HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1062
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 38/15, Beschluss v. 28.07.2015, HRRS 2015 Nr. 1062
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 19. Juni 2014 aufgehoben
a) in den Fällen II. 2., 3., 7., 8., 13., 15., 16. und 19. bis 22. der Urteilsgründe mit den das Gebrauchmachen der Urkunden betreffenden Feststellungen,
b) im Gesamtstrafenausspruch sowie im Ausspruch über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mit den zugehörigen Feststellungen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, von denen drei Monate als vollstreckt gelten. Im Hinblick auf eine weitere dem Angeklagten vorgeworfene Tat hat es das Verfahren eingestellt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte ein Autohaus. Er erstellte im Zusammenhang mit 24 in den Jahren 2004 und 2005 erfolgten Fahrzeugverkäufen Quittungen, ausweislich derer die Kunden die Auszahlung von Bargeldbeträgen zwischen 500 bis zu 4.500 Euro bestätigten. Tatsächlich aber hatten die Kunden - bis auf einen Fall - den jeweils ausgewiesenen Betrag nicht erhalten und - in allen Fällen - die Unterschrift auf der Quittung nicht geleistet. Diese hatte vielmehr der Angeklagte entweder selbst angebracht oder aber die Unterschrift durch einen Dritten veranlasst.
Die dergestalt gefälschten Auszahlungsquittungen reichte der Angeklagte jeweils bei der das Kassenbuch führendenden Mitarbeiterin des Autohauses ein. Anhand der Quittungen und des Kassenbuchs erfolgte letztlich die Kontierung bei der mit der Buchführung des Autohauses betrauten Steuerkanzlei.
Den Feststellungen liegen insgesamt 24 von dem Angeklagten gefälschte und eingereichte Auszahlungsquittungen mit teilweise identischen Ausstellungsdaten zugrunde. Hiervon ausgehend hat das Landgericht den Angeklagten wegen (gewerbsmäßig begangener) Urkundenfälschung in 24 Fällen für schuldig befunden.
Den Verfahrensrügen ist der Erfolg versagt.
1. Die Rüge des Angeklagten, das Landgericht habe seine Überzeugung entgegen § 261 StPO nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft, hat im Ergebnis keinen Erfolg.
a) Zwar hat das Landgericht ein nicht in die Hauptverhandlung eingeführtes schriftliches Gutachten wörtlich verwertet.
Das Gericht hat seine Überzeugung davon, dass in keinem der 24 Fälle die auf den Quittungen angebrachte Unterschrift von dem angeblichen Aussteller stammt, auch auf das schriftliche Gutachten der Schriftsachverständigen Prof. Dr. H. gestützt, das es zu diesem Zweck auf ca. 100 Urteilsseiten im Wortlaut wiedergegeben hat. Eine förmliche Verlesung dieses Gutachtens ist indes in der Hauptverhandlung nicht erfolgt. Die Sachverständige hat, was in den Urteilsgründen mitgeteilt wird, die von ihr verglichenen Unterschriften lediglich an die Wand des Sitzungssaals projiziert und ihr Gutachten dabei in freier Rede erstattet.
Wird ein nicht verlesenes Schriftstück ohne einen Hinweis auf eine bestätigende Erklärung einer in der Hauptverhandlung vernommenen Auskunftsperson im Urteil wörtlich wiedergeben, so deutet schon dies in der Regel darauf hin, dass der Wortlaut selbst zum Zwecke des Beweises verwertet worden ist und nicht nur eine gegebenenfalls auf einen Vorhalt abgegebene Bekundung (Senat, Urteil vom 6. September 2000 - 2 StR 190/00, NStZ-RR 2001, 18). Ungeachtet dessen ist den Urteilsgründen ein Anhalt dafür, dass die Sachverständige auf einen Vorhalt hin eine das schriftliche Gutachten bestätigende Erklärung abgegeben hat, nicht zu entnehmen. Zudem enthält das vorliegend in dem Urteil wörtlich zitierte schriftliche Gutachten umfangreiche, sowohl inhaltlich wie sprachlich komplex gestaltete Textpassagen, in denen nicht nur die verglichenen Unterschriften bildlich dargestellt, sondern auch im Einzelnen bewertet werden. Die Einzelheiten dieses Gutachtens, insbesondere der genaue Wortlaut, können nach der Lebenserfahrung von einer Sachverständigen auf Vorhalt nicht wiedergegeben werden. Der Senat schließt daher aus, dass das Landgericht den Wortlaut der im Urteil zitierten Abschnitte des Gutachtens aufgrund der Angaben der Sachverständigen festgestellt hat.
b) Der Senat kann aber ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Die Strafkammer hat die mündlichen Ausführungen der Sachverständigen in allgemeiner Form geschildert und sich überdies davon, dass in keinem Fall die Unterschriften auf allen Quittungen von dem ausgewiesenen Aussteller stammen, auf die im Einzelnen dargestellten Aussagen aller 24 angeblichen Aussteller gestützt (UA S. 147 - 171).
2. Die weiteren Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 5. März 2015.
Dagegen hält das Urteil im Umfang der Aufhebung der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die bisher zu den Fällen II. 2., 3., 7., 8., 13., 15., 16. und 19. bis 22. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum Gebrauchen der gefälschten Überweisungsträger sind lückenhaft und erlauben dem Senat nicht die Beurteilung, ob das Landgericht den Angeklagten insoweit rechtsfehlerfrei wegen elf selbständiger Taten der Urkundenfälschung verurteilt hat.
a) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das Herstellen einer falschen Urkunde und das Gebrauchmachen von der gefälschten Urkunde jeweils nur eine Tat im Rechtssinne bilden (st. Rspr.; Fischer, StGB, 62. Aufl. § 267 Rn. 58 mwN). Dabei gebraucht der Täter die gefälschte Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB, wenn er sie in einer Weise vorlegt oder übergibt, dass der zu Täuschende in die Lage versetzt wird, von der Urkunde Kenntnis zu nehmen (Fischer aaO Rn. 36). Dies ist bei gefälschten Quittungen dann der Fall, wenn sie von dem Täter der Person vorgelegt werden, der gegenüber die Täuschung im Rechtsverkehr aus Sicht des Täters wirksam werden soll.
Vorliegend fehlen jedoch nähere Feststellungen zu den Umständen, insbesondere zu Zeit und Ort der Vorlage der gefälschten Quittungen bei der das Kassenbuch führendenden Mitarbeiterin des Autohauses. Darauf kommt es aber an. Denn wenn und soweit der Angeklagte mehrere der gefälschten Quittungen in einem einzigen Akt vorlegte, etwa indem er die Quittungen „gebündelt“ weiterreichte, lag nur eine Handlung im natürlichen Sinne und deshalb auch nur rechtlich eine Tat des Gebrauchmachens im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB vor, und zwar unabhängig von der Anzahl der zeitgleich vorgelegten Quittungen und unabhängig davon, ob diese das gleiche Verkaufsgeschäft betrafen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. September 2005 - 2 StR 342/05, NStZ 2006, 100; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2008 - 4 StR 648/07, wistra 2008, 182).
b) Hiervon ausgehend besteht Grund für die Annahme, dass der Angeklagte jedenfalls die unter dem gleichen Datum ausgestellten Quittungen in den Fällen II. 2. und 3. (16. November 2004), II. 7. und 8. (22. Dezember 2004), II. 13., 15. und 16. (14. April 2005), II. 19. und 20. (30. August 2005) und in den Fällen II. 21. und 22. (2. September 2005) zeitgleich vorgelegt hat und ihm deshalb nur jeweils eine Tat zur Last fällt.
Über die Sache ist deshalb in den vorgenannten Fällen unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes neu zu entscheiden. Neuer Feststellungen bedarf es jedoch nur zu den tatsächlichen Umständen des Gebrauchmachens von den vom Angeklagten gefälschten Überweisungsträgern. Die übrigen Feststellungen können dagegen bestehen bleiben.
2. Die Aufhebung des Urteils in den genannten Fällen entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage, der auch für sich genommen rechtlichen Bedenken begegnet, da das Landgericht sich bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten auffallend weit von der Einsatzstrafe von sechs Monaten entfernt hat, ohne dies in gebotener Weise besonders zu begründen (vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 2 StR 446/10; Beschluss vom 5. August 2010 - 2 StR 340/10).
3. Der Ausspruch über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat keinen Bestand. Die Kammer hat den Umfang der von ihr angenommenen Verfahrensverzögerung nicht dargelegt, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob die angeordnete Kompensation dem angenommenen Konventionsverstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG angemessen Rechnung trägt.
a) Da zwischen der Aufnahme der Ermittlungen im Jahre 2007 und dem Urteil im Jahre 2014 rund sieben Jahre liegen, ist das Landgericht von einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung ausgegangen. Insbesondere aufgrund der Belastungssituation der Strafkammer sei das Verfahren verzögert worden; insofern hätte bei einer strafferen Terminierung das Verfahren rund ein Jahr früher beendet werden können. Im Übrigen hat das Landgericht unter anderem auf den Umfang des Prozessstoffes hingewiesen.
b) Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat.
Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung sind als Grundlage der Kompensation Art, Ausmaß und Ursachen der Verfahrensverzögerung zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung angenommen - die gesamte Verfahrensdauer von der Aufnahme der Ermittlungen bis zum Abschluss der Hauptverhandlung uneingeschränkt und pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesehen werden kann. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass in diesem Zeitraum auch notwendige, den Fortgang des Verfahrens fördernde Tätigkeiten vorgenommen wurden, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen und dauern durfte, ohne dass darin eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesehen werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2008 - 3 StR 514/07). Es wird deshalb festzustellen sein, welcher Zeitraum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen in den verschiedenen Verfahrensstadien (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) beansprucht werden durfte. Dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08; Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08).
c) Es ist nicht auszuschließen, dass sich die nur unzureichend getroffenen Feststellungen zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt haben. Der Senat hebt die gesamte Kompensationsentscheidung auf, um dem neuen Tatrichter die Möglichkeit zu einer umfassenden Neubewertung zu geben. Dabei wird das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu beachten sein (vgl. Senat, Beschluss vom 12. September 2013 - 2 StR 226/13; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 StR 502/13).
Die ungenügenden Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung waren aufzuheben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1062
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede