HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 713
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 284/05, Urteil v. 11.08.2006, HRRS 2006 Nr. 713
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 18. März 2004 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte wurde wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Herbeiführen einer - weiteren - Sprengstoffexplosion und mit Beförderung von Sprengstoff zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Der näheren Erörterung bedürfen nur folgende Beanstandungen:
Mit der von Rechtsanwältin W. begründeten Rüge wird behauptet, der Angeklagte sei am 8. Mai 2003, dem 126. Verhandlungstag, ab 11.14 Uhr nicht verteidigt gewesen. Diese Behauptung eines Verfahrensfehlers ist, wenn nicht schon von Anfang an bewusst wahrheitswidrig aufgestellt, so jedenfalls seit der Kenntnis vom Inhalt der dazu abgegebenen dienstlichen Erklärungen wider besseres Wissen aufrechterhalten und dem Revisionsgericht zur Entscheidung unterbreitet worden. Die Weiterverfolgung der Rüge unter Berufung auf das als unrichtig erkannte Protokoll ist rechtsmissbräuchlich; damit ist die Rüge unzulässig geworden.
1. Das ursprünglich gefertigte Protokoll enthielt zum Ablauf dieses Sitzungstages - soweit es hier von Bedeutung ist - folgende Angaben:
09.17 Aufruf, für den Angeklagten sind erschienen Rechtsanwältin St. und Rechtsanwältin Stu. als Vertreterin von Rechtsanwältin W.
09.20 Zeugin Se. wird hereingerufen und vernommen
10.15 Unterbrechung
10.37 Fortsetzung, Rechtsanwalt E. nicht wieder erschienen
10.52 Rechtsanwalt von Sch. verlässt den Sitzungssaal
11.05 Rechtsanwalt Eu. verlässt den Sitzungssaal
11.10 Zeugin Se. wird entlassen
11.10 Rechtsanwältin Stu. verlässt den Sitzungssaal
11.12 Rechtsanwalt E. erscheint wieder
11.12 Rechtsanwalt B. verlässt den Sitzungssaal
11.13 Rechtsanwalt Eu. erscheint wieder
11.13 Zeuge I. wird hereingerufen und vernommen
11.14 Rechtsanwältin St. verlässt den Sitzungssaal
11.21 Rechtsanwalt Dr. K. verlässt den Sitzungssaal
11.22 Rechtsanwalt Dr. K. erscheint wieder
12.48 Zeuge I. wird entlassen
12.50 Sitzung geschlossen
Mit der Revision hat Rechtsanwältin W. gerügt, der Angeklagte sei an diesem Sitzungstag ab 11.14 Uhr nicht verteidigt gewesen. Daraufhin haben am 1. Juli 2005 die Vorsitzende und die Protokollführerin das Protokoll dadurch berichtigt, dass die Eintragung "11.14 Uhr Rechtsanwältin St. verlässt den Sitzungssaal" gestrichen wurde.
Zur Anwesenheit dieser Verteidigerin ist in dienstlichen Erklärungen folgendes bekundet worden:
Die Vorsitzende Richterin am Kammergericht H. hat erklärt: Aus ihrer persönlichen Mitschrift der Hauptverhandlung ergebe sich, dass Rechtsanwältin St. bei der Vernehmung des Beamten des Bundeskriminalamtes I. anwesend gewesen sei und Fragen an ihn gestellt habe. Im Übrigen zeige die Vorgeschichte ein erhebliches Interesse der Rechtsanwältin an der Vernehmung des Zeugen. Sie habe bei einer früheren Vernehmung des Zeugen deren Unterbrechung mit der Begründung beantragt, dass es zum Vernehmungsgegenstand (Vorhandensein einer konspirativen Wohnung in der O.straße) vermutlich weitere bisher nicht vorgelegte Protokolle gebe. Dies sei Gegenstand von Auseinandersetzungen mit dem Gericht gewesen, die auch zu einem Ablehnungsgesuch der Verteidigerin geführt hätten.
Richter am Kammergericht A. hat erklärt, er habe elf Seiten Mitschriften zur Vernehmung des Zeugen I. gefertigt, in denen zahlreiche Fragen der Rechtsanwältin St. an diesen Zeugen sowie deren Anregung, auch noch den Zeugen Schn. zu vernehmen, enthalten seien.
Richter am Kammergericht G. war von der Vorsitzenden beauftragt, die Anwesenheit der Verteidiger zu kontrollieren und darüber Aufzeichnungen zu machen. Nach diesen zu den Akten übergebenen Aufzeichnungen war Rechtsanwältin St. an diesem Sitzungstag durchgehend anwesend.
Richter am Kammergericht Ha. hat bekundet, ausweislich seiner Aufzeichnungen über die Anwesenheit der Verteidiger habe Rechtsanwältin St. den Sitzungssaal nicht verlassen und am Ende der Zeugenvernehmung die Ladung der Zeugen Schm. und Schn. angeregt.
Bundesanwalt Br. hat erklärt, er habe Staatsanwalt Wa. beauftragt, ein Wortprotokoll über diesen Sitzungstag zu fertigen, und dieses mit ihm abgestimmt. In dem zu den Akten gereichten Protokoll sind 20 Fragen oder Vorhalte der Rechtsanwältin St. an den Zeugen I. im Wortlaut wiedergegeben.
Diese dienstlichen Erklärungen sind mit den übergebenen Aufzeichnungen den Verteidigern des Angeklagten mitgeteilt worden. Sie haben zu deren Richtigkeit keine Erklärungen abgegeben. In der Revisionshauptverhandlung hat Rechtsanwältin W. erklärt, dass sie als Erkenntnisquelle für die Behauptung der Abwesenheit von Rechtsanwältin St. lediglich das Protokoll habe. Nach Durchsicht des Protokolls habe sie noch mit Rechtsanwältin St. und dem Angeklagten Rücksprache genommen, die sich jedoch an den Vorgang nicht hätten erinnern können. Auf die weitere Frage, ob es ihr nicht zu denken gebe, dass in den dienstlichen Erklärungen der Rügebehauptung dezidiert entgegengetreten werde, hat sie geantwortet: "Im Rahmen meiner Rechtsansicht nein".
2. Der Senat ist davon überzeugt, dass Rechtsanwältin St. am 8. Mai 2003 um 11.14 Uhr den Sitzungssaal nicht verlassen hat und bei der Vernehmung des Zeugen I. anwesend war. Die mehrfachen, eindeutigen, durch Aufzeichnungen belegten dienstlichen Erklärungen lassen daran keinen Zweifel. Dies wird auch bestätigt durch das Verhalten der Verteidigerin Rechtsanwältin St., die den Erklärungen nicht entgegengetreten ist.
Er ist weiter davon überzeugt, dass Rechtsanwältin W. den wahren Sachverhalt kennt. Es ist bereits in hohem Maße wahrscheinlich, dass dieser ihr schon bei Fertigung der Revisionsbegründung bekannt war. Der Angeklagte wurde von den Rechtsanwältinnen St. und W. gemeinsam als "Stammverteidiger" verteidigt, während weitere Verteidiger im Wesentlichen nur für Vertretungsfälle zum Einsatz kamen. Eine solche gemeinsame Verteidigung setzt die gegenseitige Information über solche Verfahrensvorgänge voraus, bei denen einer von beiden nicht anwesend ist. Wie sich aus der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden ergibt, war zudem die Vernehmung des Zeugen I. von erheblichem Interesse für die Verteidigung. Es erscheint daher - schon im Hinblick auf die Fortführung der weiteren Verteidigung und die Schlussvorträge - wenig glaubhaft, dass es im Anschluss an den Sitzungstag nicht zeitnah zu einer Kontaktaufnahme zwischen beiden Verteidigerinnen gekommen ist, bei der Rechtsanwältin St. ihre Mitverteidigerin über die wesentlichen Ergebnisse der Befragung informiert hat. Jedenfalls hat Rechtsanwältin W. mit Erhalt der dienstlichen Erklärungen sicheres Wissen erlangt, dass die behauptete Abwesenheit nicht der Wahrheit entspricht. In diesen Erklärungen wird die tatsächliche Anwesenheit der Verteidigerin nicht nur pauschal, sondern - zudem aus der Sicht unterschiedlicher Beteiligter - substantiiert unter Vortrag zahlreicher Einzelheiten und unter Vorlage detaillierter Aufzeichnungen versichert. Es ist nicht vorstellbar, dass Rechtsanwältin W. nach Kenntnisnahme dieser Erklärungen und der beigefügten Aufzeichnungen die Abwesenheit ihrer Mitverteidigerin überhaupt noch für möglich hielt. Das gilt selbst dann, wenn sich Rechtsanwältin St., was sich aber ebenfalls der Vorstellungskraft des Senats entzieht, auf Nachfrage an die in Rede stehende Vernehmung des Zeugen I. nicht erinnern konnte oder dies behauptet hat.
3. Auch im Strafprozess gilt - ebenso wie in anderen Prozessordnungen - ein allgemeines Missbrauchsverbot. Zwar enthält die Strafprozessordnung keinen generellen Missbrauchstatbestand. Jedoch sind in ihr Sonderfälle wie der Missbrauch des Fragerechts in § 241 Abs. 1 i. V. m. § 239 Abs. 1 StPO und der Missbrauch des Verteidigerrechts in § 138 a Abs. 1 Nr. 2 StPO geregelt. Der Gedanke der Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs liegt auch den Vorschriften der § 26 a Abs. 1 Nr. 3, § 29 Abs. 2, § 137 Abs. 1 Satz 2, § 244 Abs. 3 Satz 2 ("Prozessverschleppung"), § 245 Abs. 2 Satz 3 und § 266 Abs. 3 Satz 1 StPO zugrunde (vgl. Meyer JR 1980, 219 f.). Für andere Fälle des Missbrauchs prozessualer Befugnisse im Strafverfahren, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat, gilt - wie in jedem Prozess - das allgemeine Missbrauchsverbot (BGHSt 38, 111, 112 f.; BGH StV 2001, 100 f. und 101; KG JR 1971, 338 mit zust. Anm. Peters; Weber GA 1975, 289, 295; Fahl, Rechtsmissbrauch im Strafprozess S. 68 ff., 124 ff.; Niemöller StV 1996, 501 ff.; Fischer NStZ 1997, 212, 216 f.; Kudlich NStZ 1998, 588 ff.; Roxin in FS für Hanack S. 1, 19 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. Einl. Rdn. 111; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. vor § 226 Rdn. 49; Pfeiffer in KK 5. Aufl. Einl. Rdn. 22 a). Gegen diese Auffassung wenden sich einige Stimmen mit der Befürchtung, es könne von den Gerichten Missbrauch mit einem allgemeinen Missbrauchsverbot getrieben werden (Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Einl. J Rdn. 36; Kühne, Strafprozessrecht 6. Aufl. Rdn. 293; Fezer in FS für Ulrich Weber S. 475 ff.). Diesem dogmatisch ohnehin wenig gewichtigen Argument ist entgegenzuhalten, dass seit der grundlegenden Anerkennung eines allgemeinen Missbrauchsverbotes durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 38, 111 nunmehr fast 15 Jahre vergangen sind, ohne dass sich diese Befürchtung bestätigt hätte. Die sehr seltenen Entscheidungen, in denen davon Gebrauch gemacht worden ist, belegen eine ausgesprochene Zurückhaltung der Praxis.
4. Ein Missbrauch prozessualer Rechte ist dann anzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter die ihm durch die Strafprozessordnung eingeräumten Möglichkeiten zur Wahrung seiner verfahrensrechtlichen Belange benutzt, um gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke zu verfolgen (BGHSt 38, 111, 113). Einen solchen Rechtsmissbrauch begeht auch ein Beschwerdeführer, der in einer Verfahrensrüge einen Verfahrensverstoß behauptet, obwohl er sicher weiß, dass sich dieser nicht ereignet hat (Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren S. 156 f.). Denn er verfolgt mit ihr verfahrenswidrige Zwecke. Eine Verfahrensrüge dient dazu, geschehene Verfahrensfehler zu korrigieren (Fahl aaO S. 689). Nur dann, wenn das Verfahrensrecht tatsächlich verletzt worden ist und entweder ein absoluter Revisionsgrund eingreift oder das Beruhen des Urteils auf dem Fehler nicht ausgeschlossen werden kann, unterliegt das Urteil der Aufhebung. Liegt dagegen der behauptete Verfahrensfehler nicht vor, ist - sofern nicht andere Aufhebungsgründe gegeben sind - die Revision zu verwerfen; das Urteil hat dann Bestand. Diesem Zweck der Verfahrensrüge würde es zuwiderlaufen, wenn man einem Rechtsmittelführer gestatten würde, durch die bewusst wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers ein Urteil zu Fall zu bringen, von dem er sicher weiß, dass es insoweit in einem fehlerfreien Verfahren ergangen ist.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es an der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke fehle und die Erhebung einer bewusst unwahren Rüge jedenfalls dann zulässig sein müsse, wenn es dem Verteidiger darum gehe, ein materiell für unrichtig gehaltenes Urteil zu Fall zu bringen (so Cüppers NJW 1951, 259; Schneidewin MDR 1951, 193, 194). Ein solches Fernziel kann das prozessrechtswidrige Vorgehen nicht rechtfertigen (Dallinger - "Der Zweck heiligt nicht die Mittel." - NJW 1951, 256, 257; Fahl aaO S. 688; vgl. auch Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 600). So kann ein Verteidiger auch nicht zu unlauteren Mitteln greifen, um eine drohende - nach seiner Auffassung nicht gerechtfertigte - Verurteilung zu verhindern, indem er etwa einen zum Meineid entschlossenen Zeugen präsentiert oder gefälschte Urkunden vorlegt (vgl. Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers S. 53, 83). Insofern gilt nichts anderes als umgekehrt für den Staatsanwalt oder den Nebenkläger. Für ihre Seite wird kaum zu vertreten sein, dass sie bewusst eine unwahre Verfahrensrüge erheben dürfen, um einen für unrichtig gehaltenen Freispruch zu revidieren (vgl. Fahl aaO S. 691; vgl. aber Park StraFo 2004, 335, 337 f.).
5. Ein missbräuchliches Verhalten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Erhebung einer bewusst wahrheitswidrigen Verfahrensrüge sich auf die Beweiskraft eines - als fehlerhaft erkannten - Protokolls stützen kann. Ein solcher Sachverhalt wird in der Literatur vielfach mit dem plakativen Begriff "unwahre Protokollrüge" bezeichnet (vgl. Tepperwien aaO S. 595).
a) Die Frage, ob eine bewusst "unwahre Protokollrüge" zulässig ist, hat die Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden. In der Literatur ist sie heftig umstritten.
Überwiegend wird die Auffassung vertreten, die sich aus § 274 StPO ergebende Beweiskraft erlaube einem Verteidiger, sich ein unrichtiges Protokoll uneingeschränkt zunutze zu machen und eine bewusst "unwahre Protokollrüge" zu erheben (vgl. u. a. Schneidewin aaO.; Park aaO; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 292-294; Beulke, Der Strafverteidiger im Strafverfahren 1980 S. 156 f.; Schlüchter/Frister in SKStPO § 274 Rdn. 24); nach Cüppers besteht insoweit nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht (NJW 1950, 930 ff. und NJW 1951, 259). Dahs hat dies dahin formuliert, dass in diesem Bereich des Revisionsverfahrens ein Rechtsanwalt "nach Herzenslust, besser: nach Rechtslust lügen darf und muss" (StraFo 2000, 181, 185; vgl. auch Handbuch des Strafverteidigers 7. Aufl. Rdn. 917 ff.).
Andere halten die Erhebung einer bewusst "unwahren Protokollrüge" für rechtsmissbräuchlich (Fahl aaO S. 665 ff.; Dallinger NJW 1951, 256 ff.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 274 Rdn. 21). Teilweise wird hierin ein lediglich standeswidriges Verhalten gesehen, das jedoch die prozessuale Zulässigkeit nicht berühre (Dünnebier in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl. vor § 137 Rdn. 17 f.). Tepperwien (aaO S. 601 f.) sieht zwar in einer bewusst "unwahren Protokollrüge" einen Rechtsmissbrauch, möchte jedoch aus pragmatischen Gründen hieraus keine Konsequenzen ziehen und die Rüge für zulässig erachten.
b) Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. April 1999 (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21; vgl. auch 24 und 27) erwogen hat, handelt ein Beschwerdeführer, der bewusst wahrheitswidrig einen Verfahrensverstoß behauptet und sich zum Beweis auf ein als unrichtig erkanntes Protokoll beruft, rechtsmissbräuchlich.
Es gibt keine durchgreifenden Gründe, die bewusst "unwahre Protokollrüge" im Hinblick auf einen Rechtsmissbrauch anders zu beurteilen, als eine sonstige bewusst unwahre Verfahrensrüge:
aa) Es trifft insbesondere nicht zu, dass eine bewusst "unwahre Protokollrüge" keine Lüge sei, dass jedenfalls der Verteidiger insoweit lügen dürfe oder gar müsse oder dass durch § 274 StPO eine "prozessuale Wahrheit" geschaffen werde (so aber Cüppers aaO; Schneidewin aaO; Park aaO; Sarstedt/Hamm aaO; Dahs aaO). Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht aus Unwahrheit keine Wahrheit. Die Vorschrift enthält vielmehr eine Beweisregel (Dünnebier aaO; Fahl aaO S. 687). Die Ebenen der Behauptung eines Verfahrensfehlers und seines Beweises dürfen nicht vermengt, sondern müssen streng getrennt werden (so zutreffend Dallinger aaO S. 257). Eine zulässige Verfahrensrüge erfordert zunächst die bestimmte Behauptung eines Verfahrensfehlers, erst danach stellt sich die Frage des Beweises. Deshalb besagt die Beweisbarkeit einer unwahren Behauptung nichts über deren Zulässigkeit.
bb) Die Entscheidungen RGSt 43, 1 und BGHSt 2, 125 stehen der Auffassung des Senats nicht entgegen. Sie befassen sich ausdrücklich lediglich mit der Frage, ob einer Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung der Boden entzogen werden kann, nicht aber mit der Zulässigkeit einer bewusst "unwahren Protokollrüge". Soweit ein Recht zur Erhebung solcher Rügen aus einzelnen Begründungselementen dieser Entscheidungen hergeleitet wird (vgl. Park StraFo 2004, 335, 337), kann dahin stehen, ob diese Wendungen nicht lediglich objektiv unrichtige, sondern tatsächlich auch bewusst wahrheitswidrige auf das Protokoll gestützte Rügen im Blick hatten (vgl. dazu ausführlich Fahl aaO S. 681 ff.). Denn der Senat wäre an die Auffassung seines Vorgängersenates ebenso wenig wie an die des Reichsgerichts gebunden. Im Übrigen hat sich die Rechtslage mit Anerkennung eines allgemeinen Missbrauchsverbotes in BGHSt 38, 111 ff. verändert. Immerhin hatte aber bereits das Reichsgericht in der genannten Entscheidung darauf hingewiesen, dass von einem Recht auf Geltendmachung der Unwahrheit in solchen Fällen nicht gesprochen werden könne und es sich nur um die "Möglichkeit handle, eine prozessrechtliche Befugnis zu tatsächlich wahrheitswidrigen Zwecken zu missbrauchen" (aaO S. 6).
cc) Der Vorschrift des § 274 StPO kann nicht entnommen werden, der Missbrauch von Verfahrensrügen unter Berufung auf das Protokoll sei "institutionell eingeplant" (so aber Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren S. 237). Dessen Beweiskraft hat lediglich zur Folge, dass ein beurkundeter Sachverhalt ohne Rücksicht auf das tatsächliche Geschehen als bewiesen gilt und somit ein Verteidiger mit einer auf gutem Glauben oder auch nur auf einer unsicheren Erinnerung basierenden Rüge erfolgreich sein kann, obgleich der Verfahrensfehler sich tatsächlich nicht ereignet hat. Nur dies ist "institutionell eingebaut", nicht aber der (wissentliche) Missbrauch des Rügerechts (vgl. auch Fahl aaO S. 689).
dd) Gegen die Anwendung des Missbrauchsverbots bei bewusst "unwahren Protokollrügen" kann nicht eingewandt werden, durch deren freibeweisliche Klärung werde faktisch die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO ausgehöhlt. Diese behält vielmehr ihre Bedeutung nicht nur in allen Fällen, in denen unklar ist, ob sich der Verstoß ereignet hat, sondern auch dann, wenn sich die Rüge zwar als objektiv unwahr erweist, der Verteidiger dies aber entweder nicht weiß oder ihm jedenfalls sicheres Wissen um die Unwahrheit nicht nachgewiesen werden kann. In solchen Fällen kann ein Beschwerdeführer sich auf das seinen Vortrag stützende Protokoll berufen, auch wenn es objektiv dem Geschehensablauf nicht entspricht, ohne sich dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen. Im Ergebnis wird unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs die Berufung auf die Beweiskraft des Protokolls nur in den - eher seltenen - Fällen verwehrt, in denen die objektive Unwahrheit so klar zu Tage tritt, dass sie auch dem Verteidiger schlechterdings nicht verborgen geblieben sein kann.
ee) Es trifft auch der weitere Einwand nicht zu, die Gewichte würden sich grundlegend zum Nachteil eines Angeklagten verschieben, wenn dem Verteidiger die Erhebung einer bewusst "unwahren Protokollrüge" unmöglich gemacht wird, weil dann die vom Protokoll abweichende Wirklichkeit nur zu seinen Lasten, nicht aber zu seinen Gunsten maßgeblich sei. Dieses Bedenken relativiert sich von vorneherein dadurch, dass die Berufung auf ein - auch objektiv unrichtiges - Protokoll, wie dargelegt, in den meisten Fällen weiterhin möglich sein wird und nur dann dem Missbrauchsverbot unterfällt, wenn sie zur Stützung einer bewusst wahrheitswidrigen Rüge erfolgt. Zudem besteht die beklagte Unausgewogenheit tatsächlich nicht. Einer bewusst "unwahren Protokollrüge" entspricht bei einer solchen vergleichenden Betrachtung nämlich nicht ein zu Lasten des Angeklagten lediglich irrtümliches, also nur objektiv unrichtiges, sondern ein bewusst wahrheitswidrig gefertigtes Protokoll, bei dem die Unterzeichner den Nachweis eines Verfahrensfehlers, der sich tatsächlich ereignet hatte, durch eine entsprechende Formulierung des Protokolls bewusst vereiteln. Eine solche "Lüge" der Unterzeichner des Protokolls stellt eine Fälschung im Sinne des § 274 Satz 2 StPO dar (OLG Düsseldorf StV 1984, 108), die wie ein etwaiger Rechtsmissbrauch des Beschwerdeführers im Freibeweis festzustellen wäre und ebenfalls zum Wegfall der Beweiskraft führen würde (Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 274 Rdn. 19). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Pflicht zur Berichtigung eines unrichtigen Protokolls besteht, auf die die Verfahrensbeteiligten hinwirken können (vgl. Meyer-Goßner aaO § 271 Rdn. 23), und dass sich die Unterzeichner eines bewusst unrichtigen Protokolls nach § 348 Abs. 1 StGB wegen Falschbeurkundung im Amt strafbar machen, da ein Protokoll zumindest im Hinblick auf die für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten eine öffentliche Urkunde darstellt (vgl. RGSt 72, 226 f.; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 271 Rdn. 45). Entsprechendes muss gelten, wenn Amtsträger die Berichtigung eines als unrichtig erkannten Protokolls unterlassen (vgl. Gribbohm aaO § 348 Rdn. 18).
ff) Schließlich können auch die gegen die Anwendung des Missbrauchsverbotes bei der bewusst "unwahren Protokollrüge" vorgebrachten praktischen Bedenken nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Abgesehen davon, dass praktische Erwägungen es ohnehin kaum rechtfertigen können, einem klar erkennbaren oder sogar offen zugegebenen Missbrauch nicht entgegenzutreten (vgl. Fahl aaO S. 702), gilt im Einzelnen folgendes:
Der Einwand, ein Rechtsmissbrauch mit seinen objektiven und subjektiven Elementen erfordere regelmäßig die Durchführung eines Freibeweisverfahrens durch das Revisionsgericht und sei schwer zu beweisen (vgl. Tepperwien aaO S. 601), mag zwar die Konsequenzen zutreffend beschreiben. Er kann indes nicht überzeugen, da eine solche Klärung nur in den seltenen Fällen zum Tragen kommt, in denen die bewusst "unwahre Protokollrüge" klar zu Tage tritt. Insofern unterscheidet sich im Übrigen die Situation bei der bewusst "unwahren Protokollrüge" nicht von der bei anderen Anwendungsfällen des Missbrauchsverbots, für die entsprechende Beweisschwierigkeiten bestehen.
Soweit eingewandt wird, in vielen Fällen könne das Missbrauchsverbot durch Beauftragung eines anderen Revisionsverteidigers umgangen werden (vgl. Tepperwien aaO S. 601), kann auch dies nicht durchgreifen. Allerdings liegt die Verbreitung einer solchen Verteidigungspraxis nicht fern, zumal sie in Handbüchern ausdrücklich empfohlen wird (vgl. dazu Dahs, Handbuch des Strafverteidigers 7. Aufl. Rdn. 917 ff., 920: "Taktlose Fragen" von Revisionsrichtern nach der Wahrheit solle man dadurch umgehen, dass man einen anderen, nicht in der Hauptverhandlung anwesenden Rechtsanwalt mit der Verteidigung im Revisionsverfahren beauftragt, der hierzu im Stande der "Unberührtheit" gehalten werden solle). Es mag dahin gestellt bleiben, ob eine solche Umgehungsstrategie dem Bild der Strafverteidigung nach der Strafprozessordnung entspricht, woran der Senat allerdings Zweifel hat. Einer solchen Verfahrensweise kann jedenfalls in Fällen begegnet werden, in denen der Revisionsverteidiger einen Verfahrensverstoß behauptet, den er nur dem Protokoll entnimmt, für dessen Unrichtigkeit jedoch erhebliche Anhaltspunkte gegeben sind. In solchen Fällen wird er gehalten sein, sich bei dem in der Hauptverhandlung anwesenden Instanzverteidiger zu erkundigen (vgl. BGH NStZ 2005, 283 f.; BVerfG, Beschl. vom 22. September 2005 - 2 BvR 93/05). Schließlich wird es in besonders eklatanten Fällen - wie hier - vielfach möglich sein, auch dem beauftragten Revisionsverteidiger das Wissen um die Unwahrheit seiner Rüge nachzuweisen.
6. Auch eine unter Berufung auf das Protokoll erhobene Rüge, bei der der Beschwerdeführer zunächst nicht bewusst wahrheitswidrig gehandelt hat, kann im Laufe des Revisionsverfahrens rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig werden, wenn das sichere Wissen um die Unwahrheit später erworben, die Rüge aber gleichwohl weiterverfolgt und dem Revisionsgericht zur Entscheidung unterbreitet wird. Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfahrensrüge ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts abzustellen. Es ist kein Grund ersichtlich, einen erst im Laufe des Revisionsverfahrens entstehenden Rechtsmissbrauch folgenlos hinzunehmen. Nur so kann auch der Umgehung des Missbrauchsverbotes durch Beauftragung eines anderen Verteidigers, der im Unklaren über die Unwahrheit gelassen worden ist, begegnet werden.
7. Da nach alledem die Rüge der Verteidigerabwesenheit rechtsmissbräuchlich und unzulässig ist, kommt es auf die Frage, ob eine Protokollberichtigung berücksichtigt werden kann, durch die einer erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen wird, nicht an. Es ist somit auch nicht veranlasst, das nach Durchführung des Anfrageverfahrens des 1. Strafsenats zu dieser Frage (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 112) voraussichtlich zu erwartende Vorlageverfahren nach § 132 Abs. 2 GVG abzuwarten. Ausweislich des im Anfragebeschluss mitgeteilten Sachverhalts geht der anfragende Senat nicht davon aus, der Verteidiger habe dort den Verfahrensverstoß wider besseres Wissen behauptet.
8. Im Übrigen geben die Verfahrensvorgänge, die dieser und einer entsprechenden Rüge der Mitangeklagten Ec. zugrunde liegen, Anlass zu dem Hinweis, dass ein ständiges Kommen und Gehen, bei der Verteidiger gleichsam im Minutentakt den Sitzungssaal betreten oder verlassen, mit dem geordneten Ablauf einer Hauptverhandlung und den Anforderungen an eine sachgerechte Verteidigung schwerlich zu vereinbaren sind.
Die Rüge, die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens seien verletzt worden, weil die Vorsitzende in der Sitzungsverfügung Personen unter 16 Jahren den Zutritt versagt habe, ist unbegründet. Ist - wie hier - die Sicherheit im Gerichtsgebäude nicht ohne weiteres gewährleistet, dürfen im Rahmen einer Sicherheitsverfügung Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung regeln, getroffen werden, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht, wobei die Entscheidung hierüber im pflichtgemäßen Ermessen des die Sitzungspolizei ausübenden Vorsitzenden steht (BGHSt 27, 13).
Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende in Ziffer 2 dieser Verfügung Personen, die jünger als 16 Jahre sind, den Zugang generell versagt hat. Nach § 175 Abs. 1 GVG war sie befugt, unerwachsene Personen von der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschließen. Dass sie diese Befugnis im Rahmen einer Sicherheitsverfügung pauschal in der Weise ausgeübt hat, dass damit junge Menschen, die mehr als zwei Jahre unter der Volljährigkeitsgrenze sind, allgemein erfasst wurden, zeigt keinen Rechtsfehler auf. In Anbetracht der erforderlichen umfangreichen und personalintensiven Eingangskontrollen, die Wachtmeistern und Polizeikräften übertragen werden mussten, kann jedenfalls für diese Altersgruppe, bei der eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Fehlen der Erwachsenenreife spricht, eine individuelle Prüfung dieser Reife durch das Gericht nicht gefordert werden. Die Entscheidung des Reichsgerichts in RGSt 47, 374 steht dem nicht entgegen, da ihr keine vergleichbare Situation, die eine Sicherheitsverfügung erforderlich machte, zugrunde lag. Im Übrigen betraf sie 17-jährige Zuschauer und hatte für diese das Erfordernis einer individuellen Prüfung mit spezifischen Argumenten für diese Altersgruppe begründet (Heiratsfähigkeit, Zulassung zum Militärdienst).
Der Generalbundesanwalt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der gerügte Sachverhalt nicht die Verletzung von Verfahrensrecht, sondern von sachlichem Recht betrifft. Hierauf wird im Zusammenhang mit der Sachrüge eingegangen.
Die Rüge, das Kammergericht habe Aussetzungsanträge bis zur Herausgabe der vollständigen Gesprächsprotokolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Zeugen M. zu Unrecht abgelehnt, ist unbegründet. Das Tatgericht war weder unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), der Rücksichtnahme auf die Belange der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO), noch des fairen Verfahrens (Art. 6 MRK) verpflichtet, den Aussetzungsanträgen zu entsprechen; eine veränderte Sachlage im Sinne des § 265 Abs. 4 StPO war - entgegen der Auffassung der Revision - ohnehin nicht gegeben. Das Kammergericht hat in seinen Beschlüssen unter Orientierung an den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätzen die wesentlichen Belange - Wahrheitsermittlung einerseits, Verfahrensbeschleunigung andererseits - erkannt und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles gegeneinander abgewogen (BGH NStZ 1985, 466 ff.). Es hat dabei berücksichtigt, dass zwar bereits eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf Aufhebung der Sperrerklärung in erster Instanz vorgelegen hat, diese aber nicht rechtskräftig war und dass ihr im Übrigen nicht die Verpflichtung zur Herausgabe der ungeschwärzten Protokolle entnommen werden konnte. Angesichts einer Sachlage, die wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dass es nicht um die völlige Sperrung eines Zeugen als Beweisperson - wie sonst häufig im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 96 StPO - geht, sondern dass hier der Zeuge M. persönlich für eine außergewöhnlich lange Befragung im Ermittlungsverfahren und ebenso im späteren Hauptverfahren zur Verfügung gestanden hat, durfte das Kammergericht den geschwärzten Passagen eine allenfalls geringe potentielle Beweisbedeutung beimessen. Denn die Befragung des Zeugen durch den Verfassungsschutz hat erst nach Abschluss eines wesentlichen Teils der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren stattgefunden. Damit konnten aber die Aussageentwicklung zwischen Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung nachverfolgt und etwaige Abweichungen - wie geschehen - näher beleuchtet werden. Unter diesen Umständen lag kein Sachverhalt vor, aufgrund dessen sich das Gericht zur weiteren Aufklärung gedrängt sehen musste. Damit war eine Aussetzung nicht nur nicht geboten, sie hätte vielmehr dem Gebot der rechtsstaatlich geforderten Beschleunigung des Strafverfahrens widersprochen (BVerfGE 63, 45, 68 f.).
Das Kammergericht hat die nicht namentlich genannten Mitarbeiter des BfV zu Recht als unerreichbar angesehen. Hinsichtlich der übrigen benannten Zeugen kann offen bleiben, ob es den Beweisantrag mit der gegebenen Begründung als bedeutungslos ablehnen durfte, jedenfalls kann ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf der unterbliebenen Vernehmung zu der behaupteten Aussageänderung in einem Nebenpunkt, der nicht das Kerngeschehen betrifft, beruht.
Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Ka. wurde zu Recht als bedeutungslos abgelehnt. Zum einen ergibt sich aus der vorgelegten, vom Zeugen M. gefertigten Skizze entgegen den Angaben der Verteidigung nicht, dass der Wecker mit der Rückseite auf den Karton "aufgeklebt", sondern nur, dass er am Karton "angebracht" worden ist, was eine spätere Zugänglichkeit der Einstellrädchen nicht ausschließt; zum anderen geht das Kammergericht davon aus, dass der Sprengsatz später noch verändert worden ist. Eine solche Änderung kann sich aber neben der Zusammensetzung der Sprengstoffmischung auch auf die Art der Befestigung der Zündvorrichtung bezogen haben.
Der von der Revision beschriebene Widerspruch zur Zusammensetzung des Sprengstoffgemischs ergibt sich aus dem Urteil nicht, sondern besteht nur im Verhältnis zu eigenen, urteilsfremden "Feststellungen" der Verteidigung. Begründungselemente in Verteidigerschriftsätzen werden nicht dadurch zu Feststellungen des Gerichts, dass sie unwidersprochen bleiben.
Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise zulässigen "Alternativrüge", etwa wenn ein essentieller, nicht erklärlicher Widerspruch zwischen Akteninhalt und Urteilsgründen besteht (BGHSt 43, 212, 215 f.) oder der Akteninhalt die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellungen ohne weiteres beweist (BGH NJW 2000, 1962 f.) sind nicht gegeben. Es besteht kein solcher Widerspruch zwischen dem vorgetragenen Akteninhalt und den Urteilsgründen. Denn danach hat der Zeuge M. den Diebstahl von Kennzeichen von Doublettenfahrzeugen nur als Schlussfolgerung ( ... "gegen gestohlene des gleichen Wagentyps aus getauscht worden sein müssen") und als Information vom Hörensagen wiedergegeben, nicht als selbst erlebte oder beobachtete Tatsache. Bereits bei diesen Vernehmungen war ihm vorgehalten worden, dass tatsächlich nachgefertigte Doublettenkennzeichen eingesetzt worden sind, worauf er äußerte, dass es ihn nicht wundern würde, wenn solche Nachfertigungen hergestellt worden seien und dass er seinen Kenntnisstand lediglich von "J." habe. Bei dieser Sachlage war eine Erörterung in den Urteilsgründen, die sich nicht zu allen erdenklichen, sondern nur zu den wesentlichen Umständen verhalten müssen, nicht zwingend geboten, zumal die Angaben des M. zur Herkunft der Kennzeichen in der Hauptverhandlung noch eine weitere Klärung erfahren haben können.
Die Rüge enthält im Wesentlichen, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, sachlichrechtliche Angriffe gegen die Beweiswürdigung. Soweit mit ihr auch die sog. Alternativrüge erhoben werden soll, sind deren Voraussetzungen im Hinblick auf die nicht erörterten Herstellungsanleitungen in Schriften nicht erfüllt. Soweit die Erwähnung "obiger Vernehmungen des Zeugen M." vermisst wird, ist die Rüge nicht zulässig erhoben, da nicht hinreichend erkennbar ist, worin ein Widerspruch gesehen wird, der entweder zu weiterer Aufklärung oder zur Erörterung in den Urteilsgründen hätte führen müssen.
Auch dieses Vorbringen enthält keine zulässige Alternativrüge. Der Ablauf des Gültigkeitsdatums von Ausweisdokumenten beweist die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellungen nicht ohne weiteres. Denn auch die Mitnahme ungültiger Dokumente im Fluchtgepäck kann sinnvoll sein, wenn etwa die Absicht verfolgt wird, solche Papiere ebenso wie Notizbücher u. ä. der Polizei nicht in die Hände fallen zu lassen.
1. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte war bereits ab 1985 Mitglied der Revolutionären Zellen in Berlin. Er nahm zur Finanzierung dieser terroristischen Vereinigung an der sog. "Postsparbuchaktion" teil, bei der mit gefälschten Postsparbüchern Gelder betrügerisch erlangt wurden. Deswegen wurde er am 27. Februar 1989 durch das Landgericht Berlin wegen Betrugs verurteilt; die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB war nicht Gegenstand des Verfahrens. Das Kammergericht hat ihn in diesem Verfahren nur wegen der nach dieser Verurteilung begangenen mitgliedschaftlichen Betätigungsakte abgeurteilt, weil im Übrigen Strafklageverbrauch eingetreten sei. Die Revision rügt jedoch, dass gleichwohl solche früheren Betätigungen bei der Beweiswürdigung und der Strafzumessung zu seinen Lasten berücksichtigt worden seien; dies verstoße gegen § 51 Abs. 1 BZRG.
2. Es ist zweifelhaft, ob sich das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG nach der zwischenzeitlich getilgten Verurteilung wegen Betrugs auch auf davor liegende mitgliedschaftliche Betätigungsakte des Angeklagten bezieht. Denn nach dieser Vorschrift darf nur die Verurteilung und die ihr zugrunde liegende Tat nicht zum Nachteil verwertet werden. Selbst wenn man davon aus geht, der Begriff der Tat im Sinne des § 51 Abs. 1 BZRG sei gleichbedeutend mit dem nach § 264 StPO, wäre weiter Voraussetzung für die Annahme eines Verwertungsverbotes, dass diese Betätigungsakte Bestandteil der vom Landgericht am 27. Februar 1989 abzuurteilenden Tat im Sinne des § 264 StPO sind. Dies erscheint zweifelhaft. Der Senat hat bereits in der den früheren Mitangeklagten Schi. betreffenden Beschwerdeentscheidung vom 30. März 2001 ausgeführt, dass er dazu neigt, mehrere prozessuale Taten anzunehmen, wenn der Angeklagte nur wegen einer einzelnen Betätigung verurteilt worden ist und er nicht darauf vertrauen durfte, durch das frühere Verfahren seien alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfasst (BGHSt 46, 349, 358).
3. Diese Frage muss jedoch hier ebenfalls nicht entschieden werden. Auch wenn man von der gleichen prozessualen Tat ausgehen würde, läge ein durchgreifender Rechtsfehler nicht vor, da nicht die der Verurteilung zugrunde liegende Tat zum Nachteil verwertet worden ist.
a) Aus der von der Revision beanstandeten beweiswürdigenden Passage auf UA S. 65 ergibt sich lediglich, dass eine Bestätigung der Aussage des Zeugen M. im Hinblick auf die Flucht des Angeklagten nach Nicaragua ("in den Wald") durch den Inhalt seines Tagebuchs erfolgt sei. Diese Flucht wegen drohender polizeilicher Verfolgung stellt jedoch keine mitgliedschaftliche Betätigung im Sinne des § 129 a StGB dar, weil mit ihr keine terroristischen Ziele gefördert wurden.
b) Aus der weiteren Passage in der Beweiswürdigung, wonach feststehe, dass "die Angeklagten" bei allen drei vorangegangen Anschlägen umsichtig, sorgfältig und arbeitsteilig gehandelt hätten (UA S. 127 f.), ergibt sich nicht, dass speziell beim Angeklagten eine frühere Betätigung als Mitglied als Indiz herangezogen worden ist. Vielmehr sollte die generelle Arbeitsweise der Vereinigung charakterisiert werden, die zuvor bei den einzelnen Anschlägen herausgearbeitet worden war. Es versteht sich, dass sich die Wendung nur auf die Verhaltensweisen derjenigen Mitglieder bezog, die wegen der jeweiligen Anschläge abgeurteilt worden sind.
c) Die straferschwerende Erwägung, der Anschlag auf die Siegessäule sei bereits nach dem Anschlag auf Dr. Ko. diskutiert und schließlich nach langer Planung und Vorbereitung von den Angeklagten verübt worden (UA S. 149), berührt allerdings zu einem gewissen Anteil das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG. Da der Anschlag auf Dr. Ko. am 1. September 1987 und der Anschlag auf die Siegessäule am 15. Januar 1991 stattfanden, hätte von der dazwischen liegenden Planungs- und Vorbereitungstätigkeit der vor dem 27. Februar 1989 liegende Teil von der Berücksichtigung ausgenommen werden müssen. Die nachfolgende Vorbereitung durfte jedoch ebenso wie der Umstand, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung an einer lange vorher geplanten und vorbereiteten Tat beteiligte, zu seinem Nachteil berücksichtigt werden. Dass das Kammergericht bei einer solch feinen Differenzierung zu einer geringeren Strafe gelangt wäre, vermag der Senat auszuschließen.
Soweit die Revisionsbegründung unter Abschnitt B. II verschiedene Widersprüche zwischen der Aussage des Zeugen M. und dem festgestellten Geschehensablauf darlegt und beanstandet, diese seien nicht erschöpfend erörtert, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Das Kammergericht hat die genannten Widersprüche gesehen und im Rahmen der außerordentlich umfangreichen Beweiswürdigung in ausreichender Weise erörtert; dass es dabei wesentliche Umstände außer Acht gelassen hätte, ist nicht ersichtlich.
Die sachlichrechtliche Beanstandung, das Kammergericht habe bei der Würdigung der Aussage des Zeugen M. in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich erörtert, dass ihm und seinem Beistand zuvor Aktenbestandteile, insbesondere Abschriften von Vernehmungsprotokollen aus dem Ermittlungsverfahren zur Verfügung gestellt worden waren, geht von urteilsfremden Feststellungen aus und kann somit einen sich aus dem Urteil selbst ergebenden Erörterungsmangel nicht belegen. Eine Aufklärungsrüge ist insoweit nicht erhoben.
Im Übrigen würde auf der fehlenden Erörterung das Urteil nicht beruhen. Denn die Überlassung war Gegenstand etlicher Anträge und Gerichtsbeschlüsse. Dabei hat das Kammergericht ausgeführt, dass die Überlassung für die Würdigung von Bedeutung sein kann und deshalb die Kenntnisnahme durch den Zeugen zum Gegenstand seiner Befragung gemacht worden war. Bei dieser Sachlage kann ausgeschlossen werden, dass das Gericht diesen Umstand bei seiner Überzeugungsbildung aus dem Blick verloren haben könnte.
Die ausführliche Beweiswürdigung des Kammergerichts zum Vorhandensein einer konspirativen Wohnung in der O.straße lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Ein solcher wird auch nicht dadurch belegt, dass die Zeugin L. zwar 24 Minuten lang vernommen worden sein soll, ihre Aussage aber nur mit einigen Sätzen dargestellt worden ist. Es genügt grundsätzlich die zusammenfassende Wiedergabe des für die Überzeugungsbildung wesentlichen Inhalts, eine vollständige Dokumentation der Aussage ist nicht geboten (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis 3).
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 713
Externe Fundstellen: BGHSt 51, 88; NJW 2006, 3579; NStZ 2007, 49
Bearbeiter: Ulf Buermeyer