Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 397/97, Urteil v. 03.12.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. Januar 1997
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Betruges in 40 Fällen, des versuchten Betruges und der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig ist,
b) im übrigen Schuldspruch sowie - mit den zugehörigen Feststellungen - in allen Strafaussprüchen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen unerlaubten Freisetzen ionisierender Strahlen in 46 Fällen, davon in 15 Fällen in Tateinheit mit Betrug, wegen vorsätzlichen unerlaubten Freisetzen von ionisierenden Strahlen in drei weiteren Fällen in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, wegen Betrugs in 26 weiteren Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, im übrigen hat es ihn freigesprochen.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Freisetzen ionisierender Strahlen und wegen Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse richtet.
Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte bei Privat- und Krankenkassenpatienten nicht erbrachte Beratungsleistungen und durchgeführte, aber medizinisch nicht erforderliche oder nicht verwertbare Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen abgerechnet (rechtlich gewertet als Betrug, ferner als Freisetzen ionisierender Strahlen gemäß § 311 d StGB, teilweise in Tateinheit mit Betrug gemäß § 263 StGB). Desweiteren hat er in drei Fällen medizinisch nicht veranlaßte Röntgenbilder von drei Patienten erstellt, sie mit einem unrichtigen Herstellungsdatum versehen und der ärztlichen Stelle H. vorgelegt, die als Sachverständigenstelle zur Qualitätssicherung bei Röntgeneinrichtungen (§ 16 Abs. 3 RöV) die Vorlage bestimmter genau bezeichneter Röntgenbilder gefordert hatte (rechtlich gewertet als Freisetzen ionisierender Strahlen gemäß § 311 d StGB in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 278 StGB). Bei einer Patientin hat er gegen deren Willen Spritzen gesetzt (Körperverletzung gemäß § 223 StGB). Die medizinisch nicht indizierten Röntgenaufnahmen als Körperverletzung nach § 223 StGB oder als gefährliche Körperverletzung nach § 223 a StGB zu werten, hat das Landgericht abgelehnt, da die durch das Vorgehen des Angeklagten verursachten "strahlenbedingten Mutationen sich im mikrobiologischen Bereich bewegen" würden und "im Hinblick auf den einzelnen Patienten nicht nachweisbar" seien.
1. Keinen Rechtsfehler weist der Schuldspruch auf, soweit der Angeklagte wegen Betruges in 40 Fällen und wegen Körperverletzung verurteilt worden ist. Im Fall II F 20 (Wörwag UA S. 36/37) liegt aber nur ein versuchter Betrug vor, da das Stellen einer überhöhten Rechnung für die Tatvollendung nicht ausreichte. Die Geschädigte hat die Erfüllung der unberechtigten Forderung verweigert, der Angeklagte hat weitere Schritte nicht unternommen, so daß auch eine Vermögensgefährdung, wie das Landgericht meint (UA S. 93), noch nicht gegeben war. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
2. Rechtsfehlerhaft ist die Annahme des Landgerichts, in Fällen, in denen Privatpatienten unzulässigerweise geröntgt worden sind, bestünde zwischen den Vergehen nach § 311 d StGB und § 263 StGB Tateinheit (UA S. 81/82). Denn auch in diesen Fällen lag kein einheitliches Geschehen vor, die Tathandlung des Betruges begann erst in dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte die Erteilung der Rechnung veranlaßte.
3. Rechtlicher Nachprüfung nicht stand hält insgesamt die Verurteilung wegen Freisetzen ionisierender Strahlen.
Nach § 311 d StGB in der für die Tatzeit (5. Juni 1989 bis 4. November 1993) geltenden Fassung (vgl. 18. StrÄndG vom 28. März 1980, BGBl. I 373) macht sich strafbar, wer unter Verstoß gegen bestimmte verwaltungsrechtliche Anordnungen und Auflagen ionisierende Strahlen freisetzt. Ionisierend ist eine Strahlung, die von natürlichen oder künstlichen radioaktiven Stoffen ausgeht; dazu gehören auch Röntgenstrahlen (Cramer in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. Rdn. 3; Tröndle StGB 48. Aufl. Rdn. 2; Wolff in LK 11. Aufl. Rdn. 3 alle zu § 311 a; Steindorf in LK StGB 11. Aufl. § 311 d Rdn. 2 und 3; E 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502; Reinhardt, Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen <1989> S. 15; vgl. auch BGHSt 39, 371 mit Anmerkung Geerds JR 1995, 32; BGH NJW 1994, 2161; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 257. Aufl. <1994> Stichwort: "ionisierende Strahlung").
Die Grundsätze für die Anwendung von Röntgenstrahlen auf Menschen sind in der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen vom 8. Januar 1987, BGBl. I 114 (Röntgenverordnung - RöV) festgelegt. Diese Verordnung hat das Ziel, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren ionisierender Strahlen zu schützen, wobei primär die Patienten, auf die Röntgenstrahlen angewendet werden, daneben aber auch das Personal und Dritte (Besucher, Begleitpersonal u.a.) erfaßt werden sollen (Kamps DMW 1987, 1955; Stieve/Bischof MedR 1992, 79, 81). Die Röntgenverordnung ist eine Rechtsvorschrift, die "verwaltungsrechtliche Pflichten" im Sinne von § 311 d Abs. 1 StGB enthält. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 RöV dürfen Röntgenstrahlen auf Menschen in Ausübung der Heilkunde oder Zahnheilkunde nur angewendet werden, wenn dies aus ärztlicher Indikation geboten ist. Gegen diese Regelung, nicht aber, wie das Landgericht meint, gegen § 15 RöV, der nur die hier eingehaltenen Schutzvorschriften beim Betrieb der Röntgenanlage festlegt, hat der Angeklagte in den Fällen verstoßen, in denen er bei seinen Patienten medizinisch nicht gebotene Röntgenuntersuchungen durchführen ließ, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Das allein führte aber nicht zur Verwirklichung des Straftatbestandes des § 311 d StGB.
Das Vorgehen des Angeklagten kann nicht als "Freisetzen" ionisierender Strahlen im Sinne von § 311 d StGB bewertet werden, da die Röntgenuntersuchungen durch einen Arzt angeordnet und in einer genehmigten, technisch einwandfreien Röntgeneinrichtung von dafür ausgebildetem Personal ausgeführt wurden.
Der Begriff "Freisetzen" wird im Strafrecht vor allem im Bereich der gemeingefährlichen Straftaten und derjenigen gegen die Umwelt in den §§ 310 a, 311 d, 324 a, 325 und 330 a StGB verwendet. Freisetzen heißt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "aus einer Bindung lösen" (vgl. Brockhaus/ Wahrig Deutsches Wörterbuch). Die physikalischen Vorgänge beim Röntgen stellen sich allerdings als ein Lösen der Strahlen aus einer "Bindung" dar, diese werden auf den Menschen "gerichtet" und damit "freigesetzt", so daß vom Wortlaut her der Tatbestand des § 311 d StGB verwirklicht sein könnte. Nach der übereinstimmenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist jedoch ein "Freisetzen" im Sinne von § 311 d StGB nur dann anzunehmen, wenn sich die Strahlen unkontrollierbar im Raum ausdehnen (vgl. Steindorf a.a.O. Rdn. 4; Cramer Rdn. 2; Horn Rdn. 3; Tröndle Rdn. 2: Lackner a.a.O. Rdn. 3; Sack a.a.O. Rdn. 9 jeweils zu § 311 d StGB; Mißler in Lexikon des Rechts 2. Aufl. S. 858 Stichwort "Sprengstoffexplosion, ionisierende Strahlen - Straftatbestände"; Sander, Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht <1981> S. 213, 214 7.3.2.; Bartholme JA 1996, 730; Geerds JR 1995, 33; OLG Bamberg MDR 1992, 687; vgl. auch Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum 18. StrÄndG BT-Drucks. 8/3633 S. 24; ebenso für den gleichlautenden Begriff bei § 330 a StGB: Protokoll der 78. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 27. September 1979 Prot. Nr. 78/37). Ein solcher Fall ist auch beim Röntgen von Patienten in einer Arztpraxis denkbar, so bei Bedienungsfehlern oder bei defekten Geräten. Bei einem mit einem einwandfrei funktionierenden Gerät durchgeführten Röntgenvorgang ist ein Fall des "Freisetzen" ionisierender Strahlen aber nicht gegeben. Dies folgt aus Sinn und Zweck der Regelung und dem gesetzgeberischen Willen.
§ 311 d StGB ist eine Vorschrift aus dem Bereich der "gemeingefährlichen Straftaten". Die Besonderheit dieser Delikte besteht darin, daß der Täter Kräfte, insbesondere Naturgewalten in Bewegung setzt, deren Auswirkungen auf eine unbestimmte Vielzahl von Menschen oder Sachwerte er nicht in der Hand hat (Tröndle a.a.O. Rdn. 1 vor § 306). Der Gesetzgeber wollte somit im Rahmen von § 311 d StGB solche Handlungen erfassen, bei denen potentiell gefährliche Stoffe wie ionisierende Strahlen unkontrolliert entweichen und sich in der Umwelt ausbreiten können, mit der Folge der Gefährdung einer Vielzahl von Personen (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Sechzehntes Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - BT-Drucks. 8/2382 S. 23, 24). Bei Gebrauch einer einwandfrei funktionierenden Röntgeneinrichtung wird aber nur eine Person eingegrenzten Gefahren (vgl. BVerwG NJW 1987, 2950, 2951) ionisierender Strahlen "ausgesetzt". Der Röntgenstrahl wird auf sie gerichtet, mit der Folge, daß allein sie von der Strahlung erfaßt wird. Eine "gemeingefährliche" Handlung kann darin nicht gesehen werden, da der Röntgenstrahl, wie beabsichtigt, eine einzelne Person, nicht eine Vielzahl unbestimmter Personen trifft. Zwar ist auch der Einzelne schutzbedürftig angesichts der Gefahren, die von ionisierenden Strahlen ausgehen. Dem trägt der Gesetzgeber aber durch die in der RöV enthaltenen Schutzvorschriften Rechnung, deren Einhaltung von den zuständigen Behörden überwacht wird. Bestimmte Zuwiderhandlungen gegen Regelungen dieser Verordnung sind dann auch als Ordnungswidrigkeiten eingestuft. Weitergehender strafrechtlicher Schutz vor Gefährdungen sollte aber nur in besonders schwerwiegenden Fällen gewährt werden. Dies zeigt § 311 a Abs. 1 StGB, der nur den Fall, daß in Gesundheitsschädigungsabsicht auf eine bestimmte Person ionisierende Strahlen gerichtet werden, als besonders regelungsbedürftig angesehen hat ("Fälle der verbrecherischen Gefährdung durch ionisierende Strahlen" vgl. Entwurf eines Strafgesetzbuches - E 1962 - BT-Drucks. IV/650 S. 502, 503). Vorausgesetzt ist dabei, daß eine einzelne Person den Strahlen "ausgesetzt" wird, während im Unterschied dazu § 311 d StGB die Fälle erfaßt, in denen ionisierenden Strahlen unter Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Schutzgesetze "freier Lauf" gelassen wird, ohne daß eine bestimmte Absicht vorliegen müßte (Reinhardt a.a.O. S. 164). Die Bezugnahme auf eine "Gesundheitsschädigungsabsicht" in § 311 a StGB spricht dafür, daß Fälle des - überflüssigen - Einsatzes von Röntgenstrahlen im medizinischen Bereich mit der möglichen Folge einer Gesundheitsschädigung nicht erfaßt werden sollten, um zu weitgehende "Eingriffe in die Therapiefreiheit" des Arztes zu vermeiden (vgl. Wolff a.a.O. § 311 a StGB Rdn. 1; E 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502, 503), zumal bereits vorher in der Röntgenverordnung vom 1. März 1973 wie auch später in der Röntgenverordnung vom 8. Januar 1987 davon abgesehen wurde, einen Verstoß gegen § 25 RöV, der medizinisch nicht gebotenes Röntgen verbietet, als eine Ordnungswidrigkeit einzustufen (vgl. Kramer/Zerlett RöV 3. Aufl. <1991> Vorbem. §§ 23 - 28 RöV C III 8 S. 107).
Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift des § 311 d StGB ist durch das 18. StrÄndG vom 28. März 1980 (BGBl. I 373) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Sie beruht auf Regelungen des Atomgesetzes (vgl. §§ 46, 47 AtomG) und wurde auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in den Abschnitt über die gemeingefährlichen Straftaten des StGB eingefügt, nachdem zuvor eine entsprechende Vorschrift für den Bereich der "umweltgefährdenden Straftaten" vorgesehen war (vgl. BT-Drucks. 8/2382; § 330 c Abs. 1 Nr. 2 c; zur Entstehungsgeschichte: vgl. Reinhardt a.a.O. S. 159 ff.; Rogall JZ - GD 1980, 101, 107). Grund war, daß vor allem auch Strahlen im medizinischen Bereich "freigesetzt" werden, wobei "der einzelne sehr viel mehr gefährdet werden könne als bei kerntechnischen Anlagen" (Reinhardt a.a.O. S. 224; Protokoll des Rechtsausschusses 75/26), ohne daß die Folgen der "Bestrahlung" sofort erkennbar wären, desweiteren, daß angenommen wurde, ein Regelungsbedürfnis bestünde nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch, um die Personen zu schützen, die in der Medizin mit ionisierenden Strahlen in Berührung kommen, wobei auch arbeitsschutzrechtliche Gesichtspunkte maßgebend waren. Geregelt werden sollten nach dieser gesetzgeberischen Entscheidung nur die Fälle, bei denen nach Freisetzen der in den ionisierenden Strahlen ruhenden Kräfte diese nicht mehr beherrschbar und daher im allgemeinen in ihrer Wirkung geeignet sind, eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben zu gefährden oder sogar zu verletzen (so der Begriff der "Gemeingefahr": BGHSt 38, 353, 354/355). Bei einer im Einzelfall unzulässigen, aber in übrigen fachgerecht durchgeführten Röntgenbehandlung kann dies aber nicht angenommen werden. Der Röntgenstrahl breitet sich entgegen der Ansicht des Landgerichts (UA S. 84) nicht "frei im Raum aus". Vielmehr wurde auch im Gesetzgebungsverfahren (vgl. auch Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum 18. StrÄndG BT-Drucks. 8/3633 S. 24) der in der Literatur herrschende, bei anderen Vorschriften (§§ 310 b; 324 a; 325 Abs. 2; 330 a StGB) bereits definierte Begriff des Freisetzen ("Fälle, in denen solche Strahlen künstlich erzeugt werden und sich frei ausbreiten, wie auch Fälle, in denen die Schutzvorrichtung gegenüber einer - künstlichen - Strahlenquelle, z.B. einem in Verwahrung befindlichen radioaktiven Stoff oder einem in Betrieb befindlichen Strahlengerät beseitigt wird") zugrundegelegt. Nur ein solcher Gebrauch, bei dem ionisierende Strahlen unkontrolliert eingesetzt werden (der die Wirkung der ionisierenden Strahlen unkontrollierbar macht), also z.B. auf Grund eines fehlerhaften, für den Patienten gefährlichen Umganges mit den Röntgengeräten, sollte nach der gesetzgeberischen Intention erfaßt werden, nicht auch der zwar aus ärztlicher Sicht mißbräuchliche, aber vom röntgenologischen Gesichtspunkt her korrekte, also "kontrollierte" Gebrauch der Röntgenstrahlen.
Das Vorgehen des Angeklagten in den Fällen, in denen er medizinisch nicht angezeigte Röntgenuntersuchungen durchführen ließ, erfüllt deshalb nicht den Tatbestand des vorsätzlichen unerlaubten Freisetzen von ionisierenden Strahlen gemäß § 311 d Abs. 1 StGB.
4. Rechtsfehlerhaft ist auch die Verurteilung wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB). Es kann deshalb offen bleiben, ob es sich bei den verfälschten Röntgenbildern, die der Angeklagte im Rahmen der Prüfung der Geräte durch die "Sachverständigenstelle" angefertigt und zur Prüfung vorgelegt hat, um "Gesundheitszeugnisse" im Sinne von § 278 StGB handelte. Die "Sachverständigenstelle" nach § 16 Abs. 3 RöV ist jedenfalls keine Behörde im Sinne der §§ 277, 278 StGB. Ihre Aufgabe ist die "Qualitätssicherung bei Röntgeneinrichtungen" (vgl. Anlage zur Hessischen Durchführungsverordnung der RöV vom 3. Juli 1989 Hess.StAnz. 1989, 1569, 1570; vgl. auch § 33 RöV). Auf Grund der vorgelegten Bilder sollen dem "Strahlenschutzverantwortlichen", hier also dem Angeklagten, Vorschläge zur Verbesserung der Bildqualität gemacht werden (Kramer/Zerlett a.a.O. Anm. II 5 S. 86). Die Überprüfung dient zwar im Endergebnis auch der Verminderung der Strahlenbelastung des untersuchten Patienten (§ 16 Abs. 3 Satz 2 RöV; Kramer/Zerlett a.a.O. § 16 Anm. I, 1 S. 84). Gegenstand der Beurteilung ist aber nicht der Gesundheitszustand bestimmter Personen, wie es §§ 277, 278 StGB voraussetzen, sondern die Funktionsfähigkeit der Röntgeneinrichtung und die sachgerechte Handhabung durch das Personal. Selbst wenn die Sachverständigenstelle, ein Träger der ärztlichen Selbstverwaltung, auf Grund der Vereinbarung vom 3. Juli 1989 (Hess.StAnz. 1989, 1569, 1570) als Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne angesehen werden könnte, wird sie jedenfalls nicht über den Gesundheitszustand einer Person getäuscht, da dieser für die von ihr zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist. Die Regelung der §§ 277, 278 StGB soll aber, wie die Einbeziehung von bestimmten Versicherungsgesellschaften (z.B. Lebens-, Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, soweit sie Personenschäden decken: vgl. Tröndle in LK 10. Aufl. § 277 Rdn. 8) zeigt, nur solche Stellen schützen, welche die vorgelegten Zeugnisse zur Beurteilung des Gesundheitszustandes eines bestimmten Menschen verwenden.
Auch die Verurteilung wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse kann deshalb keinen Bestand haben. Das Vorgehen des Angeklagten als Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StGB) zu werten, hat das Landgericht zu Recht abgelehnt.
5. Die Verurteilungen nach § 311 d StGB und nach § 278 StGB müssen somit entfallen.
Die Feststellungen werden davon nicht berührt, sie tragen, wie oben ausgeführt, die Verurteilung wegen Betruges in 40 Fällen, wegen versuchten Betruges im Fall F II 20 sowie wegen Körperverletzung (Setzen von Spritzen). In diesem Umfang hat der Senat zum Schuldspruch abschließend entschieden. Soweit das Landgericht - richtigerweise tatmehrheitlich - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 311 d StGB angenommen hat, bedurfte es hingegen der Zurückverweisung der Sache. Es liegt nämlich nicht fern, daß die Durchführung medizinisch nicht indizierter Röntgenaufnahmen durch den Angeklagten in einzelnen Fällen den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 223 a StGB erfüllt.
Sachverständig beraten hat die Strafkammer festgestellt (UA S. 49/50), daß durch ionisierende Strahlen vitale Strukturen des menschlichen Körpers zerstört und lebenswichtige Funktionen beeinträchtigt werden. Dabei genügt auch eine geringe Dosis zur Herbeiführung von Langzeitschäden, die sich in Veränderungen des Erbgutes und der Entstehung von Tumoren zeigen. Eine Schwellendosis existiert in diesem Bereich nicht, auch kleinste Dosen können diese Folgen bewirken. Für den Einzelfall sind Langzeitschäden allerdings nicht prognostizierbar, doch schließt das Fehlen akuter Symptome Schädigungen nicht aus, welche statistisch vorhersagbar sind (vgl. auch Pschyrembel, a.a.O. Stichworte: "Strahlenrisiko", "Strahlenbelastung", "Strahlenschäden"; Kramer/Zerlett a.a.O. § 15 RöV Anm. 4; Krieger/Petzold, Strahlenphysik, Dosimetrie und Strahlenschutz Band 1 <1992> S. 249-259; Jung Röntgenstrahlen 66/1991, 46 ff.; Peters/Lanzen in Otto, Nutzen und Risiken bei Diagnostik und Therapie mit ionisierenden Strahlen S. 24; BVerwG NJW 1981, 1393, 1395).
Dies steht einer Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als - strafbare - Körperverletzung nicht entgegen. Entgegen der Meinung der Strafkammer (UA S. 85) können die Voraussetzungen des § 223 StGB vor allem auch nicht allein deshalb verneint werden, weil sich die "strahlenbedingten Mutationen im mikrobiologischen Bereich bewegen und im Hinblick auf den einzelnen Patienten nicht nachweisbar sind" (so auch LG München NStZ 1982, 470).
Eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne von § 223 StGB ist in jedem Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Menschen nachteilig abweichenden Zustandes zu sehen, also in einem, wenn auch nur vorübergehenden, Herbeiführen einer pathologischen Verfassung, wobei die Beeinträchtigung nicht von Dauer zu sein braucht, sie muß aber andererseits auch über lediglich unerhebliche Beeinträchtigungen hinausgehen (BGHSt 36, 1, 6, 7; 36, 262; 265; BGH NStZ 1997, 123; BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2, BGH, Urt. vom 13. März 1975 - 4 StR 28/75 bei Dallinger MDR 1975, 723; BGHR BGB § 823 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 1; Hirsch in LK 10. Aufl. § 223 Rdn. 11 ff.; zu Strahlenschäden: BGH, Urt. vom 19. November 1997 - 3 StR 271/97, zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
Die Einwirkung der Röntgenstrahlen führt zu somatisch faßbaren nachteiligen Veränderungen der Körperbeschaffenheit, auch wenn klinisch erkennbare Schäden nicht oder nicht sogleich wahrnehmbar sind. Ob das Herbeiführen dieser pathologischen Verfassung mehr als nur eine unerhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit darstellt, unterliegt auch normativer Bewertung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht schon die Ansteckung mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit oder einem Virus (HIV-Virus) aus, ohne daß es zum Ausbruch einer Krankheit gekommen sein muß, um eine Gesundheitsbeschädigung zu bejahen (BGHSt 36, 1, 6, 7; 36, 262, 265), da damit der körperliche Zustand des Betroffenen tiefgreifend verändert wird. Ähnlich sind die unmittelbaren Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf den menschlichen Körper zu beurteilen. Die einmalige, kurzzeitige oder nur gelegentlich wiederholte ordnungsgemäße Anwendung von Röntgenstrahlen mag in der Regel noch nicht als Körperverletzung zu beurteilen sein. Anders ist es aber, wenn die Zerstörung der Zellstrukturen durch Röntgenuntersuchungen - insbesondere auch bei Menschen, die bereits früher häufig ionisierenden Strahlen ausgesetzt waren - die Gefahr des Eintritts von Langzeitschäden nicht nur unwesentlich erhöht. Nach den Feststellungen des Urteils hat der Angeklagte in zahlreichen Fällen Patienten in exzessiver Weise geröntgt. So fertigte er bei dem Patienten F. von 1980 bis 1992 140 Röntgenaufnahmen (UA S. 51), bei dem Patienten W. von 1987 bis 1993 97 Aufnahmen (UA S. 52), bei anderen unterließ er gebotene Schutzmaßnahmen (Gonadenschutz), in der Regel fertigte er bei seinen Patienten jeweils Aufnahmeserien. Bei dieser Vorgehensweise liegt es wegen der starken Erhöhung des Schadensrisikos nahe, die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, unabhängig davon, ob sich der Eintritt von Langzeitschäden voraussagen läßt, als nicht nur unerheblich, sondern rechtlich relevant im Sinne der §§ 223 ff. StGB zu bewerten. Der Gesetzgeber hat eingehende Regelungen zum Schutz der Personen erlassen, die von Berufs wegen mit Strahlen umgehen müssen, auch derjenigen, die als Patienten bewußt diesen Strahlen ausgesetzt werden (vgl. die Röntgenverordnung vom 8. Januar 1987 und die Strahlenschutzverordnung vom 30. Juni 1989). Ausdrücklich festgelegt sind Höchstdosen für beruflich strahlenexponierte Personen (§ 31, 32 RöV jeweils in Verbindung mit Anlage IV; Hinrichs NJW 1987, 2284, 2285; Bischof NJW 1991, 2323). Die Regelung der §§ 31, 32 RöV zeigt, daß jede unnötige Strahlenexposition vermieden werden muß. Jedenfalls eine Vielzahl von Röntgenstrahlen, die proportional wirksam werden (vgl. die Hinweise auf Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission bei Kramer/Zerlett a.a.O. § 15 Anm. 4; vgl. zur Röntgenreihenuntersuchung BVerwG NJW 1987, 2950, 2951; vgl. auch Pschyrembel a.a.O. Stichwort "Strahlenschäden"), kann den Körper in einer Weise belasten, die als - gegebenenfalls strafbare - Körperverletzung zu werten ist. Wann das im Einzelfall zu bejahen ist, hat der Tatrichter unter Beachtung der normativen Vorgaben (nicht nur unwesentliche Erhöhung der Gefahr von Langzeitschäden) mit sachverständiger Hilfe zu entscheiden. Die in den gesetzlichen Vorschriften enthaltenen Grenzwerte (Höchstdosen), die für eine rechtmäßige Strahlenexposition gelten, bilden dabei keine Schwelle, unterhalb der Körperverletzung infolge rechtswidriger Exposition aus Rechtsgründen zu verneinen wäre.
In den Fällen, in denen eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne von § 223 StGB zu bejahen ist, wird eine das Leben gefährdende Behandlung (§ 223 a StGB) gegeben sein (vgl. BGHSt 36, 8, 9; 265, 266).
Auch versuchte gefährliche Körperverletzung kann in Fällen, in denen sich eine relevante Erhöhung der Gefahr von lebensbedrohlichen Langzeitschäden im Einzelfall nicht feststellen läßt, in Betracht kommen.
Daß der Gesetzgeber die Gesundheitsgefährdung durch ionisierende Strahlen in § 311 a StGB besonders strafbewehrt hat, steht einer Bewertung der Auswirkungen von Strahlenbelastungen (Gesundheitsgefährdung infolge bereits eingetretener Zellschäden) als Körperverletzung nicht entgegen (vgl. § 229 StGB).
4. Keinen Bestand haben konnte der gesamte Strafausspruch, die Einzelstrafen für die verbleibenden Taten und die Gesamtstrafe müssen neu bemessen werden.
Im übrigen weist das Urteil keine den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß die Nichtanwendung von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB dann einer ausdrücklichen Erörterung bedarf, wenn nach den besonderen Umständen eine Gesamtstrafe aus verwirkten Freiheits- und Geldstrafen als das schwerere Übel erscheint (BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 1, 2, 3, 4; Nichteinbeziehung 2; Einbeziehung 1).
Externe Fundstellen: BGHSt 43, 346; NJW 1998, 833; NStZ 1999, 132; StV 1998, 200
Bearbeiter: Rocco Beck