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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 583/94, Urteil v. 22.02.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 583/94 - Urteil vom 22. Februar 1995 (LG Dortmund)

BGHSt 41, 47; Bildung einer kriminellen Vereinigung; Notwendigkeit der Begehung von Straftaten von einigem Gewicht; Straftaten von untergeordneter Bedeutung i.S.v. § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB

§ 129 Abs. 1 StGB; § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB

Leitsätze

1. § 129 Abs. 1 StGB ist seinem Sinn nach nur anwendbar, wenn die Straftaten, auf deren Begehung die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und somit unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sind. Maßgeblich für diese Beurteilung ist eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände, die, wie insbesondere auch die Tatauswirkungen, für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können. (BGHSt)

2. Die Begehung von Straftaten ist dann nicht von untergeordneter Bedeutung nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB, wenn sie zwar nur einen von mehreren Zwecken (oder eine von mehreren Tätigkeiten) der Vereinigung darstellt, dieser Zweck (diese Tätigkeit) aber wenigstens in dem Sinne wesentlich und damit gleichgeordnet mit den anderen ist, daß durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird. (BGHSt)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. Mai 1994 mit den Feststellungen aufgehoben:

1. in den Schuldsprüchen

a) im Falle des Angeklagten S. insgesamt,

b) im Falle des Angeklagten Se., soweit er wegen Sachbeschädigung (und nicht auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung) verurteilt worden ist,

c) im Falle des Angeklagten K., soweit er unter Freisprechung im übrigen nicht auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden ist,

d) im Falle des Angeklagten B., soweit er wegen Sachbeschädigung in zehn Fällen, wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in den Fällen II 7 und 8 der Urteilsgründe, wegen vorsätzlichen Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen ohne die erforderliche Erlaubnis und wegen des vorsätzlichen Erwerbs von Munition ohne die erforderliche Erlaubnis (und nicht auch wegen Bildung einer kriminellen Organisation) verurteilt worden ist, und

e) im Falle des Angeklagten L., soweit er wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Fall II 10 der Urteilsgründe (und nicht auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung) verurteilt worden ist;

2. in den die Angeklagten K., B., L. und S. betreffenden Rechtsfolgenaussprüchen sowie in dem den Angeklagten Se. betreffenden Ausspruch über die Einzelstrafe wegen Sachbeschädigung und über die Gesamtstrafe.

II. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das genannte Urteil, soweit es seine Verurteilung betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

III. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen zahlreicher Straftaten, darunter vor allem wegen Sachbeschädigungen (Se., B., L. und S.), wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen (B. und L.), aber auch wegen schwerer Brandstiftung (K.), wegen unerlaubten "Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen" und wegen unerlaubten Erwerbs von Munition (B.) sowie wegen Bedrohung (Se.) verurteilt. Es hat gegen sie auf Freiheitsstrafe (Se.) und Geldstrafe (S.), auf Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung (K. und L.) sowie auf Dauerarrest und eine Weisung (B.) erkannt.

Den Urteilsfeststellungen zufolge stehen die abgeurteilten Taten zum Teil im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit der Angeklagten zum Kreisverband W. der "Nationalen Offensive" (NO), einer rechtsextremen Gruppierung. Diesen Kreisverband hatte der Angeklagte Se., der sich als ehemaliges führendes Mitglied der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) der "Nationalen Offensive" angeschlossen hatte und ihrem Bundesvorstand bis Oktober 1992 angehörte, spätestens um die Jahreswende 1991/1992 gemeinsam mit den Angeklagten K., S. und B. sowie den Zeugen Wa. und Sz. gegründet; im Verlauf des Jahres 1992 trat als Mitglied u.a. auch noch der Angeklagte L. bei. Diese Gruppe bildete innerhalb des Kreisverbandes den sogenannten Inneren Kreis, der nach der Vorstellung der Gründungsmitglieder nur ausgesuchten Personen mit einer in einer "Anwartschaftszeit" bewährten "rechten" Gesinnung offen stehen sollte. Der "Innere Kreis" legte die örtlichen Ziele und Aktivitäten im Rahmen der "NO-Arbeit" fest, nämlich Werbung von Mitgliedern und Sympathisanten, Organisation von Fahrten zu rechtsextremen Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet, Verbreitung des von der "Nationalen Offensive" vertretenen rechtsextremen Gedankenguts durch Zusammenstellung und Verbreitung von Propagandamaterial. Dazu gehörte auch die Veranstaltung von sogenannten Kameradschaftsabenden, Zusammenkünften, die allen Interessierten offen standen und zunächst in der Wohnung des Angeklagten B., später in W. Gaststätten stattfanden und zu denen sich in der Regel zehn bis fünfzehn Personen im Alter von 14 bis 20 Jahren einfanden. Diese Treffen leitete meist der Angeklagte Se. mit Kurzvorträgen ein, in denen er zu aktuellen politischen Themen aus rechtsextremer Sicht Stellung nahm und gegen Ausländer, Minderheiten ("Zigeuner", "Schwule", "Lesben") und politisch Andersdenkende ("Linke") agitierte. Auf diesen Kameradschaftsabenden wurden Plakate und Aufkleber der "Nationalen Offensive" verteilt, die dann später von den Teilnehmern im Stadtgebiet von W. angeklebt werden sollten. Neben solchen Aktivitäten befürworteten die Mitglieder des "Inneren Kreises" sogenannte Farbsprühaktionen zur Verbreitung rechtsextremer Parolen wie "Zigeuner raus", "Ausländer raus", "Gegen Asylbetrüger" und "Rotfront verrecke". In der Folge kam es dann im Jahre 1992 - teilweise auch abweichend von den Vorgaben des "Inneren Kreises" - zu wiederholten Farbsprühaktionen in W., an denen Teilnehmer der Kameradschaftsabende sowie Mitglieder des "Inneren Kreises" beteiligt waren, darunter auch die Fälle, die den Verurteilungen der Angeklagten Se. (Fall II 3 d), B. (Fälle II 3 a bis c, e bis k) und S. (Fälle II 3 a bis c) wegen Sachbeschädigung zugrundeliegen.

Gegenstand der Diskussionen auf den Kameradschaftsabenden waren aber auch andere, nicht vom "Inneren Kreis" vorberatene Aktionen. So wurde erörtert, dem Kleister zum Verkleben der Plakate Rattengift und feine Glassplitter beizumengen, damit sich die Leute ("Linke", "Ausländer"), die die Plakate abrissen, verletzen sollten. Daß solche Erwägungen in die Tat umgesetzt wurden, ließ sich aber ebensowenig feststellen wie im Fall der Erörterung, Fahrzeuge von Opel-Vertragshändlern als Reaktion auf deren Solidaritätsaktion zugunsten der Opfer des Brandanschlags von Mölln zu beschädigen. Nach dem Verbot der "Nationalen Offensive" durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 21. Dezember 1992 löste sich der "Innere Kreis" auf; Kameradschaftsabende wurden nicht mehr veranstaltet. Die dem Angeklagten L. als Sachbeschädigungen zur Last gelegten Farbsprühaktionen lagen später (Fälle II 3 l bis q).

2. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der auf die Verfahrensbeschwerde und die Sachrüge gestützten Revision insoweit an, als die Angeklagten nicht auch, wie ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Kreisverband W. der "Nationalen Offensive" mit der Anklage zur Last gelegt, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) - Se. als Rädelsführer nach § 129 Abs. 4 StGB - verurteilt worden sind.

Von den Angeklagten hat lediglich der Angeklagte K. Revision eingelegt. Mit seinem Rechtsmittel beanstandet er allgemein die Verletzung des Verfahrensrechts und des sachlichen Rechts.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensbeschwerde kommt es nicht an.

1. Gestützt auf die Ausschlußklausel des § 129 Abs. 2 StGB, hat das Landgericht die von ihm getroffenen Feststellungen für nicht ausreichend erachtet, um die Angeklagten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) zu verurteilen. Es hat die Prüfung, ob die Zwecke oder die Tätigkeiten der "NO-Gruppe in W." auf die Begehung von Straftaten gerichtet waren, auf die geplanten und begangenen Sachbeschädigungen durch Sprühaktionen beschränkt und diese nur als eine Tätigkeit "von untergeordneter Bedeutung im Rahmen der Zweckverfolgung und Tätigkeit für die Vereinigung" beurteilt, welche die Anwendung von § 129 Abs. 1 StGB nach Absatz 2 Nr. 2 der Vorschrift nicht zulasse. Aber auch gemessen am kriminellen Gewicht, hat es die festgestellten und geplanten Sachbeschädigungen lediglich als Taten von untergeordneter Bedeutung gewertet. Ausschlaggebend seien - so das Landgericht - Art und Umfang der verursachten Substanzverletzungen; auf den aufhetzerischen Inhalt der aufgesprühten Parolen und auf die damit verfolgten Ziele dürfe nach dem Sinn der Ausschlußklausel des § 129 Abs. 2 StGB und entgegen der Auffassung des im Eröffnungsverfahren als Beschwerdegericht entscheidenden Oberlandesgerichts Düsseldorf (NJW 1994, 398) nicht abgestellt werden.

2. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anwendung des § 129 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, wird dem Sinn dieser Strafvorschrift, aber auch der Ausschlußregelung in § 129 Abs. 2 StGB nicht gerecht. Sie führt zu einer zu weit gehenden Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 129 Abs. 1 StGB. Die ihr zugrundeliegende rechtliche Vorstellung hat zudem Lücken in den für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Feststellungen zur Folge.

Auf die zu beanstandenden Erwägungen kommt es an, weil das Landgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - weitere Voraussetzungen der Tatbestandsverwirklichung nach § 129 Abs. 1 StGB, insbesondere die Frage, ob der Kreisverband W. der Nationalen Offensive die begrifflichen Anforderungen zur Annahme einer "Vereinigung" erfüllte (vgl. BGHSt 31, 204, 205; BGH NJW 1975, 985; NJW 1992, 1518 m.w.N.), nicht ausdrücklich geprüft hat und der festgestellte Sachverhalt jedenfalls nicht ergibt, daß die Anwendung dieser Strafvorschrift aus anderen als den vom Landgericht als maßgeblich erachteten Gründen offensichtlich ausscheidet.

a) Zum Kreis der Straftaten, auf deren Begehung Zweck und/oder Tätigkeit der von § 129 Abs. 1 StGB erfaßten Vereinigungen gerichtet sind, gehören grundsätzlich alle nicht bereits mit dem organisatorischen Zusammenschluß (und dessen Aufrechterhaltung) begangenen, sondern ihm zeitlich und logisch nachfolgenden Delikte (BGHSt 7, 6, 8; v. Bubnoff in LK StGB 10. Aufl. § 129 Rdn. 11). Eine Einschränkung des Kreises der in Betracht kommenden Straftaten folgt jedoch - auch unabhängig von § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 3) - aus dem Schutzzweck des § 129 Abs. 1 StGB. Mit dieser Strafvorschrift soll im Sinne einer Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes (vgl. BGHSt 28, 110, 116 und BGHSt 28, 147, 148) erhöhten Gefahren begegnet werden, die im Falle der Planung und Begehung von Straftaten von festgefügten Organisationen aufgrund der ihnen innewohnenden Eigendynamik für die öffentliche Sicherheit ausgehen können (vgl. BGHSt 31, 202, 207; 30, 328, 331; BGH NJW 1975, 985/986; v. Bubnoff in LK StGB 10. Aufl. § 129 Rdn. 1; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 1). Daran gemessen, ist § 129 Abs. 1 StGB, nicht zuletzt auch wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und wegen der Bedeutung des Vergehens nach § 129 Abs. 1 StGB als Katalogtat für besondere strafprozessuale Maßnahmen (§§ 98 a Abs. 1 Nr. 2, 110 a Abs. 1 Nr. 2 StPO i.V.m. §§ 74 a, 120 GVG; § 100 a Abs. 1 Nr. 1 lit. c StPO), nur anwendbar, wenn die begangenen und/oder geplanten Straftaten der Mitglieder eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten, wenn sie somit unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sind (vgl. BGHSt 31, 202, 207; BGH NJW 1975, 985/986; Lackner StGB 20. Aufl. § 129 Rdn. 3; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 3; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129 a StGB, 1989, S. 75). Dabei wird die Beurteilung, ob es sich im dargelegten Sinn um Delikte von einigem Gewicht handelt, nicht allein von einer an den Strafdrohungen ausgerichteten Betrachtung bestimmt. Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände, die, wie insbesondere auch die Tatauswirkungen, für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können.

aa) Nach diesen Grundsätzen können Sachbeschädigungen nicht allgemein aus dem Kreis der Straftaten ausgeschieden werden, die für § 129 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (vgl. BGH NJW 1975, 985; NJW 1954, 1253; BGH, Urteil vom 7. März 1956 - 6 StR 92/55, insoweit in BGHSt 9, 88 nicht abgedruckt; OLG Düsseldorf NJW 1994, 398; Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 129 Rdn. 3). Bei der gebotenen konkreten Betrachtung darf die Frage einer Anwendung des § 129 Abs. 1 StGB im Falle von Sachbeschädigungen aber auch nicht ausschließlich vom Gewicht der Substanzverletzungen abhängig gemacht werden. Die näheren Umstände der tatsächlich geschehenen oder geplanten Taten können für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von wesentlicher Bedeutung sein. Dazu gehört bei Sachbeschädigungen, die darin bestehen, daß fremdes Eigentum durch sogenannte Farbsprühaktionen beschädigt wird, auch der Inhalt der aufgesprühten Parolen, Bilder oder Zeichen. Allein schon für das Gewicht der Eigentumsbeeinträchtigung als solcher kann erheblich sein, was inhaltlich aufgesprüht wird; in erhöhtem Maß gilt dies aber für die Beurteilung, welche Gefährdung für die öffentliche Sicherheit von solchen Farbsprühaktionen ausgeht.

Für seine gegenteilige Auffassung kann sich das Landgericht allerdings auf Meinungsäußerungen im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 (Vereinsgesetz, BGBl I S. 593) berufen, durch das § 129 StGB a.F. geändert worden ist. Im Zusammenhang mit der damals neu eingeführten Tatbestandsausschlußklausel in § 129 Abs. 2 StPO, die im wesentlichen auf einen entsprechenden Vorschlag im Entwurf zum StGB 1962 zurückgeht (§ 294 Abs. 2 E 1962; vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 466), ist die Ansicht vertreten worden, daß es in Einschränkung weitergehender Rechtsprechung geboten sei, regelmäßig mit der Tätigkeit einer verfassungswidrigen Vereinigung verbundene Straftaten wie u.a. das als Sachbeschädigung strafbare Beschmieren von Hauswänden mit politischen Parolen und die Verunglimpfung politischer Gegner (§§ 185 ff. StGB) von der Anwendung des § 129 Abs. 1 StPO auszuschließen (vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres vom 26. Mai 1964, BT-Drucks. IV/2145 (neu) S. 8; Schreiben des Vorsitzenden des Sonderausschusses "Strafrecht" vom 6. März 1964 an den Ausschuß für Inneres zu BT-Drucks. IV/430 S. 12, 13; Schafheutle, Prot. d. Sonderausschusses "Strafrecht", 4. Wahlperiode, S. 250). Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß Sachbeschädigungen, die im Aufsprühen von Parolen bestehen, unter allen Umständen und losgelöst vom Inhalt von der Anwendung des § 129 Abs. 1 StGB generell ausgenommen sein sollten. Eine solche weitgehende Vorstellung wäre jedenfalls deshalb unbeachtlich, weil sie im Gesetz keinen hinreichenden Ausdruck gefunden hat. Was im einzelnen als Teil der öffentlichen Sicherheit besonderen Rechtsgüterschutzes bedarf und gegenüber welchen strafrechtswidrigen Verhaltensweisen dieses Schutzgut in erhöhtem Maße gefährdet ist, kann nicht ein für allemal im Sinne einer abstrahierenden und generalisierenden Betrachtung entschieden werden. Einzubeziehen in die Beurteilung der Erheblichkeit von Gefahren, die von geplanten oder begangenen Straftaten für die öffentliche Sicherheit ausgehen, sind auch die Zeitverhältnisse als Rahmen und Hintergrund des in Frage stehenden strafrechtswidrigen Verhaltens. Bei der Würdigung der geplanten und jedenfalls als Sachbeschädigungen strafbaren Sprühaktionen hätten daher die Wirkungen von ausländerfeindlichen Inhalten der Parolen angesichts der Ausschreitungen gegen Ausländer und insbesondere der schwerwiegenden Gewaltaktionen von Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen sowie der darin deutlich gewordenen Gewaltbereitschaft rechtsextremer Teile der Bevölkerung nicht ausgeklammert werden dürfen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1994, 398, 399; zustimmend Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 129 Rdn. 3). Ihre wertende Einbeziehung kann ergeben, daß aufhetzende Farbsprühaktionen wegen der gefährlichen Folgen für den inneren Frieden, der als Teil der öffentlichen Sicherheit von § 129 Abs. 1 StGB mitgeschützt wird, so gewichtig sind, daß der für die Anwendung von § 129 Abs. 1 StGB erforderliche Erheblichkeitsgrad erreicht ist. Jedenfalls können solche als Sachbeschädigungen gewerteten Aktionen, je nach den Gesamtumständen, in ihren Auswirkungen gewichtiger sein als die Begehung qualifizierter Sachbeschädigungen nach § 305 a StGB, die sogar zur Annahme einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a Abs. 1 StGB führen kann.

bb) § 129 Abs. 2 Nr. 3 StGB, der Straftaten nach den §§ 84 bis 87 StGB von der Anwendung des § 129 Abs. 1 StGB ausnimmt, steht einer solchen die Tatauswirkungen mitberücksichtigenden Würdigung selbst dann nicht entgegen, wenn diese Regelung (auch) als Ausdruck des sogenannten Verbots- und Feststellungsprinzips verstanden wird, das den Organisationsdelikten des Staatsgefährdungsrechts (§§ 84 ff. StGB) zugrunde gelegt ist (vgl. Träger/Mayer/Krauth, Festschrift 25 Jahre Bundesgerichtshof, 1975, S. 227, 229 f.; ferner Laufhütte in LK StGB 11. Aufl. vor § 80 Rdn. 14; Willms JZ 1965, 86, 87). Danach soll die Verfolgung verfassungswidriger Ziele im Rahmen einer Partei oder Vereinigung grundsätzlich erst nach der in einem Partei- oder Vereinigungsverbot zum Ausdruck kommenden Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei oder Vereinigung durch die dafür zuständigen Stellen unter Strafe gestellt sein. So gesehen, darf die Anwendung des § 129 Abs. 1 StGB auf politische Vereinigungen nicht dazu führen, daß die organisationsbezogene (bloße) Verfolgung verfassungswidriger Ziele schon vor einem Vereinigungsverbot als Organisationsdelikt bestraft wird. Dieser Freiraum ist aber verlassen, wenn es um Verstöße gegen Strafvorschriften außerhalb der §§ 84 bis 87 StGB geht, die sich wie § 303 StGB unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung an jedermann richten. Auch bedeutet es keine Umgehung des Verbots- und Feststellungsprinzips sowie der daraus folgenden Kompetenzverteilung zwischen den für das Vereinigungsverbot zuständigen Stellen und den Strafverfolgungsbehörden, daß die Auswirkungen solcher "Allgemeindelikte" im Hinblick auf die Gefahren für die öffentliche Sicherheit, das Schutzgut von § 129 Abs. 1 StGB, geprüft und gewichtet werden - und zwar selbst dann nicht, wenn diese Auswirkungen Vereinigungszielen entsprechen mögen, die als verfassungswidrig zu werten sind. Denn für die Frage, in welchem Maße etwa aufgesprühte aufhetzende Parolen gefährlich für den inneren Frieden sind, ist nicht entscheidend, ob sie zugleich auch als verfassungswidrig einzustufen sind.

cc) Auch unter dem Gesichtspunkt, daß eine zu weite Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes durch § 129 Abs. 1 StGB vermieden werden soll, bestehen gegen eine umfassende, auch den Inhalt der Parolen und deren Wirkung in der Öffentlichkeit einbeziehende Beurteilung keine rechtlichen Bedenken. Dabei kann dahinstehen, ob es für eine Strafbarkeit nach § 129 Abs. 1 StGB nicht genügt, wenn von einer Vereinigung im Sinne einer durch die §§ 140, 111 StGB mit Strafe bedrohten Verhaltensweise Straftaten gebilligt oder andere zu Straftaten aufgefordert werden (so BGHSt 27, 325, 328; kritisch dazu Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 7 a). Das steht hier nicht in Frage. Vielmehr geht es um die Feststellung von Gefahren, die für die öffentliche Sicherheit von den als Sachbeschädigungen gewerteten Farbsprühaktionen unmittelbar selbst ausgehen. Die öffentliche Sicherheit kann in ihrem Teilaspekt des inneren Friedens schon dadurch nachhaltig und unmittelbar gefährdet sein, daß durch solche Aktionen den als Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern angesichts des tatsächlich Geschehenen das Gefühl genommen wird, sich in Sicherheit hier aufhalten zu können.

dd) Das Gewicht der als Sachbeschädigungen strafbaren Farbsprühaktionen im dargelegten Sinne umfassend zu würdigen, ist zunächst eine tatrichterliche Aufgabe. Dem Tatgericht obliegt es insbesondere, Aussageinhalt und Bedeutung der vorgegebenen Parolen im einzelnen zu bestimmen (vgl. BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 32, 310, 311; BayObLG NJW 1995, 145). Dies kann regelmäßig nicht ohne Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände geschehen. Von Bedeutung können u.a. auch der Inhalt der von der "Nationalen Offensive" verfolgten Ziele, die näheren inhaltlichen Einzelheiten der gegen Ausländer und andere Minderheiten gerichteten Agitationen auf den sogenannten Kameradschaftsabenden sowie der Inhalt der gesamten Propagandatätigkeit des Kreisverbandes W. der "Nationalen Offensive" sein. Dazu fehlen ausreichende Feststellungen im Urteil. Rückschlüsse aus der Verbotsverfügung vom 21. Dezember 1992 sind nicht möglich, weil auch diese inhaltlich nicht mitgeteilt worden ist. Schon aus diesem Grunde ist dem Senat eine abschließende Beurteilung verwehrt. Dies gilt auch für die Frage, ob die vorgegebenen Parolen, die Agitationen auf den Kameradschaftsabenden sowie die gesamte Propagandatätigkeit des Kreisverbandes auf die hinreichend konkrete Planung volksverhetzender, nach § 130 Nr. 1 und 3 StGB a.F., § 130 Abs. 1 StGB strafbarer Aktionen hindeuten (vgl. dazu BGHSt 40, 97, 100, 102/103; BGHSt 32, 310, 313; BayObLG NJW 1995, 145).

b) Das Fehlen näherer Feststellungen zum Inhalt der von der "Nationalen Offensive" und ihrem Kreisverband W. verfolgten Ziele und zum Inhalt der Propagandatätigkeit des Kreisverbandes läßt auch eine abschließende Prüfung nicht zu, ob das Landgericht die Begehung der geplanten und ausgeführten Farbsprühaktionen zu Recht als einen Zweck und eine Tätigkeit von lediglich untergeordneter Bedeutung im Sinne von § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB beurteilt hat. Denn eine solche Wertung ist auf die gesamten Zwecke und Tätigkeiten der Vereinigung bezogen und setzt deren inhaltliche Kenntnis voraus. Ebensowenig wie die Frage nach dem Gewicht der strafrechtswidrigen Verhaltensweisen im Hinblick auf das Schutzgut des § 129 Abs. 1 StGB läßt sich die Frage der untergeordneten Bedeutung nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB zeitlich allgemein gültig für alle in Betracht kommenden Farbsprüh- und Farbschmier-Aktionen von Vereinigungen beantworten, die als politisch einzustufen sind. Vielmehr müssen die konkreten Zielsetzungen solcher Aktionen festgestellt und inhaltlich in Bezug zu den Zwecken der einzelnen Vereinigungen gesetzt werden. Daran fehlt es.

Die wiederholte wertende Feststellung im Urteil, daß die Sprühaktionen nicht "der ausschließliche oder wesentliche Zweck der NO-Gruppe in W." waren (UA S. 62, 63), läßt zudem besorgen, daß das Landgericht die Prüfung nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB von einem rechtlich nicht zutreffenden Ausgangspunkt aus vorgenommen hat. Zwar soll die Ausschlußklausel des § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB, wie im Gesetzgebungsverfahren zum 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 15. Juni 1968 (BGBl I S. 741) bekräftigt worden ist, nicht eng ausgelegt werden (vgl. BT-Drucks. V/2860 S. 27; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129 a StGB, 1989, S. 35). Daraus folgt jedoch nicht, daß § 129 Abs. 1 StGB nur anwendbar ist, wenn die Straftaten, die begangen werden sollen, Endziel, Hauptzweck oder ausschließliche Tätigkeit der Vereinigung sind (vgl. BGH bei Wagner GA 1967, 103; BGH NJW 1966, 310 jew. unter Hinweis auf BGHSt 15, 259, 260; ferner BGHSt 27, 325, 326). Die Begehung von Straftaten ist jedenfalls dann nicht von untergeordneter Bedeutung nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB, wenn sie zwar nur einen von mehreren Zwecken (oder eine von mehreren Tätigkeiten) der Vereinigung darstellt, dieser Zweck (diese Tätigkeit) aber wenigstens in dem Sinne wesentlich und damit gleichgeordnet mit den anderen ist, daß durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (vgl. Lampe ZStW Bd. 106 (1994) S. 683, 706/707; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 7; Rudolphi, Festschrift für Bruns, 1978, S. 315, 322 - allerdings bezogen auf die "innere Struktur" der Vereinigung; ferner Scholz in Maunz/Dürig GG Art. 9 Rdn. 124). Ob der Begehung von Straftaten eine solche das Erscheinungsbild der Vereinigung mitprägende Bedeutung zukommt, ist dabei nicht allein an den begangenen Taten, sondern vor allem an den Planungen und an der Häufigkeit entsprechender Tataufforderungen durch bestimmende Vereinigungsmitglieder zu messen. Die gelegentliche oder beiläufige Begehung von Straftaten reicht nicht aus.

3. Die auf die Revision der Staatsanwaltschaft gebotene Aufhebung des Urteils betrifft alle Angeklagten. Sie erfaßt die angefochtene Entscheidung insoweit, als die Angeklagten nicht wegen Vergehens nach § 129 Abs. 1 StGB verurteilt worden sind und der Angeklagte K. von diesem Vorwurf ausdrücklich freigesprochen worden ist. Miterfaßt von der Aufhebung sind damit aber auch alle abgeurteilten Taten, die im Falle einer Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) mit diesem Organisationsdelikt in Tateinheit stehen (vgl. BGHSt 29, 288, 291). Dazu sind nicht nur die abgeurteilten Sachbeschädigungen - mit Ausnahme der nach dem Vereinigungsverbot und der Auflösung des Kreisverbandes W. begangenen Taten des Angeklagten L. (Fälle II l bis q) - zu zählen (Fälle II 3 a bis c bei B. und S., II 3 d bei Se. und II 3 e bis k bei B.), sondern alle Taten, für die (auch wenn sie für sich gesehen die Anwendung des § 129 Abs. 1 StGB nicht begründen) im Falle der Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Betracht kommen kann, daß sie sich als Betätigung der mitgliedschaftlichen Beteiligung nach § 129 Abs. 1 StGB darstellen. Dazu gehören im Falle des Angeklagten B. (außerdem) die zwei vor dem Vereinigungsverbot begangenen Vergehen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, Fall II 7 und 8) und sein nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 SprengG, § 53 Abs. 3 Nr. 1 a WaffG abgeurteiltes Verhalten (Fall II 6) sowie im Falle des Angeklagten L. das im August/September 1992 begangene Vergehen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Fall II 10).

Infolge der insoweit wirksamen Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft bleiben hingegen von der aufgrund dieses Rechtsmittels gebotenen Urteilsaufhebung der Schuldfrage nach unberührt: die Verurteilung wegen Bedrohung und der einen anderen, gegenüber § 129 Abs. 1 StGB selbständigen Tatvorwurf betreffende Teilfreispruch im Falle des Angeklagten Se. (Fälle II 4 und 5); die Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung im Fall des Angeklagten K. (Fall II 1); die Verurteilung des Angeklagten B. wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in dem zeitlich nach dem Vereinigungsverbot liegenden Fall II 9 sowie die Verurteilung des Angeklagten L. wegen Sachbeschädigung in sechs Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Fälle II 3 l bis q), und wegen eines selbständigen Falles des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Fall II 11).

Mitaufzuheben sind bei den Angeklagten K., B., L. und S. die gesamten Rechtsfolgenaussprüche. Im Falle des Angeklagten Se. hat die Anfechtungsbeschränkung zur Folge, daß die wegen Bedrohung verhängte Einzelstrafe bestehen bleibt und außer der Einzelstrafe wegen Sachbeschädigung nur die Gesamtstrafe der Aufhebung unterliegt.

III.

Die Revision des Angeklagten K. dringt ebenfalls durch. Zwar ist die Verfahrensbeschwerde nicht in der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben und daher unzulässig. Jedoch ist die Sachrüge begründet.

Die im Fall II 1 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen ermöglichen keine verläßliche Prüfung, ob das Landgericht zu Recht angenommen hat, daß die schwere Brandstiftung (§ 306 Nr. 2 StGB) vollendet war. Nach der Tatschilderung haben die Flammen zwar außer der Ladeneinrichtung auch "die Wand neben der Eingangstür" und "die Holzfassung der Eingangstür ... erfaßt". Daraus geht aber selbst bei Berücksichtigung des Urteilszusammenhangs nicht eindeutig hervor, daß dies in der zur Annahme von Tatvollendung vorausgesetzten Weise geschehen ist, nämlich daß das Feuer an diesen Gebäudeteilen auch nach Erlöschen und Entfernen des Zündstoffs selbständig hätte weiterbrennen können (vgl. für die als nicht ausreichend beurteilte Feststellung, die Flammen hätten auf einen Gebäudeteil "übergegriffen": BGH, Urteil vom 18. Oktober 1994 - 1 StR 502/94). Insoweit bedarf es ebenfalls neuer tatrichterlicher Prüfung.

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 47; NJW 1995, 2117; NStZ 1995, 340; StV 1995, 465

Bearbeiter: Rocco Beck