Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 733/94, Urteil v. 16.02.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. Mai 1994 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit der auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Mit der Verfahrensbeschwerde rügt die Revision einen Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO: Das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, daß es sich mit der Vernehmung des V-Mannführers G. als mittelbarem Zeugen begnügt und nicht in der gebotenen Weise auf die Bekanntgabe der Identität der unter Decknamen handelnden Personen hingewirkt habe; diese hätten im Falle ihrer Vernehmung bekundet, daß die Initiative zu den - vom Angeklagten eingeräumten - Rauschgiftgeschäften nicht von diesem, sondern ausschließlich von ihnen ausgegangen sei. Zwar habe auf Anfrage der Strafkammer das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen erklärt, daß es dem Ersuchen um Mitteilung der Identität des im Laufe des Verfahrens eingesetzten Verdeckten Ermittlers und der V-Person nicht entsprechen könne. Auch habe das Innenministerium Nordrhein-Westfalen eine Sperrerklärung hinsichtlich der eingesetzten Vertrauensperson und des Verdeckten Ermittlers abgegeben. Diese Sperrerklärung sei aber rechtlich ohne Bedeutung, da nicht das Innenministerium, sondern das Justizministerium für die Abgabe der entsprechend § 96 StPO zu behandelnden Sperrerklärung zuständig sei. Mangels wirksamer Sperrerklärung des zuständigen Justizministeriums sei die Strafkammer zu weitergehenden Bemühungen verpflichtet gewesen, sich die Kenntnis von Namen und Anschrift der Informanten zu verschaffen. Mit den erfolglosen Anfragen an den Amtsgerichtsdirektor und den Leitenden Oberstaatsanwalt, denen nach ihren Erklärungen die Identität des Verdeckten Ermittlers und der V-Person unbekannt war, habe sie sich nicht zufrieden geben dürfen.
2. Die Rüge ist nicht begründet. Das Landgericht hat nicht gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen.
a) Entgegen der Auffassung der Revision lag eine - die Vernehmung der Vertrauensperson und des Verdeckten Ermittlers hindernde - Sperrerklärung der zuständigen Obersten Dienstbehörde vor. Zuständig für die Abgabe einer Sperrerklärung betreffend die Identität eines von der Polizei zur Aufklärung von Straftaten eingesetzten Verdeckten Ermittlers (§ 110b Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 96 StPO) oder eines von ihr eingesetzten V-Mannes (§ 96 StPO entsprechend) ist nicht der Justizminister, sondern der Innenminister.
aa) Welche Behörde als Oberste Dienstbehörde für die Abgabe von Sperrerklärungen fachlich zuständig ist, wenn die Sperre Informanten, Vertrauenspersonen oder Verdeckte Ermittler der Polizei betrifft (für Informanten der Staatsanwaltschaft vgl. BGH StV 1988, 45, 46), ist ausdrücklich weder in der StPO noch in anderen Gesetzen geregelt; die Frage kann nur mit Blick auf die mehr oder weniger enge Sachnähe dieser Entscheidung zu den Aufgaben des Innenministers einerseits oder des Justizministers andererseits beantwortet werden.
Die Rechtsprechung hat sich hiermit noch nicht näher auseinandergesetzt. Der Bundesgerichtshof ist bislang - ohne weitere Begründung - davon ausgegangen, daß insofern zuständige Oberste Dienstbehörde das Innenministerium sei (so für Informanten der Polizei: BGHR StPO § 96 Informant 4 = StV 1989, 377; BGH NStE Nr. 4 zu § 96 StPO; für Verdeckte Ermittler BGHSt 32, 115; 35, 82, 86). Der 5. Strafsenat hat zwar - allerdings in bezug auf die Sperrerklärung für Auskünfte aus Akten und für die Versagung von Aussagegenehmigungen für Polizeibeamte - erwogen, ob es (auch) auf die Entscheidung des Justizsenators ankommen könne (Beschluß vom 13. August 1992 - 5 StR 290/92); er hat aber die Entscheidung offengelassen.
bb) Bei Polizeibeamten als Verdeckten Ermittlern erscheint es zunächst schon deshalb naheliegend, die Entscheidung über die Sperrerklärung dem Innenminister zuzuweisen, weil das Justizministerium in der Regel nicht über die für eine Entscheidung erforderlichen Informationen verfügen wird, sondern sich diese erst über das Innenministerium verschaffen müßte. Das Innenministerium entscheiden zu lassen, ist auch deswegen sachgerecht, weil dieses als Oberste Dienstbehörde des Polizeibeamten nach § 62 Abs. 4 BBG und den entsprechenden Bestimmungen der Landesgesetze über die Versagung der Aussagegenehmigung zu befinden hat. Eine Freigabeerklärung durch das Justizministerium könnte ohne weiteres dadurch unterlaufen werden, daß das Innenministerium im Rahmen seiner Zuständigkeit die Aussagegenehmigung verweigert.
Für die Zuständigkeit des Innenministers spricht darüber hinaus, daß Verdeckte Ermittler nach § 110a StPO typischerweise in einem Aufgabenbereich tätig werden, in dem sich polizeilich-präventive und strafrechtlich-repressive Zielsetzungen untrennbar vermengen. Die Entscheidung über die Sperre oder die Preisgabe der Identität eines Verdeckten Ermittlers berührt damit - zumal mit Blick auf die Möglichkeit seiner weiteren Verwendung (vgl. § 110b Abs. 3 Satz 3 StPO) - regelmäßig auch Belange der Gefahrenabwehr. Für diesen Bereich ist aber ohne Zweifel die Zuständigkeit des Innenministers begründet.
Hinzu kommt schließlich, daß die Justiz nach der den §§ 110a ff. StPO zugrunde liegenden gesetzgeberischen Erwägung auch nicht die Verantwortung für eine einsatzbedingte Gefährdung des Verdeckten Ermittlers übernehmen kann und soll (vgl. Hilger NStZ 1992, 523, 524; Krey u.a., Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler, 1993, Rdn. 137). Diese muß vielmehr bei Einsätzen von Verdeckten Ermittlern bei der Polizei verbleiben, die allein auch Einfluß auf die Durchführung des Einsatzes im einzelnen nehmen kann. Dieser Gesichtspunkt spricht ganz wesentlich dafür, mit der Entscheidung über die Sperrerklärung den Innenminister zu betrauen. Gerade aus der Preisgabe seiner Identität können für Leib, Leben oder Freiheit des Verdeckten Ermittlers oder einer anderen Person besondere Gefahren erwachsen, die vom Justizminister mangels näherer Informationen zum Umfeld des Einsatzes kaum oder nicht abschätzbar sind.
Diese Gründe sprechen auch dagegen, für Informanten und Vertrauenspersonen der Polizei eine andere Zuständigkeit für die Entscheidung über eine Sperrerklärung als für Verdeckte Ermittler anzunehmen und den Justizminister als zuständig zu erachten. Auch für sie kommt es daher auf die Entscheidung des Innenministers an. Für V-Personen, die nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I 469, 547) zur Verschwiegenheit besonders verpflichtet sind, gilt dies um so mehr, als ihre Stellung der von Verdeckten Ermittlern angenähert ist (vgl. auch BGHSt 31, 148, 156). Zudem wäre es mißlich, wenn - wie im vorliegenden Fall - bei einem gemeinsamen Einsatz eines Verdeckten Ermittlers und einer V-Person verschiedene Ministerien zuständig wären.
cc) Der in der Literatur verschiedentlich vertretenen Auffassung (Nack in KK/StPO 3. Aufl. § 96 Rdn. 10; Schäfer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 96 Rdn. 13; ders. NStZ 1990, 46; Taschke, Die behördliche Zurückhaltung von Beweismitteln im Strafprozeß, 1989, S. 166), aus der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren folge, daß dann, wenn es um Bekundungen der Zeugen über ihren Einsatz im Bereich der Strafverfolgung gehe, auch oder ausschließlich der Justizminister zu entscheiden habe, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Soweit eine zusätzliche Entscheidung über die Freigabe/-Sperrerklärung ("auch") durch den Justizminister verlangt wird (so offenbar Nack aaO), steht dem schon entgegen, daß ungeklärt bleibt, welche Entscheidung in dem allein interessierenden Fall unterschiedlicher Beurteilung maßgeblich sein soll: Der Justizminister, der für eine Sperrerklärung keinen Anlaß sieht, hätte keine Möglichkeit, eine Freigabeerklärung durch den Innenminister, der die Situation anders einschätzt, zu erwirken. Solange der (auch) zuständige Innenminister die Freigabe verweigert, wäre - im Hinblick auf das Interesse an der Erreichbarkeit des Verdeckten Ermittlers oder der Vertrauensperson als unmittelbaren Zeugen - die Rechtslage daher nicht anders, als wenn er allein zur Entscheidung berufen wäre.
Auch die Auffassung, daß allein der Justizminister (anstelle des Innenministers) zuständig sei (in diesem Sinne wohl Schäfer aaO), kann nicht überzeugen.
Allerdings bedarf gemäß § 110b Abs. 1 StPO der Einsatz des Verdeckten Ermittlers regelmäßig der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und unter den Voraussetzungen des § 110b Abs. 2 StPO der des Richters. Im Grundsatz dasselbe gilt nach Nr. 5.2 der Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (abgedruckt bei Kleinknecht/ Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. RiStBV Anlage D I) für den Einsatz von Informanten und Vertrauenspersonen. Aus diesen Regelungen folgt aber nicht, daß dem Richter oder dem Staatsanwalt die Sachleitungsbefugnis in bezug auf Auswahl und Lenkung des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers zugesprochen werden könnte. Die Entscheidung über die Anordnung eines solchen Einsatzes obliegt der Polizei. Der Staatsanwaltschaft (§ 110b Abs. 1 StPO; Nr. 5.2 der Gemeinsamen Richtlinien) und dem Richter (§ 110b Abs. 2 StPO) ist lediglich ein Zustimmungsrecht (und nicht die Anordnungsbefugnis) eingeräumt, weil ihnen nicht gestattet sein soll, gegen den Willen der Polizei über deren Personal zu verfügen (vgl. Hilger aaO; Krey aaO).
Allerdings ergibt sich aus dem Anspruch auf Namhaftmachung aus § 110b Abs. 3 StPO mittelbar, daß Staatsanwalt oder Richter ihre Zustimmung auch wegen Bedenken gegen die Person des von der Polizei im Einzelfall für den Einsatz vorgesehenen Polizeibeamten versagen können. Dabei handelt es sich indes lediglich um eine negative Auswahlmöglichkeit, nicht aber um ein positives Bestimmungsrecht, aus dem allein sich eine Sachleitungsbefugnis ableiten ließe.
b) Im Hinblick auf die Sperrerklärung des danach zuständigen Innenministers hat die Strafkammer alle ihr zumutbaren Bemühungen entfaltet, um das der Vernehmung der Vertrauensperson und des Verdeckten Ermittlers entgegenstehende Hindernis zu beseitigen. Das Gericht war nicht gehalten, das Innenministerium im Wege der Gegenvorstellung zur Überprüfung seines Standpunktes zu veranlassen (BGHSt 36, 159, 162). Unter den gegebenen Umständen durfte die Strafkammer davon ausgehen, daß eine Gegenvorstellung aussichtslos war: Die Sperrerklärung des Innenministeriums konnte hier nach Form und Inhalt, insbesondere der ausführlichen Begründung, die ihr beigefügt war, als abschließende und endgültige Entscheidung der Behörde angesehen werden. Zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung bestand weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen Anlaß.
Auch die Sachbeschwerde deckt keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten auf. Nach den Urteilsfeststellungen ging die Initiative zum Ankauf von drei Kilogramm Heroin und einem Kilogramm Kokain vom Mitangeklagten B. T. aus. Die Strafkammer durfte zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigen, daß es ihn "reizte, in Deutschland schnell viel Geld zu verdienen" (UA 13), und er bereit war, sich deshalb in den sich anbahnenden Rauschgiftgeschäften zu engagieren. Dabei hat sie nicht verkannt, daß der insoweit nicht vorbestrafte Angeklagte die Tat unter dem Einfluß der polizeilichen Lockspitzel (UA 50) begangen hat, daß er "offenbar nicht über fundierte einschlägige Kenntnisse im Rauschgifthandel" verfügte und "sich erst mittels der durch die Lockspitzel zugesagten Abnahme von Heroin als Zwischenhändler etablieren" wollte (UA 50). Zusätzlich hat die Strafkammer berücksichtigt, daß die Tat unter dem Einfluß professionell arbeitender Lockspitzel durchgeführt worden ist (UA 51). Mit diesen Strafzumessungserwägungen hat sie hinreichend deutlich gemacht, daß sie in dem Einsatz polizeilicher Lockspitzel und deren Tatprovokation über die zunächst angebotene Rauschgiftmenge hinaus einen gewichtigen Strafmilderungsgrund gesehen hat (BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 1, 2; BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 9, 10).
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 36; NJW 1995, 2569; NStZ 1995, 604; NStZ 1996, 287; StV 1995, 225
Bearbeiter: Rocco Beck