Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 168/98, Urteil v. 10.08.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 16. November 1992 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Störung des Fernmeldeverkehrs (§ 317 StGB) zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten, die das Urteil mit der Sachrüge angreifen, haben keinen Erfolg.
Hinsichtlich des Schuldspruchs bedarf näherer Erörterung nur die Verurteilung wegen vorsätzlicher Störung des Fernmeldeverkehrs. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte R., ersichtlich im Einvernehmen mit dem Mitangeklagten C., bei dem Raubüberfall auf ein Schmuckgeschäft das Kabel für das im Laden befindliche, an das öffentliche Fernsprechnetz angeschlossene Telefon aus der Wand gerissen, um einen telefonischen Hilferuf zu vereiteln (UA S. 9). Das Landgericht hat darin eine vorsätzliche Störung des Fernmeldeverkehrs gemäß § 317 Abs. 1 StGB gesehen; dagegen können rechtliche Einwände nicht mit Erfolg erhoben werden.
Zwar hat das Bayerische Oberste Landesgericht durch Beschluß vom 30. Oktober 1992 (NJW 1993, 1215) entschieden, infolge der Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes vom 1. Juli 1989 (BGBl. I, 1026) diene der mit dem öffentlichen Fernsprechnetz verbundene Einzelanschluß einer Privatperson nicht mehr öffentlichen Zwecken im Sinne des § 317 Abs. 1 StGB. Der Senat kann dieser Entscheidung, die in bewußter Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 25, 370; in gleicher Weise schon RGSt 29, 244, 245; RG JW 1920, 1036; OLG Hamm JMBlNW 1966, 94) ohne Vorlegung gemäß § 121 Abs. 2 GVG getroffen wurde, nicht beitreten.
Das Bayerische Oberste Landesgericht begründet seine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung damit, daß entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 1 TelekommunikationsVO (i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. Oktober 1992 <BGBl. I 1717>) die Deutsche Bundespost - Telekom dem Nutzer lediglich den Anschluß des Telefondienstes bereitzustellen hat. Ob und mit welchen Endeinrichtungen sich der private Teilnehmer an diese Abschlußeinrichtung des Netzes anschließt, sei seine Sache. Daneben hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert; die früher technikbedingte Zwangsverbindung zwischen den Anschlußgeräten und dem Fernmeldenetz sei durch die Einführung des "Steckdosenprinzips" ersetzt worden; der Zwangseintrag in das amtliche Teilnehmerverzeichnis sei entfallen (§ 10 Abs. 3 Telekom-DatenschutzVO vom 24. Juni 1991 - BGBl. I, 1390).
Diese vom Bayerischen Obersten Landesgericht an sich zutreffend dargelegte Veränderungen in den rechtlichen Grundlagen und der tatsächlichen Handhabung des Fernmeldeverkehrs geben jedoch keinen Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung zu § 317 StGB abzugehen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der störende Eingriff vor oder hinter der - fest oder als Steckdose installierten - Anschlußeinrichtung erfolgt.
Außer Frage steht, daß das Fernsprechnetz insgesamt öffentlichen Zwecken dient; das wird auch vom Bayerischen Obersten Landesgericht nicht angezweifelt. Tatsächlich wäre das öffentliche Leben - so wie es sich weltweit entwickelt hat - ohne ein funktionierendes Telefonnetz nicht denkbar. Nicht nur Regierungs- und Verwaltungstätigkeit, auch Handelsverbindungen und soziale Beziehungen wie insbesondere die Verständigung von Ärzten oder Polizei werden heute weitgehend über das Telefon abgewickelt. Dieses Kommunikationsnetz ist ohne private Anschlüsse nicht voll funktionsfähig; nur die Gesamtheit aller Anschlüsse gewährleistet die umfassende Kommunikation. Damit dient aber auch der private Anschluß mittelbar dem Betrieb der Fernmeldeanlage (Mahnkopf JuS 1982, 885, 886; ebenso Wolff in LK 10. Aufl. § 317 Rdn. 3; Dreher/Tröndle, StGB 46. Aufl. § 317 Rdn. 2; Lackner StGB 19. Aufl. § 317 Rdn. 2; Olshausen StGB 11. Aufl. § 317 Anm. 3; Krause JR 1975, 380; a.A. Cramer in Schönke/Schröder, StGB 23. Aufl. Rdn. 4; Horn in SK 4. Aufl. § 317 Rdn. 5; Hahn Archiv P. T. 1992, 37, 44).
Die Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich demgegenüber das Bayerische Oberste Landesgericht stützt, sind in diesem Zusammenhang ohne grundlegende Bedeutung. Diese Argumentation verkennt, daß § 317 StGB den Betrieb des Fernmeldesystems unter Schutz stellt; für diesen Schutzzweck ist unerheblich, wer für Anschluß und Betrieb der Endeinrichtungen verantwortlich ist und wem diese gehören. Auch aus dem Steckdosensystem und dem Wegfall der Zwangseintragung in das amtliche Teilnehmerverzeichnis ergeben sich keine grundsätzlichen Einwände gegen die bisherige Rechtsprechung. Zwar erscheinen, soweit es sich um die Außerbetriebsetzung oder Beschädigung privater Fernsprechanschlüsse handelt, Einschränkungen in der Anwendung des § 317 StGB geboten. So wie außer Frage steht, daß niemand verpflichtet ist, einen Anruf entgegenzunehmen, muß es nach Einführung des Steckdosensystems auch jedem Teilnehmer freistehen, die Verbindung durch Herausziehen des Steckers zu unterbrechen. Was gilt, wenn die Unterbrechung auf andere Weise erfolgt - so wenn der Berechtigte das ihm gehörende Kabel durchschneidet - bedarf hier ebenso wie die Frage fahrlässiger Beschädigungen des Anschlußgeräts (vgl. Momberg JZ 1982, 574) keiner Entscheidung. Jedenfalls ist der Tatbestand des § 317 StGB bei der Beschädigung oder Stillegung eines privaten Telefonanschlusses dann erfüllt, wenn sie gegen den Willen der Betreibergesellschaft und des Anschlußinhabers erfolgen. So war es hier. Tatsächlich wurde die Geschädigte durch die Zerstörung ihres Telefonanschlusses gehindert, bei der Polizei rasch Hilfe zu rufen; gerade diese Situation macht deutlich, daß auch die Funktionsfähigkeit des privaten Telefonanschlusses im öffentlichen Interesse liegt.
Auch der Strafausspruch weist keine Rechtsfehler auf. Die Strafkammer durfte zum Nachteil der Angeklagten berücksichtigen, daß ihr Opfer durch das Vorhalten der Gaspistole in Todesangst geriet. §§ 249, 250 StGB sind bereits mit einer Drohung gegen die körperliche Unversehrtheit erfüllt. § 46 Abs. 3 StGB ist durch die zur Art und Ausmaß der Drohung kennzeichnende Erwägung nicht berührt (vgl. BGH bei Detter NStZ 1992, 477, 478).
Externe Fundstellen: BGHSt 39, 288; NJW 1993, 2946; NStZ 1994, 190; NStZ 1994, 587; StV 1993, 641
Bearbeiter: Rocco Beck