Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 550/92, Beschluss v. 10.02.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revisionen der Angeklagten K. und S. wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 17. Januar 1992 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
1. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten K. und S. wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Mit der Revision rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit einer von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Die Angeklagten K. und S. sind befreundet. Der Angeklagte K. ist Türsteher einer H. Diskothek. Er gehört einer Gruppe von Türstehern an, deren gemeinsames Hobby das Geländewagenfahren ist. Über ihn fand auch der Angeklagte S. Zugang zu dieser Gruppe. Der Angeklagte S. verkaufte gemeinsam mit dem späteren Opfer D. gestohlene Kraftfahrzeuge. D. berühmte sich, aus diesen Geschäften Forderungen in Höhe von mehreren Tausend DM gegen den Angeklagten S. zu haben. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte D., die Straftaten S., der unter Bewährung stand, anzuzeigen. S. fürchtete dies, darüber hinaus auch, daß ihn D. als Zeuge in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren wegen Kfz-Diebstählen belasten werde. Der Angeklagte S. berichtete dies dem Angeklagten K.. Beide beschlossen, den D. zu töten.
In der Nacht vom 24. Juni 1990 oder am Vormittag des 25. Juni 1990 fuhren die Angeklagten mit D. zum Essen in ein Restaurant außerhalb H.. Auf der Rückfahrt versetzte der Angeklagte K. dem D., der auf dem Beifahrersitz saß und sich keines Angriffs versah, von hinten eine Vielzahl von Messerstichen und Messerschnitten in den Hals- und oberen Brustbereich. Einer der Angeklagten brachte ihm außerdem eine Schußverletzung bei. Der Tod trat schließlich durch Verbluten ein. Die Angeklagten brachten die Leiche in ein Waldstück bei Sittensen und setzten sie in Brand.
Die Polizei erhielt Hinweise auf die Täter von einer anonymen Anruferin und von zwei Personen, die aus Angst vor Repressalien aus der "Türstehergruppe" erst nach der Zusicherung von Vertraulichkeit durch die Staatsanwaltschaft bereit waren, Aussagen zu machen. Die anonyme Anruferin hatte nach ihren Angaben von einem Bekannten gehört, einer der Angeklagten habe ihm von der Tat berichtet. Auf diese Weise wollen auch die beiden anderen Personen (Spur 687 und Spur 697) Kenntnis von der Tat und den Tätern erhalten haben. "Spur 697" nannte als Quelle ihres Wissens G., den Anführer der Türstehergruppe. In diesem Kreis sollen die Angeklagten oder einer von ihnen von ihrer Tat erzählt haben.
Die Angeklagten haben sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen. In ihrem letzten Wort haben sie die Tat bestritten. Das Landgericht stützt die Verurteilung der Angeklagten auch auf die Angaben der "Spuren 687 und 697", die von der Exekutive (Innen- und Justizministerium) analog § 96 StPO gesperrt worden sind und deshalb in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden konnten. Ihre Bekundungen gegenüber der Polizei wurden durch die Vernehmungsbeamten als Zeugen vom Hörensagen eingeführt.
In der Hauptverhandlung vom 30. August 1991 stellte der Verteidiger des Angeklagten S. den Beweisantrag, die Zeugen Go. und M. zu vernehmen. Diese seien diejenigen Personen, welche die Polizei als "Spuren 687 und 697" bezeichnet habe. Die vertraulichen Angaben gegenüber der Polizei entsprächen nicht der Wahrheit.
Diesen Antrag lehnte die Strafkammer ab, weil die beantragte Beweiserhebung unzulässig sei. Hinsichtlich der in das Wissen der Zeugen gestellten Beweistatsachen bestehe ein Beweisthemaverbot, welches daraus folge, daß durch die in analoger Anwendung des § 96 StPO ergangenen wirksamen Sperrerklärungen die Personalien der unter der Zusage der Vertraulichkeit vernommenen Personen jeglicher Erörterung und Nachforschung entzogen seien. Dem Gericht seien sämtliche Maßnahmen verwehrt, die dazu dienten, sich den Zugriff auf ein gesperrtes und noch nicht enttarntes Beweismittel zu verschaffen. Durch den Antrag seien die Zeugen noch nicht enttarnt; er enthalte insoweit lediglich eine bloße Behauptung.
Die Ablehnung des Beweisantrages hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Der Antrag ist ein Beweisantrag und nicht nur ein Beweisermittlungsantrag. Er enthält die bestimmte Behauptung, daß zwischen den benannten Zeugen und den Urhebern der "Spuren 687 und 697" Personenidentität bestehe (vgl. BGH StV 1983, 185). Auch soweit die Behauptung aufgestellt wird, diese Personen hätten bei ihrer polizeilichen Vernehmung nicht die Wahrheit gesagt, erfüllt diese schlagwortartige Verkürzung hier noch die Anforderungen an eine bestimmte Beweisbehauptung.
2. Diesen Beweisantrag hat das Landgericht fehlerhaft behandelt.
a) Die Strafkammer durfte die beantragte Zeugenvernehmung nicht allein deshalb ablehnen, weil die für Inneres und Justiz zuständigen Ministerien, gestützt auf § 96 StPO, die Identität der Zeugen nicht preisgegeben haben.
Die Gerichte sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG). Sie sind innerhalb der durch die Anklage gezogenen Grenze zu einer selbständigen Tätigkeit berechtigt und verpflichtet (§ 155 Abs. 2 StPO). An Vertraulichkeitszusagen der Exekutive sind die Gerichte nicht gebunden. Auch eine rechtmäßige Sperrerklärung führt nicht zu einem Beweisverbot (BGHSt 35, 82). Sie bedeutet nur, daß das mit der Sache befaßte Gericht die Weigerung der Behörde, die Identität eines Zeugen zu offenbaren, hinnehmen muß. Kennt das Gericht aus den Akten oder aus sonstigen Erkenntnisquellen die Identität des Zeugen, steht seiner Ladung und Vernehmung die Sperrerklärung nicht entgegen (vgl. Laufhütte in KK, 2. Aufl. § 96 StPO Rdn. 1). Ergeben sich aus den Akten oder aus sonstigen Erkenntnisquellen Hinweise auf die Identität des Zeugen, kann es die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) erfordern, daß das Gericht von Amts wegen Bemühungen entfaltet, den Namen festzustellen und die Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ermöglichen (BGH Beschluß vom 17. November 1992 - 1 StR 752/92). Bezeichnet ein Beweisantrag eine bestimmte Person, so ist deren Vernehmung nicht schon deshalb unzulässig, weil diese Person mit jemandem identisch sein kann, dessen Identität die Exekutive unter Berufung auf § 96 StPO nicht preisgeben will.
b) Andererseits hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß das Gericht von der Vernehmung eines namentlich genannten oder sogar erschienenen Zeugen absehen darf, soweit durch die Vernehmung Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen droht ( NStZ 1984, 31 = bei Holtz MDR 1983, 987i dazu BGHSt 33, 70, 74 f; vgl. auch BGHSt 17, 337, 348 f). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen prüft das Gericht in eigener Verantwortung.
c) Die danach gebotene Prüfung, ob der Aufklärung oder dem Zeugenschutz Vorrang einzuräumen ist, hat das Landgericht nicht vorgenommen.
aa) Auch dort, wo an sich eine Gefährdung des Zeugen naheliegt, ist an Fälle zu denken, in denen die von der Exekutive bei Sperrung des Namens bejahte Lebensgefahr durch die namentliche Nennung bereits so konkretisiert wird, daß die Exekutive ohnehin zu Schutzmaßnahmen verpflichtet ist. In solchen Fällen würde die Vernehmung in der Hauptverhandlung weder die Gefahr hervorrufen noch vertiefen. Es ist auch denkbar, daß sich die Identität erst durch die Vernehmung des Zeugen erweisen soll, und daß mit der Aufdeckung der Identität in der Hauptverhandlung die Gefahr eintritt. Dann ist zu prüfen, inwieweit dieser durch Schutzmaßnahmen des Gerichts oder der Exekutive begegnet werden kann.
bb) Bei der - mit den Mitteln des Freibeweises vorzunehmenden - Prüfung, ob die Vernehmung zu einer Gefährdung des Zeugen führt, ist zu beachten, daß durch die Aufklärung der Gefahrenlage nicht Umstände aufgedeckt werden, die für sich allein schon zu einer Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen führen.
cc) Ergibt die Abwägung, daß ein Zeuge wegen der Gefahr für Leib oder Leben nicht vernommen werden kann, so ist bei Würdigung der Beweise der Umstand zu beachten, daß für die Beweisaufnahme nur noch Beweissurrogate zur Verfügung stehen, bei denen das Fragerecht der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK; dazu Urteile des EGMR vom 20. November 1989 - Fall Kostowski -, und vom 25. Juni 1992 - Fall Lüdi -, auszugsweise abgedruckt in StV 1990, 481 und 1992, 499) Einbußen erleidet (vgl. BGHSt 17, 382, 385, 386; 33, 178, 181).
Externe Fundstellen: BGHSt 39, 141; NJW 1993, 1214; NStZ 1993, 293
Bearbeiter: Rocco Beck