Doppelverfolgungsverbot in Art. 54 SDÜ ist wesentlicher Pfeiler der Unionspolitik zur Errichtung eines einheitlichen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 29 Abs. 1 EU). Die EU als Binnenmarkt versichert jedem Unionsbürger, diskri-

minierungsfrei von seinen Freizügigkeitsrechten Gebrauch machen zu können. Damit aber das Recht auf Freizügigkeit nicht durch sich überschneidende oder gar widersprüchliche nationale Rechtspraktiken in Gefahr gerät, muss die EU nach Möglichkeit einen einheitlichen Binnenrechtsraum einrichten.[130] Die Gefahr der Mehrfachverfolgung wegen derselben Tat durch verschiedene Mitgliedstaaten, die sich allesamt materiell-rechtlich eine Kompetenz zur Verfolgung dieser Tat zugeschrieben haben, würde dem Recht auf Freizügigkeit eines Beschuldigten faktisch ein Ende bereiten. Er müsste sich selbst nach einer abschließenden Verfahrensentscheidung in einem Staat immer noch von den weiteren aburteilungswilligen Rechtsordnungen fernhalten. Ein einheitlicher Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts setzt also voraus, dass das Verbot der Doppelverfolgung auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander gilt.[131] Hier greift das transnationale ne bis in idem aus Art. 54 SDÜ ein.

Der Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ umfasst nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einen gesamten Komplex "unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung der Tatsachen oder von dem geschützten Interesse".[132] Für Tatidentität genügt, wenn die in den verschiedenen Mitgliedstaaten angeklagten "materiellen Taten in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck einen untrennbaren Komplex bilden."[133] Auf die unterschiedliche rechtliche Qualifikation eines Verhaltens in den verschiedenen Mitgliedstaaten, z.B. einer Drogenschmuggelfahrt als Aus- respektive Einfuhr von Betäubungsmitteln, kommt es nicht an.[134] Zu einem untrennbaren Handlungskomplex zusammenzuziehen sind aber auch zeitlich aufeinanderfolgende Tathandlungen, die sich auf ein identisches oder zumindest teilidentisches Tatobjekt beziehen. Eine einheitliche Tat ist damit z.B. auch die unerlaubte Übernahme von Betäubungsmitteln oder geschmuggelter Ware in einem Mitgliedstaat und der anschließende Besitz oder Verkauf der übernommenen Ware in einem anderen Mitgliedstaat.[135]. Allein ein einheitlicher Tatvorsatz aber genügt nicht, um Tatidentität zwischen mehreren Handlungskomplexen in verschiedenen Staaten herzustellen. Der Handel mit Betäubungsmitteln in einem Mitgliedsstaat ist daher nicht identisch mit dem Besitz von aus diesem Handel stammenden Geldbeträgen oder mit dem In-Umlauf-Bringen von Geldbeträgen gleicher Herkunft in Wechselstuben eines anderen Mitgliedstaates.[136]

An die "rechtskräftige Aburteilung" der Tat in einem anderen Mitgliedsstaat, wie sie Art. 54 SDÜ weiter verlangt, stellt der EuGH keine allzu hohen Anforderungen. Neben abschließenden Strafurteilen können auch gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügungen hierfür genügen. Voraussetzung ist nur, dass die Einstellung an die Erfüllung bestimmter Auflagen anknüpft, damit das strafbare Verhalten als gleichsam im Wege der Auflagen geahndet gelten kann. Außerdem muss die Einstellung nach nationalem Recht strafklageverbrauchende Wirkung haben.[137] Auf das in Art. 54 SDÜ ansonsten noch genannte Vollstreckungselement – der Wortlaut verlangt, dass die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann – kommt es nicht an.[138] Der Strafklageverbrauch tritt selbst dann ein, wenn die Strafe im Urteilsstaat zu keinem Zeitpunkt vollstreckt werden konnte. Kann sich also ein Verurteilter wie im Fall Klaus Bourquain[139] der Vollstreckung des verhängten Urteils jahrelang durch Flucht entziehen, um letztlich von einer Generalamnestie und dem Ablauf der Verfolgungsverjährung zu profitieren, ist eine weitere Strafverfolgung in anderen Mitgliedstaaten unzulässig.

Kurzum, der EuGH weist die Mitgliedstaaten unmissverständlich an, dem jeweils anderen Strafjustizsystem zu vertrauen und die Aburteilung nach dem fremden Strafrecht selbst dann noch als bindend zu akzeptieren, wenn eine Aburteilung nach eigenem nationalen Recht ein anderes Ergebnis erbracht hätte.[140] Ungeklärt ist aber, welche Wirkungen der transnationale Strafklageverbrauch für die Wiederaufnahme von Strafverfahren entfaltet und ob Art. 54 SDÜ die Fortsetzung eines Strafverfahrens hindert, nachdem zwar eine Einstellungsverfügung ergangen, die nationalen Strafverfolgungsbehörde aber aufgrund neuer Erkenntnisse in der Sache der Auffassung ist, die Tat noch unter anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten weiterverfolgen zu müssen.[141] Das nationale Wiederaufnahmerecht als solches bleibt vom Doppelverfolgungsverbot unberührt. "Rechtskraft" einer Entscheidung bedeutet nicht, dass die rechtskräftige Aburteilung auf Ewig Bestand haben muss.[142] Doch wer dürfte eine Wiederaufnahme verfügen? Ausschließlich ein Gericht des Erstverfolgungsstaates nach

den Kriterien des nationalen Wiederaufnahmerechts?[143] Oder ist auch eine "internationale" oder "europäische" Wiederaufnahme durch einen anderen Hoheitsträger, also ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates, denkbar, wenn die Voraussetzungen der Wiederaufnahme im Staat der Erstverfolgung (untechnisch) zu bejahen sind?[144]

An dieser Stelle ist an den in zahlreichen europäischen Rechtsinstrumenten formulierten Grundsatz zu erinnern, dass eine europaweit vollstreckbare Entscheidung nur im Entscheidungsstaat mit der Wiederaufnahme angefochten werden kann.[145] Zu denken ist ferner an das vom EuGH artikulierte Gebot des gegenseitigen Vertrauens in die Effektivität des jeweils anderen Strafrechtssystems. Strafrechtliche Fragen von grenzüberschreitendem Belang verlangen in einem einheitlichen Binnenrechtsraums nach einer einheitlichen Lösung.[146] Diese wiederum gelingt nur, wenn sich die Anerkennung einer Entscheidung i.S.v. Art. 54 SDÜ ausschließlich an den Urteilswirkungen orientiert, die das Recht des Aburteilungsstaates an die Entscheidung knüpft. Allein der Erstverfolgungsstaat hat die Definitionsmacht über den Verfahrensgegenstand und die Reichweite der prozessualen Erledigungswirkung.[147] Damit sind auch nur seine Gerichte kompetent, eine Durchbrechung der Rechtskraft nach Maßgabe ihres nationalen Wiederaufnahmerechts anzuordnen.

Diese Lösung mag im Fall eines Fehlurteils allerdings die missliche Konsequenz haben, dass ein Straftäter europaweit von jeder weiteren Verfolgung freigestellt wird, obwohl nachträglich Unrichtigkeit des Ersturteils zutage tritt. Hat z.B. ein französisches Schwurgericht einen Beschuldigten rechtskräftig und endgültig vom Vorwurf des Mordes an einem deutschen Staatsbürger freigesprochen, wären die deutschen Strafverfolgungsbehörden durch Art. 54 SDÜ selbst dann an einer neuen Verfolgung gehindert, wenn sich der Freigesprochene später öffentlich und glaubhaft der Tat rühmt und das Opfer bzw. seine Angehörigen verhöhnt. Da eine Wiederaufnahme zuungunsten eines Freigesprochen entsprechend der Regelung in § 362 Nr. 4 StPO dem französischen Recht unbekannt ist, wäre der Freispruch nachträglich nicht mehr zu beseitigen. Für einen solchen Fall ist ernsthaft an die Möglichkeit einer "internationalen" oder "europäischen" Wiederaufnahme durch einen fremden Hoheitsträger zu denken, denn auch im transnationalen Strafprozessrecht kann keine grenzenlose Anerkennung ausländischer Entscheidungen eingefordert werden. Die Anerkennung ist immer durch den europäischen ordre public begrenzt,[148] also den ordre public, wie er sich aus den europaweit und international gültigen Mindeststandards im Strafverfahren ergibt.[149] Sollte sich das Wiederaufnahmerecht des Erstverfolgungsstaates hieran gemessen als unzureichend erweisen, muss eine Wiederaufnahme ausnahmsweise auch nach den Verfahrensregeln des anerkennenden Staates und durch dessen Gerichte angeordnet werden können.[150] Die Schwierigkeit dieser Verweisung auf den europäischen ordre public besteht nun allerdings darin, ordre public Grundsätze zu formulieren, nach denen die Anordnung einer Wiederaufnahme in malam partem zwingend erscheint. Fruchtbar machen lassen sich hierfür allenfalls elementare Grundsätze der öffentlichen Ordnung wie z.B. das in § 1 VStGB und Art. 20 IStGH-Statut verkörpert Gebot der Verfolgung schwerster Völkerrechtsverbrechen.[151] Doch erscheint zweifelhaft, ob über die Fälle einer menschenrechtswidrig täterbegünstigenden Strafverfolgungspraxis hinaus auch das allgemeine Bedürfnis nach Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zum ordre public-Rahmen gezählt werden kann. Das Legalitätsprinzip, das deutsche Strafverfolgungsbehörden nach §§ 152 Abs. 2, 160, 163 StPO zur Aufnahme von Ermittlungen und – bei hinreichendem Tatverdacht – zur Erhebung der öffentliche Klage verpflichtet (§ 170 Abs. 1 dt. StPO), ist in zahlreichen anderen europäischen Staaten unbekannt;[152] und auch in Deutschland wird das Prinzip von derart vielen Opportunitätsregelungen durchbrochen, dass von einem Grundprinzip der lückenlosen Strafverfolgung nicht die Rede sein kann. Nicht vertretbar erscheint weiterhin, das in den Strafprozessordnungen der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten vorgesehene Verfahren der Wiederaufnahme zuungunsten eines geständigen Freigesprochenen in den Rang eines ordre public Grundsatzes zu erheben. Zwar lassen sich internationale prozessuale Mindeststandards auch im Wege der rechtsvergleichenden Betrachtung ermitteln,[153] doch die bloße Möglichkeit einer

Mehrfachverfolgung in zahlreichen Rechtsordnungen begründet noch keinen prozessualen Zwang, auch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung um Möglichkeiten der Durchbrechung ausländischer Rechtskraft zu erweitern. Als bedeutsames europäisches Ordnungsprinzip für eine Wiederaufnahme in malam partem ließe sich allenfalls ein Konglomerat aus Legalitätsprinzip und Opferschutzbelangen bei schwersten Straftaten fruchtbar machen. Dem Opfer gebührt im Verfahren Achtung und Schutz, was auch den Schutz vor nachträglicher Verhöhnung [154]  und Verächtlichmachung durch den Täter mit einschließt. Aber ob das als ordre public Prinzip genügt?

Das gewählte Beispiel zeigt jedenfalls, wie dringend Klarheit über die Anerkennungswirkungen des Art. 54 SDÜ geschaffen werden muss. Klärend wirken könnte hier der EuGH oder ein Rahmenbeschluss über Mindeststandards für Wiederaufnahmen in Strafverfahren oder – wie schon lange geplant – ein Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren. [155] Mit der Anordnung der Wiederaufnahme durch ein Gericht des Erstverfolgungs- oder – ausnahmsweise – des Anerkennungsstaates entfallen sämtliche Rechtskraftwirkungen der ersten Entscheidung. Art. 54 SDÜ steht einer in mehreren Staaten parallel geführten Strafverfolgung nicht mehr entgegen. Der "Aburteilungswettlauf" ist neu eröffnet.[156] Das mag für den Beschuldigten eine Belastung bedeuten, eröffnet ihm aber in gewissen Grenzen auch die Möglichkeit, die doppelte Verfolgung zu seinem Vorteil zu nutzen, etwa durch ein absprachengesteuertes "forum shopping".[157] Er könnte auf zügige Verfahrensabwicklung in dem aus seiner Sicht günstigsten Rechtssystem drängen und so eine Strafverurteilung in dem anderen Mitgliedsstaat verhindern.[158] Art. 54 SDÜ eröffnet damit auch in absprachepsychologischer Hinsicht ungeahnte neue Perspektiven.

V. Resümee

Reformen des Katalogs der Wiederaufnahmegründe zuungunsten eines Abgeurteilten in § 362 StPO sind nicht angezeigt. Technikbegeisterung und eine mit politischer Rhetorik gepflegte Angst, die Bevölkerung könnte ihr Vertrauen in den staatlichen Strafverfolgungsapparat aufkündigen, wenn sich zwar im Anschluss an einen rechtskräftigen Freispruch der Nachweis der Täterschaft führen, das Urteil aber nicht mehr korrigieren lässt, sind schlechte Ratgeber, wenn es darum geht, bewährte rechtsstaatliche Schutzmechanismen aufzubrechen. Die moderne Kriminaltechnik mag in vielen Fällen auch gar nicht den Erfolg erbringen, den sich der Gesetzgeber von ihr verspricht. Zudem trägt die Argumentation um angeblich unerlässliche "Grenzkorrekturen" im Recht der Wiederaufnahme dem Grundsatz der Finalität strafrechtlicher Endurteile als verfassungsrechtliche Wertentscheidung nicht genügend Rechnung. Es soll dem Bürger an die Hand gegeben sein, dem staatlichen Verfolgungsapparat Grenzen zu ziehen, wenn die strafrechtliche Verfolgung einmal fehlerfrei mit einem Freispruch abgeschlossen wurde. Einbrüche in diesen Abwehrmechanismus, und seien sie auch noch so eng und präzise formuliert, würden den Mechanismus unweigerlich weiteren Erosionsprozessen im Namen der materiellen Gerechtigkeit preisgeben, bis die individuelle Rechtssicherheit gänzlich dem Verfolgungsinteresse des Staates aufgeopfert wäre.

Der Konflikt zwischen formaler Rechtskraft und materieller Gerechtigkeit wird an die deutsche Rechtsordnung auch von europäischer Seite, insbesondere über das Doppelverfolgungsverbot des Art. 54 SDÜ, herangetragen. In diesem Zusammenhang geraten die EU-Mitgliedstaaten zunehmend unter Harmonisierungsdruck – mit der jedem Harmonisierungsvorgang innewohnenden Gefahr eines Absinkens der Beschuldigtenschutzstandards auf niedrigstes europäisches Niveau. [159] Der deutsche Gesetzgeber wird sich daher seiner Prämissen bewusst werden müssen: Will er an dem bewährten liberalen Schutzmechanismus des Doppelverfolgungsverbotes festhalten oder soll das deutsche Strafverfahren allein an der "Wahrheit" ausgerichtet werden, mit all den Beeinträchtigungen, die eine solche grenzenlose Wahrheitssuche dem Verdächtigen zumutet? Harmonisierungsdruck aus Europa zu verspüren bedeutet nicht, dem Harmonisierungsdruck nicht auch aus verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen heraus standhalten zu können – doch der Gesetzgeber muss dies wollen.


* Die Autorin ist Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Werner Beulke. Der Beitrag beruht auf einem Vortrag in der Evangelischen Akademie Arnoldshain im Rahmen der Tagung "Das Fehlurteil im Strafverfahren" am 20. März 2009.

[1] Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens ermöglicht eine restitutio in integrum i.S.v. Art. 41, 46 EMRK; Csaki, Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der deutschen Rechtsordnung, 2008, S. 38 ff., 78 f.; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 869 f.; Empfehlung Nr. R (2000) 2 des Ministerkomitees des Europarates vom 19.1.2000 EuGRZ 2004, 808.

[2] Zur Wiederaufnahme bei Art. 54 SDÜ Vogel, in: Festschrift für F.C.-Schroeder (2006), S. 888; Radtke, in: Festschrift für Seebode (2008), S. 305.

[3] S. "Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts", BR-Drs. 655/07.

[4] Gollwitzer, MRK und IPBPR (2005), Art. 6 MRK/Art. 14 IPBPR Rn. 41, Art. 13 MRK Rn. 18.

[5] Nowak, CCPR Commentary, 2nd edition (2005), Art. 14 CCPR Rn. 92, Fn. 305.

[6] Vogel, in: Vogel/Grotz (Hrsg.), Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts (2002), S. 14; zur entsprechenden Auslegung von Art. 14 Abs. 1 IPbpR s. UN-Menschenrechtsausschuss A.P. v. Italien, Entscheidung No. 204/1986, vom 2. November 1987, § 7.3; krit. Nowak a.a.O (Fn. 5), Art. 14 CCPR Rn. 99.

[7] Council of Europe, Explanatory Report to Art. 4 Protocol No. 7 to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (ETS No. 117), § 32; der EGMR unternimmt allerdings eine autonome Auslegung dessen, was als verwaltungs- oder disziplinarrechtliche Sanktion einzustufen ist und geht damit z.T. selbst dort von einer Strafsanktionen aus, wo das nationale Recht von Verwaltungsmaßnahmen spricht; EGMR Zolotukhin v. Russland, Verfahren Nr. 14939/03, Urteil (Große Kammer) vom 10. Februar 2009, § 52 m. zahlr. w. N.

[8] EGMR Ponsetti und Chesnel v. Frankreich, Verfahren Nr.  36855/97 und 41731/98, Urteil vom 14. September 1999; Fischer v. Österreich, ÖJZ 2001, 657; EMRK-Meyer-Ladewig, 2. Auflage, (2006), Protokoll Nr. 7 zur EMRK, Art. 4 Rn. 3; krit. hierzu bereits Esser a.a.O. (Fn. 1), S. 98.

[9] BGHSt. 23, 141, 145; 32, 215, 216.

[10] EGMR Fischer v.Österreich, ÖJZ 2001, 657, § 25; Schutte v. Österreich, Verfahren Nr. 18015/03, Urteil vom 26. Juli 2007, § 41.

[11] Zolotukhin v. Russland a.a.O. (Fn. 7), § 79; in ausdrücklicher Orientierung an der Auslegung von Art. 54 SDÜ durch den EuGH "van Esbroeck", EuZW 2006, 274; "van Straaten", JZ 2007, 245; "Gasparini u.a.", EuZW 2007, 29; "Kretzinger", NJW 2007, 4312; "van Kraaijenbrink", NStZ 2008, 164; Inter-American Court of Human Rights, Loayza-Tamayo v. Peru, Urteil vom 17. September 1997, Series C No. 33, § 66.

[12] Zolotukhin v. Russland a.a.O. (Fn. 7), § 82.

[13] Art. 4 Abs. 2 7.ZP-EMRK.

[14] EGMR Xheraj v. Albanien, Verfahren No. 37959/02, Urteil vom 29. Juli 2008, § 58.

[15] EGMR Pravednaya v. Russland, Verfahren Nr. 65929/01, Urteil vom 18. November 2004, §§ 28, 31.

[16] EGMR Savinskiy v. Ukraine, Verfahren Nr. 6965/02, Urteil vom 28. Februar 2006, §§ 23, 25; Radchikov v. Russland, Verfahren No. 65582/01, Urteil vom 24. Mai 2007, §§ 43 f.

[17] Dazu EGMR, Nikitin v. Russland, Verfahren Nr. 50178/99, Urteil vom 20. Juli 2004.

[18] Art. 443-447bis belg. StPO; vander Beken/Vermeulen/Ongena RIDP 73 (2002), 811, 814.

[19] Art. 622 Code de Procédure Pénale (franz. StPO).

[20] Art. 629 Codice di Procedura Penale (it. StPO).

[21] Art. 449 ff. portug. StPO.

[22] Art. 945-961 Ley de Enjuiciamiento criminal (span.  StPO); Einzelheiten bei Díaz Pita RIDP 73 (2002), 873, 882 f.

[23] Balance in the Criminal Law Review Group, Final Report, 15th March 2007, pp. 203-214, http://www.justice.ie/en/JELR/BalanceRpt.pdf/Files/BalanceRpt.pdf (zuletzt besucht am 27. Februar 2009).

[24] Art. 457 ff. Wetboek van Strafvordering (nl. StPO); dazu Klip/van der Wilt RIDP 73 (2002), 1091, 1097; zu den Reformen s. das Merkblatt: http://english.justitie.nl/currenttopics/pressreleases/archives-2008/increased-opportunities-for-reassessment-of-criminal-cases.aspx?cp=35&cs=1578 (zuletzt besucht am 11. März 2009).

[25] Scottish Law Commission, Discussion Paper on Double Jeopardy (DP No. 141), 21st January 2009, http://www.scotlawcom.gov.uk/downloads/dps/dp141.pdf (zuletzt besucht am 27. Februar 2009).

[26] Hörnle ZStW 117 (2005), 801, 823 f.

[27] Für England ss. 55-57 Criminal Procedure and Investigations Act 1996; für Irland s. das obiter dictum in The People (D.P.P.) v. O’Shea[1982]IR 348 at p. 418, zit. nach Balance in the Criminal Law Review Group, Final Report a.a.O. (Fn. 23), S. 203-214; ferner die Reformvorschläge id. pp. 212-213; für Schottland Scottish Law Commission a.a.O. (Fn. 25), §§ 7.5-7.25.

[28] Scottish Law Commission a.a.O. (Fn. 25), §§ 7.27-7.28.

[29] So aber zu Belgien vander Beken/Vermeulen/Ongena RIDP 73 (2002), 811 f.; zu den Niederlanden vor der Reform Klip/can der Wilt RIDP 73 (2002), 1091, 1094; zu Frankreich Desessard RIDP 73 (2002), 913, 914.

[30] de la Cuesta RIDP 73 (2002), 673, 676 f.

[31] So Hörnle ZStW 117 (2005), 801, 824.

[32] Vogler, in: Huber/Vogler (Hrsg.), Criminal Procedure in Europe (2007), S. 224.

[33] Debove/Falletti, Précis de droit pénal et de procédure pénale, 2e édition (2006), S. 705; Bouloc/Matsopoulou, Droit pénal général et procédure pénale,16e édition (2006), § 875.

[34] Bauer JZ 1952, 209 (211); Strate, Meyer-GS, 1990, 462 (469 f.).

[35] Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 2. Auflage (2006), Rn. 9; eine Entscheidungsregel, im Zweifel "zugunsten der Rechtskraft des Urteils", gibt es aber nicht; OLG Köln NJW 1968, 2119; Fuchs JuS 1969, 516, 517.

[36] Zu Belgien, Spanien und Frankreich allgemein de la Cuesta RIDP 73 (2002), 673, 677 f.

[37] Crim., 20 mars 1956, Affaire Meyer, D., 1957, p. 33 note Hugueney; Debove/Falletti a.a.O. (Fn. 33), S. 707; Bouloc/Matsopoulou a.a.O. (Fn. 33), § 886.

[38] Crim., 19. mai 1983, Affaire Laurent, bull. crim., n  149, JCP, 1985, II, 20385, note Jeandidier; Debove/Falletti a.a.O. (Fn. 33), S. 708.

[39] Debove/Falletti a.a.O. (Fn. 33), S. 708, unter Verweis auf Crim., 15 décembre 2004, pourvoi n° 03-87.827.

[40] Art. 421 bulg. StPO.

[41] S. 976 dän. Gerichtsverfahrensgesetz.

[42] § 362 StPO.

[43] Zur Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten ss. 8-25 Criminal Appeal Act 1995; zur Wiederaufnahme zuungunsten eines Freigesprochenen ss. 54-57 Criminal Procedure and Investigations Act 1999 (tainted acquittal exception), ss. 75-82 Criminal Justice Act 2003 (new and compelling evidence exception); s. auch Dennis Criminal Law Review 2000, 933; Roberts The Modern Law Review 65 (2002), 393; krit. Rudstein San Diego International Law Journal 8 (2007), 387.

[44] §§ 365 ff. estn. StPO.

[45] Kapitel 31, ss. 8 und 9 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz.

[46] Art. 526 f. griech.  StPO; Anagnostopoulos RIDP 73 (2002), 965, 969 f.

[47] § 393 norw. StPO.

[48] § 355 österr. StPO.

[49] Art. 540 § 1 Nr. 1, 543(5) poln. StPO; Kubicki RIDP 73 (2002), 1037, 1043.

[50] Art. 393 ff. rum. StPO.

[51] Art. 413 ff., insbesondere aber Art. 414(3) russ. StPO. Bemerkenswert ist, dass allein dem Staatsanwalt in seiner Rolle als Kontrollorgan über die Rechtmäßigkeit des Handelns der Strafverfolgungsbehörden ein Antragsrecht für die Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens zu Gericht gebührt, und zwar sowohl zuungunsten wie zugunsten des Betroffenen; Art. 415 Abs. 1 russ. StPO.

[52] Kapitel 58, ss. 2 und 3 Schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz.

[53] Ss. 277 ff. slowak.  StPO.

[54] Art. 392 ung. StPO; dazu Gellér/Kis/Pólt RDIP 73 (2002), 989, 996.

[55] Z.B. Art. 422 Abs. 1 Nr. 2 bulg. StPO; § 359 Nr. 1-3 dt. StPO; § 366 Abs. 1-3 estn. StPO; Kapitel 31 s. 8 Nr. 1 u. 2 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz; § 391 Nr. 1 norw. StPO; § 353 Nr. 1 österr.  StPO; Art. 394 lit. b-d) rumän.  StPO, Art. 413 Abs. 1, 2 und 3 russ. StPO; Kapitel 58 s. 2 Nr. 1-3 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz; zu Griechenland Anagnostopoulos RIDP 73 (2002), 965, 969 f.

[56] Z.B. Art. 662 Abs. 2 franz. StPO; Art. 457 Abs. 1 Nr. 1 nl. StPO; § 353 Nr. 3 österr. StPO; Art. 394 lit. e) rumän. StPO;

[57] Art. 422 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 bulg. StPO; §§ 359 Nr. 5, 363 dt. StPO; Kapitel 31 s. 8 Nr. 3 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz; § 391 Abs. 3 norweg. StPO; § 353 Nr. 2 österr. StPO; Art. 540 § 1 Abs. 2 poln. StPO; Art. 384 Abs. 1 rumän. StPO; Art. 413 Abs. 1, 2 und 4 russ. StPO; s. 278(1) slowak.  StPO; die Regelungen zur Strafmaßwiederaufnahme sind nicht einheitlich. Die strenge Ausschlussregelung in § 363 StPO ist aber eine deutsche Besonderheit.

[58] Besonders deutlich der englische Gesetzestext mit dem real probability test in s. 13(1) Criminal Appeal Act 1995; in anderen Gesetzestexten finden sich – in englischer Übersetzung - die Maßstäbe likely oder probably, z.B. in Kapitel 31 s. 8 Nr. 3 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz; Kapitel 58 s. 2 Nr. 4 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz; § 391 Nr. 3 norw. StPO. Das niederländische Strafverfahrensrecht spricht von einem "ernstlichen Verdacht", dass die Entscheidung anders ausgefallen wäre, Art. 457 Abs. 1 Nr. 2 nl. StPO. In Art. 622 Nr. 4 franz. StPO genügen entstehende "Zweifel" an der Schuld. Art. 394 lit. a) rumän.  StPO verlangt, dass die angegriffene Entscheidung wegen der neuen Erkenntnisse "unvernünftig" erscheint.

[59] § 354 österr. StPO.

[60] Grüner/Wasserburg NStZ 1999, 286, 291.

[61] § 79 Abs. 1 dt. BVerfGG; § 366 Nr. 6 estn. StPO; Art. 540 § 2 poln. StPO; Art. 413 Abs. 1,2 und 4 Nr. 1 russ. StPO.

[62] Kap. 31 s. 8 Nr. 4 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz; § 392 norw. StPO; Kapitel 58 s. 2 Nr. 5 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz; Art. 422 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Art. 358 Abs. 1 Nr. 1-3 bulg. StPO.

[63] Art. 422 Abs. 1 Nr. 4 bulg. StPO; § 359 Nr. 6 dt. StPO; Art. 626-1 franz. StPO; Art. 458 Abs. 1 Nr. 3 nl. StPO; § 391 Nr. 2 norw. StPO; § 363a Abs. 1 österr. StPO; Art. 540 § 3 poln. StPO; Art. 413 Abs. 1,2 und 4 Nr. 1 russ. StPO.

[64] Zu dieser Strategie der "inzidenten Normenkontrolle" Breuer EuGRZ 2008, 121; Schmahl EuGRZ 2008, 369.

[65] So geschehen in Italien mit der legge Pinto von 2001 zu überlangen Verfahren; Schmahl EuGRZ 2008, 368 (372); zum italienischen Kontumazialverfahren s. das Piloturteil EGMR Sejdović v. Italien, Verfahren Nr. 56581/00, Urteil (Große Kammer) vom 1. März 2006.

[66] Esser in Ahlbrecht u.a. (Hrsg.), Internationales Strafrecht in der Praxis (2008), Rn. 350; Ambos ZStW 115 (2003), 583, 591; Weigend StV 2008, 39, 45; als Vorbild mag dienen § 391 Nr. 2 norw. StPO.

[67] Gesetzesentwurf BR-Drs. 655/07 bzw. BT-Drs. 16/7597.

[68] Art. 422 Abs. 1 Nr. 1 und 2 bulg. StPO; § 362 Nr. 1-3 dt. StPO; für England: s. 54(1) Criminal Procedure and Investigations Act 1996; § 366 Nr. 1-3 estn. StPO; Kapitel 31 s. 9(1) finnisches Gerichtsverfahrensgesetz; § 393 Nr. 1 norw. StPO; § 355 Nr. 1 österr. StPO; Art. 394 lit. b)-d) rumän. StPO; Art. 413 Abs. 1, 2 und 3 russ. StPO; Kapitel 58 s. 3 Nr. 1 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz; s. 278 Abs. 4 slowak. StPO.

[69] Scottish Law Commission a.a.O. (Fn. 25), § 7.20; zur deutschen Regelung krit. Grünewald ZStW 120 (2008), 544, 575 f.

[70] Art. 422 Abs. 1 Nr. 1 bulg. StPO; für England: s. 75(1)-(2) Criminal Justice Act 2003; Kapitel 31 s. 9 Abs. 1 Nr. 2 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz; § 393 Nr. 2 norw. StPO; Art. 394 lit. a) rumän. StPO; Art. 413 Abs. 1, 2 und 4, 414 Abs. 3 russ. StPO; Kapitel 58 s. 3 Nr. 2 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz; §§ 355 Nr. 2, 356 österr. StPO.

[71] Art. 394 lit. a) rumän. StPO; Art. 413 Abs. 1, 2 und 4, 414 Abs. 3 russ. StPO.

[72] Kapitel 58 S. 3 Nr. 2 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz.

[73] Kapitel 31 s. 9 Abs. 1 Nr. 2 finnisches Gerichtsverfahrensgesetz.

[74] § 393 S. 2 norw. StPO.

[75] Art. 526 griech. StPO, zit. nach Anagnostopoulos RIDP 73 (2002), 965, 970; Art. 414(3) russ. StPO; von einer Bindung an die Verjährungsfristen ausdrücklich abgesehen hat die Slowakei in s. 289 lit. a) slowak. StPO. In Deutschland ist die Bindung der Wiederaufnahme an die Verjährungsfristen umstritten. Rechtsprechung und Praxis lehnen sie ab; OLG Düsseldorf NJW 1988, 2251; Gössel NStZ 1988, 537; a.A. KK/Schmidt, StPO, 6. Auflage (2008), § 362 Rn. 7; SK-Frister/Deiters § 362 Rn. 20; KMR/Eschelbach § 362 Rn. 103.

[76] Art. 394 lit. a), 398 rumän. StPO; Art. 414 Abs. 3 russ. StPO.

[77] Art. 421 Abs. 1 i.V.m. Art. 422 Abs. 1 bulg. StPO; Kapitel 58 s. 4 Abs. 2 schwedisches Gerichtsverfahrensgesetz.

[78] Vgl. die französische Textfassung von Art. 4 Abs. 2 des 7.  ZP-EMRK: "vice fondamental dans la procédure précédente".

[79] EGMR Pravednaya v. Russland, Verfahren Nr. 65929/01, Urteil vom 18. November 2004, § 31.

[80] BR-Drs. 655/07; abl. Grünewald ZStW 120 (2008), 544; Marxen/Tiemann ZIS 2008, 188; Scherzberg/Thiée ZRP 2008, 80.

[81] BR-Drs. 655/07, S. 2.

[82] Um Beweisprobleme auszuschalten, weist § 362 Nr. 1-3 StPO § 362 StPO die Verantwortung für die Verfahrensmanipulationen über eine unwiderlegliche Zurechnungsvermutung generell dem Verantwortungsbereich des Beschuldigten zu; Grünewald ZStW 120 (2008), 544, 575 (Fn. 172).

[83] § 362 Nr. 4 StPO; Grünewald ZStW 120 (2008), 544, 577; Marxen/Tiemann ZIS 2008, 188, 189 f.

[84] So der Gesetzesentwurf in BR-Drs.  655/07, S. 4.

[85] Ibid.

[86] The Law Commission (LAW COM No. 156), Double Jeopardy, 1999, §§ 4.5-4.12; http://www.lawcom.gov.uk/docs/Cp156.pdf (zuletzt besucht am 11 März 2009); The Law Commission (LAW COM No 267), Double Jeopardy and Prosecution Appeals, March 2001, §§ 4.2-4.22; http://www.lawcom.gov.uk/docs/lc267(1).pdf (zuletzt besucht am 11. März 2009).

[87] Grünewald ZStW 120 (2008), 545, 561 ff.

[88] Connelly v. DPP [1964]AC 1254 = (1964) 48 Cr. App. R. 183, per Lord Devlin at p. 251: "[F]or the doctrine of autrefois acquit to apply, the defendant must have been put in peril for the same offence both in fact and law as that with which he was previously charged"; R v. Beedie [1997] 2 Cr. App. R 167 at pp. 170-171; zusammenfassend zur Rechtslage seit dem Criminal Justice Act 2003 Sprack, A Practical Approach to Criminal Procedure, 11th edition (2006) § 17.46.

[89] Zum gerichtlichen Ermessen R v. Beedie [1997] 2 Cr. App.  R 167.

[90] Connelly v. DPP [1964]AC 1254 =[1964] 48 Cr. App. R. 183, per Lord Morris of Borth-y-Gest at p. 212; eingehend Sprack a.a.O. (Fn. 88), §§ 21.22-33.

[91] R v. Thomas [1949]33 Cr App R 167; für Schottland Isabella Cobb or Fairweather[1836]1 Swinton 354; Tees v. HMA [1994] JC 12 per Lord Justice Clerc Ross at p. 16.

[92] Der Angeklagte darf im angelsächsischen Strafverfahren, wenn er sich denn für eine Aussage entscheidet, nur als vereideter Zeuge in eigener Sache mit dem daran anknüpfenden Strafbarkeitsrisiko aussagen; Damaška ZStW 87 (1975), 713, 716 (Fn. 6).

[93] DPP v. Humphrys [1977] AC 1; für Schottland HMA v. Cairns[1967] JC 37.; wegen der inzidenten Korrekturwirkung der Folgeverurteilung hat das Oberste Gericht von Queensland (Australien) in R v. Caroll [2002]HCA 55;[2002] 194, ALR 1, sogar eine Anschlussverurteilung des Freigesprochenen als Verstoß gegen die "rule against double jeopardy" abgelehnt.

[94] Zur "formalen Wahrheit" des adversatorischen Strafprozesses Trüg, Lösungskonvergenzen trotz Systemdivergenzen, 2003, S. 19.

[95] Dazu Spencer Criminal Law Review 2006, 677, 679 ff., 686 ff.

[96] Ss. 54-57 Criminal Procedure and Investigations Act 1996.

[97] Ss. 75-83 Criminal Justice Act 2003.

[98] The Stephen Lawrence Inquiry, February 1999, § 46.1, zu finden unter http://www.archive.official-documents.co.uk/document/cm42/4262/4262.htm (zuletzt besucht am 11. März 2009).

[99] "Judge Throws Out World’End Case", BBC News, 10. September 2007, ( http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/scotland/edinburgh_and_east/6986995.stm (zuletzt besucht am 10. März 2009).

[100] LAW COM No. 156 a.a.O. (Fn. 86) §§ 4.5-4.12; LAW COM No 267 a.a.O. (Fn. 86), §§ 4.2-4.22; Scottish Law Commission a.a.O. (Fn. 25).

[101] Rudstein San Diego International Law Journal 8 (2007), 387, 414 ff.

[102] Roberts The Modern Law Review 65 (2002), 393, 399 ff., 402; Dennis Criminal Law Review 2000, 933, 939.

[103] LAW COM No. 156 a.a.O. (Fn. 86), § 4.5.

[104] LAW COM No. 156 a.a.O. (Fn. 86), §§ 4.11; Dennis Criminal Law Review 2000, 933, 941 f.

[105] Zolotukhin v. Russland a.a.O. (Fn. 7) § 79.

[106] LAW COM No 267 a.a.O. (Fn. 86), §§ 4.2-4.22; zu entsprechenden Überlegungen in Deutschland Mitte des 19.  Jahrhunderts Grünewald ZStW 120 (2008), 545, 556 f.

[107] Roberts The Modern Law Review 65 (2002), 393, 405, 408; LAW COM No 267 a.a.O. (Fn. 86), §§ 4.11-4.13.

[108] Grünewald ZStW 120 (2008), 545, 557.

[109] Roberts The Modern Law Review 65 (2002), 393, 410 f.; LAW COM No 267 a.a.O (Fn. 86), § 4.17.

[110] Roberts Criminal Law Review 2000, 952 (953); LAW COM No 267 a.a.O. (Fn. 86), § 4.19.

[111] LAW COM No 267 a.a.O. (Fn. 86), §§ 4.18-4.19; Neumann, in: Festschrift für Jung (2006), S. 664.

[112] LAW COM No 267 a.a.O. (Fn. 86), §§ 4.22, 4.29-4.32, 4.41.

[113] Ebenso Grünewald ZStW 120 (2008), 545, 556.

[114] Noch weitergehend Neumann a.a.O. (Fn. 111), S. 666, der § 362 StPO ganz abschaffen will. S. 54 Criminal Justice Act 2003 führte bislang nur ein einziges Mal zur Korrektur eines Freispruchs im Anschluss an ein glaubhaftes Geständnis in R v. Dunlop [2006] EWCA Crim 1354;[2007]1 WLR 1657; mangels Glaubhaftigkeit des späteren Geständnisses abgelehnt wurde die Wiederaufnahme in R v. Miell [2007] EWCA Crim 3130;[2008]1 WLE 627.

[115] Vgl. die Präambel und Art. 2, 4. Spiegelstrich EU-Vertrag sowie Art. 29 und Art. 40 EU; im EG-Vertrag s. Art. 61 EG und aus den Protokollen zu EU- und EG-Vertrag Protokoll Nr. 2 über die Einbeziehung des Schengen Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union (1997).

[116] Art. 1 Protokoll (Nr. 2) zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union vom 2. Oktober 1997, ABlEG Nr. C 340, S: 93 vom 10. November 1997, ferner die Beschlüsse des Rates 1999/435 und 436/EG vom 20. Mai 1999, ABlEU Nr.  L 176, S. 1 und 17 vom 10. Juli 1999.

[117] Z.B. das Übereinkommen über die Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-AlÜbk) vom 27. September 1996, ABlEG Nr. C 313, S. 11 vom 23. Oktober 1996, BGBl. 1999, II S. 705, und das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk) vom 29. Mai 2000, ABlEG Nr. C 197, S. 1 vom 12. Juli 2000; BGBl. 2000 II, S. 650 vom 22. Juli 2005.

[118] Vgl. dazu auch das an Tampere anknüpfende Maßnahmeprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der Europäischen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABlEG Nr. C 12, S. 10 vom 15. Januar 2001, und das hieran anschließende " Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union" – Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, AblEG Nr. C 53, S. 1 vom 3. März 2005.

[119] Art. 82 Abs. 1 AEUV; Heger ZIS 2007, 547, 548.

[120] Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 (RB-EuHb), ABlEU Nr. L 190, S. 1 vom 18. Juli 2002; zuletzt umgesetzt in BGBl. 2006 I, S. 1721 vom 25. Juli 2006.

[121] Rahmenbeschluss des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, AblEU Nr. L 328, S. 59 vom 24. November 2006.

[122] Rahmenbeschluss des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABlEU Nr. L 350, S. 72 vom 30. Dezember 2008.

[123] Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABlEU Nr. L, S. 16 vom 22. März 2005.

[124] Rahmenbeschluss des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABlEU Nr. L 327, S. 27 vom 5. Dezember 2008.

[125] Rahmenbeschluss des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, AblEU Nr. L 337, S. 102 vom 16. Dezember 2008.

[126] Rahmenbeschluss des Rates über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten vom 26. Februar 2009, ABlEU Nr. L 93, S. 23 vom 7. April 2009.

[127] § 83 Nr. 3 IRG und Sejdović v. Italien a.a.O. (Fn. 65), §§ 82 ff.; EGMR Somogyi v. Italien, Verfahren Nr.   67972/01, Urteil vom 18. Mai 2004, § 66 .

[128] So wie in Art. 422 Abs. 1 Nr. 6, 423 bulg. StPO.

[129] Der Grundsatz entstammt Art. 10 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970; vgl. ferner Art. 11 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABlEU Nr. L, S. 16 vom 22. März 2005; Art. 19 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABlEU Nr. L 327, S. 27 vom 5. Dezember 2008; Art. 19 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, AblEU Nr. L 337, S. 102 vom 16. Dezember 2008.

[130] Heger ZIS 2007, 547 f.; ders. HRRS 2008, 413, 414.

[131] Heger ZIS 2007, 547, 548; Radtke a.a.O. (Fn. 2), S. 302.

[132] EuGH "Van Esbroek" StraFo 2004, 150, 152 (§ 42) m. zust. Anm. Radtke NStZ 2008, 162; "Kretzinger", NJW 2007, 3412, 3414 (§ 37); "Van Straaten", JZ 2007, 245, 246 (§ 48) m. Anm. Kühne; "Kraaijenbrink", NStZ 2008, 164, 165 (§ 36).

[133] EuGH "Van Esbroek", StraFo 2004, 150, 151 (§ 38); "Kraaijenbrink", NStZ 2008, 164, 165 (§ 28).

[134] EuGH "Van Esbroek", StraFo 2004, 150, 151 f. (§ 37); "Van Straaten", JZ 2007, 245.

[135] EuGH "Kretzinger", NJW 2007, 3412, 3414 (§ 37); "Gasparini u.a.", StV 2007, 113, 114 (§§ 53-55).

[136] EuGH "Kraaijenbrink", NStZ 2008, 164, 165 (§ 36).

[137] Zur niederländischen Transactie und zu § 153a i.V.m. § 153 Abs. 1 S. 2 StPO s. EuGH "Gözütök und Brügge", NStZ 2003, 332, 333 (§ 48) m. zust. Anm. Radtke/Busch NStZ 2003, 281; Radtke a.a.O (Fn. 2), S. 304; abl. dagegen Rübenstahl/Krämer HRRS 2008, 65, 69 ff.

[138] Das Vollstreckungselement in Art. 54 SDÜ ist überflüssig; Heger HRRS 2008, 413, 415 f.; Vogel a.a.O. (Fn. 2), S. 890.

[139] EuGH "Bourquain", StraFo 2009, 16.

[140] EuGH "Gözütök und Brügge", NStZ 2003, 332, 333 (§ 37); "Van Esbroek", StraFo 2004, 150, 151 (§ 30); "Gasparini u.a.", StV 2007, 113 (114 § 30); "Van Straaten", JZ 2007, 245, 246 (§ 30).

[141] Z.B. eine Fortsetzung der Verfolgung einer gegen Erfüllung von Auflagen eingestellten Tat als Verbrechen nach § 153a Abs. 1 S. 5 dt. StPO oder einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach einem "arrêt de non-lieu pour des motifs de fait" der Anklagekammer eines französischen Appellationsgerichtshofs, s. Art. 188, 189 fr. StPO.

[142] Vogel a.a.O. (Fn. 2), S. 884; Radtke/Busch EuGRZ 2000, 421, 429 f.

[143] So Bohnert/Lagodny NStZ 2000, 636, 640; mit Einschränkungen Vogel a.a.O (Fn. 2), S. 888; krit. Böse GA 2003, 744, 754 ff.

[144] Dafür Radtke/Busch EuGRZ 2000, 421, 429 f.; Radtke a.a.O. (Fn. 2), S: 305; krit. Böse GA 2003, 744, 753 f.

[145] Art. 10 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens des Europarats über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970; Art. 11 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABlEU Nr. L 76, S. 16 vom 22. März 2005; Art. 19 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABlEU Nr. L 327, S. 27 vom 5. Dezember 2008; Art. 19 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, AblEU Nr. L 337, S. 102 vom 16. Dezember 2008.

[146] Heger HRRS 2008, 413, 414.

[147] Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Auflage (2006), § 13 Rn. 57 m.w.N.; Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage, 2006, Art. 54 SDÜ Rn. 46; Vogel a.a.O. (Fn. 6), S. 21; ders. a.a.O. (Fn. 2), S. 888.

[148] Schomburg a.a.O. (Fn. 147), Art. 54 SDÜ Rn. 46; Vogel a.a.O. (Fn. 6), S. 23.

[149] § 73 S. 2 IRG; Vogel a.a.O. (Fn. 6), S. 24 f.; für eine internationale ordre public Grenze im gesamten Rechtshilferecht plädiert Vogler in Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattkommentar Teil I, 3. Auflage (2009), § 8 IRG Rn. 9 ff.; differenzierend nach vertragslosem und vertraglichem Rechtshilfeverkehr Vogel, Id. Vor § 1 Rn. 34 ff., § 73 Rn. 47 ff.; ders. JZ 2002, 144 f.; BGHSt. 47, 120 m. zust. Anm. Vogel JZ 2002, 465, 467 f., und BVerfGE 75, 1, 19 f.; BVerfGE 113, 154, 162.

[150] Vogel a.a.O. (Fn. 2), S. 888.

[151] Vogel a.a.O. (Fn. 6), S. 50.

[152] Hörnle ZStW 117 (2005), 801, 807 ff.

[153] Vogel in Grützner/Pötz/Kreß  a.a.O. (Fn. 149), §   73 Rn. 58.

[154] Vgl. Art. 2 Abs. 1 Rahmenbeschluss des Rates über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001, ABlEU Nr. L 82, S. 1 vom 22. März 2001.

[155] S. zuletzt die Initiative für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABlEU Nr. C 39, S. 2 vom 18. Februar 2009.

[156] Zur lis pendens-Problematik Vogel a.a.O. (Fn. 2), S. 884 ff.

[157] Vogel a.a.O. (Fn. 6), S. 7, 40 ff.

[158] Hecker a.a.O.(Fn. 147) § 13 Rn. 69; Schomburg a.a.O. (Fn. 147), Art. 54 SDÜ Rn. 46; als Beispiel für ein "forum shopping" sei verwiesen auf EuGH "Gözütök und Brügge", NStZ 2003, 332, 333.

[159] Zu den Mechanismen der erzwungenen Harmonisierung Hassemer ZStW 116 (2004), 304, 317 f.; Kirsch StV 2009, 449, 454.