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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 143

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 342/08, Urteil v. 27.11.2008, HRRS 2009 Nr. 143


BGH 3 StR 342/08 - Urteil vom 27. November 2008 (LG Oldenburg)

Überwachung der Telekommunikation; Zufallsfund; Fernmeldegeheimnis (Eingriff; Verwendung von Daten aus einem gegen einen Dritten gerichteten Ermittlungsverfahren); Recht auf ein faires Verfahren (Vertrauensschutz).

Art. 6 EMRK; Art. 8 EMRK; § 100a StPO; § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO; Art. 10 GG; Art. 20 Abs. 3 GG

Leitsätze

1. Zur Verwertbarkeit von Zufallsfunden aus der Überwachung der Telekommunikation, wenn sich zwischen der Durchführung der Maßnahme und der Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse die Anordnungsvoraussetzungen geändert haben. (BGHSt)

2. Ändern sich im Verlauf eines anhängigen Strafverfahrens strafprozessuale Vorschriften, so ist für das weitere Verfahren grundsätzlich die neue Rechtslage maßgeblich. (Bearbeiter)

3. Werden durch eine Telefonüberwachung in einem Ermittlungsverfahren gegen Dritte gewonnene Daten in ein anderes Strafverfahren eingeführt, um sie zur Aufklärung des gegen den dortigen Beschuldigten gerichteten Tatvorwurfs zu verwenden, so liegt hierin ein - erneuter - Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG). Dieser Eingriff bedarf einer gesonderten rechtlichen Grundlage (vgl. Art. 10 Abs. 2 GG) insbesondere deswegen, weil sich die ursprüngliche Anordnung der heimlichen Datengewinnung nicht gegen den Beschuldigten gerichtet hatte. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in neun Fällen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg.

1. Dem Angeklagten, der wegen vielfachen Betruges derzeit eine langjährige Freiheitsstrafe verbüßt, an deren Ende die Vollstreckung von Sicherungsverwahrung notiert ist, liegt zur Last, während des Strafvollzuges die Zeugen E., M. und K. in neun Fällen durch Vortäuschung falscher Tatsachen zu Zahlungen von insgesamt mehr als 116.000 € an ihn bzw. an Dritte veranlasst zu haben, um sich dadurch eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen. Das Landgericht hat festgestellt, dass vom Zeugen E. und dessen Ehefrau sowie vom Zeugen M. Zahlungen in dieser Höhe geleistet wurden. Der Zeuge M. leitete dabei möglicherweise auch Gelder des Zeugen K. weiter. Das Landgericht hat sich aber nicht davon überzeugen können, dass diese Zahlungen durch betrügerische Einwirkungen des Angeklagten auf die genannten Personen bewirkt worden waren.

2. Mit einer Aufklärungsrüge wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Landgericht es unterlassen hat, den Inhalt von 17 Telefongesprächen zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. sowie zwischen diesem und dem Zeugen K. und anderen Personen in die Hauptverhandlung einzuführen. Die Rüge greift durch. Das vom Landgericht angenommene Beweisverwertungsverbot besteht nicht.

a) Die Erkenntnisse über den Inhalt der 17 Telefongespräche, deren Verwertung von der Beschwerdeführerin vermisst wird, sind im Einzelnen wie folgt gewonnen worden:

Die Überwachung der Festnetzanschlüsse von Horst und Annelie M. war in dem Ermittlungsverfahren gegen Horst M. wegen des Verdachts der Geldwäsche durch Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 25. Januar 2006 angeordnet worden. Grundlage der Anordnung war die Erkenntnis der Strafverfolgungsbehörden, dass Horst M. im Juli und Oktober 2005 jeweils 25.000 € in bar auf das Konto des Angeklagten eingezahlt hatte, die angesichts der Vermögenslage der Eheleute M. vermutlich nicht von diesen stammen konnten. Der Verdacht beruhte auch darauf, dass Horst M. im Januar 2006 bestätigte Bankschecks im Wert von ca. 100.000 €, gezogen auf die Royal Bank of Canada, zur Einreichung auf sein Konto vorgelegt hatte, in seiner polizeilichen Vernehmung indes keinen plausiblen wirtschaftlichen Hintergrund für die Begebung der Schecks an ihn zu benennen vermochte. Die genannten Überweisungen sind Gegenstand der gegen den Angeklagten erhobenen Betrugsvorwürfe zum Nachteil des Horst M. und des Rolf Dieter K. (Nr. 4a und Nr. 8a der Anklage).

Die Überwachung des Mobilfunkanschlusses von Annelie M. war in demselben Ermittlungsverfahren gegen Horst M. wegen des Verdachts der Geldwäsche durch Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 31. Januar 2006 angeordnet worden, nachdem festgestellt worden war, dass Horst M. auch diesen Anschluss zum Kontakt mit dem Angeklagten nutzte.

In Ausführung der Beschlüsse sind die 17 Telefongespräche, die zwischen dem 26. Januar 2006 und dem 23. März 2006 geführt worden sind, aufgezeichnet und hiervon Leseabschriften (TÜ-Protokolle) bzw. zusammenfassende Berichte der Kriminalpolizei über die Gesprächsinhalte gefertigt worden.

Das gegen Horst M. geführte Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche ist am 12. Oktober 2006 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, weil die Ermittlungen ergeben hätten, "dass er selbst als Geschädigter anzusehen" sei. Demgemäß hat die Staatsanwaltschaft auch wegen Betrugstaten zu seinem Nachteil im vorliegenden Verfahren im August 2006 Anklage gegen den Angeklagten erhoben.

Am 22. Februar 2008 hat die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung die TÜ-Protokolle sowie die zusammenfassenden Berichte dem Gericht übergeben und deren Inaugenscheinnahme bzw. Verlesung beantragt.

b) Die Erkenntnisse über den Inhalt der Telefongespräche (die Kommunikationsdaten) sind in dem Ermittlungsverfahren gegen Horst M. zulässig gewonnen worden, da bestimmte Tatsachen den Verdacht begründet hatten, dass dieser als Täter oder Teilnehmer eine Geldwäsche begangen oder zu begehen versucht hatte, und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert gewesen wäre (§ 100a Nr. 2 StPO a.F.). Dies ergibt sich zwar nicht aus den ermittlungsrichterlichen Anordnungsbeschlüssen, die sich in formelhaften Wendungen ohne näheren Tatsachenbezug erschöpfen, folgt aber aus den mit der Revisionsbegründung vorgelegten polizeilichen Ermittlungsberichten, die den Anordnungen zugrunde lagen (vgl. BGHSt 47, 362, 367 ff.).

c) Die Inhalte der Telefonate sind in dem gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Betrugs gerichteten Strafverfahren jedenfalls als sog. Zufallsfunde nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO verwertbar. Danach dürfen die auf Grund der Telefonüberwachung (rechtmäßig) erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der Strafprozessordnung hätte angeordnet werden dürfen. Dies ist hier der Fall:

§ 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO erlaubt die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation beim tatsachengestützten Verdacht des Betruges im schweren Fall (§ 263 Abs. 3 Satz 2 StGB). Diese Regelung ist zwar erst am 1. Januar 2008 in Kraft getreten (Art. 16 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 - TKÜG - BGBl I 3198) und galt deshalb im Zeitpunkt der Anordnung der Überwachungsmaßnahmen und ihrer Durchführung noch nicht. Hierauf kommt es indes entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht an.

Ändern sich im Verlauf eines anhängigen Strafverfahrens strafprozessuale Vorschriften, so ist für das weitere Verfahren grundsätzlich die neue Rechtslage maßgeblich (vgl. BGHSt 22, 321, 325; 26, 288, 289; 46, 310, 317 ff.; Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschnitt F Rdn. 22; Knierim StV 2008, 599, 600; für Änderungen des Verfahrensrechts im Zeitpunkt zwischen dem tatrichterlichen Urteil und der Entscheidung des Revisionsgerichts vgl. § 354a StPO und Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 354 a Rdn. 4).

Dieser Grundsatz wird für die hier zu beurteilende Fallkonstellation durch folgende Überlegung bestätigt: Der Angeklagte war durch die im Verfahren gegen Horst M. (rechtmäßig) angeordneten Telefonüberwachungen allenfalls mittelbar in seinen Rechten betroffen. Denn diese in Grundrechte eingreifende strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen richteten sich unmittelbar allein gegen den damaligen Beschuldigten und dessen Ehefrau, während der Angeklagte lediglich reflexartig als einer der Kommunikationspartner Horst M.s in seinen Rechten berührt wurde; soweit es sich um Telefonate zwischen den Zeugen M. und K. handelt, sind durch die Überwachung und Aufzeichnung der Gespräche Rechte des Angeklagten nicht einmal mittelbar beeinträchtigt. Der eigentliche, unmittelbare Eingriff in die Rechtssphäre des Angeklagten lag vielmehr erst darin, dass die Staatsanwaltschaft die durch die Telefonüberwachung gewonnenen Daten in das Verfahren gegen den Angeklagten einführte mit dem Begehren, sie zur Aufklärung des gegen diesen gerichteten Tatvorwurfs zu verwenden. In einer derartigen Verwendung der gewonnenen Daten liegt eine erneute Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses (vgl. BVerfGE 100, 313, 391 f.), die gesonderter rechtlicher Grundlage insbesondere deswegen bedarf, weil die Datenverwendung nunmehr der Strafverfolgung eines Dritten dienen soll, gegen den sich die ursprüngliche Anordnung der heimlichen Datengewinnung nicht gerichtet hatte. Diese rechtliche Grundlage war im Zeitpunkt der von der Staatsanwaltschaft begehrten Datenverwendung durch § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO indes gegeben. Der vor dem 1. Januar 2008 bestehenden Rechtslage, die die Verwendung der durch die Telefonüberwachung rechtmäßig erlangten Zufallsfunde zur Aufklärung eines Betrugs im besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 3 Satz 2 StGB) nicht zuließ (vgl. § 100b Abs. 5 in Verbindung mit § 100a Abs. 1 StPO aF), kommt demgegenüber keine Bedeutung mehr zu. Ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten in die Fortgeltung dieses früheren Rechtszustands ist nicht anzuerkennen.

Letztlich steht der Verwertung auch nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft die Eheleute M. im November 2006 von den gegen sie durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen unterrichtet und ihnen mitgeteilt hat, die erlangten Unterlagen würden vernichtet, dies indes in der Folgezeit unterblieben ist. Die Staatsanwaltschaft war berechtigt, von der Löschung der Daten abzusehen, da zeitgleich mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Horst M. und damit noch vor der Unterrichtung der Eheleute M. wegen desselben Sachverhalts ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen Rechtsanwalt B. eingeleitet worden war, in dem die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung als Beweismittel unmittelbar hätten verwertet werden können (vgl. § 100b Abs. 6 StGB aF; § 101 Abs. 8 StPO nF). Dieses Verfahren ist erst nach dem Erlass des hier angegriffenen Urteils eingestellt worden.

Nach alledem kann dahinstehen, ob es sich bei dem Verfahren gegen den Angeklagten, soweit es die betrügerische Erlangung der vom Zeugen M. gezahlten Beträge von zweimal 25.000 € betrifft, überhaupt um ein im Verhältnis zu dem vormaligen Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen M. "anderes Strafverfahren" im Sinne von § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO (= § 100 b Abs. 5 StPO aF) handelt oder ob nicht vielmehr eine einheitliche Tat im prozessualen Sinn vorliegt, so dass jedenfalls in diesem Umfang die durch die Überwachung gewonnenen Beweisergebnisse ohne Einschränkung auch gegen den Angeklagten verwertet werden durften.

d) Die unterlassene Beweiserhebung hat sich aufgedrängt, denn die von der Revision mitgeteilten Inhalte der Telefonate enthalten Indizien für ein mögliches täuschendes Verhalten des Angeklagten sowie dafür, dass die Gesprächsteilnehmer M. und K. nicht auf Seiten des Angeklagten in Betrugstaten verstrickt, sondern selbst Opfer von Täuschungen des Angeklagten gewesen sein können.

e) Das Urteil beruht auf der fehlerhaft unterlassenen Verwertung der Telefonate. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Landgericht durch deren Inhalt und den Umstand, dass der Angeklagte mit teilweise identischer Vorgehensweise bereits in der Vergangenheit ganz erhebliche Summen ertrogen hat, die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten verschafft hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 143

Externe Fundstellen: BGHSt 53, 64; NJW 2009, 791; NStZ 2009, 224; StV 2009, 398

Bearbeiter: Ulf Buermeyer